Dieser Text basiert in Teilen auf:
Freyberg, Linda (2018): Smart Libraries – buzz word or tautology? In: Elephant in the Lab, 2. Juli 2018, https://doi.org/10.5281/zenodo.1302988.
Einleitung
Der Begriff Smart Library
wurde in den letzten Jahren als Teil
eines ganzheitlichen Smart City
-Konzepts vermehrt verwendet, um
eine Vision der Bibliothek der Zukunft zu zeichnen. Dieses Konzept
adressiert die Integration digitaler Prozesse und informationeller
Partizipation in die urbane öffentliche Infrastruktur und entwirft einen
erstrebenswerten Zustand, in dem Städte smarter
, das heißt
effizienter organisiert und ressourcenschonender, flexibler,
nachhaltiger, grüner, inklusiver und sozialer werden. Bibliotheken sind
als öffentliche Einrichtungen Teil dieses Entwicklungs- und
Optimierungsprozesses. Ob es sich dabei um glatte oder gekerbte
Räume
1 handelt, sie sich also geordnet und
stabil manifestiert (bzw. gekerbt
) zeigen oder variabel sind und
sich stetig im Fluss befinden (bzw. glatt
), ist zu diskutieren.
Eine gelungene technikphilosophische Lesart der beiden Raumkonzepte von
Deleuze und Guattari entwickelt Kaja Tulatz: Im gekerbten Raum wird
[…] auf Kontingenzreduktion gezielt, während im glatten Raum nach
Kontingenzerweiterung gestrebt wird.
2
Speziell in Bezug auf smarte Bibliotheken wäre die Frage, ob
smart
etwas Absolutes ist und keine Steigerungsform
besitzt, wie Moritz Mutter zunächst feststellt, oder es darum geht,
Probleme in Gelegenheiten zu transformieren
3 und
damit immer im Fluss zu bleiben. Auch zu hinterfragen ist, ob die
Entwicklung von Bibliotheken einer Logik des Fortschritts, im Sinne
einer ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung vergleichbar mit
Francis Bacons Konzept des progressus scientiarium
4
unterworfen ist oder sich gerade durch eine Konstanz auszeichnet.
Festzuhalten ist, dass mit dem Zustand der ständigen Veränderung nicht alle zufrieden sind und die Vision einer Smart City nicht unumstritten ist (siehe das Graffito aus Berlin-Kreuzberg in Abb. 1).
Für Bibliotheken, ob smart oder nicht, stellt sich die Frage, was es
bedeutet, Teil dieser Entwicklung zu sein. Was ist ihre Rolle und wie
sollten sie handeln? Und was bedeutet es für eine Bibliothek, überhaupt
smart
zu sein?
Konzept Smart Library
Obwohl bereits internationale Pilotprojekte5 in
Bibliotheken und Konferenzen6 zu diesem Thema
stattgefunden haben, gibt es keine umfassende Definition einer Smart
Library
.
Der Schwerpunkt von smart
im aktuellen Sprachgebrauch liegt
auf dem sinnvollen Einsatz von Technologie (siehe smart phone
)
und ragt semantisch in den Bereich der Automatisierung (zum Beispiel
smart home
), Alltagskoordination (zum Beispiel smart
mobility
) und der künstlichen Intelligenz (oft im Zusammenhang mit
smart data
).
Es ist klar, dass Bibliotheken nicht nur durch den Einsatz von Technologien smart werden, sondern sich Modernisierung auf viele Aspekte wie den physischen Raum oder digitale Angebote bezieht und innerhalb der Institutionen auf Personal- und Führungsebene und außerhalb der Einrichtungen durch Kooperationen und partizipative Prozesse im Idealfall durch ganzheitliche Konzepte verankert sind.
