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doi:10.18452/27071 (edoc HU Berlin)

Erhebung zum Frauenanteil in Leitungspositionen an deutschen Bibliotheken

Geschlechterverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sind Gegenstand zahlreicher Debatten und im Zuge eines sozialen Wandels in das kollektive Bewusstsein gerückt. Der Arbeitsbereich Bibliothek ist ein frauendominiertes Feld mit einem Frauenanteil von über 74 %. Interessanterweise liegen jedoch keine aktuellen umfassenden statistischen Auswertungen über Frauen in Leitungspositionen an deutschen Bibliotheken vor. Vor dem Hintergrund der Leitfrage, wie hoch der Anteil von Frauen in der obersten Hierarchieebene an deutschen Bibliotheken ist, präsentiert der vorliegende Artikel die Ergebnisse einer quantitativen Erhebung. Diese werden in einen theoretischen Kontext eingebettet, in dem Forschungsaspekte aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, wie der Geschlechter- oder Organisationsforschung, vorangestellt werden. Dieser Beitrag beruht auf einer Masterarbeit aus dem Jahr 2021 am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin.


Gender proportions in the employment sector are the subject of numerous debates and have moved into the collective awareness as a result of social change. The 'library' work area is a female-dominated field with a share of women of over 74 %. Interestingly, however, there are no current detailed statistical evaluations of women in management positions in German libraries. Against the background of the main question regarding the proportion of women at the top hierarchical level in German libraries, this article presents the results of a quantitative survey. These are embedded in a theoretical context in which research aspects from various scientific disciplines, such as gender or organizational research, are presented. This article is based on a master's thesis written in 2021 at the Institute of Library and Information Science at the Humboldt Universität zu Berlin.


Zitiervorschlag
Julia Bartlewski, "Erhebung zum Frauenanteil in Leitungspositionen an deutschen Bibliotheken". LIBREAS. Library Ideas, 43 ().


Anmerkung zum Text: Die Untersuchung von Geschlechterverhältnissen und gesellschaftlich geprägten Geschlechterrollen ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Fachdisziplinen. Die Betrachtung des sozialen Geschlechts ist veränderbar und unterliegt sowohl kulturellen als auch zeitlichen Dimensionen. Wie wir Geschlecht betrachten, unterliegt einem stetigen Wandel und gesamtgesellschaftlichen Prozess.
Dies bezieht sich auch auf die zweigeschlechtliche Betrachtung von geschlechtlicher Zuordnung, also die Unterteilung in Männer und Frauen. Mit dem Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. Dezember 2018 und der Anerkennung des dritten Geschlechts divers wurde diesem Wandel in der Betrachtung auch auf rechtlicher Ebene erste Rechnung getragen und eine Abkehr vom binären Geschlechtsmodell unterstützt. Die Beschaffenheit der Quellen für die vorliegende Erhebung erlaubt jedoch nur eine Unterscheidung nach einem binären Geschlechtsmodell, sodass sich der Artikel auf diese beiden Geschlechterrollen von Frauen und Männern fokussiert. Die vorhandenen statistischen Daten in den Quellen ermöglichen leider keine weitere Ausdifferenzierung. Daher ist dieser Aufsatz auch nur als ein Schritt zu sehen, auf Grundlage dessen eine schärfere Granularität mit quantitativen Methoden erfolgen müsste.

1. Einleitung

Die Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben sowie Gleichstellungsthematiken sind spätestens mit dem Zweiten Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II) im August 2021 wieder deutlich ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt (BMFSFJ, 2021). Ziel ist, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Die Gleichstellung von Frau und Mann im Sinne einer Nachhaltigkeitspolitik ist ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Thema und die Frage nach der Quote von Frauen in Leitungspositionen an Bibliotheken ist in diesem Kontext relevant für den bibliothekswissenschaftlichen Diskurs. Allerdings lag zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Untersuchung im Jahr 2021 keine Auswertung zu dieser Frage vor. Insbesondere für ein Berufsfeld, das zu den sogenannten Frauenberufen zählt, ist die fehlende Datenlage ein Desiderat, das dieser Beitrag in einem ersten Schritt aufarbeitet. Vor dem Hintergrund der Leitfrage, wie hoch der Anteil von Frauen in der obersten Hierarchieebene an deutschen Bibliotheken ist, erfolgt eine quantitative Erhebung anhand von Adressbüchern und Verzeichnissen. Als Quellen werden dabei die Mitgliederliste des deutschen Bibliotheksverbands, das Jahrbuch der deutschen Bibliotheken sowie das Jahrbuch der öffentlichen Bibliotheken herangezogen. Aus der übergeordneten Leitfrage ergeben sich noch weitere Fragen, die in die Auswertung mit einbezogen werden. Gibt es Unterschiede in der Verteilung bei öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken? Wie ist das Verhältnis in verschiedenen Bibliotheksgrößen?

Charakteristisch für die deutsche Bibliothekslandschaft ist deren Unterscheidung in zwei große Sparten, die der öffentlichen (ÖB) und der wissenschaftlichen Bibliotheken (WB). Diese ausnehmend deutsche Geschichte der bibliothekarischen Spartentrennung (HACKER 2002: S. 3) hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts manifestiert und Ausbildungsstrukturen, Verbandsarbeiten und Berufsbilder über Jahre geprägt. Auch wenn durch unterschiedliche bibliothekspolitische Bemühungen – als Beispiele zu nennen sind der Bibliotheksplan `73 sowie das Strukturpapier Bibliotheken `93 – und die Aufgabe spartenspezifischer Studiengänge Schritte zur Aufhebung der Spartentrennung unternommen wurden, ist das Unterscheidungsmerkmal in ÖB und WB weiterhin ein strukturierendes Element im Fachdiskurs (Ebd.: S. 29). Für die Erhebung in diesem Beitrag wurde die Zweiteilung der Bibliothekslandschaft in ÖB und WB daher beibehalten, da auch die vorliegenden Quellen dieser folgen.

Die Ungleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt ist Untersuchungsgegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, wie der Geschlechter- oder Organisationsforschung. Für eine Kontextualisierung werden vor der Auswertung der Erhebung daher verschiedene theoretische Konzepte und Definitionen sowie bisherigen Studien, die sich dezidiert mit dem Thema Frauen in Führungspositionen an Bibliotheken befassen, kurz vorgestellt und zusammengefasst.

2. Frauenberuf Bibliothekar:in

Wie eingangs benannt, gehört der Bibliotheksbereich zu den sogenannten Frauenberufen. Man unterscheidet generell zwischen Männerberufen, Frauenberufen und Mischberufen. Für ein Verständnis dieser Bezeichnungen muss man zunächst das Prinzip der beruflichen Geschlechtersegregation thematisieren, eine Terminologie aus dem Bereich der Arbeitsmarktforschung. Für die Definition der Termini Frauen- und Männerberuf ist das Prinzip der horizontalen Segregation entscheidend. Dies meint die ausgeprägte Trennung von erwerbstätigen Frauen und Männern in unterschiedlichen Berufen (HAUSMANN/KLEINERT 2014: S. 1). Demnach wählen Frauen häufiger Dienstleistungsberufe in Bereichen wie Gesundheitswesen oder Soziales und Erziehung, wohingegen Männer sich signifikant häufiger für technische Berufe entscheiden (Ebd.).

