> > > LIBREAS. Library Ideas # 43

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doi:10.18452/27067 (edoc HU Berlin)

Eine soziologische Perspektive auf Smart Libraries

In diesem Beitrag wird eine Definition des Konzeptes der Smart Libraries gegeben und vor dem Hintergrund technologischer Entwicklungen im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel eingeordnet. Dabei werden (technik-) philosophische und soziologische Theorien eingebunden, die größere Fragen aufwerfen und zur weiteren Lektüre einladen.


Zitiervorschlag
Linda Freyberg, "Eine soziologische Perspektive auf Smart Libraries". LIBREAS. Library Ideas, 43 ().


Dieser Text basiert in Teilen auf:

Freyberg, Linda (2018): Smart Libraries – buzz word or tautology? In: Elephant in the Lab, 2. Juli 2018, https://doi.org/10.5281/zenodo.1302988.

Einleitung

Der Begriff Smart Library wurde in den letzten Jahren als Teil eines ganzheitlichen Smart City-Konzepts vermehrt verwendet, um eine Vision der Bibliothek der Zukunft zu zeichnen. Dieses Konzept adressiert die Integration digitaler Prozesse und informationeller Partizipation in die urbane öffentliche Infrastruktur und entwirft einen erstrebenswerten Zustand, in dem Städte smarter, das heißt effizienter organisiert und ressourcenschonender, flexibler, nachhaltiger, grüner, inklusiver und sozialer werden. Bibliotheken sind als öffentliche Einrichtungen Teil dieses Entwicklungs- und Optimierungsprozesses. Ob es sich dabei um glatte oder gekerbte Räume1 handelt, sie sich also geordnet und stabil manifestiert (bzw. gekerbt) zeigen oder variabel sind und sich stetig im Fluss befinden (bzw. glatt), ist zu diskutieren. Eine gelungene technikphilosophische Lesart der beiden Raumkonzepte von Deleuze und Guattari entwickelt Kaja Tulatz: Im gekerbten Raum wird […] auf Kontingenzreduktion gezielt, während im glatten Raum nach Kontingenzerweiterung gestrebt wird.2 Speziell in Bezug auf smarte Bibliotheken wäre die Frage, ob smart etwas Absolutes ist und keine Steigerungsform besitzt, wie Moritz Mutter zunächst feststellt, oder es darum geht, Probleme in Gelegenheiten zu transformieren3 und damit immer im Fluss zu bleiben. Auch zu hinterfragen ist, ob die Entwicklung von Bibliotheken einer Logik des Fortschritts, im Sinne einer ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung vergleichbar mit Francis Bacons Konzept des progressus scientiarium4 unterworfen ist oder sich gerade durch eine Konstanz auszeichnet.

Festzuhalten ist, dass mit dem Zustand der ständigen Veränderung nicht alle zufrieden sind und die Vision einer Smart City nicht unumstritten ist (siehe das Graffito aus Berlin-Kreuzberg in Abb. 1).

Ben Kaden/Twitter 23.10.2017, bearbeitet

Für Bibliotheken, ob smart oder nicht, stellt sich die Frage, was es bedeutet, Teil dieser Entwicklung zu sein. Was ist ihre Rolle und wie sollten sie handeln? Und was bedeutet es für eine Bibliothek, überhaupt smart zu sein?

Konzept Smart Library

Obwohl bereits internationale Pilotprojekte5 in Bibliotheken und Konferenzen6 zu diesem Thema stattgefunden haben, gibt es keine umfassende Definition einer Smart Library.

Der Schwerpunkt von smart im aktuellen Sprachgebrauch liegt auf dem sinnvollen Einsatz von Technologie (siehe smart phone) und ragt semantisch in den Bereich der Automatisierung (zum Beispiel smart home), Alltagskoordination (zum Beispiel smart mobility) und der künstlichen Intelligenz (oft im Zusammenhang mit smart data).

