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doi:10.18452/28267 (edoc HU Berlin)

Völkisches Büchereiwesen

Zur Geschichte der Grenzbüchereiarbeit in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Das Öffentliche Bibliothekswesen – vor den 1970er Jahren eher Büchereiwesen genannt – ist immer eingelassen in die zeitgenössischen Denkweisen und politischen Entwicklungen der Gesellschaft, im den es existiert. Gleichzeitig findet die Weiterentwicklung der Büchereiarbeit sowie der Infrastrukturen des Büchereiwesens statt, egal welche Ideologie jeweils aktuell vorherrschend sind. Der Artikel zeigt dies am Beispiel des Grenzbücherdienst e.V. auf, welcher in den 1920er bis 1940er Jahren in Deutschland eine bedeutende Rolle im damaligen Bibliothekswesen spielte, obwohl die Grundüberzeugungen, die der Verein vertrat, heute als rechtsextrem gelten können. Der Verein ging von einem völkischen Verständnis aus, nach dem die Welt in Völker eingeteilt wäre, die sich untereinander bekämpfen würden und sah es als seine Aufgabe darin, die «Erhaltung» des deutschen Volkes in den sogenannten «Grenzregionen» sicherzustellen. Für seine Arbeit konnte der Verein offenbar enorme Ressourcen mobilisieren. Er war mit den entstehenden staatlichen Infrastrukturen des Büchereiwesens, insbesondere den damals gegründeten Fachstellen, verbunden und war zudem eingelassen in die zeitgenössischen Diskurse des Büchereiwesens, insbesondere der Büchereipädagogik. Er nutzte nicht nur die gleichen Instrumente, wie sie auch von deutschen Büchereien genutzt wurden, die der Verein nicht erreichte. Vielmehr trieben einige Mitglieder des Vereins in ihren beruflichen Funktionen, beispielsweise als Fachstellenleitungen, die Entwicklung des Bücherwesens selber mit voran. Der Text schildert, nach einer notwendigen historischen Kontextualisierung, die vom Verein verbreiteten Diskurse und seine konkrete Arbeit, zuerst während der Weimarer Republik (1918-1933), dann während des Nationalsozialismus (1933-1945). Dabei wird sich zeigen, dass die Ideologie und konkrete Tätigkeit des Vereins ohne grössere Probleme auch in das nationalsozialistische Büchereiwesen integriert werden konnte. Am Ende stellt sich die Frage, was aus dieser Geschichte über das heutige Öffentliche Bibliothekswesen gelernt werden kann.


Public libraries – before the 1970s called «Büchereien» in german – is always connected to the contemporary discourses and political developments of the society there in. Regardless of the dominant ideologies, the advancements of the libraries work as well as the infrastructures of librarianship continues. This article shows this by example of the Grenzbüchereidienst e.V., which played an important role in german public librarianship during the 1920s to 1940s, although the basic beliefs of this association are seen as extreme right-wing ideologies today. The association followed a “völkische” understanding, by which the world is divided into “Völker” (ethnic groups) which are in a constant struggle between each other. He saw his goal in the upkeep of the german “Volk” in the so called “Grenzregionen” (border regions). For their work the association was apparently able to mobilise a great deal of ressources. He was conceted to the infrastructures of libarrianship, which where developing at that time, especially to the new founded “Fachstellen” (central departemts for the support of public libraries) and accepted the contemporary discourses of german public librarianship, expressly the “Büchereipädagogik” (a form of planed education through public libraries, unique for libraries in the german speaking countries). The association used the same instruments and methods like those public libraries which she did not reach. In fact, members of the association pushed the development of public librarianship at that time themselves,in their professional roles, e.g. as directors of the aforementioned “Fachstellen”. After a necessary historical contextualisation, this article depicts the discourses as well as the concret activities of the association during the Weimar republic (1918-1933) and the nationalsocialist regime (1933-1945). Thereby it will become clear apparent, that the basic belives as well as the work of the association could easily be integrated into the public librarianship during the nazi area. At the end, the article raises questions, what could be learned from this history for todays public librarianship.


Zitiervorschlag
"Völkisches Büchereiwesen. Zur Geschichte der Grenzbüchereiarbeit in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus". LIBREAS. Library Ideas, 44 ().


Inhaltswarnung: Dieser Text beschäftigt sich mit völkisch denkenden Personen während der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus. Er enthält Originalzitate, welche völkische, explizit rassistische sowie antisemitische Begrifflichkeiten nutzen, um ebensolche Inhalte darzustellen.

«Im Leben eines Volkes liegen Wirtschaft, Politik und Kultur so ineinander und durcheinander geschichtet, daß man sie nicht säuberlich voneinander trennen kann und daß man nicht behaupten kann, das eine oder andere Organ sei das Wichtigste. Zuletzt wird immer dasjenige Volk sich politisch und wirtschaftlich behaupten, daß seine geistigen und seelischen Kräfte voll entwickelt. Eine solche volle harmonische Entwicklung muß man besonders einer Grenzbevölkerung wünschen, die ja infolge ihrer Randlage schon sowieso in dem Nachteil lebt, daß in ihr die geistigen Lebensströme der Nation schwächer pulsieren. Gerade in einer Zeit, da die wirtschaftlichen Kräfte in den Grenzgebieten so geschwächt sind, muß mit erhöhtem Nachdruck die Forderung gestellt werden, daß die bedrohte völkische Lebenskraft von der kulturellen Seite her so pfleglich wie möglich behandelt wird. […]

Die Aufgabe also, hierfür das deutsche Buch als den Rückhalt und Träger deutscher Kultur planmäßig einzusetzen, kann in dieser Stunde nicht ernst genug genommen und gelöst werden. Gibt es doch kein Gebiet des Lebens, in das es nicht befruchtend oder auch zerstörerisch hineinwirkt. Es kann sich also bei der Pflege des Buches in den Grenzgebieten immer nur um einen kulturell und pädagogisch geregelten Einsatz handeln, wozu öffentliche, kräftig entwickelte Büchereien notwendig sind.» (Schriewer 1933a: 7f.)

1. Einleitung

Gegenstand dieses Artikels sind die zu damaliger Zeit «Grenzbüchereiarbeit» genannten Tätigkeiten, welchen in Deutschland während der Weimarer Republik (1918–1933) und dem Nationalsozialismus (1933–1945) nachgegangen wurde. Bei dieser Arbeit ging es immer um die damals zumeist «Volksbüchereien» genannten Vorläufer der heutigen Öffentlichen Bibliotheken, wobei dazu oft auch Bibliotheken gezählt wurden, die heute «Schulbibliotheken» heissen würden. Es wird thematisiert, wie die Entwicklung von Strukturen des deutschen (und, spätestens durch die 1938 erfolgte Angliederung an das Deutsche Reich, österreichischen) Volksbüchereiwesens explizit verbunden waren mit einer Ideologie, die heute zurecht als explizit rechtsextrem gilt.

1.1 Struktur des zeitgenössischen Volksbüchereiwesens

Die sich zu heute unterscheidenden Bezeichnungen sind sichtbarer Ausdruck einer damals auch anders als heute strukturierten Büchereilandschaft, welche bei der Geschichte der Grenzbüchereiarbeit beachtet werden muss.

Während die Öffentlichen Bibliotheken heute, ungeachtet der verschiedenen Träger (Gemeinden, Gemeindeverbände, Stiftungen, Vereine, Kirchgemeinden, nicht profitorientiert arbeitende Firmen und so weiter), Teil der von Gemeinden beziehungsweise Städten finanzierten und beauftragten Infrastruktur von Bildungs- und Kultureinrichtungen sind, galt dies in der hier untersuchten Zeit nicht. Vielmehr ist die Grenzbüchereiarbeit Teil der Geschichte der «Kommunalisierung» des Öffentlichen Büchereiwesens, also der langsamen «Erhöhung der Staatsquote» in diesem Bereich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Volksbüchereien in Deutschland und Österreich (die beiden Länder, welche in diesem Artikel die Hauptrolle spielen werden) institutionell nicht eindeutig verankert: Zum Teil wurden sie von Vereinen betrieben, zum Teil von Gemeinden und oft auch von Lehrern an den damals zumeist Volksschulen genannten Einrichtungen (die heute Grund- oder Primarschule heissen und selbstverständlich, im Vergleich zum Zeitraum von 1918–1945, zum Teil auch andere Aufgaben haben). Es war auch nicht ungewöhnlich, wenn in grossen Betrieben sogenannte Werkbüchereien als Teil der Sozialeinrichtungen für die Belegschaft betrieben wurden, die zum Büchereiwesen der damaligen Zeit zu zählen sind. Darüber hinaus gab es zahlreiche, an politische Bewegungen und Milieus angebundene Büchereien, insbesondere die explizit von katholischen Vereinen und Kirchgemeinden betriebenen («katholische Bibliotheken») sowie solche von sozialdemokratischer beziehungsweise gewerkschaftlicher Seite («Arbeiterbibliotheken»). Genaue Zahlen über die Anzahl, Grösse und Verbreitung all dieser Büchereien sind heute nicht mehr verfügbar. Aber es wäre falsch, die von den Gemeinden direkt geführten und finanzierten Büchereien als die grössten oder erfolgreichsten anzusehen und die anderen nur als kleine Einrichtungen. Oft scheint das Gegenteil der Fall gewesen zu sein.1 Nicht zuletzt gab es zahllose gewerblich organisierte «Leihbibliotheken».

Zudem kamen zu den Büchereien – in denen Bücher ausgeliehen wurden – Lesehallen. In diesen wurden Bücher, später auch Zeitschriften und Zeitungen, zum Lesen vor Ort vorgehalten. Büchereien und Lesehallen konnten getrennt voneinander existieren, aber auch in einer Einrichtung zusammengeführt sein. Teilweise wurden sie zusammen betrieben, teilweise gab es auch am selben Ort zum Beispiel Vereine, die Büchereien und solche, die Lesehallen unterhielten. Zudem waren die Grenzen nicht immer klar gezogen – nur, weil eine Einrichtung Lesehalle hiess, bedeutete das nicht unbedingt, dass sie nicht auch Bücher entlieh. Und, um die Sache noch komplizierter zu machen, gab es beispielsweise ab ungefähr 1910 auch explizite «Kinderlesehallen» (Feldhausen 1910), teilweise als eigenständige Einrichtungen oder als Filialen von Volksbüchereien, teilweise als eigene Räume innerhalb einer Volksbücherei. Welche Aufgaben die Büchereien und Lesehallen hatten, war die ganze Zeit über nicht genau geklärt, vielmehr war es Thema intensiver Auseinandersetzungen. Erst die «Kommunalisierung» führte dazu, dass sich ein gewisses, gemeinsam geteiltes Verständnis dieser Aufgaben entwickelte. Dieser Prozess zog sich bis in die 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts, war also am Ende des hier besprochenen Zeitraumes nicht abgeschlossen.

In der Grenzbüchereiarbeit ging es aber immer um Volksbüchereien, inklusive derer in Schulen, und in der späten Weimarer Republik auch manchmal um die katholischen Bibliotheken. Arbeiterbibliotheken und Leihbibliotheken wurden immer als «gegnerische» Einrichtungen angesehen, auch die katholischen Bibliotheken wurden nach 1933 wieder abgelehnt.

1.2 Fokus und Ziele des Artikels

Dieser Artikel beschränkt sich, wie schon gesagt, auf Deutschland und – bedingt durch den 1938 erfolgten «Anschluss» an das Deutsche Reich – auf Österreich. Dies hat einerseits mit den hier verwendeten Quellen zu tun, andererseits ist – wie im nächsten Kapitel noch einmal besprochen wird – das «völkische Denken» zumindest in dieser Intensität eine Spezifik der deutschen und österreichischen Gesellschaften Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Ob, und wenn ja wie, ein ähnliches Denken auch die Entwicklung der Volksbüchereien in anderen Ländern beeinflusst hat, muss eine Frage für weitere Forschungen bleiben.

Ziel dieses Textes hier ist – auch das wird weiter unten nochmal thematisiert – explizit nicht, eine Verurteilung des damaligen Büchereiwesens vorzunehmen, Einzelpersonen aus dem damaligen Bibliothekswesen zu diskreditieren oder die damals aufgebauten und heute noch existierenden bibliothekarischen Infrastrukturen zu verurteilen. Es sollte aus der unten folgenden Darstellung ersichtlich werden, dass die gesamte völkische Ideologie und damit auch die daraus abgeleiteten «Probleme», Lösungen und so weiter, inhaltlich und moralisch falsch waren und zu verurteilen sind. Es ist aber nicht vorrangiges Ziel dieses Artikels, dies explizit nachzuweisen. Vielmehr geht es hier darum, zu zeigen, wie eng die Entwicklung von Bibliotheken und die Entwicklungen der jeweiligen Gesellschaft zusammenhängen. Wenn der Text eines zeigen soll, dann, dass Vorstellungen davon, dass Öffentliche Bibliotheken oder ihre Vorgänger immer schon bestimmte Werte vertreten oder gelebt hätten (beispielsweise einen «demokratischen Kern» hätten), die frei von den gesellschaftlichen Entwicklungen wären, falsch sind.

In diesem Text wird ein Autor, Franz Schriewer, sehr oft angeführt werden. (Schon das eröffnende Zitat stammt von ihm.) Schriewer ist heute wohl vor allem bekannt dafür, das Öffentliche Bibliothekswesen in Schleswig-Holstein aufgebaut sowie gleichzeitig mittels seiner Vereinsarbeit und Artikel das Bibliothekswesen der frühen Bundesrepublik Deutschland geprägt zu haben. Deswegen kann leicht der Eindruck entstehen, als würde es in diesem Text darum gehen, nachträglich zu zeigen, dass Schriewer zuvor unter dem Nationalsozialismus eine – wenn auch nicht ganz ungebrochene – Karriere hatte. Angesichts dessen, dass die Kontinuitäten bibliothekarischer Karrieren in Deutschland vor und nach 1945 erst seit den 1970er Jahren wirklich thematisiert werden (Andrae 1970, Kettel 1981, Boese 1987) wäre dies denkbar. Aber: Erstens müsste man die Geschichte hier erweitern. Schriewer war schon in der Weimarer Republik ein erfolgreicher Organisator der Büchereiarbeit in Schleswig – bei ihm explizit als «Grenzbüchereidienst» verstanden – und nicht erst nach 1933. Zweitens wird Schriewer in diesem Artikel hier vor allem deshalb oft zitiert, weil er einfach die gesamte Zeit über ein überaus produktiver Autor war. (Vergleiche seine Bibliographie in Weimar 1976.) Er publizierte kontinuierlich praktisch sofort seit er 1921 mit dem Bibliotheksdienst begann und bis nach seiner Verrentung 1959. In fast allen zeitgenössischen wichtigen bibliothekarischen Zeitschriften fanden sich von ihm regelmässig Artikel, Rezensionen und Kommentare. Die inhaltliche Breite seiner Arbeiten ist beachtlich: Von büchereitechnischen Entwicklungen (Schriewer 1924b) über büchereipolitische Grundsatzartikel (Schriewer 1933b) bis hin zu zahllosen Besprechungen. (Schriewer 1933c) Zudem hielt er ständig Vorträge und leitete Weiterbildungsveranstaltungen, die von anderen Autor*innen referiert wurden. (Scheffen-Döring 1933) Er hat seine Karriere und inhaltliche Entwicklung praktisch selber gut dokumentiert. Schon die jeweiligen Zusätze zu seinem Autorennamen («Flensburg», «Berlin», «Frankfurt/Oder») berichten von seinen Karrierewegen. Ungezählte andere Bibliothekar*innen machten zur gleichen Zeit ähnliche, aber eben nicht mehr so einfach nachvollziehbare, Karrieren im deutschen Büchereiwesen, über alle politischen Veränderungen hinweg.2 Nicht zuletzt wurde, drittens, von Uwe Danker schon ein Beitrag zur Biographie Schriewers, inklusive einer kritischen Wertung seines Verhaltens während des Nationalsozialismus, vorgelegt. (Danker 2017) Wenn es darum gehen würde, direkt an diesen Beitrag anzuschliessen, müsste hier, im vorliegenden Artikel, ein neuer Fokus gewählt werden. Aber es geht hier gerade nicht darum, Schriewer hier als besonders zu zeichnen. Wenn überhaupt, dann steht er als einer von vielen im deutschen Bibliothekswesen. (Vergleiche auch den gesamten Band Kuttner & Vodosek 2017, nicht nur den Beitrag von Danker.)

Wichtig ist an dieser Stelle zudem, explizit darauf hinzuweisen, dass es sich beim hier im Mittelpunkt stehenden Grenzbüchereidienst e.V. nicht um eine randständige Organisation handelte, die vielleicht keinen Einfluss auf das Büchereiwesen hatte. Vielmehr waren die Aktiven des Vereins eng mit dem restlichen Büchereiwesen – zumindest der Richtung der «Volksbüchereien», nicht der anderen drei weiter oben genannten «Richtungen» katholische Bibliotheken, Arbeiterbibliotheken und gewerbliche Leihbibliotheken – verbunden. Ein grosser Teil von ihnen publizierte regelmässig auch in den jeweiligen Zeitschriften für das Volksbüchereiwesen (also vor allem den Blättern für Volksbüchereien und Lesehallen (1900–1919), der Bücherei und Bildungspflege (1920–1933) und Die Bücherei (1933–1944), aber auch vielen kleineren Blättern3), war in den bibliothekarischen Verbänden, auf den Kongressen und den Weiterbildungsveranstaltungen vertreten und besetzte auch viele der zentralen Stellen, die für die Entwicklung des Öffentlichen Büchereiwesens, insbesondere ausserhalb der grossen Städte, wichtig waren. Über die Aktivitäten des Vereins und die Themen, die er bearbeitete, wurde in der restlichen bibliothekarischen Presse zudem oft berichtet. (Vergleiche zum Beispiel Kander 1928) Nicht zuletzt war der Verein gut mit den wirtschaftlichen Eliten Deutschlands verbunden.

1.3 Struktur des Artikels

Diesem einleitenden Kapitel folgt nun eines (2.), in dem Grundbegriffe und Konzepte, welche für die Geschichte der Grenzbüchereiarbeit relevant sind, geklärt werden. Insbesondere wird das völkische Denken sowie die dominanten Vorstellungen zur Büchereipädagogik besprochen. Am Ende dieses Kapitels wird auf das Anfangszitat dieses Textes zurückverwiesen, um es im Kontext dieser Vorstellungen noch einmal zu lesen. Es wird sich zeigen, dass es problematischer ist, als es auf den ersten Blick erscheint und nicht nur einfach eine vielleicht etwas überkommene Sprache verwendet. Anschliessend wird die Geschichte der Grenzbüchereiarbeit während der Weimarer Republik dargestellt. (3.) In der deutschen Geschichte wird im Allgemeinen das Jahr 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten als Bruchpunkt gesehen. Dem folgt auch dieser Text, indem er die Geschichte der Grenzbüchereiarbeit während dieses Herrschaftssystems in einem gesonderten Kapitel darstellt. (4.) Allerdings kann hier schon gesagt werden, dass sich die Grenzbüchereiarbeit in dieser Zeit eher kontinuierlich weiterentwickelte. Einen echten Bruch gab es nicht. Im vorletzten Kapitel (5.) wird dann die Grenzbüchereiarbeit aus der heutigen Sicht bewertet. Grundsätzlich, um auch das vorwegzugreifen, endet die von völkischem Denken geprägte Volksbüchereiarbeit mit dem Ende des Nationalsozialismus. Aber viele Strukturen und Vorstellungen werden nach 1945 weitergeführt. Sie transformierten sich und nehmen heute auch andere Aufgaben wahr – die Büchereizentrale Schleswig-Holstein ist heute zum Beispiel eine ganz andere Einrichtung als Franz Schriewers Zentrale für Nordmarkbüchereien und hat auch ganz andere Ziele, obgleich sie in einer direkten Kontinuität steht. Insoweit drängt sich nicht nur die Frage auf, wie erfolgreich die Grenzbüchereiarbeit an sich war, sondern auch, was diese Kontinuitäten für das heutige Bibliothekswesen bedeuten – oder nicht bedeuten.

