1 Einleitung
Dass Bibliotheken bei Bestandsaufbau und -vermittlung die inhaltliche Neutralität als Leitbild haben, ist Ausdruck eines konkreten Weltbildes. Nur aus einem spezifischen Verständnis davon, wie Gesellschaft funktioniert, lässt sich Neutralität
als anzustrebendes Ziel als praktisch unhinterfragbar positiv werten oder gar behaupten, dass Bibliotheken tatsächlich neutrale Räume und Institutionen wären (also das Ziel und Realität in eins fallen würden).
Dieses Weltbild soll in diesem Text allerdings nicht direkt untersucht, also keine Ideologiekritik betrieben werden. Das wäre ein zu komplexes Unternehmen, schon weil es notwendig wäre, die Veränderungen desselben über die Jahrzehnte nachzuzeichnen. Es soll hier auch keine inhaltliche Kritik des Weltbilds unternommen werden. Was in diesem Text stattdessen versucht wird, ist anhand der Geschichte eines heute verschwundenen Bibliothekstyps – dem der Arbeiterbibliotheken
1 – vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich zu zeigen, dass die Grundidee, eine Öffentliche Bibliothek müsse neutral sein im Bezug auf Zugang, Angebot, Vermittlung und Bestand, nicht alternativlos ist. Lange existierten Bibliotheken, die dies explizit nicht waren, die zugleich ihre Abgrenzung zu neutralen
Bibliotheken begründeten und die zudem erfolgreich arbeiteten. Wenn die heute propagierte Form von Öffentlichen Bibliotheken aber nicht alternativlos ist, dann lässt sich sinnvoll fragen, wieso sie dann heute so ist, wie sie ist oder sein soll, wie sie sein soll. Geschichte macht hier das Nachdenken über die Aufgaben und Möglichkeiten von Bibliotheken komplexer.
Der Text ist wie folgt aufgebaut: Zuerst wird kurz die Geschichte der Arbeiterbibliotheken
geschildert. (2) Dazu ist es notwendig, den Kontext – also die sozialistische Bewegung und die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der damaligen Zeit – zu skizzieren. Anschliessend wird die Argumentation der Bibliotheken für ihre eigene Existenz und für ihre Abgrenzung von anderen Bibliothekstypen, insbesondere den Lesehallen, und ihre Kritik an diesen dargelegt. (3) Interessant ist – wie geschildert werden wird –, dass die Arbeiterbibliotheken
trotz ihrer Kritik grundlegende Überzeugungen mit den von ihnen kritisierten bürgerlichen Bibliotheken
(und weiteren Bibliothekstypen) teilten. Vor dem Fazit wird das Ende der Arbeiterbibliotheken
besprochen, da anders die Frage, ob ihre Kritik weiterhin berechtigt ist oder als erledigt gelten kann, nicht fair anzugehen wäre. (4) Auf dieser Basis wird im Fazit diskutiert, ob das Beispiel der Kritik der Arbeiterbibliotheken
auch etwas über die Weltanschauung sagt, aus der heraus heute die Neutralität
von Bibliotheken als anzustrebendes Ziel hergeleitet wird, oder ob sie ein rein historischer Fakt ist. (5)
2 Was waren Arbeiterbibliotheken
? Ein kurzer Überblick
Die Kritik an den bürgerlichen Bibliotheken
– den Volksbüchereien, den Lesehallen und ähnlichen kommunal oder durch Philanthropie getragenen Bibliotheken –, die aus den Arbeiterbibliotheken
heraus formuliert wurde, ist nur verständlich aus der Arbeit dieser Einrichtungen selber. Diese Arbeit benötigt wiederum eine historische Kontextualisierung. Deshalb wird in diesem Kapitel zuerst als Hintergrund die Arbeiterbewegung
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts geschildert (2.1), anschliessend die Arbeit der Bibliotheken dieser Bewegung (2.2) und ihre Bestandsarbeit (2.3).
2.1 Die damalige sozialistische Bewegung in Deutschland und Österreich
Die Industrialisierung in Deutschland und Österreich ging bekanntlich einher mit dem Entstehen der Arbeiterbewegung
mit all ihren Spielarten, Strömungen und Institutionen.2 Durch das Entstehen einer ausreichend grossen Schicht von Industriearbeiterinnen und -arbeitern und ihrer Selbstorganisation in Gruppierungen, Gewerkschaften und Parteien wurde diese zu einem relevanten politischen Faktor. Von anderen Schichten und Bewegungen wurden sie in der Folge als Gefahr angesehen, gegen die vorzugehen sei, was wiederum die innere Konsistenz der Bewegung verstärkte. Die Sozialistengesetze
, welche von 1878 bis 1890 im Deutschen Reich in Kraft waren, sind nur der heute bekannteste Ausdruck dieser Entwicklung.
Die Strömungen der Arbeiterbewegung
einte damals das Ziel, eine gänzlich anders organisierte Gesellschaft anzustreben. Diese wurde sehr unterschiedlich bezeichnet – Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus und so weiter –, und unterschiedlich imaginiert – ohne Staat und mit allgemeiner Selbstorganisation; mit absterbendem Staat
, der sich langsam selbst aufheben sollte und anders. Zum Erreichen dieses Ziels wurden schließlich unterschiedliche Wege – revolutionäre Erhebung, Übernahme der Staatsmacht, religiöse oder quasi-religiöse Erweckung, langsame Eroberung der politischen Macht, Aufbau von Strukturen und Institutionen, die letztlich die alten Strukturen ersetzen sollten – vorgeschlagen und erprobt. Zumindest die Teile der Bewegung, welche sich als theoretische Grundlage auf die Arbeiten von Karl Marx und Friedrich Engels beriefen, gingen dabei einerseits davon aus, dass die ökonomische Struktur des Kapitalismus zu unterschiedlichen Klassen führt, welche gesellschaftlich produziert sind, und andererseits davon, dass diese Klassen gegeneinander im Widerstreit stehen, da sie unterschiedliche ökonomische Interessen hätten, die innerhalb der existierenden Gesellschaft nicht aufzulösen wären, sondern immer wieder reproduziert würden. Auf der Basis dieses antagonistischen Widerspruchs
wurden andere – wahrgenommene – Unterschiede innerhalb der Gesellschaft etabliert.
Auch wenn diese Bewegung heute – lange nach dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus
– in der allgemeinen Erinnerung kaum noch vorhanden zu sein scheint, war sie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine dynamische, aktive, breitenwirksame Bewegung, bei der lange zu vermuten war, dass sie ihr grundlegendes Ziel – die sozialistische Gesellschaft in einer ihrer angestrebten Formen – im Laufe der Zeit erringen könnte.
