«Hier noch einmal auf die Sorgen und Nöte der Bibliothek eingehen zu wollen, hieße wohl Eulen nach Athen tragen. Ist doch in letzter Zeit oft genug die Notwendigkeit diskutiert worden, durch geeignete Maßnahmen der manchmal geradezu verzweifelten arbeitsmäßigen Situation in den Bibliotheken abzuhelfen. Dabei stehen nicht nur allgemeine Maßnahmen der Rationalisierung, sondern auch speziell die Automatisierung verschiedener Arbeitsvorgänge mit entsprechenden Geräten im Mittelpunkt des Interesses.» (Schulte-Tigges 1963: 331)
1. Einleitung
«Mechanisierte Datenverarbeitungsverfahren», so schrieb Walter Lingenberg 1969, «werden in deutschen Bibliotheken erst seit wenigen Jahren angewendet.» (Lingenberg 1969: 1) Gleichwohl stellte er in dem Text, aus welchem diese Aussage stammt, die Ergebnisse einer Umfrage zum Einsatz von Computern vor, bei der immerhin 22 Bibliotheken aus der BRD – die meisten davon, aber nicht alle, Universitätsbibliotheken – antworteten. Diese hatten den Einsatz dieser Geräte nicht nur angedacht, sondern waren ihn schon angegangen. Planungen gab es weit mehr, auch schon erste Enttäuschungen über die tatsächlichen Möglichkeiten dieser frühen Computer. (Lingenberg 1969: 9; Lingenberg 1968: 179; Pflug 1969)
Der Beitrag von Lingenberg war kein Ausreisser. Vielmehr war das Thema Ende der 1960er Jahre im gesamten DACH-Raum präsent: Viele Bibliotheken setzten Computer ein – damals bekanntlich vor allem Mainframe-Rechner in Raumgrösse, obwohl in diesem Jahrzehnt auch erste eigenständige Geräte für den Einsatz in Büros entwickelt wurden. Viele mehr planten dies und in den 1970ern waren Computer in Bibliotheken dann so sehr etabliert, dass die Zahl der Beiträge zum Thema und die Anzahl der Einrichtungen, die sich damit befassten, explodierte. Für die DDR stellte zum Beispiel im gleichen Jahr, in dem Lingenbergs Text erschien, Renate Ludwig (1969) die Gründung einer Arbeitsgruppe «EDAV [Elektronische Datenverarbeitung, K.S.] in Bibliotheken» vor, die aufgrund eines Ministerratsbeschlusses von 1967 beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen eingerichtet wurde und als Aufgabe die Planung des Einsatzes von Computern für das gesamte Hochschul-Bibliothekswesen des Landes übertragen bekam. In Österreich war schon 1966 ein der Nationalbibliothek nahestehender Verein, das «Institut für Bibliotheksforschung» gegründet worden, welcher unter anderem den Einsatz von Computern forschend und beratend fördern sollte. (Mayerhöfer 1966; Stummvoll & Mayerhöfer 1972; Mayerhöfer 1982) 1970 wurde in der «Generalversammlung der Schweizer Bibliothekare» ausführlich über ein Seminar der UNESCO in Regensburg zu diesem Thema berichtet. Dieser, auch publizierte, Vortrag führte tief in das bis dahin vorhandene, dann schon recht breite Wissen zum Thema ein. (Wegmüller & Hoffmann-La Roche 1970) Im gleichen Jahr wurden in der (damals einzigen) schweizerischen bibliothekarischen Fachzeitschrift auch über den Stand des Einsatzes von Computern in der Sowjetunion (Jordi 1970) und den USA (Sydler 1970) berichtet.
Obwohl in vielen dieser Beiträge betont wurde, dass der Einsatz von Computern nur langsam vorankommen würde und auch Überzeugungsarbeit unter den Kolleg*innen zu leisten wäre (Schwarz 1967; Lingenberg 1969; Pflug 1969), finden sich zumindest publiziert kaum Beiträge, welche diese Entwicklung kritisieren würden.1 Wenn, dann finden sich eher Ermahnungen dazu, die tatsächlichen Möglichkeiten und die Geschwindigkeit der Veränderungen nicht zu überschätzen. (Baer 1964; Stummvoll 1969) Dabei war die Entwicklung erstaunlich schnell (wie auch andere Veränderungen in den 1960er Jahren in den Gesellschaften im DACH-Raum). Dass der Einsatz von Computern in Bibliotheken 1969 schon als Tatsache angesehen werden konnte, bei dem es praktisch nur noch um die Frage ging, wann alle Einrichtungen Zugang zu einem haben würden (Pflug 1969), ist das Ergebnis einer rasanten Entwicklung im Bibliothekswesen. Die ganzen 1960er Jahre über wurden in den vier genannten Ländern2 über Rationalisierung und Automatisierung der Arbeit in Bibliotheken nachgedacht – mit, wie sich zeigen wird, auch unterschiedlichen Ansätzen –, wobei zu Beginn des Jahrzehnts nicht klar war, welche Rolle Maschinen in dieser Rationalisierung spielen würden.
Im vorliegenden Beitrag werden der Kontext und der Beginn des Einsatzes von Maschinen zur Datenverarbeitung (als solche wurden Computer am Ende der 1960er Jahre vor allem begriffen) auf der Basis von publizierten Beiträgen dargestellt. Im folgenden Kapitel (2) wird der Kontext dieser Entwicklungen geschildert: Warum machten sich Bibliotheken darum Gedanken, wie sie ihre Arbeit rationeller organisieren konnten? Warum richteten sie ihren Blick dabei auf Maschinen? Daran anschliessend werden die Themen diskutiert, auf die sich dabei die Beiträge und praktischen Versuche von Bibliotheken richteten (3). Hier wird sich zeigen, dass nicht die gesamte Bibliothek oder die Nutzer*innen im Fokus standen, sondern immer wieder über einzelne, abgrenzbare Funktionsbereiche der bibliothekarischen Arbeit nachgedacht wurde. Abschliessend wird auf das Fehlen von Kritiken und Utopien (4) im Zusammenhang mit der Einführung von Computer eingegangen, welches – angesichts anderer Veränderungen und Utopien, die sich zumindest in der bundesdeutschen, schweizerischen und österreichischen Gesellschaft zu dieser Zeit virulent waren – erstaunt. Auch wenn der DACH-Raum in diesem Beitrag gemeinsam behandelt wird, wird in einem kurzen Kapitel auf die Unterschiede zwischen zwei Ländern, der DDR und der BRD, eingegangen (5). Hier zeigt sich am Beispiel der Einführung von Computern, dass, trotz gegenseitiger Einflüsse, die Entwicklung der Bibliothekswesen jeweils länderspezifische Eigenheiten hatte. Zuletzt wird im Fazit diskutiert, welche Bedeutung diese Geschichte für heutige Bibliotheken hat. (6)