Eine aktuelle, die genannten Aspekte umfassende, Definition einer Smart Library von Sabine Wolf lautet:
Eine Smart Library zeichnet sich durch einen hohen Anwendungsgrad moderner (Informations-)Technologien aus. Sie ist offen für Kooperationen aller Art und unterstützt proaktiv eine Personalentwicklung im Sinn einer zukunftsfähigen Bibliothek. Diese drei Kennzeichen sind eingebettet in eine agile Bibliotheksentwicklung und werden ergänzt durch eine Partizipation von Nutzerinnen und Nutzern. Ausgestattet mit einer Informationsinfrastruktur und einer entsprechenden Möblierung bietet sie diesen einen Aufenthaltsqualität, die das Lernen unterstützt und die Bibliothek als Treffpunkt etabliert.7
Auch wenn Smart Library
oft als modisches Schlagwort verwendet
wird, stellt der Begriff offensichtlich mehr dar als nur ein Etikett
oder eine glatte, blinkende Oberfläche. Generell sollte der Einsatz von
Technologien und innovativen Veränderungen also in ein umfassendes
strategisches Gesamtkonzept eingebettet sein, das den lokalen
Anforderungen der Mitarbeiter*innen und der Nutzenden entspricht.
Denn natürlich funktioniert nicht jede Strategie für jede
Institution, und daher ist einer der grundlegenden Ansätze in diesem
Zusammenhang eine gründliche Untersuchung und Bewertung der
Entwicklungsziele. So ist die Beobachtung von Trends, die beispielsweise
im jährlichen Gartner’s Hype Cycle oder dem IFLA-Trendreport
veröffentlicht werden, eine wichtige Aufgabe für die Bibliotheken.
Weitere Quellen sind der ALA TechSource Blog und deren Website
Library of the Future
sowie Konferenzen und Messen. Leider
existiert der einzige periodische Bericht mit Fokus auf Bibliotheken,
der NMC-Report, nicht mehr, aber Alternativen und Ideen für einen neuen
Bibliothekstrendbericht wurden in der Community bereits diskutiert8.
Kontext Soziologie der Bibliothek
Ein wesentlicher Aspekt dieses Konzeptes und der damit verbundenen Strategien ist, dass es sich um eine Art Antwort auf Herausforderungen und scheinbar um eine Lösung für Probleme handelt. Das heißt, zunächst einmal muss es eine Frage oder ein Infragestellen geben, zum Beispiel: Ist die Idee einer Bibliothek noch zeitgemäß? Haben Bibliotheken in der heutigen Informationsgesellschaft noch eine Daseinsberechtigung? Bibliotheken auf der ganzen Welt sind mit diesen Fragen konfrontiert, unter anderem auch, weil diese regelmäßig an sie herangetragen werden. Der Erfolg der (meisten) Bibliotheken ist wirtschaftlich nicht messbar, auch weil diese Einrichtungen nicht nach kapitalistischen Kriterien konzipiert sind und sich somit dieser Logik entziehen. Bibliotheken sind (für die Nutzenden mehr oder weniger) kostenlos und für jedermann und jedefrau offen, was eher einem kommunistischen oder gemeinnützigen Prinzip folgt. Universitäts- oder Forschungsbibliotheken sind Teil eines akademischen Umfelds als Anbieterinnen von wissenschaftlicher Literatur und Vermittlerinnen wissenschaftlicher Kommunikation. Daher sind sie von größeren Wissenschaftsinstitutionen abhängig, aber auch durch diese abgesichert und in ihrer Funktion legitimiert. Öffentliche Bibliotheken hingegen sind von den Kommunen abhängig und mit lokaler Politik konfrontiert. Ihre räumliche Einbindung in die unmittelbare Nachbarschaft und somit die Produktion von Attraktivität als Ort bieten die Grundlage strategischer Bemühungen. Das Etablieren als sogenannter dritter Ort wurde in den letzten Jahren hinreichend und erschöpfend diskutiert. Kurz gesagt geht es dabei., assoziativ angelehnt an Ray Oldenburg9, um das Schaffen eines ergänzenden Lebensbereichs mit hoher Aufenthaltsqualität neben dem zu Hause und dem Arbeitsplatz. In der Praxis bedeutet dies oftmals, dass Sofas aufgestellt, Loungebereiche eingerichtet und Cafés in Bibliotheken integriert werden.