2. Grundkonzepte

Zur Kontextualisierung der Grenzbüchereiarbeit ist es notwendig, im Vorfeld zwei Themenkomplexe, nämlich völkisches Denken und Büchereipädagogik, zu klären. Dies geschieht in den folgenden beiden Abschnitten.

2.1 Völkisches Denken

Völkisches Denken, auf dem die «völkische Bewegung» in Deutschland und Österreich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aufbaute, hat einen spezifischen Inhalt, auch wenn dieses Denken von Widersprüchen gekennzeichnet war und deshalb nicht immer leicht zu fassen ist. (Puschner, Schmitz & Ulbricht 1996a, Hartung 1996, Breuer 2010) Vertreter*innen des völkischen Denkens widersprachen sich ständig, setzten immer wieder neu Grundprinzipien fest, mit denen sie sich von den Grundprinzipien anderer Vertreter*innen abgrenzten und waren an sich notorisch untereinander zerstritten. Und dennoch war das Denken weit verbreitet. (Breuer 2010)

2.1.1 Der Begriff «Volk»

Im Mittelpunkt des völkischen Denkens steht «das Volk». Das Wort «Volk» hat verschiedene Bedeutungen. (Retterrath 2016) Beispielsweise kann es für das Staatsvolk (also alle Bewohner*innen eines Landes oder alle Personen, welche die Staatsbürgerschaft eines Landes haben) stehen. In dieser Bedeutung wird das Wort heute zumeist verwendet. Volk kann aber auch eine Bezeichnung für bestimmte Schichten oder Klassen darstellen, im Sinne einer Trennung von «Volk und Eliten». Dies kann eine moralische Kritik an den als «Eliten» begriffenen Gruppen beinhalten oder aber, beispielsweise im marxistischen Denken, welches Anfang des 20. Jahrhundert extrem virulent war, auch als Teil einer Gesellschaftsanalyse begriffen werden. In letzterer Verwendung steht dann «Volk» oft als Synonym für das Proletariat. Volk kann ebenfalls als Bezeichnung für die Gläubigen einer Religion oder Konfession verwendet werden, im Sinne von «Kirchenvolk». Auch diese Verwendung war Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet. Darüber hinaus gibt es weitere Verwendungen des Begriffes. Gleichzeitig sind diese Bedeutungen nicht unbedingt immer klar voneinander abgrenzt. Es ist deshalb immer notwendig, den Kontext und die konkrete Verwendung des Begriffes «Volk» anzuschauen, um zu bestimmen, wer oder was damit gemeint ist.

Das deutschsprachige Bibliothekswesen der 1920er und 1930er Jahre liefert für diese Unbestimmtheit des «Volksbegriffs» sogar selbst ein gutes Beispiel: Es gab damals gleich zwei Zeitschriften mit dem Titel Buch und Volk. Die erste, 1923–1927 herausgegeben vom Verband der deutschen Buchwarte in der tschechoslowakischen Republik, folgte eher dem weiter unten geschilderten völkischen Verständnis – wenn auch nicht unbedingt in radikaler Form. Die zweite, 1931–1938 publiziert vom Schweizerischen Katholischen Pressverein,4 meinte mit «Volk» eher das katholische Kirchenvolk, teilweise aber auch das «Schweizervolk», das aber als Bevölkerung einer «Willensnation» (im Gegensatz zum im Anschluss geschilderten völkischen Verständnis) verstanden wurde.

2.1.2 «Volk» im völkischen Denken

Im völkischen Denken hat der Begriff Volk eine weitere, spezifische Bedeutung.

  1. «Volk» wurde im völkischen Denken als eine zusammengehörige Einheit verstanden: Die Welt sei in Völker unterteilt, diese Völker befänden sich untereinander in einem ständigen Kampf. In gewisser Weise seien Völker handelnde Entitäten, mit jeweils eigenen Zielen, «Kampfformen», Stärken und Schwächen, die man analysieren, lenken und nutzen könne. In diesem Kampf ginge es um Einfluss, um die Beherrschung anderer Völker, letztlich aber immer darum, ob ein Volk «überleben» oder «untergehen» würde. Völker werden hier in einem «biologischen» Sinn verstanden, wobei unter Biologie weniger das konkrete Forschungsfeld und mehr eine populistische, stark sozialdarwinistische Variante zu verstehen ist. In diesem Verständnis von Biologie geht es immer um Züchtung, Reinheit und Überlebenskampf und nicht (wie das heute wohl der Fall wäre) darum, zu verstehen, wie komplexe Umweltsysteme interagieren. (Retterath 2020, Fahlbusch & Haar 2020)

  2. Das Volk wurde immer als Einheit verstanden, welche alle Angehörigen des jeweiligen Volkes umfasst, egal welcher Schicht sie angehören oder in welchem Land sie leben. Völker werden als übergreifende Entitäten verstanden, die nicht mit den Staatsgrenzen übereinstimmen. (Beziehungsweise, es war oft eine Kritik von völkischer Seite, dass «Volks- und Staatsgrenzen» nicht gleich wären, was immer implizierte, dass Staaten geschaffen werden sollten, die immer nur aus einem Volk bestehen sollten und das Völker, die als «nicht staatsbildend» verstanden wurden, im Endeffekt untergehen würden.) Beispielsweise wurden ständig Karten und Tabellen vorgelegt, in denen die prozentuale Verteilung von «Volksgruppen» in verschiedenen Ländern, Regionen oder Gemeinden dargestellt wurde und die sich darüber hinwegsetzten, dass die meisten dieser Menschen konkret die jeweils gleiche Staatsbürgerschaft hatten, also im Fall der hier im Artikel besprochenen Geschichte zum Beispiel die polnische, tschechoslowakische oder französische. Das Volk wird auch immer als eine Entität verstanden, die «über dem Tagesgeschäft» stehen würde. Es wäre wirksam, auch wenn es zum Beispiel in einer Gesellschaft Auseinandersetzungen über wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen gäbe. Obgleich es auch viele Versuche gab, völkische Parteien zu organisieren (Breuer 2010: 68–83), war es doch normal, dass völkische Organisationen behaupteten, dass sie «über den Parteien» stehen würden. Die «völkischen Frage» wurde als eine verstanden, welche die gesamten unterschiedlichen Schichten und Organisationen übergreifen würde – solange sich diese nur im völkischen Rahmen bewegten (und nicht zum Beispiel grundsätzlich international aufgestellt wären oder humanistisch die Gleichwertigkeit aller Menschen betonen würden).

  3. Das Volk wurde als grundsätzlich «angeboren» verstanden. Ein Mensch würde als Teil eines Volkes geboren und könne dem «nicht entkommen». Es wurde zudem angenommen, dass Menschen, die zu einem Volk gehören, dazu tendieren würden, beieinander leben zu wollen. Menschen, die nicht direkt einem Volk zugeordnet werden konnten, beispielsweise weil ihre Eltern aus «verschiedenen Völkern» stammten oder weil sie sich selbst nicht unbedingt dem jeweils «eigenen Volk» zugehörig ansahen, wurden immer mindestens argwöhnisch betrachtet.5 Eine Veränderung von Völkern wurde, wenn, dann nur über einen längeren Zeitraum als möglich angenommen. Also: In gewisser Weise würden sich Völker verändern, einige würden «untergehen», andere neu entstehen. Aber diese Veränderungen würden weit über ein Menschenleben hinaus wirksam sein. Ein Mensch, welcher nicht als Teil «seines» Volkes leben würde, wäre – so die zeitgenössische Terminologie – «entartet». Dies ist wieder mit der «biologistischen» Sicht auf Völker zu erklären: So, wie sich neue Pflanzenarten entwickeln, aber die einzelne Pflanze immer zu einer Art gehört, sei es auch bei Menschen.

  4. Wichtig war im völkischen Denken zudem, dass Völker immer hierarchisch gedacht wurden. Völker hatten einen «Wert», der sich in ihrer Macht, Kultur, «Zivilisation» ausdrücken würde. Es gäbe Völker, die eher ähnlich wertvoll wären und andere, die vollkommen unterschiedlich wären. Aber was es im völkischen Denken per se nicht geben konnte, war die Idee, dass alle Völker gleichwertig wären.

  5. Fest zusammen gedacht wurde auch das Volk und «der Boden». Ein Volk würde zu einem bestimmten Land, «Boden», gehören. Ein Volk könne nur auf dem «richtigen» Land wirklich ein richtiges Volk sein. Über lange Sicht war schon vorgesehen, dass ein Volk ein Land «unter Kontrolle bringen» und so prägen würde, dass dieses dann zu diesem Volk gehören würde. (Ansonsten wäre im völkischen Denken nicht erklärbar, wieso zum Beispiel die Deutschen zu einem «Boden» gehören sollten, der einst von anderen Völkern besiedelt war. Breuer (2010) betont auch einen starken Zusammenhang zwischen völkischer Bewegung und Kolonialbewegung ab den 1890er Jahren, die gar nicht denkbar wäre, wenn man sich nicht vorstellen könnte, dass zum Beispiele «Deutsche» auch in Afrika oder Südamerika «deutschen Boden» bewirtschaften könnten.) Aber es wird ein enger Zusammenhang gesehen – man könne zum Beispiel den Charakter eines Volkes daraus bestimmen, welches Land es besiedeln würde. Es wäre deshalb auch falsch, wenn ein «falsches» Volk ein bestimmtes Land besiedele.

  6. Daraus ergab sich, dass im völkischen Denken ständig über zwei «Probleme» nachgedacht wurde: Erstens, welche Völker es überhaupt gibt und in welcher Hierarchie sie zueinander stehen würden. Da es sich bei der völkischen Bewegung um eine deutsch-österreichische handelte, ging es oft um die «Völker» in Europa, insbesondere die an den jeweiligen deutschen und österreichischen Staatsgrenzen sowie die, welche «innerhalb» dieser Grenzen lebten. Oft wurden Hierarchien konstruiert, in denen «das deutsche Volk» an die Spitze gestellt, die «nordischen Völker» darunter platziert, die «westeuropäischen» eine Stufe darunter und die «osteuropäischen» noch tiefer platziert wurden. Aber es gab auch andere Hierarchien – teilweise mit anderen Stufen, teilweise mit grösserer Differenzierung.6 Zweitens war das völkische Denken besessen von den Themen «Reinheit» und «Mischung». Menschen, wie gesagt, konnten laut diesem Denken «das eigene Volk» nicht verlassen. Und dennoch: In der Realität gab und gibt es immer Menschen, die genau das tun. Es gab und gibt immer freundschaftliche oder sexuelle Beziehungen und Familiengründungen von Menschen aus «unterschiedlichen Völkern». Es gab und gibt immer auch Staaten, in denen «unterschiedliche Völker» recht umstandslos miteinander leben. (Schon die Existenz der Schweiz war immer eine Herausforderung für das völkische Denken.) Im völkischen Denken ging es immer wieder darum, ob und wie das sein kann, welche Konsequenzen es hat – sowohl für «das Volk» als auch für die einzelnen Menschen –, in welchem Masse es zugelassen werden sollte oder auch verhindert. Nicht zuletzt ging es immer wieder um «Gebiete», in denen es den völkischen Vorstellungen nach besonders oft zu solchen «Vermischungen» kommen würde – Grossstädte, Grenzgebiete und «völkische Enklaven» auf dem Gebiet «anderer Völker».

  7. Mit dem völkischen Denken verbunden waren immer zwei weitere Punkte: Zum einen gab es die Überzeugung, dass «das Volk» ausserhalb der Städte weit mehr «völkisch» wäre. Die Grossstädte wären ein «Völkergemisch», das Dorf hingegen wäre jeweils «eine völkische Einheit». Deshalb war das völkische Denken immer mit einem positiven Bezug zum «Dorfleben» verbunden. Viele Volksbüchereiarbeit, die weiter unten besprochen wird, bezog sich deshalb auf die dörfliche Bevölkerung. Es gab auch eine ganze Anzahl von völkischen «Siedlungsprojekten».7 Gleichzeitig war dies begleitet von einem recht eingeschränkten Blick auf die tatsächlichen Entwicklungen in ländlichen Gebieten: Vermeintliche und echte Traditionen wurden positiv gesehen, reale Entwicklungen wie die Mechanisierung der Landwirtschaft in der damaligen Zeit eher ignoriert. Zum anderen ist mit dem völkischen Denken Antisemitismus, Anti-Sozialismus und Anti-Katholizismus verbunden. Dies ergibt sich aus dem völkischen Denken selber: Das Judentum wurde als ein Volk «ohne Boden», also als kein «richtiges Volk» verstanden.8 Gleichzeitig wurde die völkische «Kapitalismuskritik» an antisemitischen Stereotypen ausgerichtet. Als problematisch sah die Bewegung weniger die sich wandelnden Produktionsverhältnisse oder die Machtverteilung im Kapitalismus an (wie es die sozialistische Bewegung tat), sondern nur, dass Firmen im Kapitalismus «übernational» agieren und Profitinteressen folgen würden. (Hoffmann 1996) Dies wurde, mal mehr, mal weniger explizit, mit «dem Judentum» verbunden. Der Sozialismus wurde als eine Bewegung angesehen, welche durch ihre internationale Ausrichtung die angebliche Unterteilung der Menschen in sich gegenseitig bekämpfende Völker bestreiten würde. Gleiches wurde dem Katholizismus vorgeworfen, welcher sich in allen Ländern immer «über den Berg» (deshalb der Begriff «Ultramontanismus») hin zum Papst orientieren würde, nicht auf das eigene Volk. Das alles wurde ständig in der völkischen Bewegung diskutiert. Es gab aber in der völkischen Bewegung auch immer davon abweichende Stimmen, die es zum Beispiel für möglich erachteten, dass es einen deutschen Katholizismus geben kann, und die «katholische Deutsche» abgrenzten von «Ultramontanisten», die sie dann zum Beispiel im Jesuiten-Orden verorteten. (Scherzberg 2012) Oder aber, die ihren Antisemitismus als «geistig» verstanden und meinten, zwischen der «Idee eines Judentums» und den realen Jüd*innen unterscheiden zu können. Wie gesagt, bestanden innerhalb der völkischen Bewegungen immer Widersprüche, so auch bei diesen Fragen. (Rosenberger 2020)

2.1.3 Modernität und Widersprüchlichkeiten des völkischen Denkens

Bei all dem verstand sich die völkische Bewegung explizit nicht als antimodern. (Breuer 2010, Brajer 2020) Sie griff wissenschaftliche Begriffe auf, sie verstand Völker an sich als in Entwicklung begriffen (aber halt diese Entwicklung als Kampf), sie bejahte den technischen Fortschritt, teilweise auch Prozesse der Demokratisierung (solange sie völkisch interpretiert werden konnten, also zum Beispiel als Ausdruck der Zusammenarbeit eines Volkes über alle Schichten hinweg in einer Volksgemeinschaft). Moderne Formen der Planung, der Massenkommunikation oder auch der Organisation wurden aufgegriffen. (Brajer 2020) Es ging nicht um ein reines «zurück» in mythische Zeiten. Stattdessen wurde oft versucht, wissenschaftliche Begründungen für völkische Ideen zu finden. (Puschner, Schmitz & Ulbricht 1996b) Nicht selten bezeichneten deshalb Aktive der völkischen Bewegung ihre Publikationen als «Forschung», «Studie» und so weiter. Ob sie damit erfolgreich waren, ist eine weiterhin offene Forschungsfrage. Einerseits gelang es nur wenigen dieser Vertreter*innen, in der Wissenschaft selber Fuss zu fassen. (Breuer 2010) Andererseits prägten ihre Thesen ab den späten 1920er Jahren den wissenschaftlichen Diskurs, vor allem in Deutschland und Österreich. Nicht zuletzt gingen viele Projekte, in denen begonnen wurde, «Volkskultur» zu sammeln und zu erschliessen, auf die völkische Vorstellung zurück, dass sich in diesen das tatsächliche «Volkstum» zeigen würde. Es gibt also eine Traditionslinie zur heutigen Forschungen, beispielsweise der europäischen Ethnologie – die aber jetzt ganz anderen Grundsätzen folgt. (Fahlbusch et al. 2020)

Trotz dieses Fokus auf «das Volk» schaffte es die völkische Bewegung nie, eine klare und eindeutige Definition von «Volk» zu etablieren. (Retterath 2020) Aus der Rückschau kann man feststellen, dass dies wohl auch daran liegt, dass Völker in der Realität kulturelle, bewegliche und sich ständig in Veränderung befindende Entitäten darstellen, während sie im völkischen Denken als praktisch feststehende, überzeitliche Einheiten verstanden wurden. Es wurde also versucht, etwas zum Hauptinhalt des Denkens zu machen, dass so gar nicht existiert. Aber das ist nur ein Grund. In der völkischen Bewegung gab es vielmehr nebeneinander ganz unterschiedliche Ansätze, mit denen versucht wurde zu verstehen, was genau ein Volk ist: Es wurde als geistige oder seelische Einheit verstanden. Es wurde versucht, Völker über ihre Sprache zu definieren oder auch über die biologische Abstammung. Teilweise wurde es als Ausdruck «des Bodens» verstanden, teilweise wurde es einfach als gegeben angenommen. Und teilweise wurde es als «Rasse» verstanden.

Auch wurde nie klar, was genau passiert, wenn ein Volk «untergeht». Zwar wurde darüber oft als Gefahr geschrieben, aber es war nicht klar, ob das heisst, dass die Menschen, die zu einem Volk «gehören», dann verschwinden, gar sterben würden – oder ob sie einfach nur eine andere Kultur annehmen würden. Nicht zuletzt wurde nie richtig klar, ob ein Menschen ein Volk wechseln kann oder nicht – was dazu beiträgt, dass nie ganz klar wird, was eigentlich die genaue Gefahr wäre, wenn sich das eine oder andere Volk «durchsetzen» würde.

Was in der Forschung zur völkischen Bewegung und zum völkischen Denken allerdings Konsens ist, ist, dass dieses als Reaktion insbesondere kleinbürgerlicher Schichten auf die Veränderungen durch die Moderne zu verstehen ist – vor allem auf die Industrialisierung und den Massenkonsum, das Wachstum der Städte, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, aber auch den gesellschaftlichen Wandel wie das Entstehen der in der Sozialdemokratie organisierten, politisch engagierten Arbeiterschaft, der beginnenden Demokratisierung oder auch der ersten Frauenbewegung. (Breuer 2020, Brajer 2020) Die Suche nach «überzeitlichen» Entitäten wie Völkern und den Gesetzmässigkeiten ihrer Entwicklung, war ein Versuch, diese Veränderungen zu verstehen und wohl auch, sie zu steuern.