2. Warum Bibliotheksarbeit rationalisieren?
Schon in den beginnenden 1960er Jahren herrschte im Bibliothekswesen – und nicht nur dort – die Überzeugung vor, dass sich die materielle Basis der Gesellschaften radikal ändern würde. Während Grundbedürfnisse gesichert und durch die Wirtschaftsentwicklung in Zukunft gedeckt wären, würde die Bedeutung der Wissenschaft und die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaft – oft dargestellt als die Zeit zwischen der Erfindung eines Gerätes und dessen massenhafter Verbreitung – eine immer weiter wachsende Bedeutung erhalten. (Höhne 1963; Schulte-Tigges 1965) Die Wissenschaft würde immer mehr Wissen und damit auch immer mehr Publikationen produzieren, die Wirtschaft und Gesellschaft würde immer mehr Interesse daran entwickeln, möglichst schnell, genau und zielgerichtet über den Fortschritt dieses Wissens informiert zu werden. (Pietsch 1962; Rittberger 1964) Über die Jahre treten auch weitere, mit diesen Veränderungen einhergehende, Begründungen hinzu, beispielsweise die steigenden Studierendenzahlen und die Hochschulreformen in der BRD. (Fock 1967)
Für die DDR stellt Höhne 1963 folgendes fest, um daraus anschliessend abzuleiten, dass sich mit der Rationalisierung der bibliothekarischen Arbeit befasst werden muss:
«Die ständig wachsenden Aufgaben, die heute der Lehre und Forschung sowie der Praxis zur Erfüllung der umfangreichen wissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Ziele (z.B. die Erreichung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes) gestellt werden, fordern auch von den Mitarbeitern der wissenschaftlichen Bibliotheken eine kontinuierliche und termingerechte Betreuung und Versorgung aller Bedarfsträger mit der neuesten Literatur. Nun findet aber die stürmische Entwicklung der Wissenschaften einen Ausdruck in einem enormen Anstieg literarischer Arbeiten, deren Tendenz – mindestens auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und Technik – mathematisch als e-Kurve [hier gemeint: Exponentialfunktion, K.S.] dargestellt werden kann.» (Höhne 1963: 112 f.)
Gleichzeitig, so die immer wieder geäusserte Beobachtung, könnte die Zahl des Bibliothekspersonals nicht so weit gesteigert werden, um diesen Anstieg aufzufangen. Vielmehr müsse nach Wegen gesucht werden, die Arbeit von Bibliotheken so zu organisieren, dass sich die wachsende Masse an Literatur besser bewältigen liesse. (Baer 1964) Am Rande wird auch erwähnt, dass durch eine solche Umstellung Zeit des Personals frei würde, um die neuen Aufgaben, die sich durch diese Veränderungen ergeben, zu bewältigen. (Rittberger 1964) Walter Lingenberg postuliert schon 1963 kurz und knapp folgendes:
«Daß die elektronischen datenverarbeitenden Maschinen in der einen oder anderen Form früher oder später in großen Bibliotheken benutzt werden müssen, weil die Personalgewinnung mit den Anforderungen nicht wird Schritt halten können, daran scheint kein Zweifel möglich (…).» (Lingenberg 1963: 346)
Aber nicht immer wird dabei an Maschinen gedacht. Vielmehr wird auch diskutiert, wie sich die Arbeiten in Bibliotheken sonst umgestalten lassen. (Dux 1964) Das oft genutzte Schlagwort ist nicht Automatisierung, sondern Rationalisierung.3 Georg Bührer spricht zum Beispiel von der «Mechanisierung der Routinearbeit» (Bührer 1966: 121).