Es ist klar, dass Bibliotheken nicht nur durch den Einsatz von Technologien smart werden, sondern sich Modernisierung auf viele Aspekte wie den physischen Raum oder digitale Angebote bezieht und innerhalb der Institutionen auf Personal- und Führungsebene und außerhalb der Einrichtungen durch Kooperationen und partizipative Prozesse im Idealfall durch ganzheitliche Konzepte verankert sind.

Eine aktuelle, die genannten Aspekte umfassende, Definition einer Smart Library von Sabine Wolf lautet:

Eine Smart Library zeichnet sich durch einen hohen Anwendungsgrad moderner (Informations-)Technologien aus. Sie ist offen für Kooperationen aller Art und unterstützt proaktiv eine Personalentwicklung im Sinn einer zukunftsfähigen Bibliothek. Diese drei Kennzeichen sind eingebettet in eine agile Bibliotheksentwicklung und werden ergänzt durch eine Partizipation von Nutzerinnen und Nutzern. Ausgestattet mit einer Informationsinfrastruktur und einer entsprechenden Möblierung bietet sie diesen einen Aufenthaltsqualität, die das Lernen unterstützt und die Bibliothek als Treffpunkt etabliert.7

Auch wenn Smart Library oft als modisches Schlagwort verwendet wird, stellt der Begriff offensichtlich mehr dar als nur ein Etikett oder eine glatte, blinkende Oberfläche. Generell sollte der Einsatz von Technologien und innovativen Veränderungen also in ein umfassendes strategisches Gesamtkonzept eingebettet sein, das den lokalen Anforderungen der Mitarbeiter*innen und der Nutzenden entspricht.

Denn natürlich funktioniert nicht jede Strategie für jede Institution, und daher ist einer der grundlegenden Ansätze in diesem Zusammenhang eine gründliche Untersuchung und Bewertung der Entwicklungsziele. So ist die Beobachtung von Trends, die beispielsweise im jährlichen Gartner’s Hype Cycle oder dem IFLA-Trendreport veröffentlicht werden, eine wichtige Aufgabe für die Bibliotheken. Weitere Quellen sind der ALA TechSource Blog und deren Website Library of the Future sowie Konferenzen und Messen. Leider existiert der einzige periodische Bericht mit Fokus auf Bibliotheken, der NMC-Report, nicht mehr, aber Alternativen und Ideen für einen neuen Bibliothekstrendbericht wurden in der Community bereits diskutiert8.

Kontext Soziologie der Bibliothek

Ein wesentlicher Aspekt dieses Konzeptes und der damit verbundenen Strategien ist, dass es sich um eine Art Antwort auf Herausforderungen und scheinbar um eine Lösung für Probleme handelt. Das heißt, zunächst einmal muss es eine Frage oder ein Infragestellen geben, zum Beispiel: Ist die Idee einer Bibliothek noch zeitgemäß? Haben Bibliotheken in der heutigen Informationsgesellschaft noch eine Daseinsberechtigung? Bibliotheken auf der ganzen Welt sind mit diesen Fragen konfrontiert, unter anderem auch, weil diese regelmäßig an sie herangetragen werden. Der Erfolg der (meisten) Bibliotheken ist wirtschaftlich nicht messbar, auch weil diese Einrichtungen nicht nach kapitalistischen Kriterien konzipiert sind und sich somit dieser Logik entziehen. Bibliotheken sind (für die Nutzenden mehr oder weniger) kostenlos und für jedermann und jedefrau offen, was eher einem kommunistischen oder gemeinnützigen Prinzip folgt. Universitäts- oder Forschungsbibliotheken sind Teil eines akademischen Umfelds als Anbieterinnen von wissenschaftlicher Literatur und Vermittlerinnen wissenschaftlicher Kommunikation. Daher sind sie von größeren Wissenschaftsinstitutionen abhängig, aber auch durch diese abgesichert und in ihrer Funktion legitimiert. Öffentliche Bibliotheken hingegen sind von den Kommunen abhängig und mit lokaler Politik konfrontiert. Ihre räumliche Einbindung in die unmittelbare Nachbarschaft und somit die Produktion von Attraktivität als Ort bieten die Grundlage strategischer Bemühungen. Das Etablieren als sogenannter dritter Ort wurde in den letzten Jahren hinreichend und erschöpfend diskutiert. Kurz gesagt geht es dabei., assoziativ angelehnt an Ray Oldenburg9, um das Schaffen eines ergänzenden Lebensbereichs mit hoher Aufenthaltsqualität neben dem zu Hause und dem Arbeitsplatz. In der Praxis bedeutet dies oftmals, dass Sofas aufgestellt, Loungebereiche eingerichtet und Cafés in Bibliotheken integriert werden.