Die Unterscheidung zwischen Misch-, Frauen- und Männerberufen erfolgt anhand des Frauenanteils in einem Beruf. Der vorliegende Beitrag folgt dabei der Definition, die sich bei Anne Busch-Heizmann findet (2015: S. 572).1 Demnach findet sich in einem Männerberuf ein Frauenanteil von bis zu 30 %. Bei einem Frauenanteil ab 70 % spricht man von einem Frauenberuf. Im prozentualen Zwischenbereich liegen die geschlechtlich gemischten Berufe.

Für die Entwicklung der Zahlen im Bibliothekswesen der letzten Jahrzehnte lassen sich verschiedene Quellen heranziehen. Frank Heidtmann hat 1974 eine Studie veröffentlicht, die auf eine Befragung von Personen gründet, die im Jahre 1972 ihre Ausbildung als Diplombibliothekar:in aufgenommen haben. Hierbei ermittelte er einen Frauenanteil von 81 % (HEIDTMANN 1974: S. 89). Elf Jahre später erschien eine umfassende Umfrage-Studie unter dem Titel Berufsbild und Selbstverständnis der Bibliothekare in Deutschland. Die Umfrage beschränkte sich auf öffentliche Bibliotheken, für die in der Studie ein Frauenanteil von 86 % nachgewiesen werden konnte (PAWLOWSKI-FLODELL 1995: S. 13f.). Die zuletzt verfügbaren Zahlen zeichnen die Entwicklung des Frauenanteils im Bibliotheksberuf für die Jahre 2013 bis 2017 nach (IAB 2021). Für den genannten Zeitraum lag die Rate der erwerbstätigen Frauen zwischen 75 % und 76 %. Die Zahlen sagen selbstverständlich noch nichts über die hierarchische Verteilung der Mitarbeiter:innen innerhalb der einzelnen Organisationen aus, doch zeigt sich ein konstant hoher Frauenanteil in diesem Berufsfeld. Zwar lässt sich ein leichter Rückgang für die Jahre 2013 bis 2017 im Vergleich zu den vorher genannten Studien verzeichnen, was jedoch nicht auf eine grundsätzliche Wende in der Verteilung hindeutet. Die Werte sind dafür zu hoch und ihre Konstanz für diese Periode lässt vermuten, dass die Werte der nachfolgenden Jahre in einem ähnlichen Bereich liegen dürften, die nicht an einer gefestigten Persistenz der horizontalen Geschlechtersegregation in diesem Berufsfeld zweifeln lassen. Somit lässt sich der Bibliotheksberuf eindeutig als Frauenberuf charakterisieren.

Das Feld der Frauenforschung ist integraler Bestandteil der heutigen Wissenschaftswelt. Gleichstellung und Repräsentanz von Frauen in allen Bereichen des Erwerbslebens ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Aus historischer Perspektive wird verstärkt die Geschichte einzelner Frauenberufe zum Gegenstand der Forschung. Dagmar Jank weist in diesem Zusammenhang richtigerweise darauf hin, dass Bibliothekarinnen kaum je erwähnt werden (JANK 2000: S. 303). Eine detaillierte Nachzeichnung der historischen Entwicklung bis 1945 findet sich im Aufsatz Zur Entwicklung des bibliothekarischen Berufs als Frauenberuf von Peter Vodosek (1981). In Deutschland setzte der Prozess ab circa 1895 ein. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Öffnung der Bibliotheksarbeit für Frauen stark über geschlechtsspezifisch stereotype Eigenschaften erfolgte. Frauen wurden im Bibliotheksdienst akzeptiert, da sie ihren Wirkungskreis zunächst auf Tätigkeiten beschränken mussten, die mit weiblich konnotierten Eigenschaften korrelierten. Assistierende und repetierende Tätigkeiten zum einen, Arbeiten mit erzieherischem, sozialem Anspruch im Sinne der Volksbüchereien zum anderen. Vodosek konnte außerdem zeigen, dass die Entwicklung der Frauenarbeit in Bibliotheken in den Sparten ÖB und WB nicht taktgleich verlief, was durch die zugeschriebene geschlechtsspezifische Rollenverteilung der Zeit begründet wird (1981: S. 235). Die Volksbüchereien mit ihrem erzieherischen Charakter korrespondierten mit dem traditionellen Rollenmuster der Frau von Fürsorglichkeit und Mütterlichkeit. Analog wurden die wissenschaftlichen Bibliotheken mit männlichen Stereotypen wie Rationalität und Leistungsorientierung gleichgesetzt. Diese historischen Strukturen wirken immer noch nach, wenn Laura Stadler in ihrer Studie für Schweizer Bibliotheken feststellt: Die verbreitete Ansicht, Frauen würden in allgemeinen öffentlichen Bibliotheken eher in den Hierarchieebenen aufsteigen als in wissenschaftlichen Bibliotheken, ist daher wenig verwunderlich (2012: S. 43).

Auch wenn in der Fachliteratur zu den Themen geschlechtliche Ungleichheiten und Frauen in Führungspositionen darauf verwiesen wird, dass einer der Gründe für die weibliche Unterrepräsentanz auf Leitungsebene bei den Frauen selbst zu suchen sei (Scheu vor Wettbewerb), greift diese singuläre Sichtweise doch zu kurz (HENN 2009: S. 54). Im Folgenden werden daher Prozesse und Verhaltensweisen vorgestellt, die geschlechtliche Ungleichheiten reproduzieren.

3. Theorien zur geschlechtlichen Ungleichstellung auf dem Arbeitsmarkt

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlicht in regelmäßigen Abständen aktuelle Analysen und Trends in Form von Kurzberichten. Ein Blick richtet sich dabei auch immer wieder auf den Frauenanteil in Führungspositionen. Die beiden aktuellen Studien wurden in den Jahren 2017 und 2019 von Susanne Kohaut und Iris Möller für die Jahre 2016 und 2018 veröffentlicht. Der Fokus liegt dabei auf der Privatwirtschaft, allerdings wird der öffentliche Sektor als Vergleichsreferenz herangezogen.

Zusammenfassend stellen sie fest, dass Frauen in beiden Bereichen weiterhin deutlich unterrepräsentiert sind, gemessen an ihrem Anteil der Gesamtbeschäftigtenzahl (KOHAUT/MÖLLER 2019: S. 7). In der Privatwirtschaft lag der Frauenanteil 2016 auf der ersten Führungsebene bei 26 % und auf der zweiten Führungsebene bei 40 % (KOHAUT/MÖLLER 2017: S. 1). Für das Jahr 2018 ließ sich keine Veränderung der Zahlen beobachten (KOHAUT/MÖLLER 2019: S. 1). Im öffentlichen Sektor lagen die Gesamtzahlen höher, sodass sich für die erste Führungsebene ein Anteil von 34 % und für die zweite Führungseben ein Anteil von 44 % für das Jahr 2016 ergab (KOHAUT/MÖLLER 2017: S. 4). Für das Jahr 2018 ergaben sich marginale Änderungen: auf der ersten Ebene ein Anstieg um 2 Prozentpunkte auf 36 % und auf der zweiten Ebene eine Verringerung auf 43 % (KOHAUT/MÖLLER 2019: S. 4). Doch da der Gesamtanteil von Frauen im öffentlichen Sektor höher ist als in der Privatwirtschaft, muss man die Zahlen relativieren. Daraus ergibt sich, dass Frauen dort in Leitungspositionen nicht besser vertreten sind als in der Privatwirtschaft. Insbesondere wird die Vorreiterrolle angeprangert, die der öffentliche Sektor bezüglich Chancengleichheit und geschlechtlicher Gleichstellung einnehmen sollte, was sich aufgrund der genannten Zahlen jedoch nicht bestätigt (KOHAUT/MÖLLER 2017: S. 6). Zudem stellen sie einen relativ hohen Frauenanteil in den Betrieben mit unter 50 Beschäftigten fest (KOHAUT/MÖLLER 2019: S. 5), was ihre These unterstützt, dass Frauen in kleineren Betrieben leichter aufsteigen können.