In der DDR wird zudem darüber nachgedacht, mit welcher Terminologie die sich ergebenden Veränderungen beschrieben werden müssen. Dabei wird der Begriff «Arbeitsproduktivität» bevorzugt, der aber explizit nicht alleine auf die Nutzung von Maschinen, sondern auf die Messung und dann Verbesserung von Arbeitsgängen bezogen werden soll. (Schulze 1964; Lohse 1966) An sich geht es – im ganzen DACH-Raum – immer wieder darum, erst einmal die Prozesse, die in Bibliotheken stattfinden, zu analysieren (Lingenberg 1963; Schulte-Tigges 1965), also erst zu beschreiben und dann zu verstehen. Zum Beispiel betrachtet im seinerzeit viel diskutierten Gutachten «Rationalisierungsreserven in wissenschaftlichen Bibliotheken» (Kortzfleisch 1968) der Unternehmensberater Hermann von Kortzfleisch im Auftrag der DFG Bibliotheken wie Firmen als Einrichtungen mit verschiedenen, differenzierbaren Tätigkeitsbereichen und fragt nach allen möglichen Formen von potentiell anderen Organisationsformen derer Arbeit. Ein 1967 – mit dem expliziten Ziel, diese Diskussion auch in der BRD zu etablieren (Süberkrüb & Hoffmann 1967) – in deutscher Übersetzung publiziertes Gutachten des «Rationalisierungskomitees für das dänische Volksbüchereiwesen» differenziert zuerst die einzelnen Tätigkeiten Öffentlicher Bibliotheken, misst dann unter anderem wie lange diese einzelnen Tätigkeiten im Schnitt benötigen und schlägt anschliessend vor, wie diese Zeit jeweils reduziert werden kann. (Rationalisierungskomitee für das dänische Volksbüchereiwesen 1967) Gleichwohl wird schnell klar, dass Maschinen Teil der Lösung sein müssen. Zum Ende des Jahrzehnts hat sich diese Überzeugung dann durchgesetzt. 1966 schreibt Helmut Glagla noch vorsichtig:
«Durch Vermehrung des Personals und vertretbare Rationalisierungsmaßnahmen lassen sich angesichts der emporschnellenden Benutzungsziffern nur vorübergehende Erleichterungen schaffen. Um den Arbeitszuwachs auf längere Zeit aufzufangen, ergibt sich eines Tages die Notwendigkeit, technische Hilfsmittel in Anspruch zu nehmen, auch wenn deren Kosten zunächst unverhältnismäßig hoch erscheinen mögen.» (Glagla 1966: 169)
Nur wenige Jahre später ist eine solche vorsichtige Formulierung nicht mehr normal, vielmehr werden vor allem Lösungen und Möglichkeiten der Planung und Nutzung von Computern diskutiert. (Pflug 1969; Kluth 1969)
Dabei war es in den 1960er Jahren nicht ausgemacht, dass Bibliotheken überhaupt die Hauptlast der Verarbeitung der wachsenden Literaturproduktion übernehmen müssten. Parallel zu den hier geschilderten Entwicklungen begannen vor allem grosse Firmen sich mit der Frage zu beschäftigen, wie Maschinen für die Verwaltung der wissenschaftlichen Informationen, die vor allem in Zeitschriftenartikeln verbreitet wurden, genutzt werden könnten. (Baer 1964; Zimmermann 1965) Daraus entwickelte sich schnell die Dokumentation, die sich für einige Jahrzehnte als eigenständiger Berufszweig etablierte. (Pietsch 1962; Zimmermann 1965) Dass dies so passieren würde, war Anfang der 1960er Jahre noch nicht klar. (Auch nicht, dass dieser Berufszweig nach einigen Jahrzehnten praktisch wieder verschwinden würde.)
3. Erste Versuche und erste Themen
Wie geschildert stand am Anfang der Prozesse, die zum ersten Einsatz von Computern in Bibliotheken führten, nicht die elektronische Datenverarbeitung im Vordergrund, sondern die Frage, wie Bibliotheken und deren Arbeit organisiert werden sollte, um die als exponentiell wachsend wahrgenommene Literatur und die steigenden Anforderungen, welche mit diesem Wachstum einhergingen, bewältigen zu können. Maschinen wurden dabei als ein Mittel zum Zweck wahrgenommen. (Zum Beispiel Dux 1964)
3.1 Themen erster Automatisierungsversuche
Auffällig ist, dass sich bei diesen Diskussionen immer auf die Praxis der Bibliothek selber konzentriert wurde: Es ging darum, zu bestimmen, was die Aufgaben von Bibliotheken seien (Höhne 1963; Baer 1964; Dux 1964) und dann davon ausgehend – teilweise über Zwischenschritte – zu klären, wie jeweils abgegrenzte Tätigkeiten in Bibliotheken rationeller organisiert werden könnten, um diese Aufgaben zu erfüllen.
Lingenberg (1963) unterscheidet explizit zwischen Verwaltungsaufgaben wie dem Geschäftsgang, welche einfach automatisiert werden könnten, und der Sacherschliessung, deren Automatisierung schwierig sei. In einer recht frühen Übersicht zu datenverarbeitenden Maschinen, die in Bibliotheken eingesetzt werden können, nennt Friedhelm Schulte-Tigges (1963) als die in Frage kommenden Bereiche die Ausleihe, die Erstellung und Verwaltung von Katalogen, die Eingangskontrolle von Zeitschriften und die Bibliotheksstatistik.4 Gerhard Loh unterteilt in Erwerbung (Kaufzugang, Tauschzugang, Geschenkzugang, Zeitschriftenerwerbung), Erschliessung (Alphabetischer Katalog, Sachkatalog, Auskunftstätigkeit) und Benutzung. (Loh 1965) Gertraud Stein hingegen differenziert in Arbeiten der Erwerbungsabteilung, die Bearbeitung von Buchtiteln und Arbeiten der Benutzungsabteilung. (Stein 1967) Walter Lingenberg berichtet von Automatisierungen in kanadischen und US-amerikanischen Bibliotheken und erwähnt – allerdings in jeder der beschriebenen Bibliotheken wieder anders eingeteilt – Ausleihe, Erwerbung, Zeitschriftenakzession und -eingangskontrolle, Auskunftssystem sowie Katalogisierung. (Lingenberg 1968) Anders gesagt: Einerseits war offenbar Konsens, einzelne Aufgaben jeweils gesondert anzugehen, andererseits war nicht gesichert, welche Aufgaben das wären und in welcher Reihenfolge und Dringlichkeit sie bearbeiten werden sollten.
Auf der einen Seite lässt sich dies durch die zur Verfügung stehende Technik erklären: Lochkartengeräte, Rechenmaschinen, erste Computer waren aus heutiger Sicht in ihren Funktionen stark beschränkt. Sie liessen sich programmieren oder umnutzen (das war ihr grosser Vorteil gegenüber anderen Maschinen), aber immer nur für einzelne Aufgaben. Deshalb wurden im Bibliothekswesen (und anderswo) auch immer wieder neue Systeme, die einzelne Aufgaben erfüllen sollten, aufgebaut und betrieben. Erst nach erheblichen technischen Fortschritten wurde denkbar, diese Systeme zusammenzuführen, was dann mit den «Integrierten Bibliothekssystemen» in den 1980er Jahren geschah. Auf der anderen Seite scheint dies aber auch ein Ergebnis des Rationalisierungsdiskurses selber gewesen zu sein: Weil immer wieder die einzelnen Prozesse von Bibliotheken analysiert wurden, Bibliotheken also als eine Ansammlung von miteinander verbundenen, aber autonom zu analysierenden und zu verändernden Prozessen verstanden wurden, wurden dann auch jeweils Lösungen für einzelne Prozesse gesucht.
