Vorbemerkung
Um das Jahr 2000 herum wurde in der internationalen Community der theoretischen Informatik mehr und mehr Unzufriedenheit über den enormen Preisanstieg für wissenschaftliche Zeitschriften laut. Mehr und mehr Bibliotheken waren durch die Preispolitik kommerzieller internationaler Verlage gezwungen, Abonnements zu kündigen oder eigentlich unerwünschte Pakete von Zeitschriften zu ordern. Damit verlor das Publizieren in Zeitschriften, mit seinem Zweck einer freien weltweiten Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse, zunehmend an Wirkung; die hohen Paywalls
behinderten den wissenschaftlichen Austausch. Es formte sich langsam der Gedanke, Zeitschriften nach einem neuen Modell zu etablieren, das man wissenschaftsgesteuert
nennen konnte und deren normalerweise digitaler Bezug nur geringe oder gar keine (jedenfalls angemessene) Kosten verursachen sollte. Zum Beispiel verließ im Jahre 2004 das Editorial Board der international führenden Zeitschrift Journal of Algorithms nahezu geschlossen den Verlag Elsevier und gründete in der amerikanischen Association of Computing Machinery (ACM) die neue Zeitschrift Transactions of Algorithms. In einem komplementären Zweig der theoretischen Informatik, in welchem Methoden der Logik, der Programmierung und der Verifikation von Programmen im Vordergrund stehen, wurde zur gleichen Zeit eine völlig neue Zeitschrift aus der Taufe gehoben: Logical Methods of Computer Science (LMCS), https://lmcs.episciences.org/. Sie ist eine Diamond Open Access Zeitschrift, die durch einen gemeinnützigen Verein, ansässig in Deutschland, getragen wird und die seit ihrer Gründung im Jahre 2004 inzwischen eine international führende Position erreicht hat.
Im vorliegenden Bericht zeichnen wir nach, wie diese Erfolgsgeschichte von LMCS möglich wurde, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren und welche Perspektiven (auch für ähnliche Vorhaben in anderen Wissenschaftsfeldern) wir sehen.
Vor der Gründung der Zeitschrift
Die Diskussionen im Vorfeld der Gründung von LMCS erstreckten sich über einige Jahre. Man kann drei Aspekte herausheben, die entscheidend für den späteren Erfolg waren:
- Der allgemeine Wunsch der wissenschaftlichen Community, dass die damals aktuelle Situation hinsichtlich Publikationen in Zeitschriften so nicht weiterbestehen sollte,
- eine Person mit Initiative, großer Entschlusskraft, Begeisterung und Hartnäckigkeit, die gemeinsam mit einem kleinen Team als tragende Säule fungierte, mit bescheidener aber eben hinreichender technischer Infrastruktur,
- die Gewinnung von international renommierten und maßstabsetzenden Personen als Gründungs-Board und die Etablierung eines exzellenten ersten Editorial Board.
Der erstgenannte Punkt war leicht zu erkennen. Man musste nur in den Kaffeepausen damals stattfindender wissenschaftlicher Konferenzen herumhören, um die Unzufriedenheit mit den Effekten wahrzunehmen, welche die Kommerzialisierung und Konzentration der global agierenden Wissenschaftsverlage mit sich brachten.
Entscheidender war, dass es einen energischen Initiator gab: Professor Jiří Adámek, Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Informatik an der Technischen Universität Braunschweig. Mit seinem Team, das auf den einschlägigen Konferenzen für LMCS Werbung machte, schulterte er die enormen Aufgaben, die nicht zuletzt auf technischer Ebene in den ersten Jahren anstanden.
Schließlich galt es, führende, international hochangesehene Persönlichkeiten im Feld Logic in Computer Science
für das Projekt zu gewinnen. Es gelang, das Gründungs-Board mit Dana S. Scott (USA), Moshe Vardi (USA), Gordon Plotkin (Großbritannien) neben Jiří Adámek (Deutschland) zu besetzen. Das war ein wichtiger Schritt, denn diese konnten durch ihre Empfehlungen und Kontakte ein erstes Editorial Board von LMCS zusammenstellen, das die Community sofort als exzellente Adresse
akzeptierte. Diese Anfangsreputation (auch dokumentiert durch konsequente Ablehnung mittelmäßiger Arbeiten) war die Grundlage für den hohen Anspruch an wissenschaftliche Qualität, den LMCS von Beginn an vertrat und der dann auch die internationale Attraktivität von LMCS begründete.