2.1.4 Völkische Bewegung und Nationalsozialismus

Der Beginn der völkischen Bewegung wird gemeinhin in den 1870er, 1880er Jahren verortet. (Puschner, Schmitz & Ulbricht 1996b, Brajer 2020) Während die Moderne an sich den gesellschaftlichen Hintergrund bietet, sind als konkrete Daten der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 (bei dem die Habsburger Monarchie zur Doppelmonarchie umgestaltet wurde) und die Gründung des Deutschen Reiches 1871 als Bruchpunkte zu nennen, aus denen heraus sich unter anderem die völkische Bewegung in Deutschland und Österreich zu entwickeln begann – wobei sich die Völkischen in Österreich als «Deutsche» verstanden. Als weiterer Bruchpunkt (der für die weiter unten besprochene Geschichte des Grenzbüchereiwesens relevanter war) ist der verlorene Erste Weltkrieg und die Revolutionen, welche die beiden Staaten als Republiken neu gründeten, zu nennen. Grundsätzlich kam es in der Zeit nach 1918 in der Weimarer Republik und der ersten österreichischen Republik zu einem massiven Wachstum und zu einer inhaltlichen Radikalisierung der völkischen Bewegung. (Breuer 2020, Brajer 2020) Als Ende der Bewegung wird gemeinhin der Nationalsozialismus angegeben, aber immer auch betont, dass es eine komplexe Beziehung zwischen völkischer Bewegung und Nationalsozialismus gab. (Puschner & Vollnhals 2012)

Unschwer zu erkennen ist, dass beide – also Nationalsozialismus und völkische Bewegung – viele Grundwerte miteinander teilten. Und dennoch kann man beide nicht gleich setzen. Es gab in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) viele, auch einflussreiche, Mitglieder, die einen positiven Bezug zum völkischen Denken und der völkischen Bewegung hatten. Die NSDAP, beziehungsweise ihre Vorgängerorganisation Deutsche Arbeiterpartei, wurde 1919 in diesem Umfeld gegründet. Aber spätestens nach der Neugründung der Partei 1925 grenzte sie sich explizit von völkischen Kreisen ab. In der Literatur werden immer wieder explizite Äusserungen Adolf Hitlers zitiert, in denen er diese Abgrenzung als grundlegend beschreibt. (Vollnhals & Puschner 2012) Insbesondere legten Hitler und die NSDAP Wert darauf, zu betonten, dass ihre Definition von «Volk» auf explizit rassistischer Grundlage erfolge und damit wissenschaftlich sei – und nicht so offen und veränderlich, wie in der völkischen Bewegung. (Breuer 2020) Ausserdem grenzten sie sich von eher sektiererischen Gruppen innerhalb der völkischen Bewegung ab. Gleichwohl gab es die gesamte Zeit vor der Machtergreifung 1933 ständige Kontakte zwischen Personen in der NSDAP und der völkischen Bewegung. Viele Personen mit völkischem Denken traten sowohl vor als auch nach 1933 in die NSDAP ein und engagierten sich in ihr.9

Nach der Machtergreifung 1933 wurden trotzdem die meisten völkischen Gruppen, Zeitschriften, Verlage und so weiter verboten oder aber in nationalsozialistische Organisationen überführt. Diese Übernahmen sind als Teil der allgemein angestrebten Gleichschaltung der deutschen Gesellschaft zu verstehen. Sie fanden unter ganz anderen Massgaben und auch gänzlich anders, zum Beispiel viel weniger gewaltförmig, statt als die Auflösung jüdischer, kommunistischer oder sozialdemokratischer Organisationen. Zudem wurden völkische Einzelpersonen explizit als Vorläufer des Nationalsozialismus geehrt, auch wenn sie dann im Nationalsozialismus selbst wenig Einfluss hatten. (Breuer 2020) Gleichzeitig engagierten sich viele Personen, die zuvor in der völkischen Bewegung aktiv gewesen waren, nahtlos im Nationalsozialismus. Das völkische Denken war, trotz der teilweise gegenseitigen Abgrenzung von völkischer Bewegung und NSDAP, also überhaupt nicht unvereinbar mit der nationalsozialistischen Ideologie.10

Obgleich es nach dem Zweiten Weltkrieg – und bis heute – immer wieder Versuche der Neugründungen gab (und teilweise lange existierende Gruppierung wie der, nach dem Gründer*innen-Ehepaar «Ludendorffer» genannte, «Bund für Deutsche Gotterkenntnis» weiterhin bestehen (Amm 2012)), ist die völkische Bewegung als massiv umtriebige Szene erst im Nationalsozialismus auf- und dann 1945 mit ihm untergegangen.

2.2 Büchereipädagogik

Die Arbeit aller Büchereien (nicht nur der Volksbüchereien, sondern auch der Schulbibliotheken, Arbeiterbibliotheken und katholischen Bibliotheken) war im späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts geprägt von einem Denken, dass ungefähr ab den 1910er Jahren systematisiert und dann oft «Büchereipädagogik» genannt wurde. (Vergleiche Ackerknecht 1926) Ein Vorwurf, welcher den gewerblichen Leihbibliotheken gemacht wurde, war, dass sie sich nicht den Grundprinzipien der Büchereipädagogik unterwerfen würden (Maiwald 1931) – was nicht unbedingt empirisch belegt wurde, aber eine weit verbreitete Meinung war.

Grundlage der Büchereipädagogik war, erstens, die Büchereien als neue Bildungs- und Reformeinrichtungen zu verstehen, die ausserhalb der Schulen wirken sollten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde im DACH-Raum die allgemeine Schulpflicht eingeführt, durchgesetzt und unter die «Obhut» des Staates genommen (also auch dem direkten Einfluss der Kirchen entzogen). Ende des 19. Jahrhunderts gab es darauf aufbauend zahllose Ideen, welche weiteren Bildungs- und Kultureinrichtungen ein moderner Staat neben den Schulen noch unterhalten müsse (oder ob die Schulen ausgebaut, also zum Beispiel um weitere Jahrgänge oder Inhalte erweitert, werden sollten). Einige dieser Vorstellungen setzten sich mit der Zeit durch und sind heute – wenn auch regional teilweise unterschiedlich – etabliert, wie die Volkshochschulen und Landschulheime, moderne Botanische Gärten oder Kindergärten. Andere, wie die Reformbühnen oder Volkssuppenküchen, sind hingegen wieder verschwunden. Aber es ist leicht sichtbar, dass in diesem Zusammenhang Büchereien als eine weitere dieser Einrichtungen gedacht wurden.

Zweitens gab es eine einhellig geteilte Vorstellung von der direkten Wirkung von Literatur auf Menschen. Es wurde angenommen, dass Bücher einen direkten Einfluss darauf hätten, wie sich Menschen entwickeln würden. Was gelesen wird und wie es gelesen wird, waren ständig Punkte, über die sich im damaligen Büchereiwesen (und darüber hinaus) Gedanken gemacht wurde. Auf der einen Seite wurde dies inhaltlich und formal verstanden: Es wurde angenommen, dass Menschen direkt davon geprägt werden, was sie lesen. Deshalb wäre es wichtig zu wissen, was genau in den Büchern oder Zeitschriften geschrieben wurde. Und es wäre auch wichtig, wie es dargestellt wurde – also ob zum Beispiel als schnelle Reportage, die auf Klischees zurückgreift oder aber als «künstlerisch gestaltetes» Werk. Einfache Texte, einfache Worte würden zu einfachem Denken verleiten. Auf der anderen Seite ging es aber auch darum, dass sich Texte «erschlossen» werden müssten, also nicht einfach möglichst schnell möglichst viele Texte gelesen werden. Ein zu schnelles, ungenaues, «wenig tiefes» Lesen würde ebenso zu einem oberflächlichen Denken führen.

Obgleich die Volksbüchereien mit dem Anspruch verbunden wurden, für alle Schichten da zu sein, wurde sich in der Büchereipädagogik vor allem über die «einfachen Schichten», die «classes populaires», Gedanken gemacht. Gerade ihnen wurde unterstellt, dazu zu neigen, direkt von Texten geprägt zu werden und ihren «Verführungen zu erliegen».

Man muss sich davor hüten, dies einfach als autoritäres Verständnis von Lesen zu interpretieren. Obgleich es auch immer die Vorstellung gab, man müsse die Menschen zum richtigen Lesen erziehen, ihnen die Lektüre vorgeben oder ihnen helfen, sich «hinaufzulesen», war die Diskussion darum, was Büchereipädagogik ist, kann und soll, immer differenzierter. Insbesondere während der Weimarer Republik war es normal, dass sich in Texten zur Büchereipädagogik von einfacher Erziehungsvorstellung abgegrenzt und zudem betont wurde, dass Büchereipädagogik nur gelingen könnte, wenn die jeweiligen Personen überhaupt Unterstützung wünschten. Es wurde zum Beispiel immer wieder gesagt, dass die Menschen behutsam beraten werden müssten, weil sie ansonsten einfach nicht mehr in die Bibliothek kommen würden.11

Damit war die Diskussion innerhalb der Volksbüchereien bei weitem differenzierter als die gleichzeitig geführten politischen Debatten um «Schmutz und Schund» sowie die möglichen Eingriffsmöglichkeiten des Staates. (Engelhardt 2015) Dennoch waren die Büchereien aller Milieus von den Vorstellungen der Büchereipädagogik geprägt. Es wurde als Aufgabe des Büchereiwesens an sich angesehen, nur «gute» Bücher (was formal und inhaltlich gut heisst) im Bestand zu haben. Deshalb war es Aufgabe der Bibliothekar*innen, aktiv «Buchkritik» zu üben. Gleichzeitig gab es unzählige Listen von Büchern, die für Bibliotheken als gut angesehen wurden – herausgegeben von wieder zahllosen Einrichtungen. In praktisch allen Zeitschriften des Volksbüchereiwesens (aber auch der katholischen Büchereien und der Arbeiterbibliotheken) fanden sich zahllose kurze Besprechungen von Büchern, die danach bewertet wurden, ob sie sich für die büchereipädagogische Arbeit nutzen lassen würden. Diese Rezensionen zu erstellen und auszuwerten, gehörte zum Arbeitsalltag von Bibliothekar*innen. Zudem war es Konsens, dass Bibliothekar*innen die Leser*innen zu beraten hätten – die Frage war nur, wie diese Beratung genau aussehen sollte. (Zifreund 1929) Dadurch erklärt sich auch, dass die Büchereien bis nach 1945 grundsätzlich sogenannte Thekenbibliotheken waren – also der Bestand hinter einer Theke stand, an den die Leser*innen herantreten mussten, um dann von den Bibliothekar*innen bedient zu werden. Der direkte Zugang zum Bestand wurde zumeist als unvereinbar mit dieser Bildungsfunktion angesehen. Auch die ständige Erstellung von kommentierten oder unkommentierten Katalogen für Leser*innen (gedruckt oder per Schreibmaschine), entweder für den gesamten Bestand oder für eine Auswahl, gehörte zur Arbeit von Volksbüchereien. (Schriewer 1925b) Zudem wurde sich Gedanken über solche Hilfsmittel wie «Leserkarten», auf denen die Interessen und bisherigen Ausleihen von Leser*innen vermerkt wurden, gemacht. (Schulz 1930, Schulz 1931) Nicht zuletzt wurde mit grossem Aufwand versucht, mittels statistischen Auswertungen, Umfragen und auch weiteren Methoden herauszufinden, welche Bücher die Leser*innen konkret lasen.

Erklärbar ist durch dieses Denken auch, dass viele Büchereien die Anzahl der Bücher, die sie entliehen, explizit beschränkten. Es war normal, dass Leser*innen nur ein Buch oder aber je einen Band Belletristik und einen Band Sachliteratur auf einmal entleihen durften. Es ging darum, dass sie langsam und intensiv zu lesen lernen sollten.12 Das erklärt aber auch zum Teil, warum Büchereien mit einem Bestand von teilweise einigen Dutzenden oder Hundert Büchern als ausreichend angesehen wurden.

Diese Grundsätze der Büchereipädagogik bildeten im DACH-Raum den Diskursraum für Volksbüchereien. Auch wenn innerhalb dieses Raumes im Laufe der Zeit immer mehr differenziert wurde und beispielsweise in der Zeit der Weimarer Republik beziehungsweise der ersten österreichischen Republik immer mehr die Eigensinnigkeit der Leser*innen akzeptiert wurde, bewegten sich doch alle Diskussionen immer in diesem Rahmen. Dies gilt auch für die Auseinandersetzungen zwischen Volksbüchereien, Arbeiterbibliotheken und katholischen Büchereien. In diesen ging es um die konkrete Literatur, die als gut oder nicht gut angesehen wurde – aber nie darum, ob diese Bücher eine direkte Wirkung auf Leser*innen hätten.13 Letzteres wurde einfach als gegeben angenommen.

Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1918a: 37.
Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1918a: 38.

2.3 Verweis zum Eingangszitat

Mit dem bis hierher dargestellten Kontext lässt sich das Zitat, welches dem Artikel vorangestellt wurde, noch einmal neu lesen. In dem Text, aus dem es stammt, stellt Franz Schriewer (hier in Doppelfunktion als Vertreter des Vereins Grenzbüchereiarbeit e.V. und als Leiter der Zentrale für Nordmarkbüchereien) direkt am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft dar, welche Prinzipien die «Grenzbüchereiarbeit» hat, was sie bis dato geleistet hatte und was sie jetzt im Rahmen des «neuen Staates» leisten würde. Der Text ist in gewisser Weise einer, mit dem sich der Grenzbüchereiarbeit e.V. als Verbündeter des neuen Regimes darstellt.

Im Zitat selber finden sich nun sowohl büchereipädagogische als auch völkische Prinzipien. Zuerst betont Schriewer völkische Vorstellungen vom Volk als einem «Gesamtkörper», das sich gegenüber anderen Völkern «behaupten» müsse. Dafür müsse es seine «Kräfte voll entwickeln», und zwar «harmonisch». Aber: In einer Grenzlage sei es bedroht, weil es mit anderen Völkern in Kontakt sei. Deshalb müsse gerade dort «die bedrohte völkische Lebenskraft von der kulturellen Seite her so pfleglich wie möglich behandelt [werden]». (Schriewer 1933a: 7) Während er dies als allgemeine Regel für alle Völker postuliert, geht er dann im zweiten Teil des Zitates explizit auf das deutsche Volk ein und behauptet, dass «hierfür das deutsche Buch als […] Rückhalt und Träger deutscher Kultur planmäßig einzusetzen [sei]». (Schriewer 1933a: 8) Bücher hätten eine direkte Wirkung, sowohl «befruchtend oder auch zerstörerisch». Das ist eine Grundüberzeugung der Büchereipädagogik, die Schriewer hier explizit in den Zusammenhang mit einem völkischen Programm stellt. Und, so wie die völkische Bewegung (aber auch die Büchereipädagogik) sich als modern und vorwärtsgerichtet verstand, geht es ihm gerade nicht um eine Rückkehr zu Traditionen, sondern um eine explizite Planung und Aufbauarbeit, also um den Einsatz moderner pädagogischer und staatlicher Instrumente: «Es kann sich also bei der Pflege des Buches in den Grenzgebieten immer nur um einen kulturell und pädagogisch geregelten Einsatz handeln, wozu öffentliche, kräftig entwickelte Büchereien notwendig sind.» (Schriewer 1933a: 8)

Das Zitat ist also keine allgemeine Äusserung zur Bedeutung von Büchereien oder des Lesens im Allgemeinen, sondern es ist eine explizit im Kontext von völkischem Denken und Büchereipädagogik stehende Forderung, Büchereien zielgerichtet einzusetzen – und zwar zielgerichtet zur Erreichung der Ziele des nationalsozialistischen Staates (der damals, 1933, noch nicht mit dem Holocaust, dem Zweiten Weltkrieg und weiteren Verbrechen in Zusammenhang stand, aber dessen Ziele und Gewaltförmigkeit schon klar sichtbar waren). Wie weiter unten (Kapitel 4.) sichtbar wird, stellte dieser Text keine neue Stufe im Denken der Grenzbibliotheksarbeit (oder Schriewers) dar, sondern war eher eine Zusammenfassung dessen, was schon in den Jahren zuvor geschrieben wurde.

3. Grenzbüchereiarbeit während der Weimarer Republik

3.1 Der Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften

Im Folgenden wird es nun vor allem um den Verein Grenzbüchereidienst e.V. und seine Entwicklung gehen. Gegründet wurde dieser aber unter einem anderen Namen, nämlich Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften. Jener wurde 1914 während des Ersten Weltkrieges in Berlin mit dem Ziel etabliert, den (deutschen) Soldaten an der Front Bücher zu schicken. Später wurden auch kleine Büchereien für Soldaten aufgebaut. Ziel war es, so ein Text von 1917, welcher diese Arbeit vorstellt, «allen Feldgrauen, die sich darnach [sic!] sehnen, Freunde und Anregung zu bringen». (Lindmaier 1917: 10) Spätestens Juli 1918 (also noch vor dem Ende des Ersten Weltkrieges) begann der Verein auch, sich für die Verbreitung «guter Schriften» in den unteren Schichten des Volkes als zuständig zu erklären. (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1918b) Der Verein war gut in die Strukturen von Militär und deutscher Oberschicht eingebunden. Auf der Umschlagseite der ersten Ausgabe der Mitteilungen des Vereins findet sich eine Aufstellung von Vorstand und Beirat. (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1917b) Vorsitzender ist ein Militär (Generalleutnant von Schubert, wohl Richard von Schubert), die anderen Mitglieder (alles Männer) werden als Oberregierungsräte, Kommerzienräte, Verlagsbuchhändler, Direktoren und so weiter bezeichnet. Dies ermöglichte Zugang zu Mitteln, aber auch zur tatsächlichen Verbreitung von Büchern und Broschüren an der Front. Der Verein unterhielt eine Zentrale in Berlin, von der aus sowohl während des Weltkrieges als auch später hunderttausende Bücher verschickt wurden und weitere Arbeit geleistet wurde.

Die Existenz eines solchen Vereins war an sich nicht für Deutschland spezifisch. Dies passierte gleichzeitig in anderen Ländern.14 Auch, dass zu Beginn des Ersten Weltkrieges von Angehörigen der Elite Vereine gegründet wurden, die für die breite Masse tätig wurden, war nicht ungewöhnlich. Zu Beginn des Krieges gab es eine, in der Forschungsliteratur immer wieder thematisierte, breit in der Gesellschaft geteilte Vorstellung einer «Gemeinsamkeit des Volkes» über die Schichten hinweg. Dieses wurde später, auch gerade in der völkischen Bewegung, zum «Augustereignis» mythologisiert (weil es im August 1914 stattfand). Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hatte tatsächliche Auswirkungen, wie die Gründung solcher Vereine.

Was den Verein etwas aus ähnlichen Unternehmungen (aber auch nicht allen) hervorhebt, ist, dass er nach dem Ende des Krieges weiter existierte. Er verschob seinen Tätigkeitsbereich (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1921b), aber erst 1928 änderte er seinen Namen in Grenzbüchereidienst und Bildungspflege e.V. (Scheffen 1928b). 1933 dann wurde diese Name verkürzt zu Grenzbüchereidienst e.V. (Scheffen 1933), der dann bis zum Ende des Vereines mit dem Untergang des NS-Staates 1945 beibehalten wurde. Während dieser Zeit veröffentlichte der Verein immer wieder einmal Listen seiner Vorstandsmitglieder. (Zum Beispiel Anonym 1922) Zumindest bis zum Beginn der 1930er Jahre waren dies immer wieder Vertreter der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Elite, beispielsweise Ernst von Borsig, damals Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sowie des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, der auch als Vorsitzender des Vereins fungierte (wobei die eigentliche Arbeit wohl vom «Geschäftsführenden Vorsitzenden» Wilhelm Scheffen geleistet wurde).

Diese ganze Zeit über gab der Verein unregelmässig Mitteilungen heraus, die gleichzeitig Informationsblatt und Werbemittel waren. Der konkrete Name änderte sich mit den Umbenennungen des Vereines, aber sowohl das Format als auch die Nummerierung wurden beibehalten. In diesen Mitteilungen dokumentierte der Verein seine Zielsetzungen und Denkweise selbst. Sie stellen die Hauptquelle für die folgenden Kapitel dar.

Gleichwohl war dies, wie schon erwähnt, nicht der einzige Ort, an dem der Verein sichtbar wurde. Während die konkreten Büchersendungen, die er verschickte, heute nicht mehr vorhanden sind, ist er in den 1920er und 1930er Jahren kontinuierlich in der Fachpresse des Volksbüchereiwesens vertreten. Wichtige Vertreter*innen des Vereines waren zudem, wie weiter unten geschildert wird, in wichtigen Positionen in diesem Büchereiwesen beruflich engagiert. Sie publizierten sowohl über die Arbeit des Vereins als auch im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit, wie schon für Franz Schriewer erwähnt. Gleichzeitig hatte der Verein offenbar immer wieder Personen, die bei ihm angestellt waren oder zumindest explizit für ihn arbeiteten, wie das Ehepaar Wilhelm Scheffen und Luise Scheffen-Dörring.