3.2 Eine Chronologie der Einführung von Computern in die Bibliothekswesen im DACH-Raum
Wie beschrieben waren in den ersten Jahren der 1960er die diskutierten Lösungsversuche breiter aufgestellt: Es wurde über den Einsatz von Personal, über konkrete Arbeitsabläufe, über Lochkarten, Reprographie, verschiedene Rechenmaschinen und Computer diskutiert. Im Laufe der Zeit reduzierte sich dies fast vollständig auf Computer (und, für einzelne Aufgaben, die Reprographie (Dux 1966)).5 Wann passierte dies?
Der hier schon mehrfach angeführte Vortrag von Friedhelm Schulte-Tigges (1963) auf dem Bibliothekstag in Saarbrücken stellt eine frühe Stufe dieser Entwicklung dar. Der Referent bespricht schon Möglichkeiten, «elektronische Datenverarbeitungsanlage[n]» (Schult-Tigges 1963: 331) in Bibliotheken einzusetzen, erklärt aber am Anfang erst einmal ausführlich, was diese Maschinen tun und welche Terminologie genutzt wird, um deren Arbeit zu beschreiben. Er findet es sogar notwendig, kurz zu erläutern, was Daten sind. Offensichtlich steht man hier noch ganz am Anfang. Im gleichen Jahr findet dann allerdings schon ein «Programmierkursus für Dokumentare und Bibliothekare» (Stamm 1963: 371) statt, was noch als besonderes Ereignis mit einer eigenen Meldung in der Fachpresse hervorgehoben wurde. (Stamm 1963)
Dux und Siewert (1965) diskutieren zwei Jahre später in ihrem Text schon das Problem, dass es in den sozialistischen Ländern jeweils eigene Terminologien für die datenverarbeitende Technik gäbe, welche teilweise schwer miteinander zu vereinbaren wären. Das ist schon ein grosser Schritt: Die Grundbegriffe und -strukturen müssen nicht mehr erklärt werden, sondern sind schon so weit verbreitet, dass man sie offenbar als bekannt voraussetzen kann und sich eher darum Sorgen machen muss, dass sie zu wild wachsen.
1965 werden dann in der DDR die schon in einigen anderen sozialistischen Ländern vorhandenen Lösungen zum Einsatz von Rechenmaschinen in Bibliotheken in einem Bericht über ein Symposium in Moskau angesprochen (Dux & Siewert 1965) sowie über einen «programmgesteuerten Schreibautomaten» aus DDR-Produktion, ein ähnliches Gerät aus der ČSSR und deren Einsatzmöglichkeiten in Bibliotheken, berichtet. (Möbus 1965) 1966 findet sich äquivalent dazu zum Beispiel die Darstellung einer Lösung aus den USA in einem schweizerischen Artikel. (Bührer 1966) Interessant ist hier auch, dass sich die Texte aus der DDR und aus der Schweiz zwar in der vorgestellten Technik, aber kaum in den angedachten Anwendungsmöglichkeiten in den Bibliotheken unterscheiden. Obwohl von harten Landesgrenzen getrennt, scheint die Entwicklung bis zu diesem Punkt zumindest in der Ebene der Theorie ähnlich schnell gewesen zu sein.
Ab 1965 finden sich dann auch zahlreicher werdende Beiträge zu Projekten in einzelnen Bibliotheken in der Fachliteratur, beispielsweise zur Maschinellen Datenverarbeitung an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (Glagla 1966), über den Einsatz von Lochstreifen bei der Organisation der Ausleihe an der UB Bochum (Lingenberg 1967; Universitätsbibliothek Bochum 1967) und an der Stadtbücherei Duisburg (Mojek 1967). Insbesondere die Bibliotheken der Universitätsneugründungen in der BRD tun sich mit solchen Projekten hervor. (Lingenberg 1969; Pflug 1969)
Einigen Eindruck hinterliess auch der als Broschüre veröffentlichte Bericht einer Reise mehrerer Bibliothekare zu US-amerikanischen Bibliotheken. (Siehe zum Beispiel Stummvoll (1969), der eine broschürenlange Kritik lieferte.) In diesem wird über den Einsatz von Computern und damit einhergehenden Fragen berichtet. (Pflug 1967) Grundsätzlich wird dabei gezeigt, dass Computer in Bibliotheken eingesetzt werden können, aber nur dann, wenn sie – wegen der immensen Kosten – effektiv genutzt würden. Das würde wieder dazu führen, dass sich die Organisation der bibliothekarischen Arbeit verändern müsste. Der Bericht ist nicht die erste oder letzte Publikation, welche die Kostenfrage anspricht und Lösungen dafür, insbesondere die Kooperation von Bibliotheken, vorschlägt. (Möbus 1965; Stein 1967; Kluth 1699) Die 1965 durchgeführte Reise, auf welcher der Bericht basiert, wurde von der DFG finanziert, welche um diese Zeit beginnt, die Einführung von Computern in Bibliotheken zu fördern. Sie finanzierte zum Beispiel auch seit 1965 die Herstellung eines maschinell erstellten Katalogs an der Staats- und Universitätsbibliothek Hannover. (Vogt 1967) An sich stehen ab Mitte der 1960er Jahre Finanzmittel für Computer in Bibliotheken zur Verfügung. Gleichzeitig werden Möglichkeiten dafür eingerichtet, auf Computern anderer Einrichtungen (vor allem universitäre Rechenzentren) Rechenzeit für Bibliotheken zur Verfügung zu stellen. Dies gilt nicht nur für die BRD, wo DFG, Volkswagenstiftung und Ministerien als Finanziers auftreten, sondern beispielsweise – wenn auch mit weniger finanziellen Möglichkeiten – für die DDR, wo die betreffenden Ministerien diesen Einsatz organisieren und finanzieren (Stein 1967) und die Schweiz, wo für Bibliotheken informationsintensiver Industrien von den jeweiligen Firmen selber Computer oder Rechenzeit finanziert werden. (Margot & Monnier 1968)
Ab 1967 häufen sich dann auch die Berichte über weitere Reisen zu Bibliotheken unterschiedlicher Länder, in denen Computer eingesetzt werden, und über Konferenzen zum Thema. (Zum Beispiel Lingenberg 1968; Steiniger 1970; Sydler 1970; Wegmüller & Hoffmann-La Roche 1970) Ab diesem Zeitpunkt ist das Thema grundsätzlich in der Fachliteratur etabliert, auch wenn der Eindruck vorzuherrschen scheint, dass man im DACH-Raum gegenüber anderen Ländern (insbesondere der USA und der Sowjetunion) im Hintertreffen sei.