Die Anfangsphase
Beginnend mit dem 2. Quartal 2005 erschien LMCS zunächst mit 16 Artikeln und eines Special Issue.
Die Prominenz des ersten Editorial Boards und der ersten Autor/inn/en war aber nur eine Ebene von LMCS. Ein anderer Aspekt betraf die Herausbildung einer funktionsfähigen technischen Infrastruktur. Von Beginn an wurde LMCS als Overlay von arXiv.org konzipiert, also auf Basis des Publikationsservers ArXiv der Cornell University und wie eine klassische Zeitschrift mit Volumes
und Issues
organisiert, um auch durch die Zitationen die Akzeptanz bei der Community zu erreichen. Vor der eigentlichen Publikation stand aber als kritische Hürde die Organisation des Prozesses der Begutachtung (Reviewing). Dieser Prozess verlangt die Koordination des Zusammenwirkens von Autor/inn/en, jeweils mindestens eines Mitglieds des Editorial Board (in Konfliktfällen inklusive Editor-in-Chief), außerdem zweier oder mehr mit der Begutachtung befasster Personen, die alle eine gemeinsame technische Plattform brauchen. Dabei geht es nicht nur um den Austausch von Manuskripten und Gutachten, sondern auch um Mahnungen, Begleitkorrespondenz und dergleichen. Anfangs wurde eine Onlineplattform basierend auf dem Open Journal System (OJS) von 2004 beim Lehrstuhl von Jiří Adámek (unter anderem mit eigenem Peer-Review-System, Unterstützung von Special Issues) um- und weiterentwickelt. In den Anfangsjahren war die Arbeit an dieser Plattform eine große Herausforderung. Das Team von Jiří Adámek verbrachte zahllose Stunden (auch schlaflose Nächte) mit dieser Aktivität. Nicht zuletzt musste trotz strenger Auflagen, welche die Autor/inn/en bei der Formatierung von Artikeln in LaTeX zu beachten hatten, das finale Layouting durch Mitarbeitende am Lehrstuhl Adámek erfolgen.
Dennoch: Das stetig wachsende Renommé von LMCS gab allen Beteiligten die Zuversicht, dass hier etwas mit einem über den Tag hinaus einen bleibenden Wert entstand.
Eine wesentliche Komponente der Akzeptanz von LMCS waren die Special Issues. Ein Special Issue besteht aus einer Auswahl von Arbeiten, die bei einer internationalen Konferenz mit sehr guter Bewertung akzeptiert wurden, dann von den Autor/inn/en erweitert und vervollständigt einem gründlichen zweiten Reviewing unterzogen werden sowie nach erneuter Annahme als Zeitschriftenartikel publiziert werden. Die Herausgabe eines Special Issue wird meistens durch die Programmkomiteevorsitzenden der jeweiligen Konferenz übernommen – gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit einem regulären Mitglied des Editorial Boards der Zeitschrift. Dieses Modell der Veröffentlichung von erweiterten Versionen ausgewählter Konferenzartikel in einer Zeitschrift ist der Standard innerhalb der Informatik. Eine Einladung zu einem Special Issue gilt bei Autor/inn/en als sehr prestigeträchtig.
In 2005 wurde für das erste Special Issue von LMCS die Konferenz Logic in Computer Science (LICS) gewonnen, die führende Konferenz in diesem Forschungsfeld. Nachdem die ersten Special Issues erfolgreich veröffentlicht worden waren, wurde klar, dass sie für die Zeitschrift ein großer Gewinn sein würden – aber auch zusätzlichen Aufwand bedeuteten. Daher wurde ab 2007 die Funktion Special-Issue-Editor
geschaffen, die von Benjamin Pierce sehr engagiert ausgefüllt wurde. Für die Zeitschrift bringen die Special Issues die besten Artikel ein, was insbesondere auch durch die Vorauswahl durch das Programmkomitee einer kompetitiven Konferenz bedingt ist. Allerdings besteht hier auch die Gefahr der Verwässerung der hohen Qualität der Zeitschrift, denn es gibt neben den großen führenden Konferenzen noch viele weitere und zudem noch kleine beziehungsweise spezialisierte Workshops, die auch gern erweiterte Versionen von Artikeln in einer Zeitschrift unterbringen. Hier war es für die Erhaltung der hohen Reputation der Zeitschrift wichtig, Grenzen zu setzen. Bei LMCS führte das ziemlich schnell zu der Regel, Special Issues nur von größeren kompetitiven Konferenzen anzunehmen und Workshops prinzipiell auszuschließen. Die Rolle des Special-Issue-Editors und des Boards bei der Auswahl von Konferenzen und Special Issues ist daher ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor für die Zeitschrift. Nachdem Benjamin Pierce 2014 von dieser Rolle zurückgetreten war, wurde sie bis 2019 von Stefan Milius und seitdem durch zwei Personen, Brigitte Pientka und Fabio Zanasi, ausgefüllt.