Die berufliche Geschlechtersegregation ist sehr persistent (HAUSMANN/KLEINERT 2014: S. 2). Seit den 1990ern Jahren lässt sich nur eine geringe Abnahme der horizontalen Segregation beobachten. Dies liegt laut Ann-Christin Hausmann und Corinna Kleinert nicht daran, dass sich die einzelnen Berufe stärker durchmischen, sondern an einem berufsstrukturellem Wandel (HAUSMANN/KLEINERT 2014: S. 2). Männerdominierte Sektoren, wie Handwerk, verlieren an Bedeutung bei gleichzeitigem Ausbau geschlechtlich gemischter Berufe. Diese horizontale Segregation wird genutzt, um Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und Lohnunterschiede zu erläutern. Stark weiblich segregierte Berufe leiden oftmals unter einem niedrigeren sozialen Status, was zu einer geringeren Entlohnung führt.

Für den vorliegenden Beitrag ist das Konzept der vertikalen Segregation aufschlussreicher, da sich diese Auswertung auf die Entwicklung des Frauenanteils in Leitungspositionen im Hinblick auf ein spezifisches Arbeitsfeld konzentriert. Die vertikale Segregation beschreibt die geschlechtliche Ungleichverteilung auf unterschiedlichen Hierarchieebenen, also, dass Männer häufiger auf der Führungsebene zu finden sind als Frauen (BUSCH 2013: S. 27). Um eine gleichstellungsbezogene Durchmischung zu erreichen, müsste die prozentuale Verteilung der männlichen und weiblichen Führungskräfte dem Gesamtanteil des jeweiligen Geschlechts im Berufsfeld entsprechen. In seiner Auswertung zur Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben legt das statistische Bundesamt für 2019 dar, dass bei einem Frauen-Gesamtanteil am Erwerbsleben von 47 % nur jede dritte Frau eine Führungskraft ist (DESTATIS). In diesem Zusammenhang wird auch von einer sogenannten Gläsernen Decke gesprochen, die das Phänomen scheinbar unsichtbarer Barrieren [umschreibt], die Frauen daran hindern, in die höchsten Führungspositionen zu gelangen (OHLENDIECK 2003: S. 183). In seinem Aufsatz weitet Lutz Ohlendieck das Prinzip aus und spricht von einem Glashaus mit glass walls, welche den Zugang zu den zentralen und strategisch wichtigen Positionen (2003: S. 189) hemmt. Periphere Abteilungen seien demnach eher von Frauen besetzt und zentrale Bereiche, wie Forschung und Produktion, männerdominiert. Im Zusammenhang der vertikalen Segregation legt Juliane Achatz dar, dass Frauenberufe […] für Männer wie ein glass escalator wirken können, durch den ihnen der Aufstieg in Führungspositionen eher gelingt als den weiblichen Kolleginnen (ACHATZ 2018, S. 425).

Um Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu erklären, werden unterschiedliche theoretische Ansätze herangezogen. Die neoklassische Humankapitaltheorie geht davon aus, dass Produktivitätsunterschiede Lohnunterschiede nach sich ziehen (HINZ/GARTNER 2005: S. 23), den sogenannten Gender Pay Gap. Man unterscheidet zwischen allgemeinem und spezifischem Humankapital, also Fähigkeiten, die während schulischer Bildung, Ausbildung und beruflicher Tätigkeit erworben wurden. Die Theorie geht davon, dass aufgrund der Arbeitsteilung im Privaten Frauen weniger in spezifisches Humankapital investieren und daher in Bereichen tätig sind, die nicht so hoch entlohnt werden. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass der Lohnunterschied nicht vollständig mit Unterschieden beim Humankapital erklärt werden kann. (HINZ/GARTNER 2005: S. 23)

Ein weiterer Punkt, der von der Nachfrageseite hineinspielt, also von Seiten des potenziellen Arbeitgebers, liegt im Fehlen von Informationen während des Auswahlprozesses. Da ein potenzieller Arbeitgeber nie vollständige Informationen über Bewerber:innen hat und Fragen beispielsweise nach der Familienplanung illegitim sind, werden diese so behandelt, als würden sie dem Durchschnitt ihrer sozialen Gruppe entsprechen (ebenda). Dieses Phänomen bezeichnet man als statistische Diskriminierung. Diese beruht auf der Annahme, dass Frauen häufiger ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen als Männer. Gekoppelt mit der vermuteten Doppelbelastung durch Familie und Beruf assoziiere man eine geringere Produktivität bei Frauen, auch wenn sie die gleichen Qualifikationen aufweisen wie ein männlicher Mitbewerber (BUSCH 2013: S. 99).

Am deutlichsten ausgeprägt sind die Richtlinien zur Gleichstellung im öffentlichen Dienst. (HINZ/GARTNER 2005: S. 37) Durch die Eingruppierung in Lohnstufen ist eine ungleiche Bezahlung für dieselbe Position zwischen den Geschlechtern ausgeschlossen. Das IAB informiert mit seinen veröffentlichten Statistiken über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und die registrierte Arbeitslosigkeit in den Berufen in Deutschland (IAB 2021). Wenn verfügbar, werden auch die mittleren monatlichen Bruttoeinkommen angegeben. Die jüngsten verfügbaren Zahlen für Erwerbstätige in der Gruppe 733 Medien-, Dokumentations- und Informationsdienste stammen aus dem Jahr 2016. Demnach lag das mittlere monatliche Bruttoeinkommen der Männer bei EUR 3.765, das der Frauen im Vergleich bei EUR 3.304. Diese Zahlen sind mit einigen Abstrichen zu bewerten, da Beamte beispielsweise nicht aufgeführt werden und diese sich zumeist durch ein Hochschulstudium für den gehobenen und höheren Dienst qualifizieren. Allerdings lassen sie doch vermuten, dass nach wie vor eine vertikale Segregation innerhalb des Berufsfeldes vorhanden ist. Zudem könnte dies auch ein erster Hinweis auf einen Unterschied in der Verteilung zwischen den Sparten sein. Während der Großteil der Stellen im ÖB-Bereich besoldungstechnisch im Bereich des mittleren und gehobenen Dienstes angesiedelt ist und die Entlohnungen im Bereich des höheren Dienstes zumeist nur Leitungsstellen vorbehalten sind, ist das Angebot an Stellen im höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken vielfältiger. Neben Stellen auf Führungsebene sind wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und Fachreferent:innen dem höheren Bibliotheksdienst zugeordnet (SCHELLE-WOLFF 2014: S. 452).2

So argumentieren auch Hinz und Gartner allgemein in ihrer Studie zum Gender Pay Gap (2005, S. 37): Ein Teil des verbliebenen Lohnunterschieds dürfte auf die vertikale Segregation innerhalb der Berufsgruppen zurückzuführen sein. Sie ergibt sich aus unterschiedlichen Einstufungen in der gleichen Berufsgruppe bei Tätigkeitsbeginn und aus unterschiedlichen Karriereentwicklungen für Angehörige ein und derselben Berufsgruppe.