Auffällig ist, dass bei den Projektberichten mehr und mehr ins Detail gegangen wird. Stellen die ersten Berichte 1966 und 1967 vor allem klar, dass der Einsatz von Computern möglich ist, werden die Publikationen mit der Zeit schnell umfangreicher, weil – erst in Artikeln, schnell aber auch in Broschüren – detaillierte Pläne, Schemata und Handreichungen mit publiziert werden. (Beispielsweise Niewalda & Preuß 1969 und die Schriftenreihen der im nächsten Absatz erwähnten Institute.)
Erstaunlich schnell geht auch die Gründung von Institutionen, die sich der Förderung von Computern in Bibliotheken widmen: 1963 wird im Bibliotheksausschuss der DFG ein «Unterausschuss für Rationalisierung» gegründet, welcher 1969 schon umbenannt ist in «Unterausschuss für Datenverarbeitung» und zu diesem Zeitpunkt mehrere Projekte angestossen und für deren Finanzierung gesorgt hat. (Lingenberg 1969) 1966 wird, wie schon erwähnt, bei der Österreichischen Nationalbibliothek das «Institut für Bibliotheksforschung» begründet, welches unter anderem die Aufgabe der Förderung des Einsatzes von Computern hat. (Mayerhöfer 1966) In der DDR wird 1967/68 vom betreffenden Ministerium ein «Rationalisierungsprogramm für das wissenschaftliche Bibliothekswesen» publiziert und für 1968 ein fertiger Plan für die Umsetzung desselben angekündigt (Stein 1967), 1969 ist dann schon die weiter oben genannte Arbeitsgruppe «EDAV in Bibliotheken» etabliert. (Ludwig 1969) Walter Lingenberg erwähnt 1969, dass an der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Berlin eine «Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik» eingerichtet würde (Lingenberg 1969: 2), was dann mit einiger Verspätung 1970 auch passierte (Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik 1970). Während also bis zur Mitte der 1960er über Rationalisierung im Bibliothekswesen vor allem diskutiert und verschiedene mögliche Wege thematisiert wurden, wird in der zweiten Hälfte des Jahrzehnt der Computer als Lösung etabliert und auch institutionell verankert.6
Damit ändern sich auch die Themen, die diskutiert werden. Es geht in den letzten Jahren des Jahrzehnts vor allem darum, wie Computer effektiv genutzt werden können und wie diese Computernutzung finanziert werden kann. Dieses Problem wird sich in den folgenden Jahrzehnten durch die rasante Entwicklung der Technik weg vom Mainframe-Computer lösen. In den späten 1960er Jahren hingegen wird mehrfach die Forderung erhoben, Rechenzentren zur gemeinsamen Nutzung von Computern zu bilden. (Möbus 1965; Schulte-Tigges 1965; Goltdammer 1967; Rationalisierungskomitees für das dänische Volksbüchereiwesen 1967; Stein 1967; Kluth 1969) Auffällig ist auch, dass zu Beginn des Jahrzehnts mehrfach betont wurde, dass die Bibliotheken Aufgaben für ihre Nutzer*innen erfüllen sollen. Walter Lingenberg – der das gesamte Jahrzehnt über in diesem Kontext aktiv war – betonte 1963 noch folgendes:
«… Rationalisierungsmaßnahmen [sollen] nicht dazu führen, daß der Dienst am Benutzer verschlechtert wird.» (Lingenberg 1963: 348)
Am Ende des Jahrzehnts wird über die Nutzer*innen nicht mehr diskutiert – was sichtbar wird, wenn die Texte von Lingenberg aus dieser Zeit (Lingenberg 1967; 1968; 1969) dem von 1963 gegenübergestellt werden –, sondern darüber, wozu Computer in der Bibliothek benutzt werden können.7 Ohne dass dies angestrebt war, scheint der Computer in gewisser Weise zum Selbstzweck geworden zu sein.
4. Zu Kritik, Utopie und die Bibliothek der Zukunft
Im Rückblick überraschend ist, dass in den 1960ern in der hier herangezogenen Fachliteratur drei Themen kaum vorkommen: Kritik an Rationalisierung oder Computereinsatz, utopische Vorstellungen und Diskussionen darum, wie Bibliotheken in Zukunft aussehen sollen oder werden. In einigen wenigen Texten finden sich Hinweise darauf, dass der Einsatz von Maschinen den persönlichen Kontakt zwischen Bibliothekar*innen und Nutzer*innen reduzieren könnte (Dux 1964; Pflug 1965) und ihr Einsatz realistisch und ohne überzogenen Hoffnungen angegangen werden müsse (Baer 1964). Es scheint aber so, als wäre die Grundhaltung zur Rationalisierung unter all denen, die sich an der Literatur beteiligten, weitgehend ähnlich gewesen, obwohl gerade die Einführung der Computer tatsächlich die Arbeit in Bibliotheken veränderte: Sie wurde einfach als notwendig angesehen. Die dafür eingesetzten finanziellen und personellen Ressourcen waren insbesondere in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre hoch, die Arbeit in Bibliotheken wurde tatsächlich verändert, wenn beispielsweise Daten in computerlesbarer Form aufgenommen wurden, nicht mehr auf Katalogkarten – und dennoch setzte dies wenig Nachdenken über die Zukunft oder gar Kritik frei.