Übergeordnet gewinnen auch Konzepte wie Bürgerbeteiligung bzw. Community Engagement, Open Government oder Citizen Science zunehmend, vor allem für Öffentliche Bibliotheken, an Relevanz.
Ein Grund, warum sowohl Öffentliche als auch Wissenschaftliche
Bibliotheken zunehmend in Frage gestellt werden, sind natürlich die
Möglichkeiten des World Wide Web, also die Wahrnehmung eines schier
endlosen Zugangs zu massenhaft digital frei
verfügbaren
Informationen zu allen erdenklichen Themen in allen möglichen
Medienformen, scheinbar ohne von einer vermittelnden Institution
abhängig zu sein. Die Herausforderung für Bibliotheken liegt heute
darin, an dieser Entwicklung teilzuhaben und das Digitale zu integrieren
und mitzudenken, ohne ihre Grundfunktionen und ihre Gemeinnützigkeit
aufzugeben.
Zugleich lässt sich fragen, ob die Grundidee einer Bibliothek nicht an sich schon ziemlich smart ist? Bibliotheken sind als Ort der Bildung, als Sammlerinnen und Anbieterinnen von Informationen und Wissen etabliert und genießen ein gewisses Vertrauen, wenn es darum geht, gesicherte Informationen zu vermitteln. Und genau diese Funktionen werden auch in Zukunft noch nötig, wenn nicht sogar existentiell, sein. Gerade vor dem Hintergrund von Phänomenen wie der Informationsflut und der Desinformationen, braucht es eine Institutionen ohne eigene (kommerzielle) Interessen, die bei der Recherche und bei der Identifikation relevanter und auch glaubwürdiger Informationen unterstützt und im Idealfall die transparente, kritische und reflektierte Einordnung von Quellen fördert. Bekanntlich sind einerseits das Kuratieren, traditionell durch Bestandsaufbau, im Digitalen stärker durch die Organisation von Zugang sowie anderseits die Kompetenzvermittlung für die Nutzung der Inhalte und das Verständnis von Informationsprozessen aktuelle Leitaufgaben der Bibliotheken.
Um nun auch explizit den Bogen zur Soziologie zu spannen: Der
tschechische Soziologe und Philosoph Radovan Richta beschäftigte sich in
den 1960er-Jahren mit technischen Umwälzungen und den gesellschaftlichen
Konsequenzen dieser. Sein bekanntestes Werk ist wohl der sogenannte
Richta-Report
10, den er gemeinsam mit über 60
Autor*innen erarbeitete. Dabei berücksichtigte er bereits mathematische
Maschinen (Computer), die seiner Prognose nach stark an Relevanz
zunehmen werden.11
Der Begriff smart
bezieht sich vor allem auf die Effizienz
durch den Einsatz von Technologien und auf die Automatisierung von
Prozessen zur Erleichterung des Arbeits- und Alltagsumfeldes. Richta
spricht in diesem Kontext von einer Verdrängung der menschlichen
Tätigkeit in vorproduktive Stufen
wie die Vorbereitung der
Technik
12. So wie Smart Homes
versprechen, das Leben zu erleichtern und freizumachen von der trivialen
Bedienung von einzelnen Geräten, hält auch in Bibliotheken die
Automatisierung Einzug. So übernehmen beispielsweise Bücherroboter
weniger anspruchsvolle Aufgaben wie die Rückgabe, die Lagerung oder auch
die Bereitstellung von Medien. Während sich viele Bibliothekar*innen von
diesen tristen Routinen entlastet fühlen und froh sind, sich auf
anspruchsvollere Tätigkeiten konzentrieren zu können, evoziert dies auch
die Angst im Zuge der Automatisierung, überflüssig oder ersetzbar zu
werden. Wenn die Mitarbeitenden nicht mehr für Routinetätigkeit benötigt