Nach diesen theoretischen Einordnungen werden in einem nächsten Schritt die bisherigen Studien vorgestellt, die sich dezidiert mit dem Thema Frauen in Führungspositionen an Bibliotheken befassen, bevor die aktuelle Erhebung vorgestellt wird.

4. Frauen in Führungspositionen an Bibliotheken – Studien und aktueller Forschungsstand

Nach diesen theoretischen Einordnungen werden jetzt die bisherigen Studien vorgestellt, die sich dezidiert mit dem Thema Frauen in Führungspositionen an Bibliotheken befassen, bevor die aktuelle Erhebung vorgestellt wird.

Eine wegweisende Studie zu Frauen in Führungspositionen an Bibliotheken stammt von Anita Schiller aus dem Jahr 1974. Women in librarianship ist die erste systematische Untersuchung zu Geschlechtsungleichheiten im Bibliothekswesen (MORAN ET AL. 2009: S. 216). Anhand einer umfangreichen Diskursanalyse früherer Studien und Jahrbücher konnte sie ein explicit pattern of discrimination (SCHILLER 1974: S.107) nachweisen, das sich in einer Kontinuität von signifikanten Gehalts- und Positionsunterschieden äußerte. Trotz der generellen Mehrheit der Frauen im Bibliothekswesen wurden Männer schneller befördert. Insbesondere in großen Bibliotheken waren die Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen schwierig (SCHILLER 1974: S. 114). Natürlich muss man den zeitlichen Kontext bedenken. Gleichstellungsproblematiken waren noch nicht in dem Maße im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert wie heute. Zudem ist der lokale Kontext zu bedenken. Hier werden die US-amerikanischen Verhältnisse aufgezeigt, die nicht schablonenartig auf deutsche Gegebenheiten übertragen werden können. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle bei gleicher Qualifikation und Stellenbeschreibung, das Schiller aufzeigen konnte, ist durch die Mechanismen des öffentlichen Dienstes in Deutschland so nicht gegeben.

Jüngere Studien aus dem nordamerikanischen Raum zeichnen ein positiveres Bild, da sich der Frauenanteil über die Zeit nahezu auf allen Ebenen erhöht hat. Zum Gender Pay Gap konnte eine Studie von 2009 aufzeigen, dass dieser noch vorhanden ist, aber deutlich geringer geworden ist (MORAN ET AL. 2009).

Im Jahr 2012 untersuchte Laura Stadler den Frauenanteil an Schweizer Bibliotheken. Dafür fragte sie 25 Bibliotheken an, Voraussetzung war eine Angestelltenzahl von mindestens 50. Für die gesamte Beschäftigtenzahl ergibt sich eine Verteilung von 65,9 % an Frauen gegenüber 34,1 % männlicher Mitarbeiter (STADLER 2012: S. 39f.). Aufgeschlüsselt nach ÖB und WB ergibt sich ein höherer Frauenanteil für öffentliche Bibliotheken von 74,7 % im Vergleich zum WB-Bereich mit einem Anteil von 62,4 %. Sie untersuchte drei Führungsebenen. In ÖBs sind auf allen drei Führungsebenen fast 60 % Frauen zu finden, auf erster Führungsebene hingegen nur 42,9 %. In WBs liegt der Anteil bei 35,1 %, auf der ersten Führungsebene sogar nur bei 25 % (Ebd.: S. 44). Spartenübergreifend ergibt sich ein Verhältnis von 55,2 % männlicher Führungskräfte zu 44,8 % für die gesamte Führungsebene sowie 69,6 % zu 30,4 % für die oberste Stufe (Ebd.: S.40f.). Im Sinne der Gleichstellung müsste der Frauenanteil auf Führungsebene dem Gesamtanteil an weiblichen Mitarbeiterinnen entsprechen, doch ergibt sich eine deutliche Diskrepanz. Sie setzt diese in Bezug zum Phänomen der Gläsernen Decke. Die Arbeit schließt mit einer qualitativen Interviewstudie mit Bibliothekarinnen in Führungspositionen, um Einblick in die Karriereverläufe aufzuzeigen. Mehrfach nannten die befragten Frauen dabei aktive Karriereplanung, Networking und Mentoring als wichtige Faktoren für ihr persönliches Weiterkommen (Ebd.: S. 49ff.).

Für Deutschland hat Carmen Passera die Entwicklung des Frauenanteils im wissenschaftlichen Bibliotheksdienst nach 1945 anhand einer Auszählung der VDB-Jahrbücher von 1950, 1959, 1969, 1985 und 1995 untersucht (PASSERA 2000). So konnte sie zeigen, dass der Anteil der Frauen stetig gestiegen ist, von 9,1 % (1950) auf 35,9 %. Für die Repräsentanz in Führungspositionen ergibt sich eine andere Verteilung. Nur 14,8 % der im wissenschaftlichen Bibliotheksdienst tätigen Frauen hatten 1995 eine Führungsposition inne. Demgegenüber stehen 32,8 % der Männer.

Eine spätere Untersuchung von 2005 unternimmt einen Vergleich der Rolle der Frau in ÖBs, WBs und Informationseinrichtungen (GERBER/RABE 2005) vor. Dafür wurde eine Umfrage an 150 Institutionen verschickt (50 aus jedem Bereich). Hier ergibt sich ein ähnliches Bild beim Frauenanteil in Leitungspositionen (ÖB: 80 % zu WB: 38 %). Außerdem wurden offene Fragen gestellt. Bei der Frage nach Kindern bei Frauen in Leitungspositionen bejahten dies 63 % der Frauen in ÖBs, jedoch nur 22 % aus den WBs, was auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familien in ÖBs hindeutet. Allerdings beantworteten diese Frage nur neun Teilnehmerinnen aus dem WB-Bereich, daher ist hier die Aussagekraft doch anzuzweifeln. Auf die Frage nach der Beurteilung der Rolle der Frau im Betrieb sahen sich in den ÖBs die meisten Frauen als gleichgestellt. Auch in den WBs fühlen sie sich gleichberechtigt, betonten aber gleichzeitig auch die schwierigen Aufstiegschancen.

Im Jahr 2013 hat Christian Hauschke anhand des Mitgliedsverzeichnisses des DBVs den Frauenanteil in Führungspositionen nach Sektionen untersucht (HAUSCHKE 2013). Die Ergebnisse hat er in einer Grafik aufbereitet. Leider ist diese nicht mehr abrufbar, sondern nur noch der kurze erläuternde Text. Er nennt dort keine genauen Zahlen, sondern fasst zusammen, dass der Frauenanteil in Sektion 3B (Öffentliche Bibliothekssysteme und Bibliotheken für Versorgungsbereiche bis zu 50.000 Einwohner und Landkreise mit bibliothekarischen Einrichtungen) am höchsten sei und die wenigsten Frauen in Sektion 4 (Wissenschaftlichen Universalbibliotheken) zu finden seien.

Abschließend soll noch kurz die Untersuchung von Gabriele Schulz vorgestellt werden, welche die neuesten Daten liefert (SCHULZ ET AL. 2016: S. 91ff.). Sie hat eine Auswertung der Leitungspositionen an Staats-, Landes-, Zentral- und Universitätsbibliotheken für den Zeitraum von 1994 bis 2014 anhand des Handbuch des Öffentlichen Lebens (des Oeckls) vorgenommen, die zeigt, dass der dortige Anteil von Frauen über die Jahre stetig zugenommen hat. Allerdings liegt der Frauenanteil mit 43 % für das Jahr 2014 deutlich unter dem Gesamtanteil der Frauen im Bibliotheksdienst.