In wenigen Texten wird postuliert, dass sich die Bibliotheken zwar verändern, aber auch in Zukunft weiter bestehen würden. (Loh 1965) Eine der wenigen konkreten Utopien, die sich in diesen Texten findet, ist dann bezeichnenderweise wenig phantasiereich und eher eine Fortschreibung von Entwicklungen, nicht der Entwurf einer ganz anderen Bibliothek (oder Welt):
«Der erst junge Traum, mit elektronischen datenverarbeitenden Maschinen die Katalogherstellung, alle Katalogbefragungen und sämtliche Buchungsarbeiten auf ein Minimum an körperlicher und geistiger Arbeit zu reduzieren, wird früher oder später erfüllbar sein.» (Loh 1965: 385)
Das ist überraschend, beschäftigen sich doch Bibliotheken hier mit der gerade aktuellsten Technik, die mit grossen Versprechen über ihre zukünftige Leistungsfähigkeit verbunden war und die gleichzeitig von Teilen der Gesellschaften im DACH-Raum heftig kritisiert wurde. (Müller & Nievergelt 1996) Nicht zu vergessen ist, dass sich die Gesellschaften im DACH-Raum in diesem Jahrzehnt an sich massiv veränderten, vor allem liberaler wurden und radikal alternative Gesellschaftsentwürfe, inklusive rabiater politischer Kritik des gesellschaftlichen Status Quo, zumindest in der BRD, Österreich und Schweiz, nicht selten waren. All dies findet sich in der Literatur zur Rationalisierung und Automatisierung von Bibliotheken nicht wieder. Offenbar existierte in dieser ein breiter Konsens dazu, dass sich die Arbeit in Bibliotheken verändern und man dafür Computer nutzen müsse. Diskutiert wurde nur, wie genau. Ein wenig erscheint im Rückblick diese Entwicklung in Bibliotheken inhaltlich losgelöst von der Gesellschaft gewesen zu sein.
5. Unterschiede zwischen den Ländern
Während sich zum hier behandelten Thema aus den 1960er Jahren nur wenige Beiträge aus der Schweiz (wo die Diskussion etwas später einzusetzen scheint) und Österreich (wo die Nationalbibliothek in Wien tonangebend zu sein scheint) finden lassen und es deshalb schwierig ist, diese direkt zu vergleichen, lässt sich an den unterschiedlichen Beiträgen aus BRD und DDR zeigen, dass sich Bibliothekswesen – auch wenn sie in diesem Fall erst rund zwanzig Jahre getrennte Wege gingen – unterschiedlich entwickeln, selbst wenn sie ähnliche Herausforderungen (Wachstum der Literatur, der Anforderungen und der Nutzer*innenzahl) angehen und dabei ähnliche Lösungen (Rationalisierung, Einsatz von Computern) wählen. Die Gesellschaft und Strukturen eines Landes haben offensichtlich einen grossen Einfluss auf das Bibliothekswesen.
In der DDR wird schnell versucht, Rationalisierung und dann den Einsatz von datenverarbeitenden Maschinen theoretisch zu fassen. Immer wieder werden neue Definitionen gegeben, an schon vorhandene Theorien oder politische Vorgaben, die als Theorie behandelt werden (Schulze 1964), angeschlossen, auf Normungen gedrängt (Goltdammer 1967) und darauf geachtet, welche Terminologie sich entwickelt oder entwickeln sollte. (Dux & Siewert 1965; Lohse 1966) Zudem wird immer wieder für das gesamte Bibliothekswesen des Landes, zumindest das Wissenschaftliche, geplant, nicht für einzelne Bibliotheken. (Stein 1967; Ludwig 1969)
Auf der einen Seite ist diese theoretische Beschäftigung wohl zu erklären mit den geringeren Mitteln für die Anschaffung von Computern und damit auch dem schwierigeren Zugang zu ihnen. So gesehen ist die Theoretisierung immer auch Vorarbeit für den Zeitpunkt, an dem Computer zur Verfügung stehen werden. Auf der anderen Seite sind sie aber dem Vorgehen bei allen Veränderungen in der DDR (und anderen sozialistischen Staaten) inhärent: Da die Gesellschaft auf konkreter, fortlaufender Planung aufgebaut sein sollte, die auf einer theoretischen Basis aufbaute, war es auch nur folgerichtig, dass Bibliotheken die Rationalisierung ihrer Arbeit auf diese Weise angingen. Deshalb ist zum Beispiel die Terminologie auch wichtig, da nur mit ihr sinnvoll Theorieentwicklung betrieben werden kann. Weil zudem – zumindest idealtypisch – alle Wissenschaftlichen Bibliotheken als Teil von zusammenhängenden Netzen verstanden wurden, war es folgerichtig, für alle Bibliotheken eines Typus zugleich zu planen.
Hingegen zeichnet sich die Entwicklung in der BRD durch vielfältige Ansätze und Projekte, aber vor allem durch eine hohe Praxisorientiertheit aus. Theoretische Auseinandersetzungen gab es nur am Rande und am Beginn der hier beschriebenen Prozesse (Lingenberg 1963), eine eigene Theorieentwicklung gab es nicht. Ebenso wenig existierte eine übergreifende Planung. Vielmehr gingen Bibliotheken an mehreren Orten schnell daran, eigene Projekte umzusetzen, die allesamt als Vorbild für andere Bibliotheken dienen konnten (so wurde dann auch über sie berichtet), die aber zuvörderst in der jeweiligen Bibliothek funktionierten.
Zum Teil lässt sich dies – im Gegensatz zur Situation in der DDR – wohl mit den tatsächlich vorhandenen finanziellen Mitteln erklären, die recht früh für die Anschaffung von Computern zur Verfügung standen. Insoweit konnten Bibliotheken in der BRD schneller dazu übergehen, tatsächlich mit ihnen zu arbeiten und an ihnen zu lernen. Zum anderen Teil aber spiegelt sich hier auch die Struktur der Gesellschaft wieder, die eher in Einzelinstitutionen, welche in Konkurrenz zueinander stehen, organisiert ist. Kooperation muss dann anders bewerkstelligt werden (unter anderem über den Bibliotheksausschuss in der DFG) und ist nicht schon in einem Netz aller Bibliotheken angelegt.
