> > > LIBREAS. Library Ideas # 38

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doi:10.18452/23470 (edoc HU Berlin)

Interview mit Rina Jost


Zitiervorschlag
Rina Jost, Redaktion LIBREAS, "Interview mit Rina Jost". LIBREAS. Library Ideas, 38 ().


LIBREAS: Vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, unsere Fragen zu beantworten. Wir haben gemerkt, dass eine ganze Anzahl von Designer*innen und Künstler*innen, wenn sie für Bibliotheken arbeiten, gerne als ein Symbol auf Tiere oder Pflanzen zurückgreifen. Uns interessiert, warum das so ist. Gleichzeitig wollen wir die Möglichkeit auch nutzen, um von Ihrer Seite zu hören, wie eine solche Zusammenarbeit mit Bibliotheken abläuft. (Wir denken sonst, ehrlich gesagt, eher von Seiten der Bibliotheken her.)

Wann kamen Sie das erste Mal in Ihrer Arbeit mit Bibliotheken in Kontakt? Hatte das bei Ihnen Vorläufer, beispielsweise eigene Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend?

Rina Jost (RJ): Als Kind habe ich sehr gerne Zeit in Bibliotheken verbracht. Die Bibliotheksstunde war eine meiner Lieblingslektionen in der Schule und auch privat haben meine Eltern mich und meine Schwester oft in die Bibliothek mitgenommen, um über das Wochenende (oder für die Ferien) Comics, Bücher und Filme auszuleihen. Insofern haben mich Bibliotheken früh geprägt – auch heute gehe ich manchmal zum Stöbern und für Inspiration in die Bibliothek. Im Auftragsverhältnis bin ich mit dem Bücherfest Frauenfeld und der Briefmarke für die Nationalbibliothek mit Bibliotheken in Kontakt gekommen. Eine unverbindliche Anfrage vor vier Jahren für die Bibliothek Rapperswil-Jona ist versandet, aber ich habe gesehen, dass sie mittlerweile mit einer Berufskollegin arbeiten.

LIBREAS: Unterscheiden sich für Sie als Designerin Bibliotheken als Kund*innen von anderen Einrichtungen?

RJ: Nein. Ich arbeite mit Kund*innen aus diversen Branchen zusammen, darunter Privatpersonen, Einrichtungen aus dem Kultursektor und kommerziell ausgerichtete Firmen.

LIBREAS: Wir haben, wenn wir ehrlich sind, wenig Ahnung von den kreativen Prozessen, die bei einem Design-Prozess stattfinden. Sie haben auf Ihrer Homepage einige Skizzen aus dem Schaffensprozess veröffentlicht (https://rinajost.ch/Briefmarke-125-Jahre-Nationalbibliothek). Da ist sichtbar, dass Sie mit der Idee einer Recherche in der Bibliothek begonnen haben – aber am Ende unter Wasser gelandet sind und dann dort ein Fisch auftaucht.

RJ: Für einen umfassenderen Einblick in den kreativen Prozess empfehle ich das Making Of für den OITGG Festivalauftritt: https://rinajost.ch/making-of-oitgg

LIBREAS: Wie gehen Sie allgemein vor, um zu Motiven für solche Arbeiten zu gelangen? Und wie sind Sie bei dieser konkreten Arbeit zu diesen Motiven gelangt? Wann ist der Fisch hinzugekommen?

RJ: Zu Beginn einer Auftragsarbeit steht das Briefing und oft eine Recherche. Danach skizziere ich relativ frei und ohne Schere im Kopf. Diese ersten Ideen sind oft sehr naheliegend und noch nicht besonders interessant. Während des Prozesses erweitere ich dann meinen Gedankenspielraum sowohl zeichnerisch als auch konzeptuell. Ein Leitmotiv war die Forscherin, die in der Bibliothek auf Entdeckungsreise/Expedition geht. Ich habe mir auch überlegt, was man auf keinen Fall in der Bibliothek haben möchte (Feuer, Wasser, Lebensmittel, …) um der Bildwelt einen interessanten Aspekt hinzufügen zu können. So ist die etwas absurde Idee der Unterwasserbibliothek entstanden, in die meine Protagonistin nun eintaucht. Die Tiere (Krabbe, Fisch, Tintenfisch) sind erst in der Animation für die Augmented Reality dazugekommen, um die Unterwasserwelt zu bevölkern. Als Tiercharaktere lenken sie nicht von der Protagonistin ab, sondern unterstützen das Narrativ. Sie sind natürlich auch Sympathieträger.