5. Datenerhebung

5. 1 Methodik

Wie gezeigt werden konnte, sind aktuelle umfassende Daten zum Frauenanteil in Führungspositionen an Bibliotheken in Deutschland nicht verfügbar. Dies war der Ausgangspunkt für die Wahl der Methode. Es wurde eine quantitative Erhebung anhand der Auszählung von (vermutlichen) Frauen- und Männernamen anhand unterschiedlicher Adressverzeichnisse und Jahrbücher gewählt. Die Daten wurden mit Excel ausgewertet und visualisiert.

Die Mitgliederliste des DBV wurde als aktuelle Datengrundlage gewählt und der Anteil von Frauen in Führungspositionen nach Sektionen ausgewertet. Dabei beschränkte sich die Auswertung auf die Sektionen 1 bis 5 (Tabelle 1), da Fachstellen, Verbände etc. nicht mit in die Erhebung einfließen sollten.

Sektion 1 Öffentliche Bibliothekssysteme und Bibliotheken für Versorgungsbereiche von über 400.000 Einwohnern
Sektion 2 Öffentliche Bibliothekssysteme und Bibliotheken für Versorgungsbereiche von 100.000 bis 400.000 Einwohnern
Sektion 3a Öffentliche Bibliothekssysteme und Bibliotheken für Versorgungsbereiche von 50.000 bis 100.000 Einwohner und Landkreise mit bibliothekarischen Einrichtungen
Sektion 3b Öffentliche Bibliothekssysteme und Bibliotheken für Versorgungsbereiche bis zu 50.000 Einwohner und Landkreise mit bibliothekarischen Einrichtungen
Sektion 4 Wissenschaftliche Universalbibliotheken
Sektion 5 Wissenschaftliche Spezialbibliotheken

Tabelle 1: Übersicht der Sektionen 1 bis 5 des dbv

Neben der Erhebung des aktuellen Frauenanteils in Leitungspositionen an deutschen Bibliotheken möchte die vorliegende Untersuchung auch die Entwicklung der geschlechtsspezifischen Anteile sichtbar machen, sodass noch weitere Quellen für die Erhebung hinzugezogen wurden. Für den ÖB-Bereich wurden die Jahrbücher der öffentlichen Bibliotheken (JÖB) verwendet. Es wurden die Jahrgänge 1994 (erster Band nach der Wiedervereinigung), 2002/03 und 2012/13 (letzter Band vor Einstellung) ausgezählt. Für den WB-Bereich wurden die VDB-Jahrbücher der Jahrgänge 1991, 2001/02 und 2011/12 zur Auszählung genutzt. Für eine bessere Vergleichbarkeit wurden nur die Bibliotheken ausgezählt, die zugleich Mitglieder im DBV sind. Zudem wurden öffentliche Bibliotheken, wie beispielsweise die Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, ebenfalls nicht mitgezählt, sofern sie im JÖB vertreten waren und durch einen Abgleich mit der DBS-Statistik ebenfalls dem ÖB-Bereich zugeordnet werden konnten (DBS 2021). Die Auszählung der DBV-Liste erfolgte über die Online-Seite bis zum 17.09.2021. Durch ein Relaunch der Website ist diese so nicht mehr verfügbar. Der DBV hat der Autorin freundlicherweise die Daten als Excel-Liste zukommen lassen. Diese wurden für die abschließende Prüfung der bereits erfassten Daten genutzt.

Die Gender-Feststellung erfolgt anhand der Vornamen beziehungsweise anhand der Nutzung der weiblichen respektive männlichen Form LeiterinLeiter / DirektorinDirektor oder der Anrede FrauMann. Wurde keine Angabe zur Leitung gemacht, wurde dies ebenfalls mit aufgenommen. In einigen wenigen Fällen war eine Doppelleitung vermerkt. Diese wurde explizit verzeichnet, wenn es sich dabei um eine Doppelleitung aus Frau und Mann handelte. Neben der (vermutlichen) Gender-Feststellung der Bibliotheksleitung wurden weitere nachfolgende Daten zu den Bibliotheken erhoben, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten.

Generelle Untersuchungen zu Frauen in Führungspositionen haben gezeigt, dass deren Anteil mit Zunahme der Betriebsgröße sinkt. Dies lässt vermuten, dass es auch Unterschiede zwischen kleinen und großen Bibliotheken hinsichtlich der Leitungsposition geben könnte. Dazu wurden mehrere Größenklassen anhand der angegebenen Personalstellen gebildet:

  • Bis 1

  • >1 bis 5

  • >5 bis 10

  • >10 bis 20

  • >20 bis 50

  • >50 bis 100

  • > 100

Durch die Beschaffenheit der Daten war nur eine Bestimmung der obersten Hierarchieebene möglich, mit dem Ziel, für diesen Bereich einen möglichst umfassenden aktuellen Datensatz zu erarbeiten.

5.2 Ergebnisse

5.2.1 Geschlechterverhältnis der obersten Hierarchieebene anhand der Personalgröße
5.2.1.1 Auswertung der DBV-Mitgliederliste, Stand 2021

Die Sektionen 1 bis 3b decken die Daten für öffentliche Bibliotheken ab. Die Einrichtungen der Sektionen 4 und 5 zählen zu den wissenschaftlichen Bibliotheken.

Für Sektion 1 wurden 20 Einrichtungen in die Erhebung einbezogen:

Abbildung 1: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene der DBV-Sektion 1 anhand der Betriebsgröße

Die Auswertung (Abbildung 1) zeigt, dass der Anteil der Frauen zwar insgesamt höher ist als jener der Männer, sich die Werte bei zunehmender Bibliotheksgröße aber annähern.

In die Auswertung für Sektion 2 wurden 86 Bibliotheken einbezogen (Abbildung 2). Die Einrichtungen mit >20 bis 50 Personalstellen sind am häufigsten in dieser Sektion vertreten. Der Frauenanteil ist in diesem Bereich verhältnismäßig am größten und entspricht ungefähr dem Gesamtanteil von Frauen im gesamten Berufsfeld. Man sieht allerdings auch, dass das Verhältnis von Frauen und Männern in den Bibliotheken mit über 50 Stellen annähernd ausgeglichen ist.

Abbildung 2: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene der DBV-Sektion 2 anhand der Betriebsgröße

In Sektion 3A, in der zum Auszählungszeitpunkt 104 Einrichtungen gelistet waren, finden sich, anhand der Personalstellen gemessen, kleinere Bibliotheken im Vergleich zu den Sektionen 1 und 2 (Abbildung 3). Die Einrichtungen mit >10 bis 20 Personalstellen sind am häufigsten in dieser Sektion vertreten und weisen auch einen merklich höheren Anteil an Frauen in Leitungspositionen auf als Männer.

Abbildung 3: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene der DBV-Sektion 3A anhand der Betriebsgröße

Die Sektion 3B ist die zahlenmäßig größte Sektion unter den DBV-Mitgliedern. Hier wurden Daten zu 1.169 Einrichtungen erhoben (Abbildung 4). Die Einrichtungen mit >1 bis 5 Personalstellen sind am häufigsten in dieser Sektion vertreten. Im Vergleich zu Männern sind Frauen dort um das 8,5fache häufiger in der obersten Hierarchieebene vertreten. Unter allen Sektionen ist Sektion 3B jene mit dem geringsten Männeranteil.