Aus dieser Bewegung heraus wurde kontinuierlich Kritik an der bestehenden Gesellschaft geübt. Nicht nur an den ökonomischen Verhältnissen, welche ja die Basis der Bewegung bildeten, sondern auch an den staatlichen, juristischen, kulturellen und anderen Strukturen. Zu dieser Kritik gehörte selbstverständlich auch, sich darüber Gedanken zu machen, wie diese gesellschaftlichen Strukturen wirkten. Letztlich, so eine schwer zurückzuweisende Grundthese, waren die vorhandenen Strukturen dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft so war und funktionierte, wie sie es tat. Das hiess nicht unbedingt, dass alles Bestehende vollständig abgelehnt wurde, aber oft hiess es, dass gefragt wurde, wie etwas Existierendes für die Arbeiterbewegung
und für die zukünftige Gesellschaft übernommen, verändert und genutzt werden könnte – und wie es gleichzeitig in seiner bisherigen Verfasstheit dazu beiträgt, die als falsch angesehene Gesellschaft zu reproduzieren. Diese Kritik und Überlegungen bezogen sich auch auf Öffentliche Bibliotheken (beziehungsweise, in der damaligen Terminologie, Büchereien und – wie weiter unten (3) gezeigt wird – Lesehallen).
Die Arbeiterbewegung
baute Vereine, Strukturen, Institutionen auf, die weit über Parteien und Gewerkschaften hinaus gingen. Es wurden umfassende Subkulturen geschaffen, in denen Personen ihren gesamten Alltag, neben der Arbeit selber, organisieren konnten: Produktions- und Einkaufsgenossenschaften, Gesangs- und Sportvereine, Heime, Kneipen, Versicherungen, Publikationsorgane und Verlage, Theater, Ferienlager und vieles mehr. Nur dort, wo der Staat sich die explizite Kontrolle zusprach und durchsetzte – wie der Organisation der Schule oder, im Kulturkampf
gegen den politisch organisierten Katholizismus, bei der Eheschliessung – konnte die Arbeiterbewegung keinen Ersatz bereitstellen. Aber auch in diesen Bereichen wurde versucht, den staatlichen Einfluss durch Zusatzangebote zurückzudrängen, zum Beispiel einem eigenen, ergänzenden Bildungssystem. Dies war keine Eigenheit der Arbeiterbewegung
. Praktisch alle politischen Bewegungen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts tendierten dazu, solche Partikularkulturen
zu etablieren, wobei einige erfolgreicher waren als andere, insbesondere bezogen auf eine Massenbasis. Die Arbeiterbewegung
war hierbei extrem erfolgreich, ebenso für lange Zeit der schon genannte politisch organisierte Katholizismus – nicht zufällig die beiden Bewegungen, gegen die im Deutschen Reich politisch vorgegangen wurde. Jede Ausdifferenzierung oder gesonderte Strömung, welche innerhalb der Arbeiterbewegung
entstand, tendierte dazu, eine eigene Partikularkultur entweder zu etablieren oder von der jeweiligen Strömung, aus der sie hervorgegangen waren, zu übernehmen.3 Auch dies machte vor den Bibliotheken nicht halt. Die Arbeiterbibliotheken
, um die es hier gehen soll, müssen vor diesem Hintergrund gesehen werden.
2.2 Arbeiterbibliotheken
Arbeiterbibliotheken
waren Bibliotheken, die aus der Arbeiterbewegung
heraus für Mitglieder dieser Bewegung gegründet wurde. Sie wuchsen mit der Bewegung selber und erreichten in einigen Regionen und Orten eine Professionalität, die mindestens vergleichbar war mit anderen Büchereien und Lesehallen. Dies war nicht überall der Fall, aber diese regionalen Unterschiede galten nicht nur für Arbeiterbibliotheken
. Die Regionen, über welche heute noch die meisten Informationen über Arbeiterbibliotheken
vorliegen, waren nicht zufällig solche, in denen die Arbeiterbewegung
und die Industrialisierung stark waren: Das Sächsisch-Thüringische Industriegebiet, Wien und der Berlin-Brandenburgische Raum.4
Die Arbeiterbibliotheken
entwickelten sich mit der Arbeiterbewegung
und wurden von dieser getragen. Das heisst auch, dass die Räume, Bestände, das – meist ehrenamtliche – Personal und der Etat von der Arbeiterbewegung
gestellt und finanziert wurden, jeweils lokal von den örtlichen Parteisektionen, Gewerkschaften und anderen Vereinen. Zur Zeit der Sozialistengesetze
– als Aktivitäten von sozialdemokratischen oder ähnlichen Vereinen oder gar Parteien und Gewerkschaften, die über den lokalen Rahmen hinausgingen, bekanntlich verboten waren – wurden auch die Bibliotheken lokal organisiert. Nachdem die Arbeiterbewegung
trotz dieser Gesetze weiter gewachsen war und diese nicht mehr verlängert wurden, etablierte sich die Bewegung mit eigenen Parteizentralen, Gewerkschaftshäusern, einer umfassenden Infrastruktur und damit auch zentralerer Mittelverwaltung, was grössere Investitionen und Projekte sowie die Zusammenarbeit über den lokalen Rahmen hinaus ermöglichte und was wiederum auch für die Arbeiterbibliotheken
selber galt.
Gustav Hennig beschreibt dieses Wachstum in seiner oft zitierten Broschüre (Hennig 1908) an der von ihm selbst geleiteten Bibliothek in Plagwitz-Lindenau (Leipzig): Zuerst bestand diese aus einem Bücherschrank, der in dem Lokal untergebracht war, in welchem sich der örtliche sozialdemokratische Verein traf. Als dieser in eine neugebautes, grösseres Lokal umzog, zog die Bibliothek (also der Bücherschrank) mit. Der Verein wuchs, ebenso die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften, sodass diese in kurzer Zeit finanzkräftig genug wurden, um für die Bibliothek ein eigenes Lokal anzumieten, in welches diese dann umzog. Je nach Stärke der Arbeiterbewegung
scheint es Anfang des 20. Jahrhunderts normal geworden zu sein, dass die Bibliotheken solche eigenen Räume erhielten.
Benutzt werden konnten diese Bibliotheken grundsätzlich von allen Mitgliedern der Arbeiterbewegung
und ihren Angehörigen. Die Nutzungsbedingungen, die zum Beispiel bei Hennig oder in der zeitgenössischen Literatur überliefert wurden, erwähnen meist, dass die Mitgliedschaft in der jeweiligen sozialdemokratischen Partei, einer Gewerkschaft oder auch teilweise einem der Vereine, welche zur Bewegung gezählt wurden, zur Nutzung der Bibliothek berechtigte. Getragen von Partei und Gewerkschaften war diese Nutzung dann meist kostenfrei.
Zum Bestand der Bibliotheken wird weiter unter im Text (2.3) noch einiges gesagt. Bedeutend ist hier, dass es sich um Bibliotheken handelte, die von einer politischen Bewegungen unterhalten wurden, welche eine explizit andere Gesellschaft anstrebte und sie als Teil der Vorbereitung auf diese Gesellschaft beziehungsweise als Beitrag zum politischen Engagement für diese Gesellschaft ansah. Dies prägte die Bibliotheksarbeit.