werden, ist die betriebswirtschaftliche Schlussfolgerung nicht in jedem
Fall, sie für anspruchsvollere Tätigkeiten einzusetzen. Nicht selten
spart man sie einfach komplett ein. Dies ist eine der Entwicklungen, mit
denen sich Bibliotheken auseinandersetzen müssen. Wir wissen aktuell
nicht, inwieweit und wie schnell Künstliche Intelligenz (KI) in die
intellektuelle Arbeit hinein wirken wird. Die KI-fizierung als
Fortsetzung der Automatisierung wird aber mit Sicherheit früher oder
später auch die Arbeit in den Bibliotheken verändern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bibliotheken als
nicht-kommerzielle Anbieterinnen und Sammlerinnen vielleicht schon immer
smart
waren, denn neben der Bereitstellung von Informationen
mussten Bibliotheken stets den Fortschritt managen und sich in einem
permanenten Prozess erneuern, was den Begriff der Smart Library
vielleicht sogar etwas tautologisch macht. Die Hauptfunktionen von
Bibliotheken bleiben weitestgehend gleich. Aber durch die enorme Zunahme
von digital verfügbaren Informationen und deren Relevanz sowie durch
neue Präsentations- und Zugangsformen muss stetig über neue Wege der
Vermittlung, neue Dienstleistungen und neue Umgebungen nachgedacht
werden.
Referenzen
Deleuze, Gilles; Guattari, Félix (1980): 1440 – Das Glatte und das Gekerbte. In: Dünne, Jörg; Günzel, Stephan (Hrsg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften; Suhrkamp Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main, 2006.
Mutter, Moritz (2019): Klug werden: Zur Semantik des Begriffs
smart
. In: Freyberg, Linda; Wolf, Sabine (Hrsg.): Smart
Libraries. Konzepte, Methoden und Strategien. Wiesbaden: b.i.t Verlag.
S. 17–19.
Oldenburg, Ray (1999): The Great Good Place – cafés, coffee shops. bookstores, bars, hair salons and other hangouts at the heart of the community. New York : Marlowe and Company.
Richta, Radovan und Kollektiv (Hrsg.) (1968): Richta-Report. Politische Ökonomie des 20. Jahrhunderts. Die Auswirkungen der technisch-wissenschaftlichen Revolution auf die Produktionsverhältnisse. Marxistische Bibliothek, Text 10. Frankfurt a.M.: makol Verlag.
Renn, Jürgen (2022): Die Evolution des Wissens. Eine Neubestimmung der Wissenschaft für das Anthropozän. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Schuldt, Karsten (2018): Wie könnte ein besserer Zukunftsreport für Bibliotheken aussehen? https://bildungundgutesleben.wordpress.com/2018/01/22/wie-koennte-ein-besserer-zukunftsreport-fuer-bibliotheken-aussehen/.
Tulatz, Kaja (2011): Technikinduzierte Räume bei Deleuze und Guattari. XXII. Deutscher Kongress für Philosophie, 11. - 15. September 2011. https://doi.org/10.5282/ubm/epub.12570.
Wolf, Sabine (2019): Definition einer Smart Library und Erläuterung der Smart Map. Ein State-of-the-Art-Ansatz. In: Freyberg, Linda; Wolf, Sabine (Hrsg.): Smart Libraries. Konzepte, Methoden und Strategien. Wiesbaden: b.i.t Verlag, S. 21–26, https://www.b-i-t-online.de/daten/bit_Innovativ_76_Freyberg_Wolf_Leseprobe.pdf.
Dr. Linda Freyberg ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als Wissenschaftlerin an der BBF | Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Berlin. Sie ist Redakteurin der LIBREAS. Library Ideas. ORCID: https://orcid.org/0000-0002-4620-7571