Einleitung
Warum können rechtsnationalistische bis offen rechtsextreme Parteien in ganz Europa und auch international so eindeutige Wahlgewinne aufweisen? Wieso gelingt es den etablierten politischen Kräften und öffentlichen Verwaltungen so wenig argumentativ überzeugende Antworten zu geben und intelligente Debattenformate zu organisieren, um auf die immer massivere Kritik von rechten Gruppen an offenen Gesellschaften zu reagieren? Eine Antwort auf diese, zugegebenermaßen recht komplexen, Fragestellungen, könnte darauf verweisen, dass die Schere zwischen arm und reich global noch nie so weit auseinander klaffte wie gegenwärtig (Piketty, 2016, S. 31–33, 39–41 und 573–624). Die Wut derjenigen, die sich im kapitalistischen Wettbewerb von den Eliten gesellschaftlicher Entscheidungsfindung allein gelassen fühlen, so könnte man argumentieren, wird geschickt instrumentalisiert und auf Flüchtlinge, Fremde und ausländische Arbeitsuchende projiziert. So stellt beispielsweise auch die Wochenzeitschrift die Zeit fest:
Auch im siebten Jahr nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise herrscht in der großen Masse der Bevölkerung das Gefühl, dass die Reichen
es sich richten könnenund mit ihren Vermögen auch ihren politischen Einfluss über Generationen weiterreichen (Rehm & Schnetzer, 2015, Abschnitt 9).
Für das Selbstbild und die politische Positionierung öffentlicher Bibliotheken ist allerdings nicht die Engführung von Antworten auf komplexe Fragestellungen zu suchen, sondern die Kompetenz gerade solche komplexen gesellschaftspolitisch umkämpften Themenbereiche und gesellschaftlich relevanten Debatten und Diskurse aus möglichst vielen Quellen abzubilden, zu kommentieren und vor dem Hintergrund einer faktenbasierten Recherche einzuordnen.
Bibliotheken als neutraler Vermittlungsort für Information und von Diskursen und Debatten?
Es bleibt als Einwand nicht abzuwehren, dass öffentliche Bibliotheken natürlich sorgsam zwischen dem Neutralitätsgebot, der Informationsfreiheit und den Schutzrechten diskriminierter Minderheiten abwägen müssen.
Das Neutralitätsgebot leitet sich in Deutschland unter anderem von dem im Grundgesetz (Art. 3 I GG) verankerten Gleichheitsgrundrecht ab (Deutschland. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (o. D.)). Aber wie können politische Botschaften, unter denen nicht die wenigsten die Schutzrechte diskriminierter gesellschaftlicher Gruppen bedrohen, neutral behandelt werden? Ebenso im Grundrecht verankert ist auch die Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 2. Var. GG), wonach [jede und]1 jeder
das Recht haben, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten
(Deutschland. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (o. D.)). Wenn aber zudem die Schutzrechte diskriminierter Minderheiten im Auge behalten werden sollen, muss in zweifellos aufwendigen Verfahren sichergestellt werden, dass keine verfassungsfeindlichen, rassistischen, antisemitischen oder anderweitig diskriminierenden Inhalte ohne entsprechende Kennzeichnung, Kommentierung und Einordnung in den Bestand aufgenommen werden. Zunächst einmal stellt sich aber die Frage, ob sie überhaupt aufgenommen werden sollen.
Kommentierte oder unkommentierte Aufnahme in den Bestand?
Wer sich aber inhaltlich mit den immer professioneller argumentierenden rechtsextremen und rechtsnationalen Meinungsplattformen und deren Galionsfiguren auseinandersetzen will, wird schnell mit dem zunächst intuitiv nachvollziehbaren Argument konfrontiert, dass die Einschränkung von Meinungsfreiheit zum Schutz diskriminierter Minderheiten schnell zur Zensur werden kann. Eben dieser Zensur-Vorwurf wurde beispielsweise vom Gemeinschafts-Blog Die Freie Welt
des AfD-Polit-Personals Beatrix und Sven von Storch, die bei dem Blog auch die verantwortliche Redaktion stellen, an die öffentlichen Bibliotheken gerichtet (Die Freie Welt, 2018, 3. Januar). Allerdings wird das nur im Titel und Übertitel des Beitrags suggeriert, die ‚Zensur in Bibliotheken’ und ‚Bücher sollen aussortiert werden’ heißen (ebd.). Liest man allerdings den ganzen Beitrag wird schnell klar, dass es nicht die Stadt- und Landesbibliothek Potsdam ist, der die Freie Welt den Vorwurf der Zensur macht, sondern eher der linksalternativen Fraktion ‚DIE aNDERE’ aus der Stadtverwaltung, die sich in einer Anfrage an die Bibliothek nach rechtsradikalen oder antisemitischen Publikationen im Bestand erkundigt hatte (Kramer, 2017, 27. Dezember, Abschnitt 1–4). Diese Art der absichtlich in die irre führenden Titel und Untertitel, die schon zur Empörung führen kann, bevor der eigentlich Text gelesen wurde, ist symptomatisch für die provokative Medienstrategie der neuen Rechten (Herrmann, 2019, S. 156–158).