Technisch wurden die Special Issues als Overlay über die regulären Issues realisiert. Das bedeutet, dass jeder in einem Special Issue eingereichte Artikel sofort nach Akzeptanz zunächst in dem dann laufenden regulären Volume und Issue erscheint und somit nicht auf die anderen Artikel des Special Issues warten muss. Nach Abschluss des Peer-Review-Prozesses für alle Einreichungen eines Special Issues erscheint dieses dann auf einer speziellen Webseite, die alle enthaltenen Artikel verlinkt und an dieser Stelle zusammenbindet.
Konsolidierung und Schritte der Institutionalisierung
Nach der Phase der Etablierung von LMCS und der Akzeptanz als hochqualitative Zeitschrift durch die Community stellten sich im Laufe der Jahre eine Reihe von Herausforderungen.
Ein wichtiger Punkt war die Indexierung der Zeitschrift. Dass die Zeitschrift in die Indizierungsdienste DBLP1, DOAJ2, Mathematical Reviews und dem Zentralblatt Math3 aufgenommen wurde, war verhältnismäßig einfach zu erreichen. Schwieriger gestaltete sich die Aufnahme in das Web of Science oder Scopus. Hier ist zunächst anzumerken, dass für die Aufnahme einer Zeitschrift in diese Datenbanken mindestens fünf Jahre an Veröffentlichungshistorie vorliegen müssen. Eine Aufnahme kam für LMCS daher frühestens ab 2009 in Frage. Das Problem hierbei ist nun, dass es für einen Großteil der Autor/inn/en, zum Beispiel in den südeuropäischen Staaten, bei der Beantragung von Forschungsgeldern wichtig ist, ihre vorherigen Veröffentlichungen möglichst in Zeitschriften und Konferenzen mit hohem Impact-Faktor im Web of Science untergebracht zu haben. Diese Autor/inn/en stehen daher gezwungenermaßen der Einreichung ihrer Arbeiten bei noch jungen Zeitschriften kritisch gegenüber oder sehen ganz davon ab. LMCS schaffte es im Jahr 2010, sowohl im Web of Science als auch Scopus aufgenommen zu werden. Allerdings wurde der damalige Auswahlprozess von den Verantwortlichen der Zeitschrift als intransparent empfunden. Weder waren die Kriterien, nach denen eine Auswahl erfolgte, klar, noch wer an der Entscheidung beteiligt war. In der Tat wurde die Aufnahme von LMCS ohne Angabe von Gründen zunächst abgelehnt. Die Aufnahme erfolgte schließlich bei einer erneuten Bewerbung ein Jahr später.
Aus unserer Sicht ist nicht hinnehmbar, dass für wissenschaftsgetriebene Diamant Open Access Zeitschriften eine Aufnahme in Indexierungsdienste kommerzieller Verlage von intransparenten Prozessen abhängt. Es ist dringend anzuraten, dass die Politik in den entsprechenden Ländern hier umsteuert und bei der Bewertung von Wissenschaftler/inne/n (etwa für die Vergabe von Forschungsgeldern) nur Indexierungsdienste berücksichtigt, die transparente, wissenschaftsgesteuerte Verfahren anwenden.
Eine weitere wichtige Herausforderung war, dass mit dem Ruhestand des Zeitschriftgründers Professor Adámek der Weiterbetrieb der Zeitschrift in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre konkret gefährdet war. Die Webseite der Zeitschrift und damit sie selbst – als eine reine Online-Zeitschrift – lag auf den Servern an seinem Lehrstuhl, wo auch das Peer-Review-System lief. Dieses beruhte zwar auf der Standardsoftware OJS, war aber im Laufe der Jahre durch einen Entwickler am Lehrstuhl immer weiter entwickelt worden und am Ende nur noch durch diese eine Person wartbar. Wie bereits erwähnt, erfolgte auch das Layouting der akzeptierten Artikel durch einen Mitarbeiter des Lehrstuhls. Zuletzt existierten noch einige bescheidene finanzielle Mittel, die der Zeitschrift im Laufe der Jahre dankenswerterweise durch eine größere Forschungseinrichtung und zwei Organisationen gespendet worden waren: dem Centrum Wiskunde & Informatica (CWI) Amsterdam, dem Verein, der die European Joint Conferences on Theory and Practice of Software (ETAPS) trägt, und der European Association for Theoretical Computer Science (EATCS). Diese Mittel wurden am Lehrstuhl verwaltet.