Abbildung 4: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene der DBV-Sektion 3B anhand der Betriebsgröße

Für die öffentlichen Bibliotheken lässt sich insgesamt festhalten, dass der Anteil von Frauen in Leitungspositionen größer ist als der Anteil der männlichen Leiter. Insbesondere bei kleineren Bibliotheken ist er deutlich höher als jener der Männer. Mit zunehmender Bibliotheksgröße nähern sich diese Werte an, wobei der Anteil der Männer mit einer Ausnahme (Sektion 3B, >20 bis Personalstellen) nie höher ist als der Frauenanteil.

Im Vergleich dazu ergibt sich für wissenschaftliche Bibliotheken ein anderes Bild. Sektion 4 umfasst die wissenschaftlichen Universalbibliotheken. Insgesamt wurden hierfür Daten von 292 Einrichtungen ausgewertet (Abbildung 5). Der Großteil dieser Bibliotheken hat >1 bis 20 Personalstellen. Der Anteil der Frauen in Leitungspositionen ist hier höher und insbesondere in Bibliotheken mit >1 bis 5 Personalstellen signifikant größer. Allerdings zeigt die Erhebung auch einen wesentlichen Unterschied zu den Daten für die öffentlichen Bibliotheken. In Einrichtungen mit mehr als 20 Personalstellen ist der Anteil der Männer in Leitungspositionen größer als jener der Frauen.3

Abbildung 5: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene der DBV-Sektion 4 anhand der Betriebsgröße

Die Mitglieder der Sektion 5 sind wissenschaftliche Spezialbibliotheken. Von der Betriebsgröße lassen sich diese Einrichtungen mit denen aus Sektion 3B aus dem ÖB-Bereich vergleichen. So haben von den 261 Bibliotheken der Sektion 5 nur acht Institutionen mehr als 20 Personalstellen (Abbildung 6). In Bibliotheken mit bis zu fünf Personalstellen ist auch in diesem Fall der Frauenanteil um ein Vielfaches höher als jener der Männer. Herauszustellen ist noch, dass in Einrichtungen mit > 5 bis 10 Personalstellen mehr Männer in Leitungspositionen zu finden sind als Frauen.

Abbildung 6: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene der DBV-Sektion 5 anhand der Betriebsgröße

Um eine Entwicklung über die Jahre nachzeichnen zu können, werden im Folgenden kurz die Auszählungen anhand der Betriebsgröße der Jahrbücher der öffentlichen Bibliotheken (JÖB) sowie der Jahrbücher der Deutschen Bibliotheken (VDB-Jahrbücher) vorgestellt.

5.2.1.2 Auswertung der Jahrbücher der öffentlichen Bibliotheken

Die Erhebung in den JÖB erfolgte jeweils anhand von Fragebögen, die an hauptamtlich geleitete öffentliche Bibliotheken in Deutschland verschickt wurden. Gerade für die Jahrgänge 2002/03 und 2012/13 muss man festhalten, dass ein wesentlicher Teil der verzeichneten Bibliotheken keine Angabe zu Leitung und Personalgröße beinhalten. Die Auszählung der Jahrbücher für diesen Beitrag ergibt ein ähnliches Bild für öffentliche Bibliotheken wie die Auszählung der DBV-Mitgliederstatistik (Abbildungen 7–9). Insbesondere in Betrieben mit bis zu zehn Personalstellen ist der Frauenanteil um ein Vielfaches höher als jener der Männer. Mit zunehmender Bibliotheksgröße sinkt der Frauenanteil im Verhältnis.

Abbildung 7: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene in öffentlichen Bibliotheken anhand der Betriebsgröße, JÖB 1994
Abbildung 8: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene in öffentlichen Bibliotheken anhand der Betriebsgröße, JÖB 2002/03
Abbildung 9: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene in öffentlichen Bibliotheken anhand der Betriebsgröße, JÖB 2012/13
5.2.1.3 Auswertung der VDB-Jahrbücher

Die Einträge in den VDB-Jahrbüchern beruhen auf Meldungen der verzeichneten Bibliotheken. Die zeitliche Entwicklung zeigt, dass sich der Frauenanteil in Leitungspositionen an wissenschaftlichen Bibliotheken sukzessive erhöht hat. 1991 waren nur in Einrichtungen mit bis zu fünf Personalstellen mehr Frauen als Männer in einer Leitungsposition beschäftigt (Abbildung 10). In größeren Bibliotheken überwog der Männeranteil, wobei der Frauenanteil mit Zunahme der Betriebsgröße kontinuierlich abnahm. Für den Jahrgang 2001/02 kann man bereits eine Verschiebung feststellen (Abbildung 11). Auch wenn der Männeranteil noch überwiegt, sind hier auch in Bibliotheken mit >10 bis 20 Personalstellen die Leitungspositionen nun mehrheitlich von Frauen besetzt. 2011/12 ist das Verhältnis von Frauen und Männern in Leitungspositionen nahezu ausgewogen (Abbildung 12). Allerdings zeigt die Auswertung, dass Frauen vornehmlich in kleineren Bibliotheken in Leitungspositionen sind. In Bibliotheken mit mehr als 20 Personalstellen findet sich eine umgekehrte Ausgangslage. Männer in Leitungspositionen sind in diesen Einrichtungen häufiger vertreten als Frauen.

Abbildung 10: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene in öffentlichen Bibliotheken anhand der Betriebsgröße, VDB-Jahrbuch 1991
Abbildung 11: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene in öffentlichen Bibliotheken anhand der Betriebsgröße, VDB-Jahrbuch 2001/02
Abbildung 12: Geschlechterverhältnis der Leitungsebene in öffentlichen Bibliotheken anhand der Betriebsgröße, VDB-Jahrbuch 2011/12
5.2.2 Auswertung in Gesamtzahlen

Nach der Verteilung von Frauen- und Männeranteilen in deutschen Bibliotheken anhand der Einrichtungsgröße wurden die gesammelten Daten in Gesamtzahlen nach Frauen- und Männeranteil ausgewertet, um die vorausgegangenen Ausführungen überblicksartig zusammenzuführen. Da die Verzeichnisse und Jahrbücher auf Angaben der verzeichneten Einrichtungen beruhen und erwartungsgemäß nicht jede Institution, etwa aufgrund von Zeit-/Personalmangel, Daten abliefert, hat sich in jeder Auszählung ein gewisser Anteil an Bibliotheken ergeben, für den keine Informationen zu der Leitung verfügbar ist. Insbesondere die JÖBs der Jahre 2002/03 und 2012/13 weisen einen sehr hohen Anteil an diesen Daten auf. Die folgenden Darstellungen zeigen der Vollständigkeit halber daher zum einen die Gesamtzahlen inklusive dieser unbekannten Variablen und zum anderen eine bereinigte Version, in dem die Bibliotheken ohne Angabe zur Leitung herausgerechnet wurden, auf die sich die folgenden Ausführungen beziehen.