Man darf sich diese Bibliotheken auch nicht zu klein oder als Nebenprojekte
vorstellen. Die überlieferten Bilder (Hennig 1908, Pfoser 1980, in der Bildungsarbeit
) – selbstverständlich alle als Propaganda gestellt, aber auch das gilt für alle Bilder aus allen Bibliothekstypen dieser Epoche – zeigen gut ausgestattete und gut organisierte Bibliotheken, die Zahlen der Nutzerinnen und Nutzer waren für die Zeit teilweise beeindruckend. Die Fachliteratur der Arbeiterbibliotheken
setzte sich mit den gleichen professionellen Fragen auseinander wie die Fachliteratur für andere Bibliothekstypen: Was gute Literatur ist und was schlechte, wie die Lektüre der Leserinnen und Leser gelenkt werden sollte, wie Kataloge hergestellt, aktuell gehalten und verbreitet werden können, wie die Ausleihe zu organisieren sei, wer die Bibliotheken benutzt.
Auffällig ist auf den überlieferten Bildern heute eines: All diese Bibliotheken waren Thekenbibliotheken. Wenn sie dann einmal soweit gewachsen waren, dass sie nicht mehr in einen – vom jeweiligen Bibliothekar5 verwalteten – Bücherschrank passten, wurden sie nicht als Freihandbibliothek aufgestellt, sondern als Bestand hinter der Theke. Die Nutzerinnen und Nutzer traten vor diese, mussten die gesamte Literatur einfordern und wurden beraten. Aber auch das war nicht spezifisch für die Arbeiterbibliotheken
. Vielmehr wurden im DACH-Raum Bibliotheken aller Bibliothekstypen, die sich auf ein breites Publikum richteten, so organisiert.6
2.3 Der Bestand: Kein Schmutz, kein Schund – für die Selbstbefreiung des Proletariats
Zum Bestand der Arbeiterbibliotheken
fallen im Rückblick von heute zwei Dinge auf: Die Sorge um die literarische Qualität und die Fokussierung darauf, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter mit dem Bestand selber bilden können sollten, um an der zukünftigen Gesellschaft mitzuarbeiten.
Die Sorge um die Qualität teilten die Arbeiterbibliotheken
mit anderen Bibliothekstypen, allerdings mit einigen ideologischen Besonderheiten. Qualität hiess hier, dass auch in Arbeiterbibliotheken
die Überzeugung vorherrschte, dass es (a) Literatur von unterschiedlicher inhaltlicher, sprachlicher und literarisch-künstlerischer Qualität gäbe, (b) dass diese Qualität einen direkten Einfluss darauf hätte, wie sie bei den Leserinnen und Lesern wirken würde – sowohl als potentieller geistiger Aufstieg oder aber als Gefahr für Denken, Moral und Verhalten –, ein Einfluss, welcher zudem von den Bibliothekaren erkannt werden könnte und (c) dass es die Aufgabe der Bibliothek wäre, den Lesenden beim potentiellen geistigen Aufstieg durch das Lesen zu unterstützen. Damit verbunden waren Theorien über das richtige Lesen, inklusive der Vorstellung, dass man sich als Leserin oder Leser Qualitätsstufen hinaufbewegen müsse und dass deshalb Texte, die man noch nicht erfassen könnte, weil sie zu komplex oder zu qualitätsvoll wären, sich auch negativ auswirken würden. Was heute unter dem Begriff der Schmutz und Schund
-Debatte eher kurios klingt, war damals eine weithin geteilte Überzeugung.
Die konkreten Ausformungen dieser Überzeugungen sind hier nicht Thema. Wichtig ist die Grundstruktur, die von einer praktisch direkten Wirkung von Literatur auf die Leserinnen und Leser sowie einer Gefährdung derer Geisteskraft ausging und gleichzeitig reine Unterhaltungsfunktionen von Literatur eher nicht anerkannte – und der Fakt, dass sich in dieser Überzeugung die Arbeiterbibliotheken
mit der Bücherhallenbewegung, dem katholischen Büchereiwesen oder auch der Volksbildungsbewegung
einig waren.
Wieder in der Broschüre von Gustav Hennig (Hennig 1908) finden sich deshalb auch Statistiken der ausgeliehenen Bücher in der von im betreuten Bibliothek. Es ging ihm um die konkreten Titel. Als erfolgreich galt Bibliotheksarbeit, wenn nicht möglichst viele, sondern möglichst die richtigen Bücher verliehen wurden, weil dies die literarische Reife ihrer Leserinnen und Leser nachwies.
Worin sich die Arbeiterbibliotheken
unterschieden, war die konkrete inhaltliche Bewertung. Es gab Literatur, die von Arbeiterbibliotheken
und Lesehallen zugleich als Schund
abgelehnt wurde. Aber daneben gab es Literatur, die der Meinung der Arbeiterbibliotheken
nach zur Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse beitragen würde, in der die Arbeiterinnen und Arbeiter zum Beispiel lernen würden, sich der Autorität von Staat, Firmeneignern und Kirche unterzuordnen. Dies galt nicht nur für explizite Propagandaschriften, sondern zum Beispiel auch für Literatur, in der am Ende die Protagonistinnen und Protagonisten eine individuelle Lösung im Glauben oder im kleinbürgerlichen Leben fanden. Das wurde negativ gewertet. Literatur hingegen, welche das Leben der unteren Sozialschichten darstellte, galt als positiv, weil sie die tatsächliche Realität vermitteln würde. Bücher wurden nach solchen Kriterien bewertet, diese auch gegeneinander abgewogen.
Mit dieser Eigenheit der Bestandsarbeit ging die zweite Besonderheit einher: Die Bibliotheken sollten einerseits den Angehörigen der Arbeiterbewegung
Zugang zu Literatur ermöglichen, aber andererseits auch das Ziel der Bewegung unterstützen, eine andere Gesellschaft zu erreichen. Die Bibliotheken waren ein Bildungsmittel mit einem klaren Ziel: Der Selbstbefreiung der Arbeiterinnen und Arbeiter (und damit – zumindest der meisten Vorstellungen nach, die in der Arbeitervertretung verbreitet waren – auch der Befreiung der restlichen Welt). Die Leserinnen und Leser sollten die gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge verstehen, inklusive ihrer Stellung in diesen. Sie sollten sich bilden, um gesellschaftliche Funktionen übernehmen zu können. Gleichzeitig sollten sie durch Bildung in Betrieben aufsteigen – als Teil gewerkschaftlicher Entwicklung. Das konnte mit individuellem Aufstieg einhergehen, war aber gedacht als Bildungsaufstieg der gesamten Arbeiterbewegung
. Das Bildungsziel war die Vorbereitung auf den Sozialismus und gleichzeitig die bessere Vertretung der Interessen der Arbeitenden in der aktuellen Gesellschaft.