Um der Gefahr des Wegbrechens der gesamten technischen Infrastruktur der Zeitschrift sowie aller finanziellen Mittel zu entgehen, wurde 2014 als erster Schritt ein gemeinnütziger Verein gegründet, dessen Mitglieder die Mitglieder des damaligen Governing Boards der Zeitschrift waren. Dieses war schon einige Jahre zuvor um vier weitere Personen erweitert worden: Luca Aceto (Island), Rajeev Alur (USA), Prakash Panangaden (Kanada) und Wolfgang Thomas (Deutschland). Der Verein konnte zunächst die finanziellen Mittel der Zeitschrift aufnehmen und als juristische Person auch als Herausgeber der Zeitschrift fungieren. Zudem trat mit Professor Lars Birkedal in 2014 ein neuer Editor-in-Chief (EiC) auf den Plan, wobei gleichzeitig die Rolle des EiC reguliert wurde. Das Amt des EiCs ist seitdem auf höchstens sechs Jahre begrenzt, und er/sie wird für jeweils drei Jahre von den Mitgliedern des Governing Boards gewählt. Diese Begrenzung hat mehrere Vorteile. Zum einen ist es praktisch unmöglich, jemanden für diese ehrenamtliche und recht arbeitsintensive Aufgabe zu gewinnen, wenn die zeitliche Perspektive potentiell das gesamte weitere Berufsleben umfasst. Zum anderen ist es auch für die Zeitschrift wichtig, dass das verantwortliche Personal rotiert. (Dies steht im Kontrast zu Zeitschriften kommerzieller Verlage, bei denen die EiCs mit guten Gehältern bezahlt werden und – wie viele Beispiele zeigen – jahrzehntelang im Amt verbleiben.)
Das Ziel muss sein, dass die Zeitschrift als Community Effort
von eben dieser wissenschaftlichen Gemeinschaft verstanden wird und nicht als Projekt weniger Enthusiasten. Gleichzeitig muss aber auch eine strenge Qualitätskontrolle bei Nachbesetzungen des EiCs und im Editorial Board aufrecht erhalten werden. In diesem Sinne ist auch die Umstrukturierung des Governing Boards in 2022 zu verstehen, die auf Initiative des aktuellen EiC Stefan Milius, der seit 2020 im Amt ist, zurückgeht. Heutzutage besteht das Governing Board der Zeitschrift aus 21 Mitgliedern. Gut die Hälfte repräsentieren derzeit Steuerungskomitees führender Konferenzen, die den Themenkreis der Zeitschrift berühren und mehr oder weniger oft ihre Special Issues in ihr publizieren. Daneben sind auch die vorherigen und aktuellen Managing Editoren (EiC und Special Issue-Editoren) sowie die ursprünglichen Governing Board-Mitglieder mit von der Partie, die aber im Laufe der nächsten Jahre nach einem vereinbarten Schema schrittweise zurücktreten werden. Auf diese Weise wird ein gewisser Ausgleich zwischen institutionellem Langzeitgedächtnis und gleichzeitiger Erneuerung geschaffen. Wichtig ist dabei insbesondere, dass die Mitgliedschaften und ihre Länge im Governing Board nunmehr reguliert und die Regeln auch schriftlich niedergelegt sind. Dies war aus unserer Sicht ein weiterer wichtiger Schritt zur Professionalisierung der Zeitschrift. Diese Schritte der Erweiterung und Erneuerung waren für die festere Verankerung in der Community sehr wichtig.