Die Arbeit des Vereines war schon zu Beginn, wie am ersten Namen sichtbar wird, an büchereipädagogischen Prinzipien ausgerichtet. Die Schriften, die verschickt wurden, sollten «gut» sein, aber gleichzeitig auch «volkstümlich», dass heisst hier für Menschen aus den unteren Sozialschichten zugänglich. Schon in der ersten Nummer der Mitteilungen (1917) wird ein «Verzeichnis guter billiger Literatur» (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1917a: 17) veröffentlicht, dass es ermöglichen sollte, die richtigen Bücher auszuwählen, falls man solche «ins Feld senden [will]» (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1917a: 17). Es wird nicht gesagt, nach welchen Kriterien diese Auswahl getroffen wurde, ausser, dass es Bücher seien, «die den Leser fesseln, erfreuen und bereichern können» (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1917a: 17) und die leicht, handlich, aber auch kostengünstig wären. Es wird geschrieben, dass keine religiös-erbaulichen Schriften aufgenommen wurden. Ansonsten ist es eine Liste, die 14 Seiten lang und in zwei Spalten gesetzt, Bücher aus verschiedenen Kategorien kurz mit bibliographischen Angaben, Preis und manchmal ganz kurzen Erläuterungen15 aufzählt. Aber es ist von den Formulierungen her klar, dass hier wohl ähnliche Prinzipien angelegt wurden, wie bei den Listen, die direkt von Volksbüchereien erstellt wurden. Dies wird nur die erste von vielen Listen sein, welche der Verein im Laufe der Jahre erstellen und dann kostenlos an alle Interessierten verschicken wird.

3.2 Verbindung von völkischer Ideologie und Büchereipädagogik

1920 – also erst wieder nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, aber auch nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, der Revolution in Deutschland und dann der Etablierung der Demokratie – erschien dann die dritte Nummer der Mitteilungen. Sie begann gleich mit einem Artikel über «Grenzmarkbüchereien», welcher in gewisser Weise die weitere Stossrichtung des Vereins vorgab. (Scheffen 1920)

«Millionen von Deutschen sind durch den Friedensschluß politisch fremden Staaten eingegliedert oder stehen in den Abstimmungsgebieten unter fremder Aufsicht. Wir können das nicht hindern.» (Scheffen 1920: 1)

Scheffen bezieht sich hier auf die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges, auf den Versailler Vertrag und auf die 1920 noch bevorstehenden Volksabstimmungen, zum Beispiel in Oberschlesien oder dem Saargebiet, in denen die Bevölkerung darüber entscheiden konnte, welchem Staat die jeweiligen Gebiete zugehören sollten. Dabei blickte er nur auf die betroffenen Menschen, die er als «Deutsche» definierte (und nicht zum Beispiel die, welche in Oberschlesien lebend, sich selbst als polnisch, als schlesisch oder noch anders verstanden). Er sieht dies offenbar auch nicht als Ergebnis eines Krieges an, den das Deutsche Reich, neben den meisten anderen beteiligten Staaten, aktiv als Angriffskrieg geführt hatte. Dies war 1920 in Deutschland (und Österreich) eine in vielen Milieus verbreitete Haltung. Aber im Rahmen der völkischen Bewegung blieb dies auch über die folgenden Jahre hinweg die bestimmende Interpretation. In seinem Artikel schliesst Scheffen eine völkische Deutung an, mit dem er Völker als gegeneinander kämpfende Einheiten versteht und unterstellt dabei «anderen Völkern» einen Plan.

«Zugleich wird man versuchen, diese unsere deutschen Brüder und Schwester allmählich einer fremdländischen Kultur zu unterwerfen. Das darf nimmermehr geschehen. Mit aller Kraft setzten wir uns dafür ein, dass bei ihnen deutsche Sprache, deutsche Sitte, deutsche Kultur weiter gepflegt und so deutsches Wesen für sie selbst und für Kind und Kindeskind kräftig erhalten werden.» (Scheffen 1920: 1)

Eine Eigenheit des völkischen Denkens, immer «vom eigenen Volk» ausgehend zu denken, wird in diesem Zitat deutlich: Die Situation wird als Gefahr für das «deutsche Volk» dargestellt, ohne auch nur zu thematisieren, wie dies bei einem anderen Ausgang des Krieges für Angehörigen anderer Völker gewesen wäre. Zudem ist es für Scheffen offenbar undenkbar, das der «Wechsel» von Menschen von einem Volk zum anderen (oder die Ausbildung von Identitäten «zwischen» zwei Völkern) ein normaler Vorgang sein könnte, der nicht unbedingt durch Zwang oder Verführung erreicht werden muss. Er kann es sich offenbar nur als Kampf anderer Völker gegen das deutsche Volk vorstellen. Wie oben geschildert, ist im völkischen Denken schon die Vorstellung, dass Angehörige verschiedener «Völker» in einem Staat zusammenleben können, nicht wirklich akzeptabel. Wenn, dann immer nur als Kampf.

Alsdann ordnet er die Aufgabe des Vereins, der sich jetzt auf den Aufbau von Büchereien für «Deutsche» in den Grenzgebieten konzentrieren will, in dieses Denken ein.

«Neben Theateraufführungen und Vorträgen, neben deutschen Liedern und deutscher Kunst ist das deutsche Buch einer der wichtigsten Kulturfaktoren zur Erhaltung und Vertiefung deutschen Volksbewusstseins.» (Scheffen 1920: 1)

«Ein Kampf auf Leben und Tod um das Deutschtum hat in den Grenzmarken eingesetzt. Der Geist unserer deutschen Dichter und Denker muß in diesem Kampfe helfen, der Geist eines Goethe, Schiller, Fichte, Eichendorff, Hebbel, Jeremias Gotthelf, Reuter, Gustav Freitag, Raabe, Riehl, Lienhard. In fast allen Briefen aus den abgetretenen und besetzten Gebieten kommt neben dem Dank die Bitte zum Ausdruck, weiter zu helfen. Dabei hat eine große Zahl von Anträgen noch nicht berücksichtigt werden können. Große Mittel sind bei den teuren Bücherpreisen erforderlich, aber unser Verein muß und will diese ihm gestellte Aufgabe durchführen. Dorf für Dorf, Stadt für Stadt müssen mit deutschen Büchereien versorgt werden. Wer hilft mit?» (Scheffen 1920: 5)

Abgeschlossen wird der Text dann mit zwei weiteren Listen von Büchern, die hier als «Musterliste einer Ostmarken-Bücherei» beziehungsweise «Musterliste einer Westmarken-Bücherei» bezeichnet werden und jeweils 100 Titel enthalten. Im Zitat wird deutlich, wie in diesem Denken ein Kanon deutscher Autoren (fast nie Autorinnen) konstruiert wird. Wie alle Kanons ist auch dieser ein Konstrukt, aber eines, das sich sichtlich an bürgerliche Vorstellungen von deutscher Kultur anlehnt. Gerade die Integration von Goethe und Schiller zeigt, dass es dabei nicht immer um den konkreten Inhalt der Schriften geht – beide plädierten selber bekanntlich humanistisch für ein «Weltbürgertum». Goethe legte unter anderem mit dem «West-östlicher Divan» einen Gedichtband vor, der explizit ein muslimisches lyrisches Ich hat und islamische Kultur schildert. Schillers «Wilhelm Tell» wurde auch schon in einem anderen Land, der Schweiz, als Teil des eigenen Kanons herangezogen. Das alles sollte sie eigentlich dem völkischen Denken nach ausschliessen. Aber, wie schon gesagt, war dieses Denken von niemals aufgelösten Widersprüchen geprägt.

Bedeutsam an diesem Text ist, dass hier mit den «Musterlisten» gezeigt wird, dass sich der Verein weiter im Rahmen der normalen Arbeit, wie sie damals auch im Volksbüchereiwesen geleistet wurde, bewegte. Er war auch keine Ausnahme, sondern der erste in einer langen Reihe ähnlich argumentierender Beiträge. Im gleichen Heft der Mitteilungen findet sich zum Beispiel ein Text über «Das Buch zur Pflege des Deutschtums in besetzten Gebieten» (Winker 192016) sowie ein weiteres Verzeichnis «Literatur für Grenzmarkenbüchereien» (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1920). Auch dieses Verzeichnis führt auf jetzt über 20 Seiten, zweispaltig gesetzt, Bücher auf, geordnet nach einer einfachen Systematik (zum Beispiel. «B. Dichtung, I. Lyrik und Epos, II. Drama, III. Klassiker») und teilweise mit kurzen Quellenangaben. Dass diese Liste im Rahmen der Büchereipädagogik als Hilfsmittel für Bibliothekar*innen gedacht ist, zeigt sich daran, dass eine Anzahl der Bücher zusätzlich mit einem * gekennzeichnet wurde, welche eine «größere geistige Reife der Leser [voraussetzen]» (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1920: 23). Wieder ist nicht klar, nach welchen Kriterien die Bücher ausgewählt wurden, aber eine Durchsicht der Kommentare und Titel lässt vermuten, dass ein Ziel war, dass sie in Deutschland spielen oder aber einen «Kampf auf Leben und Tod um das Deutschtum» (Scheffen 1920: 5) irgendwie widerspiegelten. In einem Text, der dann ein Jahr später erscheint, werden in den Mitteilungen «[g]ute volkstümliche Schriften aus den letzten Jahren» (Reinhold 1921: 37) besprochen, in denen das explizit zum Kriterium erhoben wird.

Dieser grundsätzlichen Linie, die bei Scheffen 1920 angelegt ist, folgte der Verein dann die gesamte Zeit der Weimarer Republik über. Er wurde auf der einen Seite immer radikaler, was seine völkischen Grundideen anging und gleichzeitig – wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird – in der konkreten Arbeit immer professioneller. Herausstechend aus den Beiträgen, die der Verein in seinen Mitteilungen publizierte, ist einer von 1929. (König 1929) Der Text selber hat gar keine Verbindung zu irgendeiner Form von Büchereiarbeit oder Literatur, sondern stellt völkische Überzeugungen gedrängt zusammen. Seinen Abdruck in den Mitteilungen kann man als programmatisch verstehen. Er beginnt gleich mit einer Darstellung der «Verhältnisse» in Europa:

«Im Deutschen Reich wohnen rund 64 Millionen Menschen. Sie sind bis auf geringe Bruchteile Angehörige des deutschen Volkes, die Zahl der Angehörigen fremder Völker hat infolge der Abtretungen gewaltig abgenommen. […] Dafür aber leben 30 bis 40 Millionen volksdeutsche Menschen außerhalb des Deutschen Reiches als Staatsbürger anderer Staaten. Wir Deutschen sind in Europa allein in 20 von 30 Staaten seit alters seßhaft. Wir sind Staatsvolk in fünf Staaten: Reich, Österreich, Danzig, Luxemburg, Liechtenstein; Mitträger der Staatlichkeit in einem Staate: Schweiz; und Mitträger in einer Teilrepublik Sowjetrußlands: Wolga-Republik; in 13 Staaten sind wir Minderheitenvolk: Belgien, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, Tschechoslowakei, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Sowjetrußland, Dänemark, wobei wir von dem zu einem westgermanischen Sondervolk gewordenen Holländertum und den Flamen Belgiens und Frankreichs absehen wollen. Das deutsche Volk ist eine all diese Staaten überwölbende Gesamtpersönlichkeit.» (König 1929: 26)

Im Text wird weiterhin behauptet, dass erst nach dem Ersten Weltkrieg in breiten Kreisen die «Bedeutung» der Volksidentität erkannt worden wäre. Jetzt würde es darum gehen, diese Identität zu stärken, insbesondere, da dies von «anderen Völkern» auch gemacht würde. Der Text behauptet explizit, dass es einen Unterschied zwischen Staat und Volk gäbe, das aber beide existieren würden. Er deutet an, dass die Staaten sich eher verändern – also mit der Zeit andere Grenzen haben würden –, als dass sich Völker verändern. Zudem wird in diesem Text auch gesagt, warum eine Arbeit «an der Grenze» notwendig wäre:

«Die Grenze ist keine Linie, wie wir vor 1914 meinten, durch die links und rechts klare Verhältnisse geschaffen seien; die Grenze ist Streifen, ist Saum, ist eine Landschaft, um die politisch und kulturell gerungen wird; Grenzlandmenschen sind Menschen, die auch seelisch in dem Ringen der beiden Staaten und Völker darinstehen und daher leicht eine besondere seelische Struktur, aber auch eine besondere volks- und staatspolitische Aufgaben erhalten. Bei diesen Menschen besteht einerseits die Gefahr des Abgleitens von einem zum anderen Volke, von einem zum anderen Staate, besteht andererseits die Möglichkeit der Ausbildung besonderen Grenzwissens und Bewußtseins besonderer volks- und staatspolitischer Verantwortung.» (König 1929: 44)

Andere Texte des Vereins formulierten dies nicht immer ganz so konkret, aber all die Schlagworte, die in diesem Text exemplifiziert werden und auch die dahinterstehenden Ideen finden sich kontinuierlich in den restlichen Beiträgen angedeutet. «Grenzlandarbeit» wird hier also nicht als Infrastrukturföderung von potentialarmen Regionen, sondern explizit als eine Art Unterstützung im Kampf «gegen andere Völker» verstanden.

3.3 Konkreter «Grenzbüchereidienst»

Der Verein benutzte seine Mitteilungen auch für Berichte über seine konkrete Arbeit. (Lindmaier 1917, Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1921a, Scheffen 1921, Scheffen 1928a, Weber 1928, Anonym 1928, Weber 1929, Nachtigall 1929, Hesse 1931) Selbstverständlich sind diese Darstellungen mit Vorsicht zu interpretieren – sie sind immer daraufhin ausgelegt, den Verein positiv darzustellen. Aber man erhält mit ihnen doch einen guten Überblick.

Wilhelm Scheffen gibt in seiner Übersicht vom Dezember 1921 an, dass der Verein bis dato 314 Büchereien mit 21.124 Büchern aufgebaut hätte. (Scheffen 1921) Das sind rund 67 Bücher pro «Bücherei». Auch wenn diese Bestände jeweils vor Ort ergänzt wurden, muss man sie sich also als sehr klein vorstellen. Zumeist waren es wohl Schränke, in denen sie untergebracht waren, keine eigenständigen Büchereien. Allerdings war diese eher kleine Zahl von Büchern im Rahmen der Büchereipädagogik auch nicht per se negativ – es ging ja, wie weiter oben dargestellt, darum, dass Bücher möglichst genau und intensiv gelesen wurden, nicht darum, dass möglichst viele Bücher konsumiert werden. Weiterhin gibt Scheffen an, wohin diese Bücher verschickt wurden. Eine Anzahl (40) wurden an «Flüchtlingsgemeinschaften» abgegeben, weitere 2 in das «frühere […] Schleswig» (Nordschleswig, nach der Volksabstimmung 1920 ein Teil Dänemarks). Die restlichen Bücher gingen in «Grenzgebiete» an den östlichen Grenzen Deutschlands beziehungsweise Österreichs (2).

Verschickt wurden diese jeweils an Vereine, nicht an die Gemeinden. Er nennt Heimatvereine, Vaterländische Frauenvereine, Volksbildungsvereinigungen und Kirchgemeinden sowie, in den Flüchtlingslagern, das Rote Kreuz. Dies war, wie weiter oben geschildert, nicht grundsätzlich überraschend. Erst während der 1920er begann, wie schon erwähnt, eine Entwicklung wirklich Fahrt aufzunehmen, bei der im DACH-Raum Gemeinden und der Staat an sich Verantwortung für die Volksbüchereien übernahmen. Ausserhalb einiger grosser Städte (und, im Fall von Werkbibliotheken, einigen grosser Fabriken) waren es vor allem Vereine, welche die Büchereien trugen. Der hier besprochene Grenzbüchereidienst e.V. zielte auf den ländlichen Raum, insoweit gab es auch praktisch keine anderen Strukturen als dort ansässige Vereine, auf die er sonst aufbauen konnte. Zumal, wieder den Angaben von Scheffen nach, der Grossteil der Bibliothekar*innen entweder Lehrer (87) oder Pfarrer (26) waren, gefolgt dann erst von Landwirten (15) und «sonstigen Personen» (39). Personen mit dem eigenständigen «Beruf» Bibliothekar*in gab es in diesen Fällen nicht.

Diese Zahl von Bibliothekar*innen (157) stimmt nicht mit den 314 verschickten Büchereien überein. Solche Differenzen finden sich auch immer wieder in späteren Berichten, wenn konkrete Zahlen genannt werden. Man kann also davon ausgehen, dass eine ganze Zahl dieser Büchereien auch nicht lange aktiv betrieben wurde. Der Verein ist sich dem bewusst und versucht, für eine Kontinuität zu sorgen: «Eine Bücherei hat freilich nur dann Bestand und behält nur dann ihren Wert, wenn sie dauernd gepflegt und ergänzt wird. Daher wird zwischen den Empfängern der Bücherei und unserem Verein eine enge Verbindung herbeigeführt. Gleich bei der Ueberweisung [sic!] der Bücherei werden […] ‹Leitgedanken zur Einrichtung von Volksbüchereien› mitgeschickt.» (Scheffen 1921: 5) Im Artikel folgt dann der Text dieser Leitgedanken, welche darauf hinweisen, dass die Bücherei aktiv betrieben, ergänzt und ein kurzer Bericht über die Nutzung an den Grenzbüchereidienst geschickt werden sollte.

Scheffen zitiert aus einigen dieser Berichte, durchweg positiv, und zeigt eine Statistik zur Benutzung einer dieser Büchereien. Diese ist gegliedert nach den 50 vorhandenen Büchern sowie danach, ob Schüler*innen (getrennt nach Knaben und Mädchen), die «Reife Jugend» (getrennt nach Arbeiter, Arbeiterinnen und Andere) oder «Erwachsene» (wieder getrennt nach Arbeiter, Arbeiterinnen und Andere) diese jeweils ausgeliehen hatten. Solche Formen von Statistiken waren zur Zeit der Büchereipädagogik verbreitet. Es wurde die Ausleihe der einzelnen Titel oder sehr spezifischer Gruppen angegeben sowie die soziale Schicht der Leser*innen erhoben, um auf das konkrete Leseverhalten unterschiedlicher Schichten eingehen zu können. Das hier auf Arbeiter*innen gesondert geachtet wird, ist mit der Überzeugung zu erklären, dass diese besonders «gefährdet» wären, nicht völkisch zu denken (sondern «sozialistisch»).

Aus Scheffen 1921: 7. Dargestellt wird die Ausleihstatistik der Bücherei einer Kirchgemeinde (R., «aus der Pfalz»).
Aus Scheffen 1921: 8.

Was sich in diesem Text auch findet, und dann die weiteren Texte des Vereins prägen wird, ist die Behauptung, mit der eigenen Arbeit für «das ringende Deutschtum» (Scheffen 1921: 9) unpolitisch zu sein. (Vergleiche auch Weber 1929) Dies war, wie schon erwähnt, eine der Grundüberzeugungen des völkischen Denkens:

«So will unser Verein durch seine Kulturarbeit ringendem Deutschtum ein Helfer sein. Dabei stellt sich der Verein grundsätzlich außerhalb der politischen Parteien und arbeitet interkonfessionell, wie es überhaupt unsere Meinung ist, dass Kulturarbeit parteipolitisch und konfessionell nicht gebunden sein darf, sondern das deutsche Geistesleben der Vergangenheit und Gegenwart darzubieten hat.» (Scheffen 1921: 9)

Zusätzlich zur Verschickung dieser Büchersammlungen und der Kontakte, die zu halten versucht wurden, publizierte der Verein kontinuierlich weitere Listen von Büchern (Hesse 1928) unterschiedlichen Umfangs und für unterschiedliche – wie man es heute nennen würde – Zielgruppen.

1926 begann der Verein darüber hinaus «Grenzbüchereitagungen» durchzuführen, die meist jährlich und meist in einem der deutschen «Grenzgebiete» stattfanden. Auf diesen wurden die Arbeit des Vereins und der Büchereien diskutiert, teilweise an weiteren Listen gearbeitet und auch Büchereien besucht. Zudem wurden ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre unregelmässig Lehrgänge angeboten. (Anonym 1926, Nachtigall 1929, Hesse 1931) Ebenfalls zu dieser Zeit begann der Verein – «in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Fach- und Forschungsstellen für Grenz- und Auslandsdeutschtum, gefördert durch das Reichsministerium des Innern» (Weber 1928: 27) – «grenzwissenschaftliche Büchereien» aufzubauen. Diese sollten, platziert in zentralen Orten im «Grenzland», dazu dienen, Wissen über die «Deutschtumsarbeit» zu verbreiten. (Weber 1928). Die Idee war, dass sich die in der Grenzlandarbeit tätigen Personen in ihnen die Grundlagen für ihre Arbeit aneignen und aktuell halten sollten.