6. Fazit
Der in diesem Text dargebotene Überblick über die Integration der ersten Computer in die Bibliothekswesen im DACH-Raum bietet eine Blaupause, um Veränderungen in Bibliotheken zu analysieren, auch heute, wo andere Themen – Forschungsdatenmanagement, Open Science in Wissenschaftlichen Bibliotheken oder Partizipation und der Einsatz von Technik wie Robotern in Öffentlichen Bibliotheken – im Fokus stehen. Die Geschichte wiederholt sich nicht einfach, aber Strukturen, denen Institutionen bei ihren Entwicklungen pfadabhängig folgen, existieren weiterhin.
Auffällig ist zuerst, dass die Entwicklung im Rückblick rasend schnell vonstatten ging. (Pflug 1969) Innerhalb eines Jahrzehnts wurde von einer wahrgenommenen Krise – steigende Literaturproduktion, nicht mitwachsendes Personal – zum konkreten Einsatz von Maschinen in Bibliotheken übergegangen. Ebenso wurde innerhalb dieses Jahrzehnts von ersten terminologischen Einführungen zur konkreten Darstellung von Datenstrukturen übergegangen, die zu diesem Zeitpunkt offenbar allgemein verstanden wurden. Auch wenn in einigen Texten vom Scheitern von Projekten, überzogenen Erwartungen oder einem gewissen Strukturkonservatismus von Bibliotheken berichtet wird (Pflug 1965; Ra 1969) – und wohl von den Handelnden auch als Ausbremsen von Veränderung verstanden wurden –, gab es eine kontinuierliche Entwicklung, die das Gegenteil zeigte. Innerhalb von nicht einmal zehn Jahren waren neue Maschinen und Arbeitsstrukturen etabliert. Am Anfang der 1960er Jahre machten sich Bibliotheken Gedanken darüber, wie ihre Arbeitsprozesse rationalisiert werden könnten, am Ende des Jahrzehnts war es dann zum Beispiel in vielen Bibliotheken schon etablierte Praxis, die Katalogisierung computergestützt zu bewerkstelligen und regelmässig Kataloge auszudrucken. (Vogt 1967; Margot & Monnier 1968; Niewalda & Preuß 1969) Diese reale Veränderung ging in der alltäglichen Praxis vielleicht unter, im Rückblick ist sie aber erstaunlich und deutet darauf hin, dass Bibliotheken sehr wohl in der Lage sind, sich zu entwickeln und zeitgemässe Lösungen für Herausforderungen zu finden.
Gleichzeitig ist bei dieser Geschichte auffällig, wie sehr die Bibliothek und ihre Organisation im Mittelpunkt der Diskussionen und Projekte stand. Es gab anfänglich immer wieder Verweise darauf, dass Bibliotheken auf Entwicklungen, die ausserhalb ihrer selbst stattfinden – wissenschaftlich-technische Revolution, steigende Literaturproduktion – reagieren müssten und dass sie ihre Aufgaben vor allem für ihre Nutzer*innen erfüllen. Aber am Ende ging es immer darum, die Arbeit in der Bibliothek zu organisieren und zu verändern. So wurde in all den hier ausgewerteten Texten kein einziges Mal die Perspektive der Nutzer*innen oder anderer beteiligter Institutionen – der Hochschulleitungen, der Finanziers wie der DFG oder dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen – einbezogen oder diese gar abgefragt. Erwähnt wurde weiter oben auch, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Jahre keinen Widerhall bei diesen Entwicklungen in Bibliotheken gefunden zu haben scheinen. Bibliotheken entwickelten sich vor allem mit Bezug auf sich selber und auf andere Bibliotheken weiter. Für die Bewertung heutiger Entwicklungen in Bibliotheken ergibt sich daraus die Frage, wie dies real gestaltet ist: Auch heute erheben Bibliotheken den Anspruch, auf Entwicklungen ausserhalb ihrer selbst zu reagieren und gleichzeitig die eigene Arbeit zu leisten, um Anforderungen der Nutzer*innen und anderer Institutionen zu erfüllen. Aber ist die Entwicklung wirklich darauf bezogen oder folgt sie doch eher internen Logiken des Bibliothekswesens selber?
Erstaunlich war bei der geschilderten Entwicklung, wie rasant sich die anfänglich breite Diskussion darauf zuspitzte, Computer als Lösung in den Mittelpunkt zu stellen. Am Ende des Jahrzehnts wurde nicht mehr begründet, warum Computer eingesetzt werden sollten und auch kaum mehr auf mögliche Rationalisierungsmöglichkeiten eingegangen, sondern fast nur noch diskutiert, wie genau die bibliothekarische Arbeit um Computer herum organisiert werden müsste. Die Maschine war damit in gewisser Weise zum Selbstzweck geworden. Einher ging dies, wie auch schon erwähnt, mit einer erstaunlichen Utopielosigkeit. Die Fokussierung auf den Einsatz von Computern ging damit einher, dass zumindest in publizierter Form nicht mehr über Alternativen nachgedacht wurde. Eventuell ist dies ein Effekt der als zu viel wahrgenommen Arbeit in Bibliotheken zu verstehen: Wenn die Ressourcen und die Arbeitszeit schon vollständig für den Alltag und die Lösung einzelner Projekte verwendet wird und sich am Horizont immer mehr und nicht enden wollende Arbeit abzeichnet, lässt sich vielleicht schwer ein Ort und die Zeit finden, über andere mögliche Entwicklungen nachzudenken. Aber das führt dann dazu, dass ohne weitere Prüfung auf einem einmal eingeschlagenen Weg weitergegangen wird.