Dieses Bildungsziel beeinflusste die Auswahl des Bestandes (und die Beratung am Tresen) direkt. Arbeiterbibliotheken
– wie damals auch andere Bibliotheken für breite Massen – hatten normalerweise einen Bestand von einigen Hundert bis zu wenigen Tausend Titeln. Insoweit war im Bestand kein Platz vorhanden für Medien, die als politisch falsch oder schwierig angesehen wurden. Jede Publikation des organisierten Katholizismus oder der liberalen Bewegung hätte wohl eine Publikation der Arbeiterbewegung
weniger bedeutet. Als zu komplex angesehen Publikationen, für welche die Arbeiterinnen und Arbeiter mit den damaligen Arbeitsstunden keine Zeit hätten, um sie durchzuarbeiten, galten ebenso als nicht notwendig. Eingestellt in den Bestand wurden aber gerade nicht nur politische Schriften, sondern auch populärwissenschaftliche Darstellungen und Literatur zu technischen, soziologischen und naturwissenschaftlichen Themen, zur Weltliteratur und Ähnlichem. In der zeitgenössischen Fachliteratur finden sich immer wieder Abwägungen dazu: Wie verständlich sind bestimmte Werke? Wie sehr beeinflusste die politische Haltung der Autorinnen und Autoren das Werk? War der Inhalt für die sozialistische Bewegung vielleicht trotzdem sinnvoll, obwohl die politische Haltung falsch war? Dabei wurde nicht von einer Neutralität der politischen Anschauungen ausgegangen – alle Autorinnen und Autoren hätten eine Ideologie, die sie mit in ihre Werke bringen würden. Aber es gäbe zum Beispiel Naturgesetze und Fakten, die immer gleich wären.7
Die gleichen Fragen galten für Unterhaltung oder Kultur. Einerseits gab es in der Arbeiterbewegung
intensive Versuche, eine eigene proletarische Kultur
zu etablieren – was auch unterschiedlich aussehen konnte, sich aber zum Beispiel im Roten Wien
der 1920er Jahre in Massenveranstaltungen für Arbeitersport
, Arbeitersingen
et cetera manifestierte –, die sich von der restlichen Kultur, in der falsche Ideale und Ideologien vertreten würden, unterscheiden sollte. Und gleichzeitig wurde versucht, die besten überzeitlichen
Werke der Welt- und Nationalliteraturen zu integrieren. Deshalb gab es immer Werke, die nicht in Arbeiterbibliotheken
standen, dafür aber in Lesehallen und katholischen Bibliotheken – und andersherum. Gleichzeitig gab es Werke, die in allen standen oder in keinen. Es ging nicht nur um die Frage der literarischen Qualität, sondern auch um den konkreten Inhalt – nicht nur um Schmutz und Schund
, sondern auch um Ideologie.
3 Kritik am bürgerlichen Büchereiwesen
: Neutralität als Ideologie
In der Arbeiterbewegung
wurde, wie gesagt, davon ausgegangen, dass es (a) einen zentralen Antagonismus zwischen verschiedenen Klassen gäbe, welcher (b) der Gesellschaft inhärent wäre, der (c) ökonomisch begründet sein und (d) deshalb auch nicht verschwinden würde, solange die Ökonomie so organisiert sei, wie sie sei – also mit denen, die die Produktionsmittel besitzen, von ihnen profitierten und deshalb tendenziell ein Interesse daran hätten, dass diese ökonomischen Strukturen aufrechterhalten bleiben und denen, die kein Eigentum dieser Art hätten, aber gezwungen seien, mit diesen Produktionsmitteln zu schaffen und die deshalb ein Interesse an der Veränderung dieser Strukturen hätten. Um diesen Antagonismus herum – der nicht ohne Grund angenommen wurde – organisierte sich die Arbeiterbewegung
, interpretierte aber auch die gesamte Gesellschaft: Die Institutionen und Infrastrukturen der Arbeiterbewegung
hatten in dieser Weltsicht die Aufgabe, die Ziele der eigenen Bewegung zu unterstützen.
Aus diesem Denken heraus war es folgerichtig, dass auch alle anderen Institutionen und Infrastrukturen daraufhin befragt wurden, zu welchem Ziel und mit welchen Vorstellungen sie eingerichtet und unterhalten würden. Diese Weltsicht hatte ihre eigene inhaltliche Folgerichtigkeit und wurde untermauert dadurch, dass es tatsächlich Institutionen, Vereine, Unternehmungen anderer politischer Bewegungen gab, die jeweils die Ziele dieser Bewegungen unterstützten. Aus dem Denken der Arbeiterbewegung
heraus galt dies für alle Einrichtungen, auch wenn bei einigen genauer zu fragen war, wie und wozu sie wirkten. Beispielsweise soziale Einrichtungen, die von Fabrikanten finanziert wurden und bei denen sich die Frage stellte, wozu sie das taten: Damit es den Arbeiterinnen und Arbeitern wirklich besser ginge oder damit sie sich so verhielten, wie es in der Weltsicht der Finanziers vorgesehen war? Wurden sie zum Beispiel besser behandelt als in anderen Fabriken, aber gerade dadurch abgehalten sich selber zu organisieren? Und wenn ja, war das so gewollt? Während heute vor allem Siedlungen, die von Fabriken für ihre Arbeiterinnen und Arbeiter errichtet wurden – in oft höherer Bau- und Wohnqualität als in anderen Wohngegenden –, bekannt sind, gab es solche Unternehmungen auch im Bibliotheksbereich: Gerade die Bücherhallenbewegung
, welche zur Zeit der Arbeiterbibliotheken
antrat, wieder einmal einen neuen Typ Öffentlicher Bibliotheken zu etablieren, wurde unter diesem Gesichtspunkt analysiert.
Die Lesehallenbewegung
postulierte, dass die sich damals entwickelnde moderne Gesellschaft einen neuen Typus von Öffentlichen Bibliotheken benötigen würde. Als Vorbild wurden Public Libraries in den USA angegeben. Diese neuen Lesehallen sollten sich auszeichnen durch:
Einen demokratischen Zugang in dem Sinne, dass sie für alle Schichten offen ständen und sich auch um alle bemühten – was dazu führte, dass man sich über die Interessen, Voraussetzungen und Lebensumstände von Menschen in unterschiedlichen sozialen Schichten Gedanken machte und zum Beispiel begann, unter diesen Befragungen über Leseverhalten und Leseinteressen durchzuführen.
Dem Verfolgen von Bildungszielen, die sich einerseits an die
Volksbildungsbewegung
anlehnten – also dem gleichen Diskurs um literarische Qualität, der angeblichen Gefahrschlechter Literatur
und der Notwendigkeit der Lenkung beziehungsweise Beratung der Leserinnen und Leser folgte, wie dieArbeiterbibliotheken
– und andererseits der individuellen Fort- und Weiterbildung für den Beruf – als Förderung aller Potentiale der Bevölkerung – dienen sollte.Dabei jeweils die Nutzung der modernsten Formen der
Bibliothekstechnik
– als Oberbegriff für die Organisation bibliothekarischer Arbeiten und gleichzeitig für technische Hilfsmittel – um möglichst viele Leserinnen und Leser zu bedienen und zu beraten sowie möglichst schnell die richtigen Bücher an die richtigen Personen verleihen zu können – was zu vielen bibliothekstechnischen Experimenten führte.Die Ausstattung der Bibliotheken mit den Lesesälen, welche der Bewegung ihren Namen gaben. Diese Säle, in welchen sich Leserinnen und Leser direkt aufhalten, lesen und schreiben konnten, waren zuvor nicht normal in Bibliotheken für breite Massen.
Mit der Lesehallenbewegung wurden sie immer mehr zum Normalfall. Neue oder umgestaltete Bibliotheken erhielten mit der Zeit solche Säle, in den publizierten Bauplänen tauchten sie auf, in der Fachliteratur begannen Diskussionen, die nur durch das Vorhandensein dieser Säle möglich und notwendig wurden, beispielsweise ob und wenn ja, welche Zeitungen und Zeitschriften in ihnen ausliegen oder ob Schreibmaterialien und Schreibmaschinen zur Verfügung gestellt werden sollten.