Das zuvor erwähnte drohende Wegbrechen der technischen Infrastruktur war Mitte der 2010er Jahre allerdings das drängendste Problem, und entsprechend musste es während Lars Birkedals erster Amtszeit als EiC auch prioritär angegangen werden. Für eine Weile bestand der Plan, dass die Zeitschrift zukünftig vom Leibniz-Zentrum für Informatik in Dagstuhl gehostet wird. Dort werden seit 2008 sehr erfolgreich die Leibniz International Proceedings in Informatics (LIPIcs) herausgegeben – eine Reihe, die Proceedings ausgewählter führender Konferenzen in der Informatik publiziert.4 Dagstuhl stellt hier die gesamte Publikationsinfrastruktur basierend auf OJS zur Verfügung inklusive eines hervorragenden technischen Supports. Allerdings ist die Reihe nicht Diamond Open Access – es gibt bei den LIPIcs Autorengebühren, die mit weniger als Hundert Euro pro Artikel zugegebenermaßen relativ gering sind. Für Konferenzen stellt dies daher kein allzu großes Problem dar, da diese Autorengebühren relativ leicht in den Teilnahmegebühren der Konferenz verschwinden. Für eine Zeitschrift sieht dies aber anders aus, da hier die Autorengebühren auch wirklich von den Autor/inn/en übernommen werden müssten. Im LMCS Governing Board gab es daher große Bedenken, ob eine Migration nach Dagstuhl und die damit einhergehende Einführung von Autorengebühren – wie vernünftig und niedrig sie im Vergleich zu denen von bekannten kommerziellen Verlagen auch sein mochten – nicht Autor/inn/en in großer Zahl der Zeitschrift entfremden würde. Es war und ist innerhalb der Theoretischen Informatik nach wie vor unüblich und bei Autor/inn/en wenig akzeptiert, Autorengebühren zu entrichten. Hinzu kommt, dass es für etliche Autor/inn/en keine Unterstützung für Autorengebühren durch ihre Institutionen gibt.
Glücklicherweise ergab sich, vermittelt durch Professor Claude Kirchner, dem Direktor für Wissenschaft und Technik des Institut National de Recherche en Informatique et en Automatique (INRIA) in Frankreich, eine Alternative – die Episciences-Platform. Jene Plattform für Diamond Open Access Zeitschriften wurde in Frankreich seit den frühen 2010er Jahren entwickelt. Dies geschah analog wie bei LMCS auf Initiative einzelner Persönlichkeiten. Aber anders als LMCS wurde Episciences gleich zu Beginn an großen zentralistisch organisierten Institutionen angelegt, nämlich dem Centre pour la Communication Scientifique Directe (CCSD) und dem INRIA. Für LMCS ergab sich damit ein Angebot, das sowohl das Hosting der Zeitschrift als auch personelle Ressourcen für Systementwicklung und technischen Support umfasst. Dies ermöglichte es LMCS, das Diamond Open Access Modell ohne die Erhebung von Autorengebühren aufrecht zu erhalten, als die Zeitschrift dann in 2016 zu Episciences umzog. Natürlich war die Migration vom alten OJS-System am Braunschweiger Lehrstuhl nach Episciences aufwändig. In Episciences musste beispielsweise erst die Möglichkeit von Special Issues geschaffen werden. Die Mitarbeitenden bei Episciences, die der Zeitschrift die Registrierung der Digital Object Identifier (DOI) der Artikel abnahmen, mussten sich erst entsprechende technische Unterstützung schaffen. Das Peer-Review-System hatte etliche Schwachstellen, die erst im Laufe der Jahre verbessert wurden und teilweise immer noch werden. Wir müssen hier aber betonen, dass es trotz aller (anfänglichen) Schwierigkeiten mit Episciences dort immer ein offenes Ohr für unsere Vorschläge gibt und im Rahmen der auch dort begrenzten Ressourcen immer versucht wird, zeitnah eine Lösung zu finden und das System zu verbessern und weiterzuentwickeln.