LIBREAS: Stach das Projekt für Sie heraus aus Ihrem sonstigen Schaffen oder würden Sie die eher als typisch für Ihre Projekte ansehen? Für andere Projekte haben Sie auch auf Augmented Reality zurückgegriffen, aber nicht für alle. Warum in diesem Fall doch? War es vielleicht eine Vorgabe der Post oder der Nationalbibliothek?

RJ: Es war keine Vorgabe. Die Idee entstand während des kreativen Prozesses und wurde von mir eingebracht. Es war der Nationalbibliothek wichtig, nicht als ‘verstaubte Bibliothek’ dargestellt zu werden, sondern innovativ aufzutreten und das Spektrum der Dienstleistungen abzubilden. Die Nationalbibliothek sammelt in diversen Medien und unter anderem auch an der Schnittstelle von analog und digital. Da hat sich Augmented Reality als erweitertes Konzept angeboten, weil es perfekt zum Briefing passt und den innovativen Aspekt hervorhebt. Ausserdem wird die Betrachter*in auf einer Meta-Ebene so selbst zur Forscher*in. Es ist übrigens die erste AR-Briefmarke in der Schweiz.

Das Medium der Augmented Reality machte bei dieser Auftragsarbeit konzeptuell Sinn. Der Effekt soll nicht im Vordergrund stehen, sondern die inhaltliche Idee unterstützen. Bei meinen privaten Arbeiten nutze ich AR eher als Spielerei und um meine handwerklichen und technischen Fähigkeiten zu erweitern.

LIBREAS: Sie haben eine spezifisch anthropomorphe Form gewählt – der Krebs hat etwas sehr menschliches. Das machen auch andere Designer*innen und Künstler*innen. Denken Sie, nur so sind Tiere und Bibliotheken miteinander zu verbinden? Passen Tiere als solche sonst nicht zu Bibliotheken?

RJ: Dies ist eine gestalterisch-kommunikative Entscheidung, die nicht viel mit Bibliotheken zu tun hat. Mit einer anthropomorphen Figur kann sich der/die Betrachter*in besser identifizieren und das Spektrum an Ausdrücken und Emotionen, die transportiert werden können, ist viel grösser als bei einer naturalistischen/wissenschaftlichen Darstellung.

Gerade wenn sich die Kommunikation an Kinder richtet, wird dieser Effekt häufig genutzt. Ein grosser Teil der illustrierten visuellen Kommunikation in Bibliotheken richtet sich vermutlich an ein junges Publikum, weshalb Bibliothekar*innen möglicherweise überproportional oft mit anthropomorphen Formen konfrontiert sind. Die Wahl einer anthropomorphen Figur ist natürlich auch eine Möglichkeit, Personen mit verschiedensten Hintergründen anzusprechen. Wenn die Sympathiefigur hingegen ein Mensch ist, stellt sich die Frage, wie man Diversität abbildet. Ist die Figur männlich, weiblich oder nonbinär? Welche Hautfarbe hat sie? Welche Kleidung trägt sie? Die anthropomorphe Form kann ein Weg sein, solche gestalterischen Fragestellungen zu umschiffen.

In Lehrmitteln, Wissensbüchern oder Museen stehen dann wieder andere Aspekte im Vordergrund und es wird öfter auf die wissenschaftliche Illustration / naturalistische Abbildung zurückgegriffen.

Sie sehen, es hat vermutlich mehr mit der Art und Absicht der visuellen Kommunikation zu tun als mit der Branche selbst. Im Fall der Briefmarke stehen nun mal die Sichtbarkeit und auch der Verkauf der Briefmarke im Vordergrund, weshalb die Figuren möglichst sympathisch wirken sollen.