Es gab verschiedene Kritik an den dann tatsächlich eingerichteten Lesehallen, insbesondere, dass sie zu sehr auf bibliothekstechnische Fragen fokussieren würden und damit zu wenig auf die notwendige Beratung der Leserinnen und Leser. Ausserdem wurde bezweifelt, das sie überhaupt einen qualitativ hochwertigen Bestand aufbauen könnten, wenn sie sich an den Interessen der Leserinnen und Leser orientieren. Und dennoch hatten sie einen merklichen Einfluss. Auch die Arbeiterbibliotheken
wurden nach und nach mit Lesesälen ausgestattet; bibliothekstechnische Neuerungen wurden ebenso übernommen oder selber entwickelt.
Gleichwohl waren die Lesehallen abhängig davon, dass sie finanziert würden. Auch sie wollten einen kostenfreien Zugang bieten. Die Arbeiterbibliotheken
wurden, wie dargestellt, von der Arbeiterbewegung
getragen. Die Lesehallen hingegen wurden hauptsächlich aus zwei Quellen finanziert: von philanthropischen Firmeneignern und von Gemeinden (die bis 1918 nicht von Parteien der Arbeiterbewegung
regiert wurden). Für die Lesehallen war gerade die kommunale Finanzierung die anzustrebende, ideale Lösung. Sie verstanden sich als Institutionen für die gesamte Bevölkerung, die in einer modernen Gesellschaft von den Kommunen getragen werden müssten, so wie andere öffentliche Einrichtungen für die gesamte Bevölkerung auch.
Eine Kritik aus den Arbeiterbibliotheken
setzte hier an: Wenn die Gesellschaft aus Gruppen gebildet würde, die letztlich antagonistische Interessen hätten, wie könnte es dann Institutionen geben, die nicht von diesen Interessen geprägt seien? Genauso wie die Arbeiterbibliotheken
Teil der Arbeiterbewegung
waren und damit eine Ideologie vertraten und letztlich das Ziel unterstützten, eine andere Gesellschaft zu schaffen, war zu vermuten, dass auch Lesehallen und andere öffentliche Büchereien eine Ideologie vertraten und ein Ziel unterstützten, selbst wenn sie einen anderen Anspruch vertraten. Bei den Bibliotheken, die vom politisch organisierten Katholizismus unterhalten wurden, war dies einfach zu sehen: Sie sollten die Gesellschaft nach dem Bild dieser politischen Richtung umformen respektive aufrecht erhalten.
Lesehallen und andere öffentliche Büchereien verstanden sich aber selber nicht als solche politischen Einrichtungen. Vielmehr gingen sie davon aus, für die gesamte Bevölkerung zu agieren. Die folgerichtige Vermutung war allerdings, dass sie dennoch eine Ideologie, also eine Weltsicht vertraten und versuchten, diese in die Realität umzusetzen. Wie sah diese Ideologie dann aus, welche aus Sicht der Arbeiterbewegung
den Lesehallen vorgeworfen (oder nachgewiesen) werden konnte?
Der Antagonismus, welcher für das Denken der
Arbeiterbewegung
zentral war, würde zwar nicht per se bestritten – auch die Bücherhallenbewegung ging explizit von unterschiedlichen sozialen Schichten aus –, aber seine Bedeutung wurde gänzlich anders eingeschätzt: (a) Dass die ökonomische Struktur diese Schichten hervorbrächte, sei natürlich und kein grundsätzliches Problem, welches überwunden werden müsse. (b) Der Wechsel zwischen den Schichten sei durch Bildung möglich; wichtig sei, dass Menschen Zugang zu Bildung hätten, dann würden die Tüchtigsten der unteren Schichten aufsteigen können. (c) Es gäbe übergreifende Interessen, welche für die ganze Bevölkerung gelten würden. Jede politische Bewegung würde dagegen Partikularinteressen vertreten. (d) Die Welt sei nicht anhand der ökonomischen Verhältnisse und Strukturen geteilt, sondern anhand anderer Strukturen (zum Beispiel Nationen, Kulturen,Rassen
).Hieraus ergäbe sich, dass man durch Bildung und Kultur die unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen ausgleichen könnte, also zum Beispiel durch Lesehallen auch Arbeiterinnen und Arbeitern eine Möglichkeit bieten, welche Personen in anderen Schichten schon durch ihre Herkunft hätten. Die Verantwortung, diese Möglichkeiten zu nutzen, läge dann bei den Einzelnen. Es gäbe ein gemeinsames Interesse aller, diese Möglichkeiten zu schaffen. Alle würden davon profitieren, wenn die Besten einer Schicht aufstiegen.
Aus diesen gemeinsamen Interessen und dem Fakt, dass die ökonomische Struktur der Gesellschaft nicht der prägende Teil sei, welcher das Leben in der Gesellschaft bestimme, ergäbe sich auch, dass es Werte gäbe, die für alle bestimmend wären, beispielsweise was gute Literatur sei und was nicht.
Die Grundstruktur der Gesellschaft sei nicht zu verändern beziehungsweise sei die Frage, ob dies möglich wäre, für die Lesehallen irrelevant. Gewendet als Kritik hiess dies, dass die Lesehallen vor allem die Reproduktion und Aufrechterhaltung der existierenden Verhältnisse, wenn auch nicht unbedingt anstreben, so doch betreiben würden. Wenn zum Beispiel die Idee vertreten wird, dass die, die sich anstrengen würden, in der Gesellschaft aufsteigen könnten – so es nur die Möglichkeit zur Bildung gibt –, dann würde die Frage irrelevant, warum es überhaupt diese Unterschiede zwischen den sozialen Schichten gibt. Und damit würden diese gesellschaftlichen Strukturen als normal akzeptiert.
Daraus ergäbe sich auch, dass der Anspruch der Lesehallen, die Literatur gleichsam neutral auszuwählen und bei der Beratung am Tresen neutral zu vermitteln, immer nur individuell gedacht würde, aufbauend auf den angenommen Fähigkeiten und Interessen der individuellen Leserinnen und Leser, aber ohne ein Interesse daran, wie diese Fähigkeiten und Interessen über den individuellen Fall hinaus konkret entstanden sind. Letztlich wäre das Ziel der Lesehallen, die existierenden gesellschaftlichen Strukturen zu erhalten und unter anderem Arbeiterinnen und Arbeiter davon abzuhalten, zu verstehen, wie die Gesellschaft strukturiert und wie diese Struktur zu überwinden sei.
Die angebliche Neutralität sei gar keine – und könne es auch gar nicht sein. Jede Einrichtung hätte eine Aufgabe im Bezug darauf, die Gesellschaft, wie sie ist, zu erhalten oder zu verändern. Die hinter den Lesehallen stehende Vorstellung, man könne ausserhalb dieser Fragen stehen, sei falsch – und zwar aufgrund eines falschen Verständnisses davon, wie diese Gesellschaft funktioniere.