Mit der Migration zu Episciences ergab sich auch eine kleine, aber wichtige Änderung beim Overlay-Konzept beziehungsweise dem Zusammenwirken von LMCS und arXiv. Vor der Migration war es für die Autor/inn/en erst nach der Akzeptanz eines eingereichten Artikels verpflichtend, diesen auch bei arXiv zu veröffentlichen. Bei Episciences ist es aber Teil des Konzeptes, dass dies vor Einreichung passiert und somit alle Versionen eines Artikels, die während der Begutachtung entstehen, auch öffentlich sichtbar werden und somit der Prozess mehr Transparenz gewinnt. Zudem ist damit die Hoffnung verbunden, dass bereits die eingereichten Artikel eine noch höhere Qualität aufweisen. Bei LMCS hatten die Gründer allerdings bewusst entschieden, nur die finale akzeptierte Version auf arXiv und dann in der Zeitschrift zu veröffentlichen, ganz so wie es auch bei den klassischen gedruckten Zeitschriften der Fall ist. In der Tat gab es in Folge der Migration zu Episciences einige wenige Male den Wunsch von Autor/inn/en, dass nur die finale akzeptierte Version auf arXiv veröffentlicht würde. Im Laufe der Jahre wurde dieser Wunsch allerdings immer seltener; er wurde nun schon seit einiger Zeit nicht mehr geäußert. Das hat sicher auch damit zu tun, dass es sich in der Community, gerade bei jüngeren Autor/inn/en, weitgehend durchgesetzt hat, Preprints zügig nach ihrer Fertigstellung sowieso bei einem öffentlichen Repository wie arXiv einzustellen.
Ein weiterer, für die Zeitschrift sehr wichtiger, Punkt ist das Layouting. In der theoretischen Informatik liefern Autor/inn/en ihre Artikel am Ende des Peer-Review-Prozesses im Grunde druckreif in LaTeX im Journal-Stil gesetzt ab. Das Layouting besteht dann lediglich aus einer Kontrolle des Schriftsatzes und der Einhaltung des Zeitschriftenstils sowie darin, Metadaten wie Volume/Issue Nummer und DOI einzupflegen und dann die Endversion eines Artikels nach Genehmigung durch die Autor/inn/en in der Zeitschrift zu veröffentlichen. Während diese Aufgabe bis 2016 durch einen Mitarbeiter im Team von Jiří Adámek mit Unterstützung durch das damalige OJS-basierte System geschah, mussten ab dem Zeitpunkt der Migration Freiwillige gefunden werden, die diese Aufgabe ehrenamtlich übernahmen. Zudem bestand zunächst gar kein und auch später kein hundertprozentig passender Support für das Layouting durch die Episciences-Plattform. Die Aufgabe wurde dann letztlich von einigen Doktoranden und jungen PostDocs übernommen, die mit viel Enthusiasmus für die Sache des Diamond Open Access der Zeitschrift zu Hilfe kamen, und das, obwohl ein Posten als Layout-Editor einen bei weitem nicht so prestigeträchtigen Punkt für einen akademischen Lebenslauf darstellt wie beispielsweise die Mitgliedschaft im Editorial Board einer Zeitschrift. Die Layout-Editoren haben im Laufe der Jahre ihre Aufgaben durch eine Reihe von selbst entwickelten Softwarewerkzeugen partiell automatisiert. Zuletzt haben fünf freiwillige Layout-Editoren bei LMCS geholfen, bis diese vor kurzem ein wenig durch die Einstellung einer studentischen Hilfskraft entlastet werden konnten. Die Hilfskraft wird momentan durch Mittel des Lehrstuhls, an dem der jetzige EiC beschäftigt ist, finanziert. In unseren Augen ist es eine für unser Wissenschaftssystem beschämende Tatsache, dass derartige kleine (man mag auch sagen: lächerliche) Summen für die Infrastruktur wertvoller wissenschaftlicher Aktivitäten bisher nicht angemessen und nachhaltig finanziert werden können.
Lessons learned, die aktuelle Situation und Herausforderungen
Insgesamt ist die Entwicklung von LMCS bis hierher eine Erfolgsgeschichte. Die Zeitschrift veröffentlicht aktuell zwischen 100 und 120 Artikel im Jahr, ist damit bei weitem die größte Zeitschrift bei Episciences und eine der international führenden im Bereich ihres Themenspektrums. Dies wurde durch mehrere Faktoren möglich: Zunächst durch das Engagement einer kleinen Gruppe von anfänglichen Gründern sowie die Tatsache, dass in einer Zeit, als es praktisch noch keine sonstigen Finanzierungsmöglichkeiten für Diamond Open Access gab, ein deutscher Lehrstuhlinhaber seine Ressourcen dafür geopfert hat. Ganz wesentlich war aber auch das konstante Hochhalten der wissenschaftlichen Qualität auf allen Ebenen, besonders bei der Auswahl der Mitglieder des Editorial Boards und bei der Begutachtung der eingereichten Arbeiten. In diesem Sinne erwies sich für LMCS die Veröffentlichung der Special Issues von führenden Konferenzen des Fachgebietes als wichtiges, wenn nicht das wichtigste Zugpferd. Dies ist aber ein sehr fachspezifisches Phänomen, das es so in anderen Wissenschaftsgebieten und selbst in benachbarten Gebieten wie der Mathematik unseres Erachtens nicht gibt.