LIBREAS: Wie kam der Kontakt für dieses Projekt zustande? Sind Sie mit Ideen auf die Nationalbibliothek oder die Post zugegangen oder kamen die Kolleg*innen zu ihnen? War das der übliche Weg, wie solche Projekte zustande kommen oder eher ungewöhnlich?

RJ: In einem ersten Schritt ist meines Wissens die Nationalbibliothek auf die Post zugegangen. Ich wurde dann direkt von der Post angefragt und mit zwei anderen Gestalter*innen zu einem (vergüteten) Gestaltungswettbewerb für die Sondermarke eingeladen. Es gab ein Briefing mit einem Vertreter der Nationalbibliothek und einer Vertreterin der Post. Eine Jury der Post entschied über die eingereichten Entwürfe. Die Post war auch meine direkte Kundin. Dieser Prozess scheint gängig zu sein im Hinblick auf Sondermarken.

Für andere Illustrationsaufträge werde ich in der Regel direkt von den Endkund*innen angefragt, manchmal laufen Anfrage und Kommunikation auch über eine Werbeagentur oder über ein Organisationskomitee.

LIBREAS: Welche Ziele hatte denn, Ihrer Meinung nach, die Bibliothek konkret mit den Projekt? Gab es besondere Herausforderungen, zum Beispiel seitens der Bibliotheksleitung?

RJ: Die Nationalbibliothek wollte auf ihr Jubiläumsjahr aufmerksam machen. In dessen Rahmen hat sie auch viele Veranstaltungen geplant. Leider haben die Pandemie und der Lockdown einen Teil dieser Aktivitäten auf Eis gelegt und sämtliche Kommunikation wurde gestoppt. Ich denke, für die Nationalbibliothek war die Briefmarke ein Schauplatz von vielen. Es gab keine grosse Enthüllung, sondern war wohl eher dazu gedacht, ein breites Publikum auf das Angebot und das Jubiläumsjahr der Nationalbibliothek aufmerksam zu machen.

LIBREAS: Welche Erfahrungen nehmen Sie aus den Projekten für die Zusammenarbeit mit Bibliotheken mit? Was wünschen Sie sich für Ihre zukünftige Arbeit bei solchen Projekten von Bibliotheken? Würden Sie anderen Designer*innen empfehlen, auch solche Projekte durchzuführen oder eher nicht?

RJ: Da meine Kundin für die Briefmarke die Post war, kann ich nicht viel zur Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek sagen, abgesehen vom gut kommunizierten Briefing.

Ich habe bereits mit Mitarbeiter*innen der Kantonsbibliothek Thurgau gearbeitet. Eine geplante illustrierte Lesung im Rahmen des Bücherfests 2020 musste leider verschoben/abgesagt werden. Die Kommunikation, das Engagement und die Motivation der Bibliotheksmitarbeiter*innen ist grossartig und sehr ansteckend.

Die visuelle Kommunikation und insbesondere natürlich die Illustration ist ein gutes Tool für Bibliotheken um ein breites Publikum anzusprechen und ihre Kommunikation attraktiv zu gestalten. Je nach Anwendungsbereich kann Illustration auch unterstützend Wissen vermitteln oder auch überraschen und zum Nachdenken anregen. Die Bildsprache gehört zu unserem Repertoire wie das gesprochene und geschriebene Wort und ist in Bibliotheken bereits sehr präsent (Kinderbücher, Comics, Filme, Titelbilder, Signaletik, Gebrauchsanweisungen, Karten, …). Ich denke, es kann sehr wertvoll sein, dieses Potential bewusster zu nutzen.


Rina Jost (*1987) lebt und arbeitet als selbstständige Illustratorin in Frauenfeld. Sie hat an der HSLU Design & Kunst studiert und mit dem BA in Visueller Kommunikation, mit Vertiefung in Illustration abgeschlossen. Ihre Arbeit wurde u.a. von der Society of Illustrators (NY), den World Illustration Awards (UK, Shortlist) und den Hiii Illustration Awards (China) anerkannt. 2017 wurde sie mit dem ersten Förderpreis der Stadt Frauenfeld ausgezeichnet.

https://www.rinajost.ch | https://instagram.com/rinajost (@rinajost)