Ausgehend von dieser Analyse wurde die Finanzierung der Lesehallen durch Unternehmen und Kommunen interpretiert als ein Mittel, die Strukturen der Gesellschaft zu erhalten. Am Ende lief diese Kritik darauf hinaus, dass die Lesehallen vor allem deshalb finanziert wurden, weil die Schichten, die von den gesellschaftlichen Strukturen profitierten – in der Diktion der Arbeiterbewegung
: die herrschenden Klassen beziehungsweise die Bourgeoisie –, auch von der Existenz dieser Einrichtungen profitierten.
Diese Kritik an Lesehallen schloss, wie gesagt, nicht aus, dass Arbeiterbibliotheken
an den gleichen bibliothekstechnischen Entwicklungen interessiert waren wie die Lesehallen oder inhaltliche Vorstellungen in Bezug auf Literatur und literarische Qualität teilten.
4 Das Ende der Arbeiterbibliotheken
Um die Bedeutung der damaligen Kritik für die heutige Zeit einzuschätzen, ist es notwendig, kurz zu referieren, warum es heute keine Arbeiterbibliotheken
mehr gibt. Sind sie vielleicht verschwunden, weil ihre eigene Weltsicht – und damit ihre Kritik an den Lesehallen aus dieser Weltsicht heraus – falsch war?
Das scheint nicht so.
Was die Arbeiterbibliotheken
zu einem Ende brachte, war das Ende der Arbeiterbewegung
und die wirtschaftliche Krise nach dem Ersten Weltkrieg. Die Arbeiterbibliotheken
in Sachsen und Thüringen, welche von Gustav Hennig geprägt wurden, verschwanden in den 1920er Jahren nach und nach. (Marwinski 1994) Die Parteien der Arbeiterbewegung
(allen voran die SPD) übernahmen in mehr und mehr Gemeinden die politische Macht und überführten Arbeiterbibliotheken
in kommunale Strukturen. Auch das war folgerichtig: Wenn die Arbeiterbewegung
die politische Macht übernähme – so wie zuvor die herrschenden Klassen
die politische Macht hatten – und somit auf dem Weg zum Sozialismus sei, dann würden diese – also kommunale Struktur und Arbeiterbewegung
– zusammenfallen. (Dass dies nicht so eintrat, dass also die sozialistische Gesellschaft nicht geschaffen wurde, schien Anfang der 1920er Jahre nicht ausgemacht.) Gleichzeitig geriet die Arbeiterbewegung
, die ja hauptsächlich von Arbeitenden finanziert wurde, mit der Wirtschaftskrise Anfang der 1920er Jahre in finanzielle Schwierigkeiten. Partei- und Gewerkschaftsbeiträge sowie Spenden gingen zurück, zudem splitterte sich die Bewegung weiter auf. Einrichtungen der Arbeiterbewegung
, wie auch die Arbeiterbibliotheken
, wurden geschlossen, weil sie nicht mehr finanziert werden konnten.
Auch die recht gut dokumentierte Heimannsche Bibliothek
schloss wegen finanzieller Probleme. (Strocher 1987) Sie war 1899 vom sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Hugo Heimann begründet worden. Dieser hatte eine grössere Buchhandlung geerbt, verkauft und vom Gewinn eine Einrichtung geschaffen, die Vorbildcharakter hatte: in einem Arbeiterquartier in Berlin-Kreuzberg gelegen, mit grossem Lesesaal, Freihandbestand in diesem Saal, mehr frei ausliegenden Zeitschriften als in den kommunalen Büchereien, mit fest angestelltem Personal ausgestattet und frei zugänglich. Lange galt sie als Vorzeigeeinrichtung der Arbeiterbewegung
– als Beweis dafür, was möglich wäre, wenn man nur wollte. Auch diese Bibliothek, die praktisch von der Arbeiterbewegung
und Spenden finanziert wurde, schloss 1919 und wurde 1920 in das kommunale Büchereiwesen überführt.
Zum System der Arbeiterbibliotheken
in Wien ist ebenso relativ viel bekannt. (Pfoser 1980) In Wien dominierte – im Gegensatz zum restlichen Österreich – von 1918 bis 1934 die heutige SPÖ. Sie dominierte auch die Arbeiterbewegung
weit mehr, als das der SPD in Deutschland gelang. Diese Jahre des Roten Wien
waren geprägt durch einen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur unter sozialen Gesichtspunkten: Die städtischen Wohnungen wurden massiv vermehrt, Schulen, Krankenhäuser, der ÖPNV relevant ausgebaut. Die Arbeiterbibliotheken
wurden allerdings gerade nicht in die kommunale Verwaltung überführt. Vielmehr wurden diese – neben den kommunalen Büchereien – gezielt ausgebaut als Teil des Aufbaus einer umfassenden Infrastruktur der SPÖ für eine eigenständige Arbeiterkultur
mit Zeitschriften, Verlagen, Theater- und Singvereinen, die immer dort stark waren, wo die SPÖ stark war. Die Arbeiterbibliotheken
in Wien stellten ein umfassendes Netz dar: Tresenbibliotheken, Lesehallen, Kinderlesehallen, vertreten in jedem Wiener Bezirk, teilweise mehrfach und getragen von der Arbeiterbewegung
selbst, sowohl finanziell als auch vom – oft ehrenamtlichen – Personal her. Auch diese Arbeiterkulturbewegung sollte die zukünftige Gesellschaft vorbereiten und erreichen helfen. Die Wiener Arbeiterbibliotheken
wurden in der Presse der SPÖ gerne als Errungenschaften vorgeführt.
Ein Ende wurden diesen Arbeiterbibliotheken
erst durch den Ständestaat – also der Diktatur der Vaterländischen Front
unter Dollfuß und Schussnig – und dem darauffolgenden Nationalsozialismus gemacht. Nach der Übernahme der Macht im Österreichischen Bürgerkrieg 1934 wurde der SPÖ-Bürgermeister von Wien abgesetzt und im Laufe der nächsten Jahre (unter anderem) die Arbeiterbibliotheken
mit den kommunalen Büchereien zusammengelegt, dabei dann auch ihre Struktur und ihr Inhalt verändert.