5.2.2.1 Auswertung der DBV-Mitgliederliste, Stand: 2021

Die Auswertung der Gesamtzahlen zeigt für die öffentlichen Bibliotheken, dass in allen Sektionen (1-3) die Mehrzahl der Leitungspositionen von Frauen besetzt ist. Die durchschnittliche Bibliotheksgröße sinkt von Sektion zu Sektion, sodass in Sektion 3B generell die kleinsten Bibliotheken, gemessen anhand der Personalstellen, zu finden sind. Betrachtet man die Verteilung des Frauenanteils auf diese Weise, so stellt man fest, dass der Frauenanteil mit der Abnahme der Bibliotheksgröße steigt. In den Bibliotheken der Sektion 1 liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte noch unterhalb dem Gesamtanteil der weiblichen Beschäftigten (Abbildung 13). In den Sektionen 2 und 3A stimmen die Werte annähernd überein (Abbildungen 15 und 17) und in Sektion 3B liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte sogar deutlich über dem Gesamtdurchschnitt (Abbildung 19). Rechnet man die Werte aller Sektionen zusammen, so ergibt sich zusammenfassend für die öffentlichen Bibliotheken dennoch ein Anteil weiblicher Führungskräfte, der über dem Prozentsatz weiblicher Mitarbeiterinnen im Allgemeinen liegt (Abbildung 21).

Abbildung 13: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 1
Abbildung 14: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 2
Abbildung 15: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 2, bereinigte Version
Abbildung 16: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 3A
Abbildung 17: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 3A, bereinigte Version
Abbildung 18: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 3B
Abbildung 19: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 3B, bereinigte Version
Abbildung 20: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für die öffentlichen Bibliotheken (DBV-Mitglieder)
Abbildung 21: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für die öffentlichen Bibliotheken (DBV-Mitglieder), bereinigte Version
Abbildung 22: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 4
Abbildung 23: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 4, bereinigte Version
Abbildung 24: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 5
Abbildung 25: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für DBV-Sektion 5, bereinigte Version
Abbildung 26: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für die wissenschaftlichen Bibliotheken (DBV-Mitglieder
Abbildung 27: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für die wissenschaftlichen Bibliotheken (DBV-Mitglieder), bereinigte Version

Die Auswertung der Gesamtzahlen zeigt für die wissenschaftlichen Bibliotheken der DBV-Mitgliederliste ebenfalls, dass in den beiden Sektionen 4 und 5 die Mehrzahl der Leitungspositionen von Frauen besetzt ist (Abbildung 27). Allerdings ist die prozentuale Verteilung von weiblicher zu männlicher Führungskraft nicht so deutlich wie in den öffentlichen Bibliotheken. Denn sind dort nur etwa 12 % der Führungskräfte männlich, liegt der Anteil der Männer in Leitungspositionen für die wissenschaftlichen Bibliotheken bei etwa einem Drittel.

5.2.2.2 Auswertung der Jahrbücher der öffentlichen Bibliotheken

Wie eingangs dieses Unterkapitels bereits erläutert, gab es bei jeder Quelle einen gewissen Prozentsatz in den Daten, der keine Angaben zur Leitung der jeweiligen Einrichtung liefert. Insbesondere bei den beiden jüngsten Jahrgängen des JÖB ist dieser Anteil mit über 20 % beziehungsweise 30 % im Verhältnis zu den übrigen Jahrbüchern sehr hoch, sodass sich in der Zeitreihe eine nicht nachvollziehbare Entwicklung des Frauenanteils ergeben würde, von einem hohen Eingangswert mit über 75 %, auf nur noch 58 % neun Jahre später. In den bereinigten Darstellungen sind die Anteile konstant hoch und mit jeweils über 80 % höher als die prozentuale Gesamtzahl weiblicher Beschäftigte in Bibliotheken (Abbildungen 29, 31 und 33).

Abbildung 28: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für öffentliche Bibliotheken, Auszählung JÖB 1994
Abbildung 29: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für öffentliche Bibliotheken, Auszählung JÖB 1994, bereinigte Version
Abbildung 30: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für öffentliche Bibliotheken, Auszählung JÖB 2002/03
Abbildung 31: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für öffentliche Bibliotheken, Auszählung JÖB 2002/03, bereinigte Version
Abbildung 32: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für öffentliche Bibliotheken, Auszählung JÖB 2012/13
Abbildung 33: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für öffentliche Bibliotheken, Auszählung JÖB 2012/13, bereinigte Version
5.2.2.3 Auswertung der VDB-Jahrbücher

Für die Entwicklung der Geschlechterverteilung auf der Führungsebene an wissenschaftlichen Bibliotheken ist über die Zeit eine dynamischere Entwicklung zu beobachten. Für 2021 liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte bei über 65 % (bereinigte Version). Die Auszählung des frühesten Jahrbuchs, das in die Erhebung mit aufgenommen wurde, ist für das Jahr 1991. Dort ergeben sich nach der Auszählung noch umgekehrte Vorzeichen. Der Anteil der männlichen Führungskräfte ist mit drei Vierteln der Gesamtanzahl an ausgezählten Daten so hoch wie zu keinem anderen Zeitpunkt (Abbildung 35). In den Folgejahren nimmt der Anteil der Frauen stetig zu (Abbildung 37) und die Daten aus 2011/12 zeigen erstmals für den gesamten WB-Bereich einen höheren Anteil an weiblichen als an männlichen Führungskräften (Abbildung 39).

Abbildung 34: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für wissenschaftliche Bibliotheken, Auszählung VDB-Jahrbuch 1991
Abbildung 35: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für wissenschaftliche Bibliotheken, Auszählung VDB-Jahrbuch 1991, bereinigte Version
Abbildung 36: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für wissenschaftliche Bibliotheken, Auszählung VDB-Jahrbuch 2001/02
Abbildung 37: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für wissenschaftliche Bibliotheken, Auszählung VDB-Jahrbuch 2001/02, bereinigte Version
Abbildung 38: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für wissenschaftliche Bibliotheken, Auszählung VDB-Jahrbuch 2011/12
Abbildung 39: Geschlechterverhältnis in Gesamtzahlen für wissenschaftliche Bibliotheken, Auszählung VDB-Jahrbuch 2011/12, bereinigte Version

6. Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Schaffung einer umfassenden Datenauswertung zu den aktuellen statistischen Verteilungen von Frauen in Führungspositionen an deutschen Bibliotheken. Der Überblick bereits vorhandener Untersuchungen in Kapitel 4 hat gezeigt, dass die jüngsten aufbereiteten Daten bereits aus dem Jahr 2014 stammen. Zudem ist der Fokus der meisten Studien entweder ausschnitthaft gewählt oder die Ergebnisse sind nicht nachnutzbar.

Die umfassende Auswertung der verfügbaren Quellen schließt somit, zumindest teilweise, eine bestehende Lücke im bibliothekswissenschaftlichen Diskurs und sollte idealerweise als Ausgangspunkt für weitere Diskussionen dienen.

Für die Arbeit erfolgte eine quantitative Erhebung anhand der Mitgliederliste des deutschen Bibliotheksverbands (DBV) für den aktuellen Zeitraum sowie ausgewählter Jahrbücher der deutschen Bibliotheken und der öffentlichen Bibliotheken für frühere Jahrgänge, um die Entwicklung der letzten 20–30 Jahre sichtbar machen zu können.