Grundsätzlich verstand der Verein seine Arbeit selber nicht einfach als das Verschicken von Büchern, sondern als «Bildungspflege». Wie ebenso schon erwähnt, benannte sich der Verein 1928 explizit in Grenzbüchereidienst und Bildungspflege e.V. um. Unter diesem Schlagwort wurde im gesamten Volksbildungswesen damals unter anderem die explizite Arbeit an den Leser*innen – also die Erziehung zum richtigen Lesen – verstanden. Dies bezog sich nicht nur auf Bücher und das Lesen, sondern zum Beispiel auch auf das damals neue Medium Film (Ackerknecht 1918) sowie auf andere Bereiche, die man heute eher der Kulturarbeit oder der sozialen Arbeit zuordnen würde. Scheffen umschreibt das Verständnis dieses Begriffs durch den Verein wie folgt:

«[Man versteht] unter ‹Verbreitung› nicht nur – wie vielfach nach gegenwärtigem Sprachgebrauch in der Volksbildungspflege – ein mechanisches Hinauswerfen, sondern das Heranbringen guten Schrifttums an weite Bevölkerungskreise, die sonst von dessen erzieherischer Wirkung unberührt geblieben wären.» (Scheffen 1928b: 3)

Damit bewegte sich der Verein auf Höhe des damaligen Verständnis von Bildungspflege in Büchereien – es ging um eine moderne, möglichst effektive Organisation einer Büchereiarbeit, die auf bestimmte Ziele hin ausgerichtet war. Der Verein verstand seine Büchereien als moderne Einrichtungen.

3.4 Zusammenarbeit mit den staatlichen Beratungsstellen

In den 1920er Jahren begannen also im DACH-Raum Gemeinden und der Staat an sich mehr Verantwortung für die Volksbüchereien zu übernehmen. Einer der Gründe dafür wird gewesen sein, dass sich die beiden 1918 neu gegründeten Republiken neu aufstellten und sich dabei auch in anderen Bereichen immer mehr engagierten. Das gesamte Bildungswesen (Pöggler 1974), aber zum Beispiel auch die soziale Infrastruktur, die öffentliche Gesundheitspflege oder der Kulturbereich wurden immer mehr als Aufgabenbereiche angesehen, in dem der Staat sich aktiv einbringen müsse. All dies wurden Bereiche, die zum Teil der politischen Verhandlungen wurden – also für die Gesetze diskutiert und erlassen, die Infrastrukturen aufgebaut, feste Etats in staatliche Budgets eingestellt wurden und so weiter. (Allerdings war diese Entwicklung zeitgleich auch in der Schweiz zu beobachten, die bekanntlich schon länger, seit der Annahme der Bundesverfassung durch das Volk 1848, eine Republik war.) Man kann dieses «Anwachsen der Staatsquote» als Teil der Modernisierung der Gesellschaften im DACH-Raum interpretieren.

Im Büchereibereich schlug sich das zum Beispiel nieder in der Gründung von staatlichen Beratungsstellen für das Volksbüchereiwesen sowie in Diskussionen um ein Büchereigesetz. (Schuster 1929b) Für diese Beratungsstellen gab es vor 1918 kaum Vorbilder, auch wenn Vorläufer in der preussischen Provinz Oberschlesien (Kaisig 1912) sowie in Dänemark bekannt waren. (Langfeldt 1924. 1931 wird dieser Vergleich zwischen «Zentralbibliotheken» in Dänemark und Beratungsstellen in Deutschland vom gleichen Autor (Langfeldt 1931: 234) auch explizit gezogen werden.)17 Sie wurden auch nicht überall eingerichtet oder gar zentral von Berlin und Wien aus organisiert. Vielmehr ergriffen einzelne Länder oder Provinzen die Initiative, andere nicht. Zudem wurden die Beratungsstellen, die eingerichtet wurden, offenbar unterschiedlich ausgestattet und wohl auch mit unterschiedlichen Aufgaben betraut. Am Ende der 1920er Jahre gab es in Deutschland dann so viele, dass sich 1929 auf der Jahrestagung des Verbandes Deutscher Volksbibliothekare eine Arbeitsgemeinschaft Deutscher Beratungsstellenleiter bildete. (Schuster 1929b)18

Aber grundsätzlich wurden die Beratungsstellen immer mit der Unterstützung des Ausbaus des Büchereiwesens betraut. (Schriewer 1924a, Schriewer 1925a, Schriewer 1938) Das heisst nicht, dass sie selber Büchereien betrieben. Vielmehr scheinen sie akzeptiert zu haben, dass diese von verschiedenen Vereinen mit teilweise unterschiedlichen Zielen betrieben werden und dass deshalb die Positionierung einer Bücherei gegenüber der jeweiligen Gemeinde sehr unterschiedlich sein konnte. Gerade in Texten, die zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft geschrieben wurden, wird deshalb immer wieder erwähnt (und als negativ dargestellt), dass es in der Zeit zuvor an vielen Orten mehrere Büchereien auch unterschiedlicher politischer Ausrichtung gegeben hätte, die erst jetzt (also im Nationalsozialismus) zentralisiert würden. (Ruppe 1939) Die Beratungsstellen organisierten Statistiken, Beratungen und Fortbildungen. (Siehe zum Beispiel Schriewer 1924a, Schriewer 1924c, Schriewer 1925a) Oft betrieben sie auch «Wanderbüchereien», Sammlungen von Büchern, die immer für mehrere Monate an eine Gemeinde oder einen Verein abgegeben wurden und dann an einen anderen Ort weitergeschickt wurden. Was diese Wanderbüchereien von heutigen Blockausleihen, die zum Beispiel die Büchereizentrale Schleswig-Holstein oder die Stiftung Bibliomedia Schweiz anbieten, unterscheidet, ist, dass sie immer als Vorläufer einer «Standbibliothek» angesehen wurden (Ackerknecht 1922) – die Vereine oder Gemeinden sollten mit ihnen praktisch lernen, eine Bücherei zu führen und dann in naher Zukunft selber eine solche gründen.

In diesen Beratungsstellen wurden, finanziert von den Provinzen und Ländern, feste Stellen geschaffen, also in gewisser Weise Karrieremöglichkeiten für Personen, die zu Expert*innen im Büchereiwesen wurden, eingerichtet. Gleichzeitig erreichten diese Beratungsstellen wohl nie alle Büchereien. Es gab zum Beispiel die gesamte Zeit über sowohl für die katholischen Büchereien als auch die Arbeiterbibliotheken eigene, den Beratungsstellen vergleichbare Strukturen, die wohl die jeweils betreffenden Büchereien besser organisierten. Die staatlichen Beratungsstellen scheinen teilweise mit ihnen zusammengearbeitet zu haben, aber man darf sich diese Koordination wohl nicht so relativ problemlos vorstellen, wie dies heute zwischen den jeweiligen Nachfolgeeinrichtungen (also staatlichen Beratungsstellen, deutschem und österreichischen Borromäusverein beziehungsweise Sankt Michaelsbund in Bayern) der Fall ist.

Relevant für die Geschichte der Grenzbüchereiarbeit ist nun, dass eine ganze Anzahl von Personen aus diesen Beratungsstellen aus den «Grenzgebieten» mit dem Verein zusammenarbeitete oder aber explizit im Verein aktiv war. Prominentestes Beispiel dafür ist wieder Franz Schriewer, der für den Verein aktiv war, aber gleichzeitig bis 1933 die Zentrale für Nordmarkbüchereien in Flensburg leitete. Er war keine Ausnahme. Vielmehr war der Verein eng mit den Beratungsstellen, aber auch den betreffenden Ministerien vernetzt. Immer wieder traten Leiter von Beratungsstellen auf den Tagungen des Vereins auf, wurden Arbeitsberichte der Beratungsstellen vom Verein publiziert (vergleiche zum Beispiel Fischer 1928) und wurde gleichzeitig von den Beratungsstellen auf die Arbeit des Vereins zurückgegriffen.

Auffällig ist, dass in den Darstellungen des Vereins die Arbeit der Beratungsstellen, der Büchereien vor Ort und des Vereins als eine Gesamtheit dargestellt werden. Alle Büchereien, die in bestimmten Gebieten eingerichtet wurden, wurden offenbar zur «Grenzbücherei» erklärt, solange sie nur einen Kontakt zu den Beratungsstellen oder dem Verein hatten. (Scheffen 1928a) Ob die Bibliothekar*innen vor Ort oder deren Trägereinrichtungen dies auch so sahen, oder ob sie andere Ziele hatten, schien dabei nicht von Interesse zu sein.

Dies wird vor allem dann deutlich, wenn diese Denkweise auf andere Länder übertragen wird. Gerade Dänemark und der Tschechoslowakei wird explizit unterstellt, dass ihre jeweilige Bibliothekspolitik darauf ausgerichtet sei, dass jeweils ein Volk (das Dänische und das Tschechische) eine Vorherrschaft im jeweiligen Land etablieren solle. In beiden Ländern waren Bibliotheksgesetze erlassen worden, welche für eine Versorgung der Bevölkerung mit Büchereien sorgen sollten.19 Wilhelm Scheffen (1928) diskutiert diese explizit als Gefahr. Das tschechoslowakische Gesetz wird (in Auszügen aus der deutschen Version) sogar in den Mitteilungen abgedruckt. (Tschechoslowakei 1928) Dabei war dieses Gesetz explizit so ausgestaltet worden, dass alle nationalen Minderheiten, also auch die deutschsprachige, ihre eigenen Büchereien haben sollten. (Tschechoslowakei 1928: 23–24, Moucha 1929) Überall, wo 400 oder mehr Angehörige einer Minderheit lebten, war eine eigene Büchersammlung einzurichten. Waren es weniger, so wurden Büchereien in naheliegenden Gemeinden eingerichtet. Sicherlich kann man sich heute fragen, warum die Büchereien überhaupt nach sprachlichen Minderheiten getrennt werden mussten. Aber, wenn es dem Grenzbüchereidienst nur darum gegangen wäre, dass die deutsche Sprache oder Kultur gefördert wird, dann hätten sie das Gesetz als Vorbild ansehen können – aber durch das völkische Denken wurde es vor allem als Gefahr interpretiert. Scheffen (1928: 11) diskutiert vor allem, was diese Regelung für «deutsche Gemeinden» bedeuten würde, in denen auch «Tschechen» wohnen. Aus den Reihen des Vereins wird später ein Büchereigesetz vor allem deshalb gefordert werden, um die gleichen Werkzeuge im «Volkskampf» zur Verfügung zu haben, wie die Staaten um Deutschland herum sie hätten. (Schriewer 1933b)

Was aus den Veröffentlichungen des Vereins nicht ersichtlich wird, ist, wie dieser überhaupt seine Aktivitäten finanzierte. Gerade der Erwerb und die kostenlose Versendung von Büchern bedurfte eines kontinuierlichen Geldflusses. Wie gesagt war der Verein offenbar immer gut mit den jeweiligen gesellschaftlichen Eliten verbunden. Seine Verbindungen zu staatlichen Beratungsstellen oder auch Ministerien (die mehrfach bei den Tagungsberichten dankend erwähnt werden) lassen zumindest vermuten, dass ein Teil dieser Mittel auch direkt aus staatlichen Quellen stammte.

4. Grenzbüchereiarbeit während des Nationalsozialismus

4.1 Existenz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung

Das übergreifende Verhalten des deutschen Volksbüchereiwesens im Nationalsozialismus ist als Selbstanpassung beschrieben worden. (Andrae 1970, Kettel 1981, Boese 1987, Vodosek & Komoroski 1989, Vodosek & Komoroski 1992, Schmitz & Knoche 2011, Kuttner & Vodosek 2017) Sowohl Verbände, Infrastruktureinrichtungen wie die Fachstellen und Büchereien als auch Bibliothekar*innen selbst passten sich schnell dem neuen System an. Jüdische und politisch unliebsame Kolleg*innen wurden schnell ausgeschlossen. Der Verband Deutscher Volksbibliothekare wurde direkt in das nationalsozialistische System integriert. Im Rahmen der «Gleichschaltung» wurden bislang führende Personen teilweise in die zweite Reihe gestellt – wenn auch nicht unbedingt für lange – und beispielsweise die Zeitschriften Bücherei und Bildungspflege und Hefte für Büchereiwesen 1933 beendet, die Redaktionen entlassen und dafür die Zeitschrift Die Bücherei gegründet, welche mit einer neuen Redaktion, aufgebaut nach dem Führerprinzip, herausgegeben wurde. Gleichwohl geschah diese Übernahme in gewisser Weise geordnet. (Fritz, Ackerknecht & Schuster 1933, Schuster 1934) Gleichzeitig war die gesamte Bücherei- und Literaturpolitik des Nationalsozialismus durch interne Kämpfe zwischen verschiedenen Organisationen und unklaren Richtlinien gekennzeichnet, innerhalb derer sich alle Beteiligten ständig neu orientieren mussten. (Barbian 2010)

Vor diesem Hintergrund ist es hervorhebenswert, dass dies alles für den Verein Grenzbüchereidienst und Bildungspflege e.V. nicht galt. Er wurde weder verboten noch gleichgeschaltet, sondern konnte die gesamte Zeit des Nationalsozialismus weiter existieren. Einzig sein Name wurde reduziert zu Grenzbüchereidienst e.V. (Scheffen 1933) Einzelne Vertreter hatten im Rahmen der internen Machtkämpfe im Nationalsozialismus Rückschläge zu erfahren, allerdings auch in Massen. Das prominente Beispiel ist hier wieder Franz Schriewer, der 1933 seine Stelle in Flensburg verlor. Dietmar Albrecht schreibt im «Biographische[n] Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck», dass er «Politischen Denunziationen und ehrverletzenden Beschuldigungen» (Albrecht 2020 [1987]: 2442) ausgesetzt gewesen wäre, führt aber nicht weiter aus, worum es genau ging. Danker (2017) geht, aufgrund vorliegender Dokumente, etwas tiefer auf diese Auseinandersetzungen ein, wertet sie aber als Form der eher persönlichen Auseinandersetzungen, die am Anfang des nationalsozialistischen Regimes in gewisser Weise «normal» waren: «Man hatte [Schriewer] förmlich aus der Region gejagt; eine gewiss sehr, sehr bitterer Erfahrung. Aber Ärger mit lokalen NS-Größen sagt wenig über Nähe oder Distanz zur NS-Bewegung und zum neuen Staat aus. Das gilt insbesondere für Stadt und Landkreis Flensburg, wo regionale NS-Repräsentanten für viel Kabale und Konflikte standen, eine sehr aufgeregte Minderheiten- und Grenzpolitik des Jahres 1933 ihr Übriges leistete.» (Danker 2017: 87f.) Dafür wurde Schriewer 1934 Stadtbibliothekar in Frankfurt/Oder und betrieb dann dort weiter «Grenzbüchereiarbeit», indem er das Büchereisystem in der dortigen «Grenzregion» organisierte. (Schriewer 1934) Für einige Jahre war er dann in Berlin als Leiter der Reichsstelle für das Volksbüchereiwesen des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung tätig, bevor er 1937 nach Frankfurt zurückkehrte. Während seiner Zeit in Berlin war er auch Herausgeber von Die Bücherei und insoweit einer der einflussreichsten Personen im deutschen Volksbüchereiwesen der damaligen Zeit. Er erlebte 1933 also einen kurzen, persönlichen Tiefpunkt, dem aber recht bald ein Karrieresprung folgte.

Der Verein selbst wurde aktiv in das nationalsozialistische Büchereiwesen integriert. Die gerade erwähnte Fachzeitschrift Die Bücherei wurde als Publikationsorgan des Vereins genutzt (Fritz, Ackermann & Schuster 1933), was auch explizit im Impressum vermerkt wurde. Deshalb erschienen in ihr, noch regelmässiger als zuvor in der Bücherei und Bildungspflege, Beiträge zum «Grenzbüchereidienst». Nach 1934 – einem Jahr, in welchem sowohl Franz Schriewer (Schriewer 1934) als auch Wilhelm Scheffen (Scheffen 1934) noch je eine längere Darstellungen zur Grenzbüchereiarbeit, jetzt als Teil der staatlichen Büchereiplanungen, veröffentlichten – handelte es sich dabei aber vor allem um Berichte zu Treffen des Vereins (beispielsweise Hesse 1937, Zweck 1937). Inhaltlich tiefergehende Artikel wurden weiterhin vor allem in den Mitteilungen publiziert. Die einzige Ausnahme davon bietet eine 1940 in Die Bibliothek veröffentlichte historische Übersicht zum Grenzbüchereidienst, wieder von Wilhelm Scheffen (Scheffen 1940). In dieser stellt er die Arbeit des Vereins auch vor 1933 als übereinstimmend mit den Zielen des Nationalsozialismus dar – eine Position, mit der er, wie gleich im nächsten Abschnitt sichtbar werden wird, nicht alleine stand.

Ein Unterschied war, dass der Verein jetzt, nach 1933, weniger ein Monopol auf das Thema völkische Büchereiarbeit hatte. Stattdessen wurden gerade von nationalsozialistischen Aktiven im Büchereiwesen die Themen des Vereins aufgegriffen und inhaltlich ausgedehnt. Ein Beispiel dafür ist ein ebenfalls in Die Bücherei erschienener Text zu Büchereien «jenseits der Reichsgrenze». (Roscher 1934) In ihm werden Diskurse, die bislang in den Mitteilungen gepflegt wurden, erweitert. Sie verändern sich damit, aber es zeigt sich auch, dass diese Erweiterung in Richtung explizit nationalsozialistischer Ideologie einfach, und ohne dabei Widersprüche zu produzieren, möglich war. Der Autor nimmt quasi das völkische Denken, dass sich im Verein geographisch immer um die sogenannten «Grenzgebiete» gedreht hatte, und erweitert es – im Text erst geht es nur um diese Gebiete, dann aber auch um «das Deutschtum» im gesamten Europa sowie der Sowjetunion und am Ende um jenes, dass er weltweit verortet, namentlich in der damaligen britischen Kolonie Südafrika und bei deutschen Gemeinschaften in Südamerika. Für den Autor gelten jetzt alle Menschen, die irgendwelche deutschen Vorfahren haben, als «Deutsche», deren Volkstum gefährdet sei. Zudem verbindet er das völkische Denken, welches im Verein betrieben wurde, explizit mit antisemitischem Denken. Dies zeigt sich im folgenden Zitat, dass sich am Beginn nicht gross anders liest, als der weiter oben zitierte, 1929 in den Mitteilungen publizierte völkische Grundlagentext (König 1929), bevor es dann explizit antisemitisch wird.

«Wir müssen uns immer wieder ins Bewußtsein rufen: Über ein Drittel aller Deutschen lebt außerhalb des Deutschen Reiches, verteilt auf vier weitere deutsche Staaten (Österreich und Danzig, Luxemburg und Liechtenstein), einen Staat mit deutscher Mehrheit (Schweiz) und 29 andere Staaten mit geschlossenen deutschen Siedlungsgruppen, ferner auf das Streudeutschtum in sämtlichen Ländern der Erde […]. Demgemäß ist auch das deutsche Büchereiwesen jenseits der Reichsgrenze zahlenmäßig beachtlich und vor allem: sehr mannigfachig. […]

Überall auf der Erde, wo deutsches Volkstum mit fremden zusammenstößt, ohne von einer starken Reichsgewalt geschützt zu werden, ist das Deutschtum gezwungen, sich zu behaupten, Sprache und Kultur zu verteidigen und den Abfall deutscher Volksgenossen vom angestammten Sein zu verhindern. Das gilt auch von [sic!] Staaten, wie Luxemburg oder der Schweiz, die ganz oder vorwiegend deutschen Volkstums sind und die doch mehr oder weniger (die gemischtvölkische Schweiz weniger) unter französischem Einfluß stehen. Das gilt auch von [sic!] Österreich, wo das Judentum auf vielen Lebensgebieten noch unumschränkte Macht hat.» (Roscher 1934: 537)

Weiterhin beschreibt der Autor die Notwendigkeit, die Büchereien, die er zum «Auslandsdeutschtum» zählt, und deren Bestände er beispielsweise als teilweise gefährlich undeutsch beschreibt (weil sie in Dänemark auch Literatur enthielten, die im Deutschen Reich verboten worden war, oder weil sie in Südafrika auch englische «Groschenhefte» umfassen würden), nicht nur zu beraten oder zu unterstützen, sondern – kongruent mit der Vorstellung einer gleichgeschalteten und autoritär geführten Gesellschaft – explizit vom Deutschen Reich aus anzuleiten.

