This is going to be a fantastic year for Britain.(Boris Johnson, 02. Januar 2020)
Im Jahr 2020 haben wir gemeinsam viel gelernt. Einiges davon war erstaunlich. Im März lernten wir zum Beispiel, dass es offenbar notwendig ist, erwachsenen Menschen noch einmal beizubringen, wie man sich richtig die Hände wäscht. Und, dass viele Menschen eher nur ungefähr wissen (wussten), wie Immunsysteme und Ansteckungen funktionieren oder wie man sich gesund hält. Aber damit ging es erst los, denn es folgte ein direkt erlebbarer Kurs in Epidemiologie und Gesundheitspolitik.
Was wissen wir heute nicht alles: Wie sich Viren vermehren und was sie von Bakterien unterscheidet. Wie sich Viren verbreiten können. Was Aerosole sind. Wo Aerosole sind. Dass es für den Stopp von Viren-Übertragungen unterschiedlich effektive Masken gibt. Dass es Masken gibt, die einen selbst schützen und dass es Masken gibt, die andere schützen. Und dass beides nicht unbedingt dasselbe ist. Wir lernten, dass die meisten Menschen versuchen, auf andere zu achten und zu tun, was notwendig ist, um die Verbreitung von Krankheiten zu vermindern. Wie lernten aber auch, dass dies einigen leichter und anderen schwerer fällt. (Und dass es eine lautstarke Gruppe von Menschen gibt, die sich dem aktiv verweigern.) Wir lernten, dass vieles in unserer Lebenswelt nicht so eingerichtet ist, wie es aus hygienischen Gesichtspunkten sinnvoll wäre. Was die Reproduktionszahl R ist und wie sie berechnet wird. (Im Allgemeinen gab es ja nebenher 2020 auch noch einen Auffrischungskurs in Mathematik.) Dass Viren gar keine Lebewesen sind und somit auch nicht sterben können.
Wir konnten auch live erleben, wie sich wissenschaftliches Wissen fortentwickelt und wie es in Politik und Gesellschaft interpretiert wurde. Nicht zuletzt kennen wir jetzt solche Einrichtungen wie das Robert-Koch-Institut in Berlin, das Bundesamt für Gesundheit in Liebefeld und das Statens Serum Institut im Artillerivej in Kopenhagen und wissen, wer grundsätzlich für die Gesundheitspolitik in den Staaten, Ländern und Kantonen zuständig ist, in denen wir leben. Wer hätte im Januar 2020 geahnt, dass wir in diesem Jahr Spezialwissen solcher Art erwerben? Es war in der Tat ein Wissenschaftsjahr und plötzlich fanden sich auf den Nachtschränken Bücher wie Epidemiologie für Dummies
(Razum, Oliver; Breckenkamp, Jürgen; Brzoska, Patrick. 3. Aufl., 2017).
Wir wussten nicht, was dieses Jahr alles an Lerneffekten bringen würde, als wir das Thema Tiere und Gewächse
konzipierten. Tatsächlich hatten wir erwartet, in den Texten einer ganzen Reihe von Mikroorganismen zu begegnen, aber vor allem im Bezug auf den Bestandserhalt. Dazu gibt es dann tatsächlich auch Texte in der Ausgabe. Unsere Vorstellung, dass das Thema auch viele Einblicke in den Alltag der Bibliotheksarbeit, in Büros und Nutzungszonen, Magazine und Orte wie Urban Gardens, liefern würde, schlug sich leider nur in einigen, kurzen Artikeln nieder. Die Bibliothekswelt ist vielleicht grün. Aber offenbar schreibt sie nicht so gern darüber.
Das Erstellen dieser Ausgabe fühlte sich wie die echte
Pandemie-Ausgabe an: Alle hatten noch mehr zu tun als sonst schon. Vieles war in Veränderung. Alltag war nur wenig normal. Vielleicht kamen deshalb nicht so viele Beiträge zum Themenschwerpunkt zusammen, wie wir uns erhofften. Aber die, die wir erhalten haben, sind interessant, auch weil sie oft andere Formen wählten als den wissenschaftlichen Artikel.