Übergeordnet gewinnen auch Konzepte wie Bürgerbeteiligung bzw. Community Engagement, Open Government oder Citizen Science zunehmend, vor allem für Öffentliche Bibliotheken, an Relevanz.

Ein Grund, warum sowohl Öffentliche als auch Wissenschaftliche Bibliotheken zunehmend in Frage gestellt werden, sind natürlich die Möglichkeiten des World Wide Web, also die Wahrnehmung eines schier endlosen Zugangs zu massenhaft digital frei verfügbaren Informationen zu allen erdenklichen Themen in allen möglichen Medienformen, scheinbar ohne von einer vermittelnden Institution abhängig zu sein. Die Herausforderung für Bibliotheken liegt heute darin, an dieser Entwicklung teilzuhaben und das Digitale zu integrieren und mitzudenken, ohne ihre Grundfunktionen und ihre Gemeinnützigkeit aufzugeben.

Zugleich lässt sich fragen, ob die Grundidee einer Bibliothek nicht an sich schon ziemlich smart ist? Bibliotheken sind als Ort der Bildung, als Sammlerinnen und Anbieterinnen von Informationen und Wissen etabliert und genießen ein gewisses Vertrauen, wenn es darum geht, gesicherte Informationen zu vermitteln. Und genau diese Funktionen werden auch in Zukunft noch nötig, wenn nicht sogar existentiell, sein. Gerade vor dem Hintergrund von Phänomenen wie der Informationsflut und der Desinformationen, braucht es eine Institutionen ohne eigene (kommerzielle) Interessen, die bei der Recherche und bei der Identifikation relevanter und auch glaubwürdiger Informationen unterstützt und im Idealfall die transparente, kritische und reflektierte Einordnung von Quellen fördert. Bekanntlich sind einerseits das Kuratieren, traditionell durch Bestandsaufbau, im Digitalen stärker durch die Organisation von Zugang sowie anderseits die Kompetenzvermittlung für die Nutzung der Inhalte und das Verständnis von Informationsprozessen aktuelle Leitaufgaben der Bibliotheken.

Um nun auch explizit den Bogen zur Soziologie zu spannen: Der tschechische Soziologe und Philosoph Radovan Richta beschäftigte sich in den 1960er-Jahren mit technischen Umwälzungen und den gesellschaftlichen Konsequenzen dieser. Sein bekanntestes Werk ist wohl der sogenannte Richta-Report10, den er gemeinsam mit über 60 Autor*innen erarbeitete. Dabei berücksichtigte er bereits mathematische Maschinen (Computer), die seiner Prognose nach stark an Relevanz zunehmen werden.11