In gewisser Weise wurden Vorstellungen, die der Verein vor 1933 vertreten hatte, im Nationalsozialismus also aufgegriffen, radikalisiert und als Teil der staatlichen Aufgaben begriffen.20

4.2 Grenzbüchereifahrten und Selbstanpassung

Grundsätzlich wurden Verein und Aktive der Grenzbüchereiarbeit also recht problemlos in das nationalsozialistische System integriert. Die Ausgaben der Mitteilungen, die in dieser Zeit erschienen, zeigen, dass sich dafür die Ideen und Arbeitsweisen nicht ändern mussten. Vielmehr wurden sie nur leicht in der Terminologie angepasst und die Verbindung zum Staat scheint noch enger geworden zu sein. Sichtbar wird dies beispielsweise in einer noch besseren Ausstattung der Mitteilungen selbst. Sie enthalten in dieser Zeit mehr Graphiken, ein besseres Druckbild oder auch besseres Papier. Aber es ändert sich zum Beispiel kaum, wer oft in ihnen publiziert. Einzig, dass neben Wilhelm Scheffen jetzt auch seine Ehefrau Luise Scheffen-Döring verstärkt auftrat, war neu.

Aus den Tagungen des Vereins werden nun «Grenzbüchereifahrten». (Scheffen-Döring 1935, Anonym 1936, Scheffen-Döring 1936, Scheffen-Döring 1938, Scheffen-Döring 1939a, Scheffen-Döring 1939b, Heiligenstaedt 1939) Diese führten immer rund eine Woche lang in ein Grenzgebiet. Dort wurden weiterhin Vorträge geboten, aber auch Besuche in kleinen Büchereien und Besuche der Grenze selbst, von der aus dann jeweils gemeinsam in angeblich deutsches Land geschaut wurde, das jetzt zum falschen Staat gehören würde. Zumindest in den dazugehörigen Berichten wird immer ein Blick in ein Feindesland inszeniert und diesem «Feind» jeweils unterstellt, das Land nicht richtig zu nutzen.21 Und gleichzeitig werden Büchereien als Teil eines Kampfes zwischen Völkern dargestellt, beispielsweise im Abschnitt «Das Buch im Grenzkampf» im Bericht der «Bayerischen Ostmarkfahrt» 1936 (Scheffen-Döring 1936: 48–53) oder aber, wenn Josef Wuß, «Leiter der Staatlichen Grenzbüchereistelle, Bayreuth, und der Gaubüchereistelle des NSDAP», in den Mitteilungen das Ziel seiner Stelle wie folgt umschreibt (vergleiche auch Taupitz 1938):

«Der Nationalsozialismus will den deutschen Menschen entsprechend seinem ihm vorschwebenden Ideal führen und formen. Dieser Erziehungs- und Bildungsarbeit hat sich die Volksbücherei ein- und unterzuordnen. Sie ist als volksnahe und von Staats wegen fachlich richtig geführte Vermittlungsstelle notwendiger und wichtiger Bücher verpflichtet und in der Lage, die Formung des inneren Menschen im Sinne des Nationalsozialismus zu unterstützen. Indem sie das Schrifttum der Nation in führender und leserpsychologischer Auswahl bereithält, wirkt sie zugleich dem reinen Intellektualismus entgegen, der ja immer im Schatten der Bücherwelt steht.» (Wuß 1936: 63)

Wuß bewegt sich mit dieser Darstellung weiter im Diskursrahmen der Büchereipädagogik. (Der Begriff «Leserpsychologie» wurde gemeinhin benutzt, wenn es darum ging, zu verstehen, wie und warum einzelne Menschen lesen.) Verändert hat sich also nicht die eigentliche Arbeit des Vereins, es wird jetzt nur statt völkischer explizit einer nationalsozialistischen Denkweise gefolgt.

Dies zeigt sich gut in einer der beiden Ausgaben der Mitteilungen, die direkt 1933 erschienen. Diese Ausgabe besteht aus nur zwei Artikeln (Scheffen 1933, Schriewer 1933b) und einer Karte. Im einleitenden Text behauptet Scheffen zwar – wie dies auch vergleichbare Texte anderer Organisationen taten, welche versuchten, 1933 für sich einen Platz im nationalsozialistischen System zu finden – zuerst folgendes: «Ein Sturmwind ist über Deutschland dahingerauft. Ein neues Deutschland ist geworden. Die Entwicklung geht, wohin wir blicken, gewaltig schnell weiter.» (Scheffen 1933: 3). Anschliessend stellt er aber die Arbeit des Vereins vor allem als kontinuierlich dar. Schon lange wäre dieser von der «Deutschtumsabteilung des Reichsministerium des Inneren […] wesentlich gefördert [worden]» (Scheffen 1933: 4). Er schreibt von 2000 betreuten Büchereien und rund 100 grenzwissenschaftlichen Büchereien, die der Verein direkt unterhält, sowie von alleine in den ersten neun Monaten 1933 verschickten 33.956 Büchern (Scheffen 1933: 5). Ebenso erwähnt er eine weitere «Grundbestandsliste», die der Verein gerade erstellt hatte. Seine Vorstellung von der zukünftigen Aufgabe des Vereins liest sich nicht wirklich anders, als vor der nationalsozialistischen Machtübernahme:

«Bei der Gewinnung unseres ganzen Volkes für die Idee der Sendung des deutschen Menschen im Schicksalsland des Ostens, bei der Stützung des Grenzländers in seiner Pionierarbeit und bei der Pflege der organischen Einheit von dieseits und jenseits der Grenze wird überall das deutsche Buch mit großen Wirkungsmöglichkeiten einzusetzen sein.» (Scheffen 1933: 6)

Interessant ist die Selbstdarstellung des Vereins auf der dieser Ausgabe der Mitteilungen beigefügten Karte. Diese zeigt die Grenzen des damaligen Deutschen Reiches, dann die «abgetretenen Gebiete», also die durch den Versailler Vertrag und teilweise daran anschliessende Volksabstimmungen an andere Länder abgetretenen Gebiete. Hier werden sie, indem «die früheren Reichsgrenzen» eingetragen werden, als gewissermassen dem Deutschen Reich zugehörig gekennzeichnet.22 Zudem eingetragen sind auf der Karte die «Grenzbüchereigebiete», in denen der Verein tätig war. Diese folgen fast genau den völkischen Vorstellungen, die in dem weiter oben zitierten Text von König (1929) dargestellt wurden: Sie liegen an allen Grenzgebieten des Deutschen Reiches (zu Dänemark, Polen, der Tschechoslowakei, Frankreich, Luxemburg und Belgien), ausser denen, die König als Deutsch (oder «westgermanisches Sondervolk») beschreibt (also Schweiz, Österreich, die Niederlande sowie den Teil der Tschechoslowakei, der wohl als «Deutsch» galt). Dass die Grenze zur Freien Stadt Danzig auch als «Grenzbüchereigebiet» gilt, liegt wohl daran, dass sie selbst direkt an Polen grenzt. (Insoweit stimmt nur die Grenze zu Luxemburg nicht mit Königs Aufzählung überein.) Weiterhin sind die «Büchereizentralen» (also die staatlichen Beratungsstellen) eingezeichnet, welche in diesen «Gebieten» tätig sind. Sie alle sind jeweils mit einer Linie mit dem Vereinssitz in Berlin verbunden. Es entsteht so der Eindruck, als würde der Verein den Anspruch erheben, diese Beratungsstellen – in der zeitgenössischen Terminologie – zu führen.

Karte aus Grenzbüchereidienst e.V. Mitteilungen (1933) 12: Umschlagseite.

Der zweite Text von Franz Schriewer führt diese Selbstdarstellung zu politischen Forderungen weiter. In einem Schritt führt Schriewer den bis dato noch etwas offenen Volksbegriff, der in den Mitteilungen verwendete wurde, direkt mit der nationalsozialistischen Vorstellung zusammen:

«[Es] heißt für unsere Büchereiarbeit: Alles, was in unserem Schrifttum, besonders in der Schönen Literatur, abgestandene Romantik oder museale Beschreibung von Volkstumserscheinungen ist, ist unwirksam und kann entbehrt werden. Wenn wir eine neue Bodenverbundenheit des deutschen Menschen wollen, genügt uns nicht eine leere Heimatpflege. Es hilft uns auch nicht der künstliche Mythos. Wir müssen zurück zu den wirklichen Kräften und dürfen nicht an gewesenen Formen hängenbleiben. Volkstum ist nicht starre Form und ewig verharrende Erscheinung, Volkstum ist ein geistig-seelisches Gerichtetsein aus Schicksal, Blut und Rasse.» (Schriewer 1933b: 11f.)

Weiterhin beschreibt Schriewer die bisherige Arbeit des Verein als unpolitisch und über den Parteien stehend, wie dies im völkischen Diskurs – wie weiter oben geschildert – normal war. Jetzt nennt er dies aber explizit eine Strategie, um in der Weimarer Demokratie überhaupt völkische Politik betreiben zu können. Egal, ob dies von Schriewer (oder anderen Aktiven) während der Weimarer Republik tatsächlich so gesehen wurde, bestätigt er hiermit, dass auch völkische Aktiven zumindest im Nationalsozialismus klar ist, dass ihre Haltung sehr wohl politisch war – auch wenn sie immer behauptet hatten, mit «dem Volk» eine überzeitliche Entität zu unterstützen. Schriewer schreibt:

«Unser Verhältnis zum Staat wird damit [mit der nationalsozialistischen Machtergreifung] heute ein grundlegend anderes. Wir haben all die Jahre bewußt unsere Kulturarbeit an den Grenzen abseits gehalten vom Parteienstaat. Wir trieben Kulturpolitik, klammerten aber stillschweigend das Wort ‹Politik› ein. Indem wir uns auf die Insel der Volkstumspflege zurückzogen, entpolitisierten wir gleichsam unsere Arbeit. War das Mangel an politischem Gefühl oder Verkennung der Tatsache, dass die Politik den Vorrang im Schicksal eines Volkes hat, war das ein Nachwirken bürgerlich-ästhetisierenden Bildungsbetriebes? Nein, wir handelten so, wenn vielleicht auch nicht immer ganz bewußt, so doch notgedrungen und instinktiv richtig. Denn Staat und Volkstum klafften nach dem Kriege je länger desto mehr auseinander. Im großen und ganzen stand die Staatspolitik mit ihrem international-demokratischen Gehabe im Gegensatz zu den Grundkräften des deutschen Volkstums. […] Wir konnten, wenn wir deutsche Kulturpolitik treiben wollten, nichts anderes tun, als die Grundkräfte hegen und pflegen in der Hoffnung, dass das Schicksal den Deutschen die Stunde der Politik bescheren würde, in der diese von uns nach bestem Vermögen betreuten Kräfte sich frei entfalten könnten. […]

Volkstum und Staat sind wieder eins. Erziehen wir durch das Buch zum Volkstum, so meinen wir den Staat. Erziehen wir zum Staat durch das Buch, so führen wir ins Volkstum.» (Schriewer 1933b: 13f.)

Anders gesagt ordnete Schriewer hier die Grenzbüchereiarbeit vollständig dem nationalsozialistischen Staat unter. Die Büchereien müssten dem Führerprinzip folgen, ebenso die Büchereistellen: «Ich selbst bin der Meinung, dass es richtig ist, die Grenzbüchereistellen staatlich zu machen, weil die Entwicklung zum totalen Staat die allgemeine Kulturpflege in den Staat hineinziehen wird.» (Schriewer 1933b: 15) Der Staat müsse jetzt, so seine Forderung – mit dem Verweis darauf, dass dies in Dänemark auch der Fall wäre (Schriewer 1933b: 17) – Bildungsmassnahmen als Teil des Volkstumskampfes begreifen und fördern.

Dies gipfelt bei ihm in der Parole: «Aus dieser Not kann uns nur ein Grenzbüchereigesetz helfen […].» (Schriewer 1933b: 20) Diese Forderung nach einem Büchereigesetz war dabei weder neu, noch wurde sie nur von Schriewer erhoben. Vielmehr hatte er sie selber schon vertreten, beispielsweise zwei Jahre vorher im Rahmen eines eingehenden Vergleiches des deutschen mit dem schwedischen, dänischen, norwegischen und finnischen Büchereiwesen. (Schriewer 1931b) In den Jahren zuvor hatten vor allem Erwin Ackerknecht und Johannes Langfeldt ein solches gefordert (Ackerknecht 1933) und vor allem in der Zeitschrift Bücherei und Bildungspflege über die Entwicklung der Gesetzgebungen in den gleichen Ländern berichtet. (Langfeldt 1924, Langfeldt 1925, Langfeldt 1933) 1929 war zudem vom Verband Deutscher Volksbibliothekare eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet worden, welche Gesetze dieser Art sammeln und dann einen eigenen Entwurf vorlegen sollte. (Schuster 1929b)

Grundsätzlich erhob Schriewer Forderungen, die dann tatsächlich vom neuen Regime umgesetzt wurden (ob nun aufgrund der Arbeit von Schriewer oder selbsttätig, lässt sich nicht einfach klären). Im gleichen Jahr wurde zum Beispiel eine «Neuordnung der Beratungsstellen» angekündigt, die nun gleichgeschaltet wurden, explizit für alle Büchereien ihres jeweiligen Arbeitsgebietes zuständig und zudem nach dem Führerprinzip organisiert werden sollten. (Kock 1934) Gleichzeitig sollten sie besser dotiert und mit Befugnissen ausgestattet werden. Nur ein explizites Büchereigesetz wurde nie erlassen.

Karte aus Schriewer (1933b: 32). Die Karte zeigt das Deutsche Reich nicht in den 1933 aktuellen Grenzen, sondern denen von 1914. (Danzig, 1933 noch explizit «Freie Stadt» unter Völkerbundmandat, wenn auch mit NSDAP-Regierung, ist gar nicht erst eingetragen.) In ihnen abgetragen sind die angeblichen «Angriffe» dänischer und polnischer Büchereiwesen und die – angeblich – zu geringen Verteidigungen von deutscher Seite. Die Herkunft der Zahlen ist nicht klar (auch nicht, warum angebliche «Angriffe» aus anderen Ländern nicht eingetragen sind), aber es scheint, als würde einfach der Etat für die Förderung der jeweiligen Büchereiwesen übersetzt in quasi militärische Aufgebote, die sich in einer Schlachtordnung gegenüberstehen.

In den folgenden Jahren bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges veränderte sich die konkrete Arbeit des Vereins nur leicht. Soweit sichtbar, wurden weiterhin Bücher verschickt, Bücherlisten erstellt und Büchereien beraten. Die Tagungen wurden, wie dargestellt, zu Fahrten ausgebaut, bei denen «die Grenze» erfahrbar werden sollte. In den Mitteilungen wurden zudem «neue» Methoden der Büchereiarbeit propagiert, beispielsweise der gezielte Einsatz von Lesungen. Gleichzeitig scheint die Zusammenarbeit von Beratungsstellen und anderen staatlichen Stellen noch enger geworden zu sein. Praktisch auf allen Fahrten waren sie vertreten, gaben Arbeitsberichte und publizierten auch in den Mitteilungen selbst. Es scheint, als wäre der Verein erfolgreich in das nationalsozialistische System integriert gewesen – er hatte sich selbst gleichgeschaltet.

Ob dies für alle im Verein Aktiven galt, kann aufgrund der vorliegenden Quellen nicht geklärt werden. Das könnte nur durch bibliographische Studien geschehen. Es ist also denkbar, dass einzelne Personen einen anderen Weg gingen oder aber ganz aus dem Büchereiwesen ausgeschlossen wurden. Aber gesamthaft für den Verein gilt dies nicht.

4.3 Letzter Bruchpunkt: Zweiter Weltkrieg

Der letzte Bruchpunkt der Vereinsgeschichte scheint der Beginn des Zweiten Weltkrieges gewesen zu sein. Die letzte Publikation über die konkrete Arbeit, zur Grenzbüchereifahrt nach Klagenfurt, also das dann gerade angeschlossene Österreich, erschien 1939. (Scheffen-Döring 1939b, Wille 1939) Danach taucht der Verein offenbar nur noch einmal mit einem schon weiter oben genannten Beitrag von Wilhelm Schuster (Schuster 1940) in den betreffenden Fachzeitschriften auf. Anschliessend scheint er seine Aktivitäten eingestellt zu haben – wohl mit der Vorstellung, sie nach dem Ende des Krieges und einem Sieg des nationalsozialistischen Deutschland wieder aufnehmen zu können. Aber der genaue Ablauf dieses Endes lässt sich heute nicht mehr vollständig rekonstruieren. Ein Nachlass des Vereins scheint nicht zu existieren. (Er wird zumindest in den relevanten Archiven nicht nachgewiesen.) Was aber bekannt ist, ist, dass eine ganze Anzahl von zuvor im «Grenzbüchereidienst» tätigen Personen in die deutsche Wehrmacht eingezogen wurden. Hier ist wieder Franz Schriewer als Beispiel zu nennen, der ab 1939 im Militär diente (allerdings in Frankfurt/Oder selber) und für einige Jahre nicht mehr gross als Autor in den relevanten Fachzeitschriften auftrat (Weimar 1976; gleichwohl aber mit eigenständigen Publikationen, vergleiche Danker 2017).

Es scheint, als wäre die Arbeit des Vereins mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges oder aber in dessen Verlauf eingestellt worden. Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde er – im Gegensatz zu vielen der Staatlichen Fachstellen, mit denen er verbunden war – nicht weitergeführt oder wiedergegründet. Er scheint mit dem Regime untergegangen zu sein. Dies gilt, wie auch schon thematisiert, nicht für die Aktiven selbst. Diese fanden sich in vielen Fällen in den Folgejahren vor allem im Büchereiwesen der westlichen Besatzungszonen und dann der Bundesrepublik Deutschland wieder und besetzten dort einflussreiche Positionen. Um dies nochmal an Franz Schriewer zu zeigen: Er kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Flensburg zurück und wurde praktisch wieder in seine alte Position eingesetzt. In den Folgejahren baute er das Büchereiwesen in Schleswig-Holstein neu auf, schrieb jetzt aber zum Beispiel eher von der «Büchereilandschaft Schleswig» (Schriewer 1958) und richtet sich auch nicht gegen die dänische Kultur- und Büchereipolitik. Gleichwohl tat er dies zum Teil weiter unter dem Schlagwort der «Grenzbüchereiarbeit». (Siehe den Reihentitel der Schrift zur «Büchereilandschaft Schleswig» (Schriewer 1958): «Jahresbericht für das Grenzbüchereiwesen».) Danker (2017) beschreibt diese Arbeit – inklusive des damaligen Kontexts, unter anderem der «Neudänischen Bewegung» – biographisch als Fortsetzung der bisherigen Arbeit Schriewers, bei gleichzeitiger Schuldabwehr; aber auch als Versuch, sich in den neuen Verhältnissen zu orientieren. Wenn Schriewer im vorliegenden Artikel als Beispiel für das deutsche Volksbüchereiwesen gilt, dann auch damit.