Die Pandemie hat uns alle überrollt. Was wir allerdings schon Anfang 2020 (und weit früher) wussten, ist, dass die Klimakatastrophe die Gesellschaften noch viel stärker überrollen wird. Krise als Chance – das wäre etwas gewesen. Die kurzzeitig dank Lockdown-Maßnahmen zurückgehenden Emissionen waren ein bemerkenswerter Nebeneffekt. Er hat sich längst wieder in Rauch aufgelöst (leider, sofern es einer solchen Kommentierung überhaupt bedarf). Die Maschine der Wirtschaft läuft weiter, in den USA und am Amazonas verbrennen die Wälder und schaffen es nur noch bestenfalls auf die Seite Vermischtes der Tageszeitungen. Deutschland setzt neuerdings wieder auf Autobahnausbau und sehnt sich nach dem Trugbild einer weiterhin permanent wachsenden Leistungs- und Konsumgesellschaft. In der Schweiz planen viele Menschen, so Umfragen, nach der Pandemie mehr zu fliegen und zu kaufen, als schon vor der Pandemie. Es ist nicht leicht, in diesen Zeiten Optimist*in zu sein. Aber es gibt trotz allem Hoffnungszeichen. In den letzten Jahren begann eine neue Generation von Aktiven, diese Katastrophe wieder auf die politische und gesellschaftliche Tagesordnung zu zwingen. Der Elan der Klimajugend
hat – was notwendig ist – viel in Aufbruch gesetzt. Auch Bibliotheken. Im Jahr 2019 wurde deshalb, unter anderem mit Unterstützung durch den LIBREAS.Verein, Libraries4Future gegründet.
Wir wollen weiter unseren Beitrag dazu leisten, das Thema voranzutreiben: Die Pandemie wird irgendwann vorbei oder wenigstens gezähmt sein und uns unter anderem neues Wissen hinterlassen. Die Klimakatastrophe kommt und wir entscheiden, wie sehr wir sie weiter zuspitzen wollen und wo wir sie eventuell noch etwas abmildern können. Ein Jahr nach der Gründung von Libraries4Future haben wir deshalb zu einem zweiten Schwerpunkt eingeladen, der die tatsächlichen Aktivitäten von Bibliotheken in diesem Bereich beleuchten soll. Es ist, wie wir auch 2020 noch einmal handfest erleben durften, nicht die einzige Baustelle, vor der die ganze Welt steht. Es sei nur daran erinnert, dass im Zuge der Black-Lives-Matters-Proteste im Sommer 2020 auch im Bereich von Rassismus und seinen Strukturen in unseren Gesellschaften einiges gelernt, aber leider noch nicht viel verändert wurde. Die Sorge um die physischen Lebensgrundlagen auf unserem Planet ist jedoch naturgemäß aber eine der drängendsten.
2020 fühlte sich an, wie die oft kaum mehr erträgliche Zuspitzung von Entwicklungen, die man hätte sehen können – die man aber oft zur Seite schob. Das funktioniert aber nur solange, bis es einen einholt. Im Oktober 2020 blühen die Kastanienbäume, weil sie so beschädigt sind, dass sie sterben werden. Es ist ein letztes Aufbäumen. Die Zeitung schreibt, dass wir in Städten und Wäldern neue Arten von Bäumen brauchen, die robuster sind, um die Dauerdürren in Europa zu ertragen. Wir haben wirklich viel gelernt in diesem Jahr, weil man aus jeder Katastrophe viel lernt. Vor allem sehen wir noch besser als zuvor, was auf dem Spiel steht. Was wir tun können und werden, wird uns in Zukunft begleiten. Man ist nie zu alt für diese Art Coming-of-Age.
Im Redaktions-Chat werden, wie sollte es auch anders sein, regelmäßig auch Fotos, Texte und Nachrichten zu Tieren geteilt (Pflanzen kommt bisher vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zu). Bibliotheken spielen dabei seltener eine Rolle – Kuriosa und Erheiterung stehen im Vordergrund. Manchmal sind es auch Zeugnisse davon, wie Haustiere zu Arbeitsverhinderern werden können. Fast schon auf natürliche Weise kamen wir so zur Frage des Lieblingstiers, deren Ergebnis überraschen mag (zumindest wenn man dem Stereotyp der Katzen zugeneigten Bibliothekar*in glauben darf). In der Redaktion dieser Ausgabe:
- Team Hund, 3 Mal
- Team Katze, 2 Mal
- Team Eichhörnchen, 1 Mal
- Team Eule, 1 Mal
- Team Igel, 1 Mal
Unterdessen ist LIBREAS. Library Ideas nun gerade erst – oder schon – 15 Jahre alt geworden. Wir hatten geplant, das größer zu begehen – aber Covid und eine Flut der allgemeinen Unsicherheit kam dazwischen. Wir hoffen, es zum 16. Jahrestag nachholen zu können.
Anlässlich dieses Geburtstages hat die Redaktion ein Buch zusammengestellt, in dem sie Lieblingstexte aus diesen 15 Jahren LIBREAS versammelt hat. Es ist eine Übersicht und Bestandsaufnahme zugleich. Ein Rückblick mit einem gewissen Stolz, all die Jahre eine Zeitschrift produziert zu haben, die wir gerne lesen würden. Was nicht ohne unsere Autor*innen und Leser*innen möglich gewesen wäre.
Dafür unseren besten Dank.
Eure / Ihre Redaktion LIBREAS. Library Ideas
(Aarhus, Berlin, Hannover, Lausanne, München)