Insoweit kann man sagen, dass die Arbeiterbibliotheken
nicht an sich selber gescheitert sind und auch nicht daran, dass zu wenig Interesse an ihrer Nutzung bestanden hätte, sondern an Umständen ausserhalb ihrer selbst. Allerdings solchen, die sie eigentlich hätten verhindern helfen sollen.8
Zu vermerken ist, dass nach dem Nationalsozialismus nicht mehr an die Arbeiterbibliotheken
angeschlossen wurde. Die SPÖ – seit 1945 wieder die Politik in Wien dominierend – führte stattdessen das kommunale Bibliothekswesen weiter (und hat heute auch nicht mehr das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft). In der SBZ und später der DDR wurde ebenfalls an die kommunalen Bibliotheken angeschlossen und neue Bibliothekssysteme aufgebaut, wobei diese Bibliotheken – wie andere Bildungseinrichtungen auch – politisch erst für den Aufbau, dann den Erhalt der sozialistischen Gesellschaft, wie sie in der DDR verstanden wurde, verpflichtet wurden. Erst in den 1980er Jahren scheint wieder ein Interesse an den Arbeiterbibliotheken
entstanden zu sein. (Schumann & Reinhardt 1984) Aber auch das gilt nicht nur für die Arbeiterbibliotheken
allein, sondern auch für andere Bibliothekstypen. In diesem Text wurde mehrfach auf die Bibliotheken des politisch organisierten Katholizismus verwiesen. Auch diese wurden nach 1945 in das Öffentliche Bibliothekswesen integriert, wenn auch oft in kirchlicher Trägerschaft. Es gab aber Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts weit mehr Bibliothekstypen. Diese werden in der Bibliotheksgeschichtsschreibung oft übergangen und dafür eine historische Linie von den Lesehallen zu den heutigen Öffentlichen Bibliotheken gezogen. Aber zumindest bis zu den 1920er Jahren war nicht klar, welcher Bibliothekstyp sich durchsetzen würde. All diese Bibliothekstypen, von denen einige – wie die Arbeiterbibliotheken
– über Jahrzehnte erfolgreich waren, stellten Alternativentwürfe zu den Lesehallen dar (und vice versa), deren Existenz allein immer eine implizite Kritik an den anderen Bibliothekstypen vermittelte: So, wie ein spezifischer Bibliothekstyp war, musste er nicht sein. Es ging immer auch anders.9
5 Fazit: Kann die Öffentliche Bibliothek eine neutrale Bibliothek sein?
Arbeiterbibliotheken
bestanden also über mehrere Jahrzehnte als erfolgreicher Bibliothekstyp und übten unter anderem an einer Bibliotheksform Kritik, die in vielem das vertrat, was heute im Bibliothekswesen als Grundlage verstanden wird – insbesondere der Behauptung, auf weltanschauliche Neutralität verpflichtet zu sein. Verstärkt wurde diese Kritik durch die praktische Existenz der Arbeiterbibliotheken
selber: Andere Formen von Bibliotheken als die Lesehallen waren offenbar möglich.
Die Frage ist, ob die Kritik der Arbeiterbibliotheken
an den Lesehallen mit ihrer bürgerlichen Bibliotheksideologie
auch für die heutigen Öffentlichen Bibliotheken gilt. Diese Vermutung lässt sich nicht so leicht zurückweisen.
Die
Arbeiterbibliotheken
stellten aus ihrer Position als eindeutig politisch verortete Bibliotheken die Frage, ob es überhaupt möglich ist, eineneutrale
Bibliothek einzurichten. Sie verneinten das. In einer Gesellschaft, die sich um einen ökonomischen Antagonismus herum organisiert, sei es unmöglich, nicht entweder zum Erhalt dieses Antagonismus beizutragen oder zu seiner Veränderung. Es gäbe keine Position ausserhalb dieses Antagonismus, selbst wenn behauptet würde, die eigene Bibliothek würde sich zu diesem neutral verhalten. Heute würde man die Gesellschaft anders begreifen und vielleicht mehr Widersprüche benennen. Wie kann man sich zum Beispiel in einer Gesellschaft, die Geschlechter binär reproduziert und Chancen, Einfluss, Möglichkeiten anhand dieser verteilt, ausserhalb dieser ständigen Reproduktion verorten? Wird man durch seine Arbeit als Bibliothek nicht immer zu dieser Reproduktion beitragen oder diese verändern? Aber die grundsätzliche Frage derArbeiterbibliotheken
– kann eine Einrichtung in einer von strukturellen Widersprüchen geprägten Gesellschaft überhaupt neutral sein – ist weiterhin offen.Wieder aufgrund ihrer Position, Teil einer Bewegung mit einem expliziten politischen Ziel zu sein, vermuteten die
Arbeiterbibliotheken
, dass jede andere Einrichtung auch ein politisches Ziel unterstütze, selbst wenn sie sich das selbst nicht eingestehen würde. Die Lesehallen mit ihrem Anspruch, weltanschaulich neutral zu sein, würden stattdessen die Reproduktion der ökonomischen Verhältnisse unterstützen. (Und das sei falsch, weil diese Verhältnisse falsch seien.) Auch diese Frage ist weiterhin virulent. Zu welchem Zweck machen Öffentliche Bibliotheken eigentlich ihre Arbeit? Was ist ihr Ziel? Worauf diese Frage hindeutet, ist, dass Bibliotheken selber in der Lage sind, diese Ziele zu bestimmen und dass sie eben nicht von aussen bestimmt sind. Wenn Bibliotheken diese Ziele von aussen bestimmen lassen, würden sie tendenziell die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen mitreproduzieren und unterstützen.Die
Arbeiterbibliotheken
fragten auch, welches Bild von Gesellschaft und Individuen eigentlich hinter der konkreten Bibliotheksarbeit stand. Die Lesehallen würden die Gesellschaft so verstehen, als ob die wirtschaftliche und politische Ordnung tendenziell so sein müsse, wie sie ist und als wären vor allem die einzelnen Individuen in der Lage, durch eigene Anstrengungen aufzusteigen. DieArbeiterbibliotheken
hingegen würden eine andere Ideologie vertreten. Auch diese Frage ist aktuell geblieben, selbst wenn man diese nicht auf Basis einer ausformulierten Ideologie stellt, wie das dieArbeiterbibliotheken
tun konnten. Was sie sichtbar machte und weiter sichtbar hält, ist, dass jede bibliothekarische Arbeit ihre Basis in einer Weltanschauung hat und dass es sich lohnt, nach dieser Weltanschauung zu fragen, insbesondere dann, wenn behauptet wird, Einrichtungen wie Bibliotheken würden neutral ausserhalb von Weltanschauungen stehen (können). Eine solche Behauptung, so kann man von denArbeiterbibliotheken
lernen, ist nicht per se überzeugend. Irrelevant scheint dabei, ob Bibliotheken den jeweils neuesten bibliothekstechnischen Entwicklungen folgen oder ob sie grosse Teil der Überzeugungen davon, was Bibliotheksarbeit ausmacht, teilen. Das hielt zumindest dieArbeiterbibliotheken
auch nicht von ihrer Kritik zurück.