5. Bewertung und Fazit

5.1 Politische und moralische Fragen

Wie lässt sich die Geschichte des Vereins für Grenzbüchereidienst im Rückblick bewerten? Zuerst ist selbstverständlich klar, dass diese Arbeit grundsätzlich politisch falsch war: Die Vorstellungen von Völkern, die gewissermassen als eigenständige Entitäten über den Menschen und Staaten stehen und die sich gegenseitig bekämpfen, ist nicht in der Realität gegründet. Was genau unter dem Begriff «Volk» verstanden werden kann und wie sich kulturelle Identitäten innerhalb eines Staates oder über verschiedene Staaten hinweg entwickeln, ist eine bis heute offene Frage. Auch, was diese Kulturen, die im völkischen Denken als eigenständige Entitäten «Volk» verstanden wurden, «zusammenhält» oder gerade nicht zusammenhält, ist nicht eindeutig zu klären. Ebenso ist nicht einfach zu klären, wann, wie und wieso Menschen eine Kultur, die sie prägte, im Laufe der Zeit verändern, «verlassen» oder eine neue Kultur annehmen. Klar ist aber, dass dies weder ausschliessend passiert – also dass Menschen sehr wohl Teil verschiedener Kulturen sein können, als auch mehrere Kulturen innerhalb eines Staates oder einer Region miteinander koexistieren können –, noch dass sich diese Kulturen per se «bekämpfen».

Sicherlich gab und gibt es Fälle, in denen versucht wurde, Kulturen zu vernichten – aber nicht, weil dies in anderen Kulturen so angelegt ist, sondern als Ergebnis staatlicher Interessen und Politik. Alleine in Europa – selbst, wenn man den von Europa ausgehenden Kolonialismus ausblendet – gibt es zahlreiche Beispiele dafür. Beispielsweise die Politik der Assimilierung gegen die Kultur der Samen in Skandinavien oder die bis heute anhaltenden Auseinandersetzung zwischen französischen Staat und identitären Bewegungen in Korsika und dem Languedoc, die sich zum Beispiel um Fragen von Kultur und Sprache, aber auch um ökonomische Themen drehen. Historisch gab es zudem weit gewalttätigere Auseinandersetzungen, die bis heute nicht vollständig beendet sind, wie in Nordirland oder dem Baskenland. Aber auch die sorbische Kultur und ihre Behandlung durch die jeweiligen deutschen Staaten kann hier als Beispiel herangezogen werden. Doch die Vorstellung, dass dies immer so sein muss und praktisch «in der Natur der Völker» angelegt wäre, ist offensichtlich falsch.

Sowohl die sorbische Kultur als auch, um noch einmal auf dieses Beispiel zurückzukommen, die dänische Kultur in Schleswig-Holstein heute, zeigen, dass immer auch ein ganz anderes Denken über «Völker» möglich war und ist. Auch ohne bis zu Ende zu klären, ob es überhaupt übergreifende «Volkskulturen» gibt und wie Menschen auf diese bezogen werden sollten, hat sich heute in Europa als Grundsatz etabliert, dass Minderheiten und deren Kulturen geschützt werden müssen und dass ihnen Möglichkeiten geboten werden müssen, sich zu entwickeln. Man hätte also in Schleswig-Holstein immer auch ein Büchereiwesen aufbauen können, dass sich gleichzeitig an Menschen richtet, welche sich zur deutschen, zur dänischen, zu einer deutsch-dänischen, einer schleswigschen Regionalkultur oder auch zu anderen Kulturen zugehörig fühlen. Die Tschechoslowakei hatte dies nach 1918 mit ihrem Büchereigesetz versucht. (Tschechoslowakei 1928) Aber dies wurde, wie gesagt, vom Verein als Gefahr, nicht als mögliches Vorbild diskutiert. (Scheffen 1928a)

Schaut man mit diesem Wissen auf die Arbeit des «Grenzbüchereidienstes» zurück, fällt aber auch eine Parallele auf: Kultur und Bücher wurden als Werkzeug zur «Erhaltung» des Volkstums angesehen. Deutsche Bücher sollten die deutsche Kultur und die deutsche Sprache erhalten. Ein Ansatz heute, um Kulturen von Minderheiten zu fördern, ist weiterhin die Förderung von Kultur und Literatur. Heute werden sowohl sorbischsprachige als auch – um ein weiteres Beispiel anzuführen – rätoromanische Verlage und Publikationen finanziell unterstützt. Im Gegensatz zum Grenzbüchereidienst aber ist diese Kulturförderung nicht möglichst hegemonial gedacht, sondern als Ergänzung in einer Kulturlandschaft, in welcher jeweils Publikationen verschiedener Sprachen und Kulturen nebeneinander stehen.23 Verbunden sind diese beiden Ansätze aber darin, dass der Kultur und der Literatur eine starke Rolle in Bezug auf Kultur zugeschrieben wird – aber unter sehr anderen Vorzeichen.

In diesem Text sollte es explizit nicht darum gehen, einzelne Aktive zu bewerten. Und dennoch drängt sich die Frage auf, wie deren Arbeit moralisch zu bewerten ist. War sie einfach zeitgenössisch, also «das, was alle sagen» und deshalb von heute aus einfacher zu verurteilen, als in der damaligen Zeit?

Dazu zwei kurze Anmerkungen: Erstens wurde weiter oben betont, dass das völkische Denken und die nationalsozialistische Ideologie nicht per se gleichgesetzt werden können. Man kann also nicht direkt aus der Geschichte ab 1933 die Denkweisen und Handlungen völkischer Aktiver vor 1933 verurteilen. Aber, was auch sichtbar wurde, war, dass sich der Verein 1933 sehr einfach und direkt in das nationalsozialistische System integrieren lies. Offenbar gab es keinen Widerstand, sondern ein Anpassen und Weitermachen. Das Denken der Aktiven war offenbar nur wenig vom nationalsozialistischen entfernt – die rassistische Vorstellung vom Volk wurde schnell übernommen, Formen demokratischer oder offenerer Mitbestimmung (also zum Beispiel der Vereine, welche die konkreten Büchereien vor Ort führten) wurden schnell gegen eine zentralisierende, autoritär organisierte Struktur («Führerprinzip») getauscht.

Zweitens gab es immer Alternativen, auch zeitgenössisch. Niemand war bis 1933 gezwungen, völkisch zu denken. Das völkische Denken wurde ja selber als Alternative gegen internationalistische Denkweisen verstanden, insbesondere in der organisierten Arbeiter*innenschaft und im politischen Katholizismus. (Abgesehen davon, wie internationalistisch diese beiden Milieus tatsächlich waren.) Das schon angeführte Beispiel der Tschechoslowakei, die eine aktive Minderheitenpolitik betrieb, war seit 1918 ebenso immer sichtbar. Aber auch in der deutschen Literatur zum Volksbüchereiwesen selber finden sich Gegenbeispiele. In den Mitteilungen des Vereins findet sich ein Bericht über die Arbeit der bayerischen Beratungsstelle (Fischer 1928), in dem die Probleme der Büchereien im «Grenzgebiet» als die von Einrichtungen in – wie man heute sagen würde – infrastrukturschwachen Regionen dargestellt werden. Es geht darin um Infrastruktur, Personal, Etat und so weiter, aber nicht um völkische Überlegungen. Das wäre also auch immer möglich gewesen.

Als Erwin Ackerknecht – ein vielleicht noch produktiverer Autor als Franz Schriewer – 1930 in einem Artikel die mögliche Nutzung von Schallplatten auf Bildungsveranstaltungen in Volksbüchereien besprach, nutzte er dazu eine Sprache, die teilweise ähnlich der klingt, wie die, welche in den Mitteilungen des Verein genutzt wurde. Zudem nutzt er Begrifflichkeiten, die heute als explizit rassistisch gelten:

«Eine außerordentliche Erweiterung ihres musikalischen und zugleich völkerpsychologischen Horizontes wird vielen durch die fremdländische Musik ermöglicht werden, die in Gestalt von Schallplatten zu haben ist. Ich denke hier nicht so sehr an die Unmenge mehr oder weniger echter Nigger-Songs, Tangos usw., obwohl selbstverständlich auch unter dieser gelegentlich ein in seiner Art ‹ernst zu nehmendes› Stück ist. (So habe ich für meine Person immer neuen Vergnügen an dem virtuos harmonisierten Kater-Minnesang der beiden Negerquartette ‹Oh Lucindy› und ‹Ol` man river› Electrola EB 916). Ich denke auch nicht in erster Linie an die Kosakenchöre, von denen es eine ganze Reihe schöner Aufnahmen gibt. Vielmehr liegt mir besonders daran, auf die hebräischen Gesänge aufmerksam zu machen, die in der Wiedergabe durch den stimmgewaltigen Kantor Rosenblatt selbst einem Antisemiten in vorgerücktem Stadium ans Herz greifen müssten. […]» (Ackerknecht 1930: 10)24

Wie an diesem Zitat leicht nachzuvollziehen ist, steht diese Sprache bei Ackerknecht im Dienst eines ganz anderen Denkens. Auch er geht wohl davon aus, dass Völker irgendwie untereinander verschieden sind, aber weder sieht er sie hier als miteinander kämpfende Entitäten, noch scheint er «das eigene Volk» (das wäre bei Ackerknecht das deutsche) bevorzugen zu wollen. Im Gegenteil, er plädiert für die Macht der Musik als Mittel zur Verständigung zwischen den Menschen, die sogar «einem Antisemiten in vorgerücktem Stadium» (Ackerknecht 1930: 10) ergreifen müsste. Der Artikel von Ackerknecht ist in der gleichen Zeitschrift Bücherei und Bildungspflege erschienen, in der auch viele Beiträge von Franz Schriewer publiziert wurden. Es war also auch nicht die zeitgenössische Sprache alleine, die irgendwie das völkische Denken erzwungen hätte. Es war immer auch möglich, mit dieser Sprache inhaltlich gänzlich andere Ideen auszudrücken.

Ein weiteres Beispiel ist die Eröffnungsansprache, die Wilhelm Schuster als Vorsitzender des Verbandes Deutscher Volksbibliothekare (dem dominierenden Verband der deutschen Volksbüchereiwesens) auf der Jahrestagung von 1929 hielt – also zu einer Zeit, in welcher der Grenzbüchereidienst selber sich eindeutig zu völkischen Prinzipien bekannt hatte. In der Rede geht es um das Verhältnis von Büchereien und weiterer Kulturarbeit. Für unseren Zusammenhang interessant ist, dass Schuster dies mit einem eindeutigen positiven Bezug «zur demokratischen sozialen Republik» (Schuster 1929a: 386), also der Weimarer Republik, tat. Er bezeichnet sie, inklusive ihrer politischen Strukturen zur Aushandlung von Differenzen, als fortschrittlichste der existierenden Staatsformen. Ein solches Bekenntnis, dass die Demokratie nicht einfach als Parteienstreit abtat, über dem eine angebliche grössere «völkische» Idee stand, war damals im Büchereiwesen auch von höchster Stelle aus möglich. (Obgleich es 1933 dann Schuster war, welcher das Büchereiwesen und den Verband relativ reibungslos in den nationalsozialistischen Staat integrierte.)

Beachtet man dies, dann kann man die Denk- und Argumentationsweisen der Aktiven in der Grenzbüchereiarbeit eben doch auch moralisch verurteilen: Sie hatten offenbar immer Alternativen, aber sie wählten eine explizit völkische Denkweise. Ob sie dieser auch nach 1945 verpflichtet waren oder sich anderen, demokratischen Prinzipien zuwandten, ist eine andere Frage. Schaut man sich aber die Entwicklung des schleswig-holsteinischen Büchereiwesens, wieder unter Franz Schriewer, nach 1945 an, dann scheint ein solcher Sinneswandel bei einigen wohl eingetreten zu sein. (Schriewer 1958) Es stand dann beispielsweise nicht mehr kontinuierlich unter dem Eindruck, einen «dänischen Einfluss» abwehren zu müssen.

Ein erstaunlicher Punkt ist, dass sich zumindest in den für diesen Artikel hier gesichteten Schriften des Vereins – im Gegensatz zu sonstigen völkischen Publikationen – kein konkreter Antisemitismus findet. Sicherlich, implizit war er im völkischen Denken immer angelegt. Eventuell wurde er nicht erwähnt, weil sich der Verein vor allem mit dem ländlichen Raum befasste, der als einigermassen ausserhalb der kapitalistischen Entwicklungen stehend gedacht wurde; während diese Entwicklungen im Antisemitismus bekanntlich «den Juden» und «der Grossstadt» zugeschrieben wurden. Aber vielleicht gehörten die im Verein Aktiven tatsächlich zu dem kleinen Teil der Völkischen, die eine andere Position zum Antisemitismus einnahmen. (Puschner, Schmitz & Ulbricht 1996a) Letztlich hat dieses «Fehlen» die meisten Aktiven aber nicht daran gehindert, sich später im explizit antisemitischen nationalsozialistischen System zu engagieren.

5.2 Zum Erfolg der Grenzbüchereiarbeit

Aber: War der Grenzbüchereidienst erfolgreich? Hundertausende, wohl eher Millionen von Büchern wurden im Laufe seines Bestehens verschickt. Tausende, wenn nicht zehntausende, potentielle Bibliothekar*innen wurden beraten, kontaktiert und mit Informationen versorgt. Tagungen wurden durchgeführt, Grundbestandslisten für Büchereien erstellt und verschickt (auch hier ist die konkrete Zahl nicht mehr feststellbar, aber die Listen scheinen alle kostenlos verschickt worden zu sein, insoweit ist von einem hohen Verbreitungsgrad auszugehen). Publikationen wurden verbreitet. Grenzwissenschaftliche Bibliotheken wurden aufgebaut und betrieben. Es wurden Kontakte zu den entstehenden Beratungsstellen aufgebaut, sowie offenbar auch Kontakte zu staatlichen Stellen und anderen potentiellen Geldgebern aufrechterhalten.

Und trotzdem ist die Frage nicht zu klären, ob all diese Arbeit tatsächlich Erfolg hatte. Wurden die verschickten Bücher überhaupt aufgestellt? Wurden sie verliehen? Und wenn ja, hatten sie den erwünschten «völkischen» Erfolg? Fühlten sich Menschen durch sie «deutsch»? Ordneten sie sich den völkischen Gedanken unter und entschieden sich zum Beispiel dafür, «im Dorf zu bleiben», um «deutschen Boden» zu bewirtschaften? Oder wurden die Bücher vielleicht nur als weiterer «Lesestoff» neben anderen Publikationen genutzt? Wurden die Grundbestandslisten benutzt – und wenn ja, von wem und wofür? Entstanden, wie sich erhofft wurde, aus den Büchersendungen eigenständige Büchereien, die dann vor Ort von lokalen Vereinen oder von den Gemeinden getragen wurden? Hat der Verein durch seine Kontakte und seine Beratungen vielleicht dafür gesorgt, dass moderne Büchereien eingerichtet und professionell geführt wurden? Oder waren die vielen Sendungen auch deshalb möglich, weil sich solche örtlichen Büchereien nicht bildeten, also viele Gemeinden immer «Neuland» blieben und immer neue Büchersendung «aufnehmen» konnten?

In den Mitteilungen wurden Statistiken einzelner Büchereien abgedruckt oder auch aus begeisterten Briefen an den Verein zitiert. Aber ansonsten ging es in den Publikationen zur «Grenzbüchereiarbeit» erstaunlich wenig um die konkrete Realität vor Ort. Letztlich wird es wohl nur durch ganz konkrete Lokalstudien möglich sein, wenn überhaupt, zu klären, welchen Einfluss die Arbeit des Vereins in den einzelnen Gemeinden und bei den Menschen vor Ort tatsächlich hatte.

Fest steht, dass die staatlichen Beratungsstellen für Büchereien, mit denen der Verein zusammenarbeitete, in vielen Fällen bis heute weiter existieren, zumindest dort, wo sie heute nicht auf dem Gebiet anderer Staaten liegen.25 Grundsätzlich existieren solche heute in allen Bundesländern Deutschlands und Österreichs. Aber: Ist das ein Ergebnis der Arbeit des Vereins? Oder hat der Verein hier nicht auf eine Entwicklung zur «Erhöhung der Staatsquote» im Volksbüchereiwesen reagiert, die auch ohne ihn eingetreten worden wäre? Hat das völkische Denken die Struktur der Beratungsstellen und ihrer Arbeit geprägt – und wenn ja, wirkt das heute noch nach? Auch dies ist ohne konkrete Lokalstudien schwer zu bestimmen und wird auch dann nur schwierig zu beantworten sein, da – wie erwähnt – oft die Leiter der Beratungsstellen gleichzeitig im Verein aktiv waren. Wer hat in solchen Fällen dann wen beeinflusst? Zu vermuten ist aber, dass dieser Einfluss in der Realität recht klein war. Dabei, das sollte noch festgehalten werden, war die Situation in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren an sich davon gekennzeichnet, dass das Verhältnis von Vereinen, privaten Initiativen, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat grundsätzlich neu ausgehandelt wurde, nicht nur im Volksbüchereiwesen. Die Gründung der Republiken, die entstehenden politischen Bewegungen, kurz: die gesellschaftliche Modernisierung machten dies notwendig. Das es am Anfang der 1920er Jahre sinnvoll erschien, dass Vereine die Hauptarbeit im Büchereiwesen trugen und dass gleichzeitig noch nach stabilen Formen für eine langfristige Struktur zur Unterstützung dieser Büchereien gesucht wurde, während im Laufe der 1920er Jahre der Staat mehr Verantwortung übernahm, war zeitgenössisch. Dies passierte auch in anderen Bereichen. (Vergleiche Pöggler (1974) für die Erwachsenenbildung, insbesondere die Volkshochschulen, und Feldmann (1975) für den relativ bald gescheiterten Versuch, in den frühen 1920er Jahren eine Arbeitsgemeinschaft von Industrieverband und Gewerkschaften zu etablieren.) Eventuell wäre der Verein ohne den Nationalsozialismus also irgendwann vollständig eine staatliche Struktur geworden und hätte seinen völkischen Fokus verloren. Unter Umständen wäre die Grenzbüchereiarbeit irgendwann zu einer Büchereiförderung in strukturschwachen Gebieten geworden. Dann wäre sein Vermächtnis unter Umständen positiver zu bewerten.

Insoweit muss man am Ende aber feststellen, dass der Verein über lange Zeit ernstgemeinte und auch an den Entwicklungen des damaligen Volksbüchereiwesens orientierte Arbeit geleistet hat sowie dafür eine grosse Masse an Ressourcen mobilisieren konnte, aber das die konkrete Wirkung dieser Arbeit nicht mehr nachzuweisen ist.26

5.3 Abschliessende Bewertung

Geschichte hat keine Moral per se, aber es lässt sich dennoch aus ihr lernen. Was die Geschichte der Grenzbüchereiarbeit für das heutige Bibliothekswesen zeigt, ist, dass Öffentliche Bibliotheken nicht von sich aus für eine politische Richtung oder Denkweise stehen. Der Verein konnte die ganze Zeit seines Bestehens über davon ausgehen, dass seine Arbeit (die Grundlisten, die verschickten Bücher, die Beratung zum Aufbau moderner Büchereien) mit seinen politischen Grundüberzeugungen übereinstimmte. Er wollte ein völkisches Büchereiwesen aufbauen und später dann den Aufbau eines nationalsozialistischen Büchereiwesens unterstützen. Dabei stand er, was den bibliothekarischen Diskurs und die verwendeten Techniken betrifft, vollkommen im Mainstream des damaligen deutschen Büchereiwesens. Einige der Personen – um noch einmal auf Franz Schriewer zu verweisen – waren sogar das, was man heute Innovator*innen nennen würde, welche diese Techniken (vergleiche Schriewer (1924) zu den Büchereilehrgängen, die er organisierte sowie Schriewer (1925) zur Unterbringung kleiner Sammlungen in speziellen Bücherschränken) und die Reflexion über die Arbeit in Büchereien (siehe Schriewer (1926) zur Kritik an zu geringer Beachtung lokaler Gegebenheiten bei der Planung und Anleitung von Bibliotheken) vorantrieben. Einerseits lässt sich dies auf das völkische Selbstverständnis, Teil der modernen Gesellschaft zu sein und diese verändern zu wollen, zurückführen. Andererseits zeigt dies auch, dass inhaltlich falsche Ideen über die Gesellschaft nicht davon abhalten, Büchereien weiterzuentwickeln. Es gibt keine direkte Verbindung von «richtigen Ideen» über die Gesellschaft und der jeweiligen Bibliotheksarbeit – vielmehr sind Volksbüchereien, oder heute Öffentliche Bibliotheken, Einrichtungen, die von verschiedenen politischen Richtungen betrieben und weiterentwickelt werden können.