Bewusst wurde bei der Erhebung die Unterscheidung zwischen öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken beibehalten. Die historische Entwicklung des Berufsfeldes, das in Kapitel 2 dargelegt wurde, konnte zeigen, dass sich die Etablierung von Frauen in den beiden Sparten unterschiedlich schnell entwickelt hat. In der Tat zeigen die Gesamtzahlen in der bereinigten Darstellung der hier vorliegenden Datenauswertung, dass der Anteil von Frauen auf der obersten Hierarchieebene in öffentlichen Bibliotheken in allen untersuchten Jahren bei einem nahezu konstant hohen Wert von über 80 % liegt und deutlich größer ist als bei wissenschaftlichen Bibliotheken (Abbildung 41). Für wissenschaftliche Bibliotheken zeigt sich über die Jahre eine deutliche Entwicklung in den Geschlechterverhältnissen (Abbildung 43). Lag der Frauenanteil auf der obersten Hierarchieebene 1991 noch bei knapp unter 25 %, zeigt die Auswertung für 2021 einen Wert von 65,4 %. Allerdings liegt dieser damit noch deutlich unter dem Gesamtanteil von Frauen im Berufsfeld, was darauf hindeutet, dass öffentliche Bibliotheken in der Tat bessere Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen bieten. So sind Frauen nach wie vor auf der Führungsebene von WBs unterrepräsentiert, auch wenn die aktuellen Zahlen und die dargelegte Entwicklung vermuten lassen, dass sich der Anteil weiter erhöhen wird. Dies zeigt jedoch auch, dass unterschiedliche Richtungen eines Berufsfeldes in unterschiedlichem Maße segregiert sein können. Vergleicht man Sektion 3B (ÖB-Bereich) und Sektion 5 (WB), die sich in der Verteilung der Personalstellen-Klassen ähneln, zeigt sich in der bereinigten Version eine deutliche Diskrepanz in der Verteilung. Während in Sektion 3B 89,7 % der obersten Leitungspositionen von Frauen besetzt sind, liegt der Anteil in Sektion 5 bei 69,5 %.

Allgemeine Untersuchungen der Arbeitsmarktforschung zeigen, dass Frauen in kleineren Betrieben leichter aufsteigen können als in großen Betrieben. Die aktuelle Auszählung kann dies insbesondere für wissenschaftliche Bibliotheken bestätigen. Auch wenn der Gesamtanteil der Frauen in Leitungspositionen in Bibliotheken im Vergleich zu anderen Berufsfeldern erfreulich hoch ist, ergeben sich doch auffällige Punkte, die weiterführender Untersuchungen bedürfen.

Für öffentliche Bibliotheken zeigt die Erhebung, dass sich die Verteilung von Männern und Frauen bei zunehmender Bibliotheksgröße annähern, wobei der Anteil der Frauen immer noch höher ist als jener der Männer. Für wissenschaftliche Bibliotheken ergibt sich ein anderes Bild. Ab einer Bibliotheksgröße mit mehr als 20 Personalstellen ist der Anteil der Männer in Leitungsposition höher als jener der Frauen. Prozesse, wie der in Kapitel 3 beschriebene glass escalator-Effekt, könnten hier greifen.

Die vorliegende Arbeit bietet eine umfassende Übersicht über die Anteile von Frauen auf der obersten Hierarchieebene. Die Erfassung der Verteilung der darunter gegliederten Segmente war durch die Methodenwahl nicht möglich. In einem nächsten Schritt wäre die Untersuchung dieser wünschenswert, um einen Überblick der dortigen Verteilung zu erhalten.

Abschließend lässt sich resümieren, dass die Entwicklung des Anteils von Frauen auf der obersten Hierarchiestufe in wissenschaftlichen Bibliotheken positiv verläuft und sich über die letzten 30 Jahre kontinuierlich erhöht hat. Allerdings liegt er noch immer deutlich unter jenem für öffentliche Bibliotheken, der über den gesamten Untersuchungszeitraum konstant hoch war und sogar über dem Gesamtanteil von Frauen in dem Berufsfeld liegt. Zudem konnte gezeigt werden, dass Frauen insbesondere in kleineren Bibliotheken die Leitungsposition innehaben. Die Ergebnisse dieser Studie liefern also eine umfassende statistische Aufarbeitung der Geschlechterverhältnisse für die Leitungspositionen an deutschen Bibliotheken, was der zugrundeliegenden Leitfrage entspricht. Eine umfassend angelegte qualitative Studie könnte offene Fragen nach potenziellen Gründen beleuchten. Generell ist also in der weiteren Diskussion die Frage zu stellen, ob Frauen sich signifikant häufiger für die Tätigkeit in öffentlichen Bibliotheken entscheiden oder ob die Barrieren für Frauen in wissenschaftlichen Bibliotheken aufzusteigen, tatsächlich höher sind, da die Diskrepanz in der Verteilung der beiden Sparten anhand der statistischen Zahlen merklich ist. Für eine gleichstellungsbezogene Durchmischung müsste die prozentuale Verteilung der Bibliotheksleiter:innen dem Gesamtanteil des jeweiligen Geschlechts im Berufsfeld entsprechen. Der Anteil von 65,4 % (bereinigte Version) für wissenschaftliche Bibliotheken liegt somit immer noch knapp zehn Prozentpunkte unterhalb des Gesamtanteils an Frauen im Bibliotheksbereich. In den Arbeiten von Laura Stadler (STADLER 2012) sowie Birte Gerber, Bianca Mundt und Ines Rabe (GERBER/MUNDT/RABE 2005) klingen bereits kritische zu hinterfragende Punkte wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an.

Abbildung 40: Zeitreihe “Frauenanteil in Leitungspositionen an öffentlichen Bibliotheken”
Abbildung 41: Zeitreihe “Frauenanteil in Leitungspositionen an öffentlichen Bibliotheken”, bereinigte Version
Abbildung 42: Zeitreihe “Frauenanteil in Leitungspositionen an wissenschaftlichen Bibliotheken”
Abbildung 43: Zeitreihe “Frauenanteil in Leitungspositionen an wissenschaftlichen Bibliotheken”, bereinigte Version

7. Danksagung

Ich danke Frau Dr. Ulla Wimmer für ihre Unterstützung während des gesamten Prozesses der Masterarbeit. Weiterhin gilt mein Dank den Kolleg:innen des DBV für die Zusendung der Daten als Excel-Liste zur abschließenden Prüfung der Erhebung.

8. Literaturverzeichnis

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8. Quellen

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  1. In der Literatur werden teilweise unterschiedliche Grenzwerte genannt, jedoch nur mit geringfügigen Abweichungen (ein Vergleich dazu findet sich bei BUSCH 2013: S. 117). Ebenfalls folgen Hausmann und Kleinert dieser Definition in ihrer Studie von 2014 (S. 4).↩︎

  2. Zusätzlich muss man an dieser Stelle zu bedenken geben, dass durch die Zahlen nicht ablesbar ist, wie das Verhältnis von Teil- zu Vollzeitstellen ist und wie sich dieses geschlechtsspezifisch verteilt.↩︎

  3. Für die Staatsbibliothek zu Berlin war in der DBV-Mitgliederliste noch eine Frau als Direktorin vermerkt. Zum Zeitpunkt der Auszählung war jedoch bereits ein männlicher Nachfolger eingesetzt. Dies wurde in der Erhebung berücksichtigt.↩︎


Julia Bartlewski (https://orcid.org/0000-0001-5959-4999) hat Bibliotheks- und Informationswissenschaft (MA LIS) an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und ist seit 2022 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsbibliothek Bielefeld tätig.