Literatur
Zeitschriften
Bibliothekar und Ratgeber für Hausbüchereien : Monatsschrift für Arbeiterbibliotheken. (1918–1922) Gera
Der Bibliothekar. Monatsschrift für Arbeiterbibliotheken. (1907–1917) Leipzig
Bildungsarbeit. Blätter für Sozialistisches Bildungswesen. (1909–1914 und 1919–1934) Wien, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=bar
Monografien
Brünle, Elke. Bibliotheken von Arbeiterbildungsvereinen im Königreich Württemberg : 1848–1918 (Mainzer Studien zur Buchwissenschaft, 20). Wiesbaden: Harrassowitz, 2010
Haag, Verena. Die ehemalige Arbeiterbibliothek Aarau : Geschichte, Umfeld, Teilintegration in die Aargauische Kantonsbibliothek (Diplomarbeit). Aarau : Aargauische Kantonsbibliothek, 1982
Heidenreich, Frank. Arbeiterkulturbewegung und Sozialdemokratie in Sachsen vor 1933 (Demokratische Bewegungen in Mitteldeutschland, 3). Weimar : Böhlau, 1995
Hennig, Gustav. Zehn Jahre Bibliothekarbeit : Geschichte einer Arbeiterbibliothek : ein Wegweiser für Bibliothekverwaltungen. Leipzig : Verlag der Leipziger Buchdruckerei, 1908
Marwinski, Felicitas. Sozialdemokratie und Volksbildung : Leben und Wirken Gustav Hennigs als Bibliothekar (Beiträge zur Bibliothekstheorie und Bibliotheksgeschichte, 9). München u.a.: K.G. Saur Verlag, 1994
Pfoser, Alfred. Literatur und Austromarxismus. Wien : Löcker Verlag, 1980
Schroeder, Werner. “Arbeiter, fördert und unterstützt weiter eure geistige Rüstkammer” : Aufbau, Bedeutung und Zerschlagung der Arbeiterbibliotheken in Thüringen (Veröffentlichungen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 20). Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2008
Schumann, Ilse; Reinhard, Gabriele. Über ehemalige Arbeiterbibliotheken 1899 - 1933 im heutigen Bezirk Potsdam (Ausstellungsdokumentation). Potsdam: Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek des Bezirkes Potsdam, 1984
Strocher, Norbert. Die Heimannsche “Öffentliche Bibliothek und Lesehalle zu unentgeltlicher Benutzung für jedermann” 1899-1919 : eine Bibliothek für die Berliner Arbeiterschaft (Beiträge zur Berliner Bibliotheksgeschichte, 5). Berlin: Bibliotheksverband der Deutschen Demokratischen Republik, Bezirksgruppe Berlin, 1987
Vodosek, Peter. Arbeiterbibliothek und öffentliche Bibliothek : zur Geschichte ihrer Beziehungen von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1933 (Schriftenreihe der Bibliothekar-Lehrinstitut, Reihe B: Dozentenschriften, 2). Berlin : Deutscher Bibliotheksverband, 1975
Der Begriff
Arbeiterbibliotheken
wurde zeitgenössisch von den Bibliotheken derArbeiterbewegung
selber und auch von anderen Bibliotheken und Bewegungen für diesen Bibliothekstyp benutzt. Obgleich dieArbeiterbewegung
auch für Frauenrechte wie das Frauenwahlrecht, für die Aufhebung von Abtreibungsverboten und für die Aufklärung über Abtreibungen und Geburt eintrat, war ihre Sprache teilweise ausschliessend. Arbeiterinnen wurden damals tatsächlichmitgemeint
. Der Autor würde heute eine inklusivere Bezeichnung wählen – zum Beispiel ArbeiterInnenbibliothek, proletarische Bibliothek –, das wäre aber anachronistisch. Deshalb wird die Bezeichnung im Text in Anführungszeichen gesetzt. Gleiches gilt für dieArbeiterbewegung
selber.↩In diesem Text geht es um die
Arbeiterbibliotheken
seit den 1880er Jahren. DieArbeiterbildungsvereine
um 1848 unterhielten ebenso Bibliotheken (siehe zu diesen Brünle 2010), aber ebenso wie dieArbeiter
von 1848 schwerlich mit den späteren Fabrikarbeiterinnen und -arbeitern zu vergleichen sind, sind es auch deren Bibliotheken.↩So dass irgendwann in grösseren Städten sozialdemokratische, kommunistische, anarchistische, anarcho-syndikalistische, räte-kommunistische und weitere Heime, Kneipen, Jugendorganisationen und Sportvereine nebeneinander existieren konnten, ebenso wie deren Parteien, politische Organisationen und Gewerkschaften, die allesamt zur
Arbeiterbewegung
gezählt wurden – auch wenn sie alle ihre politischen Differenzen hatten. DieArbeiterbibliotheken
, um die es in diesem Text geht, waren zumeist solche derMehrheitströmung
, die bei der SPD respektive SPÖ verblieben. Es wäre aber selbstverständlich interessant, auch in der Bibliotheksgeschichte den Verzweigungen und Spaltungen derArbeiterbewegung
nachzugehen.↩Forschung zu
Arbeiterbibliotheken
wird nicht systematisch betrieben (dazu auch schon Vodosek 1975). MitDer Bibliothekar
(1907–1922, Leipzig und Gera), herausgegeben von Gustav Hennig, und derBildungsarbeit. Blätter für Sozialistisches Bildungswesen
(1909–1914 und 1919–1934, Wien), herausgegeben von der SPÖ, liegen zwei zeitgenössische Zeitschriften – letztere auch digitalisiert – mit einem Fokus aufArbeiterbibliotheken
als Quellen vor. Zudem Material von und zu Gustav Hennig selber (Hennig 1908, Marwinski 1994), zuArbeiterbibliotheken
in Thüringen – die zum Teil auch von Hennig beraten wurden – (Schroeder 2008), zu den Arbeiterbibliotheken im Austromarxismus (Pfoser 1980, Heidenreich 1995) und zurHeimannschen Bibliothek
in Berlin (Stroscher 1987). Es gab aber auch weitere, eher kurzlebige Zeitschriften, zudem Erwähnungen in der Presse derArbeiterbewegung
oder Diskussionen auf Kongressen, Tagesordnungspunkte bei Partei- und Gewerkschaftstreffen und so weiter. Gerade für die Zentren der damaligenArbeiterbewegung
– zum Beispiel Hamburg, das Rheinland, Zürich, Basel oder Genf – wäre zu erwarten, dass eine systematische Forschung weit mehr zur Geschichte derArbeiterbibliotheken
an den Tag bringen würde.↩Auffällig ist, dass auch die
Arbeiterbibliotheken
von Männern geleitet wurden und Frauen, den Überlieferungen und Bildern nach, nur selten überhaupt als Personal eingesetzt wurden.↩Kommerziellen Leihbibliotheken wurde zum Teil gerade vorgeworfen, dass bei Ihnen der Zugang zum Bestand zu offen geregelt sei.↩
Eine Haltung, die heute kritisiert werden kann. Auch Fakten sind sozial konstruiert, reproduziert und verhandelt. Aber eine solche Kritik an der Haltung der
Arbeiterbewegung
wäre anachronistisch.↩Dazu passt, dass
Arbeiterbibliotheken
in der Schweiz offenbar über den Zweiten Weltkrieg hinaus existierten und ihre Spuren erst zur Zeit des Kalten Krieges verschwanden. (Siehe zum Beispiel Haag 1982.)↩Anzumerken ist, dass auch heute noch politische Bewegungen immer wieder Bibliotheken gründen, um die Ziele der eigenen Bewegung zu unterstützen. Beispielsweise tauchen in der Literatur der
Instandsbesetzungsbewegung
der 1980er Jahre immer wieder Bibliotheksprojekte auf. Die Bibliotheken, welche bei den Occupy-Protesten 2011–2012 eingerichtet wurden, sind ebenfalls immer wieder einmal Thema von Berichten geworden. Das Monopol der Öffentliche Bibliotheken ist auch heute nicht unumstritten. (Siehe dazu LIBREAS #26.)↩
Karsten Schuldt, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Schweizerischer Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur. Redakteur der LIBREAS. Library Ideas.