Technisch ist es heutzutage viel einfacher als im Jahr 2004, eine wissenschaftsgetriebene Zeitschrift aus der Taufe zu heben. In der theoretischen Informatik ist dies kürzlich wieder durch die Gründung der Zeitschrift TheoretiCS, https://theoretics.episciences.org/, geschehen. Deren Themenspektrum ist breiter als das von LMCS und umfasst die gesamte theoretische Informatik, also auch Algorithmik, Komplexitätstheorie und so weiter. Hier findet nun auch eine gegenseitige Befruchtung statt. Einerseits hat TheoretiCS von den Erfahrungen, die wir mit LMCS gemacht haben (zum Beispiel mit Episciences, der Vereinsgründung, mit der Indexierung) bei der Gründung sehr profitiert. Andererseits gibt es Aspekte bei TheoretiCS, die auf LMCS zurückwirken, wie zum Beispiel die neue Zusammensetzung des Governing Boards. TheoretiCS probiert auch einige ganz neue Ideen aus, beispielsweise einen neuartigen zweistufigen Peer-Review-Prozess, und weicht somit von den klassischen der Community bekannten Prozessen der traditionellen Zeitschriften ab. Diese Möglichkeiten sind sicher auch auf die Pionierarbeit von LMCS zurückzuführen, nach der in der Community die Existenz wissenschaftsgetriebener reiner Onlinezeitschriften nun ein Stück Normalität geworden ist.
Die Entwicklung von LMCS zeigt, dass zentrale Publikationsinfrastrukturen wie Episciences oder die Infrastruktur in Dagstuhl (wenn es auch nicht Diamond Open Access ist) einen Schlüsselfaktor für wissenschaftsgetriebene Zeitschriften darstellen. Eine Open Source-Software wie OJS ist ein guter Startpunkt – aber keineswegs hinreichend. Darüberhinaus werden Server für das Hosting und das Personal für die Weiterentwicklung, Pflege und Wartung der laufenden Zeitschriften-Plattform und der Support für die Autor/inn/en, Mitglieder des Editorial Boards und Begutachtende benötigt. Eine einzelne wissenschaftsgetriebene Diamond Open Access Zeitschrift kann eine solche Infrastruktur nicht aus eigener Kraft bereitstellen. Solche Infrastrukturen müssen daher den wissenschaftlichen Communities zur Verfügung gestellt werden. Frankreich versucht genau dies mit Episciences und neueren Initiativen (weiter) zu entwickeln; dieses Beispiel sollte Schule machen. Die Verantwortlichen sollten sich dabei nicht aufgrund von Lobbyarbeit der kommerziellen Verlage dazu bringen lassen, Autorengebühren zu erheben. Wir sehen es als Aufgabe der Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft an, Hemmnisse, die an die Privilegien mittelalterlicher Zünfte erinnern, entschlossen zu überwinden (zügiger als nur in Jahrhunderten!) und wissenschaftsgesteuerte Publikationsplattformen, die nebenbei auch finanziell hocheffizient sind, ohne Einschränkung zu unterstützen.
Ein Thema, das gerade auch aktuell mehr in den Fokus rückt, ist die konsortiale Finanzierung von wissenschaftsgetriebenen Diamond Open Access Zeitschriften, ein hochwillkommener Schritt in Richtung einer Unterstützung aus öffentlichen Mitteln für LMCS, die bis vor kurzem praktisch unmöglich war. In den 2010er Jahren gab es zwar ein DFG-Programm zur Förderung von wissenschaftlichen Zeitschriften, aber eine Finanzierung daraus war nur als Anschubfinanzierung und lediglich temporär möglich. Für eine bereits etablierte Zeitschrift wie LMCS war dies kaum von Interesse, ganz abgesehen vom zusätzlichen Aufwand für die Verantwortlichen der Zeitschrift für einen entsprechenden Projektantrag. Die Open Access Unterstützung durch die Bibliotheken hat sich (nach unserer Wahrnehmung) ebenfalls bis vor Kurzem fast ausschließlich darauf konzentriert, Autorengebühren zu finanzieren. Eine Diamond Open Access Zeitschrift wie LMCS wurde selbst von den Universitäten der für die Zeitschrift verantwortlichen Wissenschaftler/innen nicht unterstützt.