Zwei Dinge fallen zudem auf. Erstens war es im völkischen Büchereiwesen während der Weimarer Republik normal, zu behaupten, eine gewisse neutrale Position «über den Parteien» einzunehmen. Wie auch in anderen völkischen Gruppierungen legte man Wert darauf, alle Teile «des Volkes» ansprechen zu wollen und angeblich auch repräsentieren zu können. Unterschiede, ob politische oder soziale, wurden als nebensächlich bezeichnet, welche die «überzeitliche Wahrheit» des Volkes nicht tangieren würden. Gleich mit Beginn des nationalsozialistischen Regimes wurde, wie gezeigt, eine neue Argumentation formuliert, nämlich dass dies immer eine Schutzbehauptung gewesen wäre, um auch in der Demokratie völkische Politik betreiben zu können. Aber es ist davon auszugehen, dass zumindest für einen Teil der Aktiven für eine lange Zeit während der Weimarer Republik diese Vorstellung, einigermassen neutral zu sein, prägend war. Nicht alle werden das nur «vorgeschoben» haben. Das führt zu der Frage, wie spätere, auch heute noch verbreitete, Vorstellungen von einer «Neutralität» der Öffentlichen Bibliotheken zu bewerten sind. Sind das auch Vorstellungen, die zwar von vielen geteilt werden, die aber von einer bestimmten gesellschaftlichen Vorstellung geprägt sind? Sind heutige Vorstellungen von Neutralität im Bibliotheksbereich nicht eventuell auch davon geprägt, einen gemeinsamen (selbstverständlich nicht völkischen) Zusammenhang innerhalb der Gesellschaft zu sehen, der über den politischen Auseinandersetzungen und sozialen Differenzen besteht? Der Neutralitätsgedanke im Bibliothekswesen ist in den letzten Jahren mehrfach kritisiert worden, zum Beispiel aus antirassistischen und antikolonialen, aber auch aus feministischen und anderen Perspektiven. (Lewis 2008, Leyrer 2019, Wagner & Crowley 2020, Hennicke 2021, Scott & Saunders 2021) Die in diesem Artikel geschilderte Geschichte ergänzt diese Kritik in gewisser Weise.

Und zweitens ist festzustellen, dass diese ganze Arbeit, welche der Verein unternahm, inklusive der ganzen Ressourcen, die dafür mobilisiert wurden, auf bestimmten Überzeugungen von der Wirksamkeit von Büchern und Büchereien aufbaute. Obgleich es schwer zu klären ist, welche tatsächliche Wirkung diese Arbeit hatte, gab es bei den Aktiven doch die feste Überzeugung, dass durch sie «das Volkstum» gestärkt wurde oder das «andere Völker» ihre jeweiligen Büchereien einsetzen würden, um ihr «Volkstum» zu stärken. Mit Abstand von heute betrachtet erscheint das eine nicht nachvollziehbare Vorstellungswelt, die sich vielleicht auch dadurch erhalten konnte, dass ihre Realität empirisch kaum untersucht wurde. In keinem einzigen Artikel in den Mitteilungen wurde jemals versucht, in den betreffenden Regionen beispielsweise mit Umfragen, Beobachtungen oder – was zeittypisch als sinnvoll gegolten hätte – Bevölkerungsstatistiken zu überprüfen, ob sich durch die Büchereien das «völkische Bewusstsein» verändert hätte. Es wurde nur immer und immer wieder behauptet.

Doch auch das wirft die Frage auf, wie es heute ist. Werden Öffentliche Bibliotheken vielleicht auch heute betrieben auf der Basis bestimmter Überzeugungen, die zwar wirkmächtig sind, aber kaum überprüft werden? Wird zum Beispiel jemals gezeigt, dass die weit verbreitete «Leseförderung» tatsächlich dazu führt, dass mehr, besser oder zumindest gerne gelesen wird? Oder – das würde dann heissen, dass Ideen eine wichtige Rolle in der Bibliotheksarbeit spielen – reicht die Vorstellung aus, dass sie eine Wirkung haben? Auffällig ist, dass es tatsächlich kaum Untersuchungen zu diesem Fragekomplex gibt. Sicherlich: Leseförderung ist etwas anderes, als es die völkische Grenzbüchereiarbeit war; sie ist etwas, das auch zu begrüssen wäre, wenn es gar keine nachweisbare Wirkung hat. Aber in gewisser Weise scheint hier auch eine Parallele zu bestehen. Die Vorstellung alleine, dass Volksbüchereien beziehungsweise Öffentliche Bibliotheken eine bestimmte Wirkung haben, führt dazu, dass (erstaunlich viele) Ressourcen für die bibliothekarische Arbeit mobilisiert werden können.

6. Literatur

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  1. Vergleiche Wild (1957), damals Leiterin der Öffentlichen Bibliotheken der Stadt Zürich, die noch Ende der 1950er Jahre darüber schreibt, dass die beiden Arbeiterbibliotheken der Stadt weit höhere Ausleihzahlen hätten als die von ihr geleiteten.↩︎

  2. Wenn man einen anderen deutschen Bibliothekar mit vergleichbarer «Sichtbarkeit» und Karriere in verschiedenen deutschen Staaten sucht, müsste man wohl auf Heinrich Uhlendahl verweisen, der in der Weimarer Republik Direktor der Deutschen Bibliothek in Leipzig wurde, das die ganze Zeit des Nationalsozialismus über blieb, die Bibliothek die gesamte Zeit der US-amerikanischen und sowjetischen Besatzung von Leipzig bis weit über die Gründung der DDR hinaus leitete – und dann, mit hohen Ehren verabschiedet, in den Ruhestand ging. (Flachowsky 2018, Rau 2018)↩︎

  3. In den Heften für Büchereiwesen (unregelmässig 1920–1932), der damals zweiten reichsweit erscheinenden Fachzeitschrift für Volksbüchereien, wurde der Verein und das Thema nicht erwähnt.↩︎

  4. «Press» steht hier für Presse, Veröffentlichungen, nicht für Pressen oder Unterdrücken.↩︎

  5. Auch wenn eine ganze Anzahl der völkischen Aktiven selber als solche «Grenzgänger*innen» bezeichnet werden können, prominent Houston Stewart Chamberlain, Sohn einer britischen Adelsfamilie, aufgewachsen vor allem in Frankreich und der französischsprachigen Schweiz, aber erfolgreicher völkischer Autor in deutscher Sprache.↩︎

  6. Zudem «übersahen» solche Hierarchien oft ganze Kulturen. Beispielsweise findet sich in der hier ausgewerteten bibliothekarischen Literatur einiges zu «nordischen» beziehungsweise «skandinavischen» «Kulturvölkern», die dem deutschen Volk fast gleichwertig seien. Aber die Samen, die ja auch in weiten Teilen Skandinaviens leben, werden niemals erwähnt. Ebenso werden die innerhalb Deutschlands lebenden Sorb*innen nie thematisiert.↩︎

  7. Allerdings standen die Völkischen mit diesen Siedlungsprojekten auch nicht alleine. Vielmehr gab es Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche solcher Projekte, unter sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten. (Linse 1996)↩︎

  8. Verfolgt man dieses Denken weiter, ist klar, dass die völkische Bewegung auch antiziganistisch gerichtet war, weil sie Sinti*zze und Rom*nja wohl ebenso als «Volk ohne eigenen Boden» begriff. Allerdings scheint dieser Zusammenhang noch nicht untersucht worden zu sein.↩︎

  9. Prominentestes Beispiel für diese Verbindung aus dem Bibliotheksbereich ist Rudolf Buttmann. Buttmann baute seit 1910 die Bibliothek des Bayerischen Landtages auf, deren Direktor er war, bis er 1935 Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, München wurde. Daneben war er in verschiedenen Parteien (Nationalliberale Partei, Deutschnationale Volkspartei) aktiv, für die er auch im Bayerischen Landtag sass. Seit 1922 war er in der völkischen Bewegung aktiv, 1924 gründete er den «Völkischen Block in Bayern» mit. Solche «völkischen» Wahllisten waren teilweise Tarnlisten der (damals verbotenen) NSDAP, teilweise Versuche der völkischen Bewegung, in den Parlamenten Fuss zu fassen. Diejenige in Bayern war dabei die erfolgreichste, erlangte 17,1% der 1924 bei der Landtagswahl abgegebenen Stimmen und zog mit 23 Abgeordneten in den Landtag ein. Nachdem die NSDAP 1925 wiedergegründet wurde, trat Buttmann dieser, zusammen mit fünf anderen Abgeordneten, bei und gründete so eine NSDAP-Fraktion. Er erhielt offiziell die Parteimitgliedsnummer 4 und agierte dann während des Nationalsozialismus kontinuierlich als Reichstagsabgeordneter sowie als Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek. (Wanninger 2014)↩︎

  10. Es gab eine Anzahl von Auseinandersetzungen zwischen völkischen Organisationen und NSDAP, bei denen es aber eigentlich immer darum ging, ob und wie die jeweiligen völkischen Organisationen überleben konnten. (Puschner & Vollnhals 2012) Am Widerstand gegen den Nationalsozialismus waren völkische Organisationen offenbar nirgends beteiligt, höchstens Einzelpersonen.↩︎

  11. Vergleiche für eine solche differenzierende Position, die sich explizit von einfachen Verboten abgrenzt und gleichzeitig die Entwicklung bis zum damaligen Zeitpunkt referiert, Sielaff (1930).↩︎

  12. Büchereien verweigerten sich dabei nicht unbedingt anderen Medienformen, sondern beschäftigten sich auch damit, was deren Möglichkeiten und (angenommen) Gefahren waren. (Ackerknecht 1918, Honigheim 1923) Dies passierte parallel zur büchereipädagogischen Auseinandersetzung mit Büchern. Die Arbeit des in diesem Artikel thematisierten Vereins fokussierte aber auf Bücher und das Lesen im Allgemeinen, deshalb wird die Darstellung hier auch auf diese eingeschränkt.↩︎

  13. Es gab immer wieder indirekte Hinweise darauf, dass dies in der Praxis nicht immer so umgesetzt wurde. Ansonsten hätte es wohl nicht immer wieder neu erklärt werden müssen. Auch gibt es in der Literatur in den (seltenen) Fällen, in denen sich mit dem Büchereiwesen in anderen Ländern beschäftigt wird, Hinweise darauf, dass dort die Grundprinzipien der Büchereipädagogik nicht immer geteilt wurden. (Hansen 1914, Schriewer 1931a) Es ist nicht Fokus dieses Artikels die Entwicklung dieses Diskurses nachzuzeichnen und zu klären, wie lange er das Bibliothekswesen prägte. Festzuhalten ist aber, dass auch noch nach 1945 Grundprinzipien der Büchereipädagogik weit verbreitet waren. Sowohl die Zeitschriften der BRD als auch der DDR waren bis in die 1960er Jahre hinein geprägt von bibliothekarischen Rezensionen nach büchereipädagogischen Prinzipien.↩︎

  14. Bekannt ist zum Beispiel die Schweizerische Soldatenbibliothek, die dann nach 1918 zur Schweizerischen Volksbibliothek – der heutigen Stiftung Bibliomedia Schweiz – umgewandelt wurde. (Escher 1922)↩︎

  15. Zum Beispiel zu Marie von Ebner-Eschenbach (ohne Datum): Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte (Einer Auswahl der dann gerade verstorbenen Dichterin): «Schöne Erzählungen aus dem Volksleben. Soziales Gefühl ist mit starkem sittlichen Gehalt verbunden. Inhaltlich fesselnd.» (Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften 1917a: 19).↩︎

  16. «Deutsche Heimat in Ost und West ist in Gefahr. Alte Kultur im Westen, neues Kolonistenland im Osten soll uns entrissen werden: wertvollstes Ländergebiet, das durch deutsche Arbeit emporgehoben ist. Fremdes Wesen schleicht umher und nimmt Tausenden den Trieb zum Vaterlande. Gesinnungslosigkeit bringt Vorteil. Kein gemeinsames deutsches Lied; keine vaterländische Feierstunde; kein Regimentsmarsch einer deutschen Kapelle mehr draußen auf der Gasse. Wer da nicht fest im deutschen Heimatlande wurzelt, kommt in Gefahr. Und wir sollen tatenlos zusehen? Eins können wir tun: wir [sic!] können Bücher senden, die von deutscher Heimatseele zeugen. Im Buch haben die besten unseres Volkes ihre Gedanken und Gefühle niedergelegt. Es muß nun hinauswandern in unsere Marken als Freund und Tröster; muß Zeuge sein für deutsche Kultur, deutsches Wissen und deutsche Seele.
    Da erwächst den Volksbüchereien eine ungeheure Aufgabe. Sie sind in erster Linie dazu berufen, vertiefte Heimatkenntnis zu vermitteln; ihre Aufgabe ist bewußte Pflege der Stammeseigenart und starker stolzer Heimattreue. Wer die Heimat liebt, liebt das Vaterland. […] Will man also den Weg zum Herzen des einfachen Menschen finden, so muß man Bücher wählen, in denen die Seele der Heimat schwingt. Große Bünde sind heuer entstanden, um ein neues Wurzelfassen in heimatlichem Boden zu fördern. Unter ihren Mitteln nimmt das Buch eine bevorzugte Stelle ein.» (Winker 1920: 8f.)↩︎

  17. Die Arbeit in Oberschlesien war explizit im Rahmen der «Verdeutschungspolitik» Preussens gegenüber der polnisch sprechenden Bevölkerung in dieser Provinz eingebettet. Die Arbeit in Dänemark wurde in Deutschland als Teil einer vergleichbaren «Dänisierungspolitik» (Langfeldt 1924) interpretiert.↩︎

  18. 1938 liefert Franz Schriewer eine Monographie zu Aufgaben und Struktur der Beratungsstellen, bei ihm Volksbüchereistellen genannt, allerdings aus seiner spezifischen Perspektive und unter nationalsozialistischen Prämissen, also zum Beispiel nach dem «Führerprinzip» organisiert. Diese Schrift repräsentiert – auch im Abschnitt zur Geschichte der Beratungsstellen (Schriewer 1938: 22–38) – nicht die tatsächliche Situation während der Weimarer Republik.↩︎

  19. Auch Belgien hatte ein Bibliotheksgesetz erlassen, das von Scheffen (1928: 12) aber nur kurz – weil seiner Meinung nach noch nicht wirklich wirksam – erwähnt wird. Das polnische Büchereiwesen bewertet Scheffen ebenfalls unter völkischem Gesichtspunkt: «Das polnische Büchereiwesen ist noch unterentwickelt, aber mit starken nationalem Machtinstinkt und rücksichtlosem Willen wird hier versucht, zugleich mit der Polnisierung der dem polnischen Staat zugefallenen deutschen Minderheiten auch eine Einwirkung auf politisch deutsch gebliebenes Gebiet zu erzielen. Die slawischen Dialekte der oberschlesischen und kaschubischen Bevölkerung wie auch die sprachlich nicht deutschen Masuren gaben den Polen den Vorwand zu dem Versuch, hier innerhalb unserer jetzigen deutschen Reichsgrenzen völkisch-politischen Einfluß zu gewinnen.» (Scheffen 1928a: 12)↩︎

  20. Ob sich dies dann auch in der realen Büchereiarbeit niederschlug, ist eine offene Frage. Barbian (2010) zeigt, dass die reale Bücherei- und Literaturpolitik, wie andere Bereiche des nationalsozialistischen Staates auch, von ständigen Machtkämpfen zwischen verschiedenen Einrichtungen mit jeweils umfassenden Machtanspruch gekennzeichnet waren, die zu widersprüchlichen Realitäten in der Praxis führten. Insoweit ist das auch hier zu vermuten.↩︎

  21. Ein Beispiel: «Der Nachmittag gehört dem Kreise Groß-Wartenberg, wo Kreissparkassendirektor Kellner uns die Grenze entlangführt. Hier tritt ein wenig bekanntes und doch besonders großes Unrecht von Versailles in die [sic!] Erscheinung: ohne Abstimmung, ohne irgend eine historische Grundlage, hat man hier 90 Gemeinden und Güter mit über 26 000 Menschen und 51 000 Hektar Land an Polen gegeben. […] Die Barriere mitten über die Landstraße, der wir noch auf mehrere Meter fernbleiben müssen, zeigt uns die ganze Sinnlosigkeit dieser Landzerreißung.
    Was ist der tiefere Grund? Auch Herr von Heinersdorf, der alteingesessene Landrat des Kreises, der die ganzen Kampfjahre miterlebt hat, kann ihn uns nicht nennen. Sind auch seit der Jahrhundertwende gelegentlich einige polnische Ansprüche erhoben worden, so hat man doch [vor 1921] nicht einmal daran gedacht, einen polnischen Zählkandidaten aufzustellen. Wirtschaftliche Vorteile hat der neue Landbesitz Polen nicht gebracht, die Verwaltung dieses dünnbesiedelten Agrarlandes ist teuer, der Weg zu nächsten Kreisstadt Ostrovo 35 Kilometer weit, also praktisch zum Absatz unbenutzbar. Auch strategisch hat das Gebiet keine Bedeutung, es bleibt als einzige Lösung die mechanische Zugrundelegung der gefälschte Spettschen Nationalitäten-Karte, die bei so mancher Entscheidung von Versailles für den Osten eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat.» (Scheffen-Döring 1935: 20–21)
    Die Autorin dieser Zeilen verschweigt die, teilweise bewaffneten und sehr wohl bekannten, Auseinandersetzungen zwischen Polen und Deutschland kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs (zumeist erster, zweiter und dritter polnischer Aufstand genannt) sowie die Ergebnisse einer Volksabstimmung, die zur Teilung der ehemaligen Provinz Oberschlesien führten. Da diese Auseinandersetzungen, insbesondere die «Schlacht am Annaberg» im Mai 1921, zu den ständig wiederholten Geschichten der völkischen Bewegung gehörten, kann man davon ausgehen, dass das nicht unabsichtlich geschah. (Siehe auch die Berichte aus allen «deutschen» Volksbüchereien, die nach diesem dritten polnischen Aufstand in der Zeitschrift Die Volksbücherei in Oberschlesien publiziert wurden und teilweise von Schliessungen oder Zerstörungen in den Büchereien berichteten. (Verband oberschlesischer Volksbüchereien E.V. 1921))↩︎

  22. Obgleich viele von ihnen selber erst wenige Jahrzehnte vor oder bei der Reichsgründung 1871 durch Kriege Teil deutscher Staaten geworden waren (Elsass-Lothringen, Schleswig).↩︎

  23. Nicht explizit thematisiert wurde hier im Text, dass in der Grenzbüchereiarbeit auch explizit gegen «zu viele» Übersetzungen aus anderen Kulturen argumentiert wurde. (Vergleiche Schmitz 1928) In Besprechungen wurde aber zum Beispiel immer wieder auch abgewogen, ob bestimmte übersetzte Texte überhaupt in Büchereien «eingesetzt» werden sollten oder , ob sie vielleicht nur für Grossstadtbüchereien geeignet wären, nicht aber für völkisch homogener gedachte Dörfer.↩︎

  24. Es folgen noch eine Reihe von anderen internationalen Aufnahmen, inklusive dem Wort «Zigeunerkapelle», bevor Ackerknecht dann zum eigentlichen Thema des Artikels übergeht.↩︎

  25. Es wäre eine interessante Fragestellung, ob sich zum Beispiel im polnischen Öffentlichen Bibliothekswesen heute noch Strukturen finden, die damals aufgebaut wurden. Aber das ist nicht im Fokus dieses Artikels.↩︎

  26. Eine weitere offene Frage ist, ob und wie dies in den anderen Ländern passierte. Vom Verein und anderen Aktiven im deutschen Volksbüchereiwesen wurde kontinuierlich unterstellt, dass die anderen Staaten ihr Büchereiwesen mit den gleichen Zielen einsetzen würden, wie dies vom Verein angedacht wurde. Interessant wäre zu untersuchen, ob dies stimmt oder ob in anderen Ländern andere Ziele vorherrschten.↩︎


Karsten Schuldt, Dr. Wissenschaftlicher Projektleiter am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, FH Graubünden. Redakteur der LIBREAS. Library Ideas.