Grundsätzlich zeigt diese Geschichte auch, dass Bibliotheken zwar nicht die Avantgarde beim Einsatz von Technik oder anderen Veränderungen darstellen – dass sie also zum Beispiel nicht die Forschung zur Entwicklung von datenverarbeitenden Maschinen durchführten –, aber dass sie doch kurz hinter dieser Avantgarde folgend sehr schnell Entwicklungen aufnehmen und integrieren können. Das Problem ist nicht ein angeblicher Strukturkonservatismus der Bibliotheken. Problematischer scheint eher, dass die Lösungen schnell alternativlos zu werden scheinen. Unter der erstaunlichen Betriebsamkeit von Bibliotheken, die sich in den 1960ern zeigte, scheint die Kreativität und die Reflexion über einmal eingeschlagene Entwicklungsrichtungen zu verschwinden. Zu fragen wäre, ob dies nur für dieses Thema gilt oder ob dies eine allgemeine Struktur von Entwicklungen im Bibliothekswesen darstellt.
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Ausnahme ist ein Beitrag von Paul Scherrer-Bylund, immerhin bis 1962 Direktor der Bibliothek der ETH Zürich, aber bei Erscheinen des Artikels schon im Ruhestand. (Scherrer-Bylund 1969) Er greift auf eine recht anti-modernistische Haltung zurück, wenn er «Tradition und Technik in Bibliotheken» gegenüberstellt. Gleichzeitig liest sich der gesamte Text in Terminologie und Weitschweifigkeit wie aus der Zeit gefallen. Dies vermittelt den Eindruck, als wäre der Einsatz von Computern auch Teil eines Generationenwechsels im Bibliothekswesen im DACH-Raum gewesen. (Den Rückgang der «Modernekritik» und einen Generationenwechsel Ende der 1960er beschreibt auch Kuttner (2018).)↩︎
Zum Fürstentum Liechtenstein, auch Teil des DACH-Raumes, liegen keine Publikationen zu diesem Thema vor. Das ist allerdings nicht überraschend, die Landesbibliothek wurde erst 1961 gegründet, ebenso die Vorläufereinrichtung der heutigen Universität Liechtenstein (die erst 1992 zur Fachhochschule und 2011 zur Universität erhoben wurde). Insoweit fehlten im Fürstentum wohl auch grosse Bibliotheken, welche diese Diskussionen hätten vorantreiben können. Zu den Forschungsbibliotheken in den Betrieben der spezialisierten Industrien – die in den anderen Ländern, gerade der Schweiz (Margot & Monnier 1968), ebenfalls zum Teil früh über den Einsatz von Computern nachdachten – im Fürstentum fehlen leider Publikationen.↩︎
Dies gilt nicht nur für Wissenschaftliche Bibliotheken, sondern für alle möglichen Bibliothekstypen. Siehe zum Beispiel für Öffentliche Bibliotheken Taube (1963).↩︎
Interessanterweise erwähnt er schon hier, dass an einem «Klarschriftleser» gearbeitet würde. (Schulte-Tigges 1963: 333) Bis dieser zur Verfügung stehe, müssten allerdings Daten anders an die Maschinen übertragen werden. Der Optimismus, dass ein solcher Leser in naher Zukunft zur Verfügung stehen würde, war – wie in der Rückschau sichtbar ist – unberechtigt. Ein solches Scheitern von Voraussagen zieht sich auch durch die Geschichte der Automatisierung von Bibliotheksarbeit.↩︎
In seiner Geschichte der «chinesischen Schreibmaschine» beschreibt Thomas S. Mullaney einen Rückgang der technischen Utopiefähigkeit (Mullaney 2017): Während zuerst verschiedene Formen von Schreibmaschinen erfunden wurden und damit auch die theoretische Möglichkeit bestand, eine spezielle für die chinesische Sprache zu konstruieren, setzte sich auf dem westlichen Markt schnell eine Form der Schreibmaschine durch, die für die englische Sprache konstruiert war. Diese konnte mit einigen zusätzlichen Tasten für andere europäische Sprachen erweitert werden. Aber anschliessend wurde dann immer wieder versucht, über den gleichen Weg – der Erweiterung des Zeichensatzes einer «englischen» Schreibmaschine – auch die chinesische Sprache abzudecken. Dies scheiterte durchgehend. Erst dadurch, dass Ingenieure (zuerst in japanischen, nicht westlichen Firmen) diesen vorgefahren Weg verliessen und noch einmal daran gingen, eine ganz andere Form der Schreibmaschine zu konstruieren, war dies letztlich möglich. Wenn auch nicht so weitreichend, hinterlassen die Publikationen zur Automatisierung in Bibliotheken in den 1960er Jahren einen ähnlichen Eindruck: Zuerst gibt es eine grosse Breite an möglichen Lösungen, dann wird sich – ohne, dass sich die anderen Lösungen wirklich als falsch herausgestellt hätten – auf die Lösung Computer fokussiert und alle anderen Lösungen einfach praktisch nicht mehr thematisiert. Auch hier scheint ein gewisser Verlust an Utopiefähigkeit stattgefunden zu haben.↩︎
In ihrer Darstellung der Geschichte des Deutschen Bibliotheksinstituts, das nach Vorbereitungen 1978 gegründet wurde, erwähnt Helga Schwarz mehrfach Probleme des Instituts, Zugang zu einem Computer zu erlangen, um auf diesem Forschungsarbeiten durchzuführen. (Schwarz 2018) Sie führt nicht aus, welche Arbeiten dies genau waren, aber das Bibliotheksinstitut schloss damit explizit an Institutionen an, die schon in den 1960ern gegründet wurden, namentlich der «Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik» an der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Berlin. Insoweit setzte sich hier eine Tradition an Fragestellungen fort.↩︎
Einzige Ausnahme ist der Beitrag von Steinbuch (1968), der beklagt, dass die Technik schneller vorangeschritten sei, als das Verständnis der Menschen (oder Bibliotheken) von ihr und gleichzeitig in den Blick nimmt, dass in Zukunft Nutzer*innen direkt mit Informationstechnik umgehen werden, nicht nur die Bibliotheken.↩︎
Karsten Schuldt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, FH Graubünden und Redakteur der LIBREAS. Library Ideas.