Eine spürbare Abhilfe für dieses Problem versprechen aktuelle Initiativen wie das KOALA-Projekt der TIB Hannover (https://projects.tib.eu/koala/), das Zeitschriften auf der einen Seite und Geldgeber wie Universitätsbibliotheken auf der anderen Seite im Rahmen einer konsortialen Finanzierung zusammenführt. LMCS nimmt zusammen mit sechs weiteren Zeitschriften im Bereich Mathematik und Informatik an der aktuellen KOALA-Finanzierungsrunde teil. Die nun mögliche Finanzierung von einigen studentischen Hilfskräften für das Layouting ist eine große Erleichterung und wird die aktuell ehrenamtlich tätigen Layout-Editoren erheblich entlasten. Neben den vom französischen Staat für Entwicklung und Betrieb von Episciences getragenen Kosten sind dann im Wesentlichen alle mit der Herausgabe der Zeitschrift verbundenen Kosten gedeckt, da Editor/inn/en und Gutachter/innen in der theoretischen Informatik traditionell ehrenamtlich arbeiten. Freilich ist KOALA ein für drei Jahre konzipiertes Projekt und noch keine Dauerlösung. Eine nachhaltige Finanzierung von LMCS ist nach wie vor offen.
Es bleibt sicher spannend, wohin die Reise von LMCS in der Zukunft geht. Momentan scheint vieles in Bewegung zu geraten. Neue Publikationsformen entstehen, wie beispielsweise die Peer Communities In (https://peercommunityin.org/), oder es werden neue Ideen wie Open Peer Review ausprobiert. Wichtig sind politische Entscheidungen, die Diamond Open Access Publizieren unterstützen und sicherstellen, dass wissenschaftliches Publizieren auch wissenschaftsgesteuert erfolgt.
Das Digital Bibliography & Library Project (DBLP, https://dblp.org/) ist eine Onlinebibliografie wissenschaftlicher Publikationen (hauptsächlich Konferenz- und Journalbeiträge) aus der Informatik. DBLP wird betrieben vom Schloss Dagstuhl – Leibniz-Zentrum für Informatik.↩︎
Das Directory of Open Access Journals (DOAJ, https://www.doaj.org/) ist das international wichtigste Verzeichnis für wissenschaftliche, qualitätsgesicherte Open-Access-Zeitschriften. Das DOAJ wird betrieben von der Non-Profit-Organisation IS4OA.↩︎
Mathematical Reviews und das Zentralblatt für Mathematik (heute nur kurz zbMATH) sind Referatorgane auf dem Gebiet der Mathematik. Die Mathematical Reviews werden von der American Mathematical Society herausgegeben (Online-Zugang kostenpflichtig https://mathscinet.ams.org/), zbMATH wird von der European Mathematical Society, dem Fachinformationszentrum Karlsruhe und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegeben (kostenfreier Zugang https://zbmath.org/).↩︎
Vergleiche M. Herbstritt, W. Thomas, LIPIcs – an Open Access Series for International Conference Proceedings, in: ERCIM News No. 107, Sept 2016, https://ercim-news.ercim.eu/en107/r-s/lipics-an-open-access-series-for-international-conference-proceedings.↩︎
Stefan Milius (Orcid: 0000-0002-2021-1644) ist Professor für Theoretische Informatik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich Semantik von rekursiven Prozessen und Systemen, Logik in der Informatik und Automatentheorie. Bei der Diamond Open Access Zeitschrift Logical Methods in Computer Science hat er seit ihrer Gründung im Jahre 2004 in verschiedenen Rollen mitgewirkt. So war er 2014–2019 der Special Issue Editor der Zeitschrift und ist 2020 zum Editor-in-Chief gewählt worden.
Wolfgang Thomas (Orcid: 0000-0002-4453-3525) ist (emeritierter) Professor am Lehrstuhl für Logik und Theorie diskreter Systeme in der Fachgruppe Informatik der RWTH Aachen. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Verbindung von Logik und Automatentheorie. Er hat bei der Gründung mehrerer nicht-kommerzieller Publikationsorgane mitgewirkt; so war er Mitglied im ersten Editorial Board der ACM Transactions on Computational Logic, der Leibniz International Proceedings in Informatics (LIPIcs) und der Zeitschrift Logical Methods in Computer Science. In der letztgenannten Zeitschrift ist er seit 2010 Mitglied des Governing Board.