Der Begriff smart bezieht sich vor allem auf die Effizienz durch den Einsatz von Technologien und auf die Automatisierung von Prozessen zur Erleichterung des Arbeits- und Alltagsumfeldes. Richta spricht in diesem Kontext von einer Verdrängung der menschlichen Tätigkeit in vorproduktive Stufen wie die Vorbereitung der Technik12. So wie Smart Homes versprechen, das Leben zu erleichtern und freizumachen von der trivialen Bedienung von einzelnen Geräten, hält auch in Bibliotheken die Automatisierung Einzug. So übernehmen beispielsweise Bücherroboter weniger anspruchsvolle Aufgaben wie die Rückgabe, die Lagerung oder auch die Bereitstellung von Medien. Während sich viele Bibliothekar*innen von diesen tristen Routinen entlastet fühlen und froh sind, sich auf anspruchsvollere Tätigkeiten konzentrieren zu können, evoziert dies auch die Angst im Zuge der Automatisierung, überflüssig oder ersetzbar zu werden. Wenn die Mitarbeitenden nicht mehr für Routinetätigkeit benötigt werden, ist die betriebswirtschaftliche Schlussfolgerung nicht in jedem Fall, sie für anspruchsvollere Tätigkeiten einzusetzen. Nicht selten spart man sie einfach komplett ein. Dies ist eine der Entwicklungen, mit denen sich Bibliotheken auseinandersetzen müssen. Wir wissen aktuell nicht, inwieweit und wie schnell Künstliche Intelligenz (KI) in die intellektuelle Arbeit hinein wirken wird. Die KI-fizierung als Fortsetzung der Automatisierung wird aber mit Sicherheit früher oder später auch die Arbeit in den Bibliotheken verändern.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bibliotheken als nicht-kommerzielle Anbieterinnen und Sammlerinnen vielleicht schon immer smart waren, denn neben der Bereitstellung von Informationen mussten Bibliotheken stets den Fortschritt managen und sich in einem permanenten Prozess erneuern, was den Begriff der Smart Library vielleicht sogar etwas tautologisch macht. Die Hauptfunktionen von Bibliotheken bleiben weitestgehend gleich. Aber durch die enorme Zunahme von digital verfügbaren Informationen und deren Relevanz sowie durch neue Präsentations- und Zugangsformen muss stetig über neue Wege der Vermittlung, neue Dienstleistungen und neue Umgebungen nachgedacht werden.

Referenzen

Deleuze, Gilles; Guattari, Félix (1980): 1440 – Das Glatte und das Gekerbte. In: Dünne, Jörg; Günzel, Stephan (Hrsg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften; Suhrkamp Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main, 2006.

Mutter, Moritz (2019): Klug werden: Zur Semantik des Begriffs smart. In: Freyberg, Linda; Wolf, Sabine (Hrsg.): Smart Libraries. Konzepte, Methoden und Strategien. Wiesbaden: b.i.t Verlag. S. 17–19.

Oldenburg, Ray (1999): The Great Good Place – cafés, coffee shops. bookstores, bars, hair salons and other hangouts at the heart of the community. New York : Marlowe and Company.

Richta, Radovan und Kollektiv (Hrsg.) (1968): Richta-Report. Politische Ökonomie des 20. Jahrhunderts. Die Auswirkungen der technisch-wissenschaftlichen Revolution auf die Produktionsverhältnisse. Marxistische Bibliothek, Text 10. Frankfurt a.M.: makol Verlag.

Renn, Jürgen (2022): Die Evolution des Wissens. Eine Neubestimmung der Wissenschaft für das Anthropozän. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Schuldt, Karsten (2018): Wie könnte ein besserer Zukunftsreport für Bibliotheken aussehen? https://bildungundgutesleben.wordpress.com/2018/01/22/wie-koennte-ein-besserer-zukunftsreport-fuer-bibliotheken-aussehen/.

Tulatz, Kaja (2011): Technikinduzierte Räume bei Deleuze und Guattari. XXII. Deutscher Kongress für Philosophie, 11. - 15. September 2011. https://doi.org/10.5282/ubm/epub.12570.

Wolf, Sabine (2019): Definition einer Smart Library und Erläuterung der Smart Map. Ein State-of-the-Art-Ansatz. In: Freyberg, Linda; Wolf, Sabine (Hrsg.): Smart Libraries. Konzepte, Methoden und Strategien. Wiesbaden: b.i.t Verlag, S. 21–26, https://www.b-i-t-online.de/daten/bit_Innovativ_76_Freyberg_Wolf_Leseprobe.pdf.



Dr. Linda Freyberg ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als Wissenschaftlerin an der BBF | Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Berlin. Sie ist Redakteurin der LIBREAS. Library Ideas. ORCID: https://orcid.org/0000-0002-4620-7571