Die Andere hatte mit ihrer Anfrage prüfen wollen, ob die Zielsetzungen des Potsdamer Aktionsplanes für Toleranz sowie Demokratie und gegen Gewalt, Rechtsextremismus sowie Fremdenfeindlichkeit beim Literatur- und Medienbestand der Stadtbibliothek berücksichtigt werden – dort wird ein generell offensiver Umgang mit rechter Propaganda empfohlen, statt diese als Meinungsäußerung unwidersprochen zu lassen (Kramer, 2017, 27. Dezember, Abschnitt 2).
Die Bibliothek hatte hier die klare Entscheidung getroffen auch hoch umstrittene Bestseller wie Finis Germania – Das Ende Deutschlands
aus dem neurechten Verlag Antaios in ihren Bestand aufzunehmen. Das von verschiedenen Journalisten und Historikern als geschichtsrevisionistisch, antisemitisch und rechtsradikal kritisierte Buch soll laut der Potsdamer Bibliotheksleiterin Marion Mattekat Teil des Bestands der Bibliothek sein, weil auch weltanschaulich tendenziöse Schriften und Medieninhalte,
Relevanz haben können, wenn sich diese im gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs befinden
(ebd., Abschnitt 4).
Hierbei ist zu bedenken, dass viele Debatten über die Medien, die Medienproduzenten und/oder von undurchsichtigen Gruppen oder Einzelpersonen im Hintergrund hochgekocht, instrumentalisiert und den eigenen Interessen entsprechend provokativ in Szene gesetzt werden. Schon allein deshalb kann eine unkommentierte Aufnahme in den Bestand mit dem alleinigen Verweis auf Bestseller-Listenplätze, keinesfalls akzeptiert werden. Zum einen, weil Bestseller-Listen das gesellschaftliche Informations- und Lese-Bedürfnis, wenn überhaupt, nur höchst unvollkommen und verzerrt widerspiegeln. Vor allen Dingen aber, weil man davon ausgehen muss, dass die Schutzrechte gleich mehrerer Gruppen diskriminierter Minderheiten in solchen und vergleichbaren neurechten Publikationen auf zahlreichen persönlichen und gesellschaftlichen Ebenen mit Füßen getreten werden. Über das Verlagsprogramm von Antaios2 und die Gedankenwelt des Verlegers Kubitschek, berichten etwa der Geograf und Populismusforscher Alexander Reid Ross und die Historikerin Patricia Zhubi (2019, 24. März, Abschnitt 4) in einem Überblicksartikel über die globale Ideologie und Medienstrategien rechtsterroristischer Netzwerke nach dem Christchurch-Attentat in Neuseeland.
Der neurechte Verleger Götz Kubitschek wünscht sich die Krise herbei, sie sei dem
Rückfall ins Siechtum, ins Latente, ins Erduldenvorzuziehen.Ein solcher Antirationalismus mündet zwangsläufig in der Glorifizierung von Gewalt, so der Hamburger Historiker Volker Weiß. Hiervon zeuge das Buch Der Weg der Männer des US-amerikanischen Alt-Right-Autors Jack Donovan, das bei Kubitscheks Verlag Antaios publiziert wurde. Ewiger Friede ist laut Donovan derTod der Männlichkeit, eine Überzeugung, die auch der Christchurch-Attentäter teilt (ebd.).
Es darf kein Zweifel daran bestehen, dass das Fachpersonal von öffentlichen Bibliotheken die Verbreitung von solcherlei menschenfeindlichem Gedankengut nicht zulassen darf. Die Frage ist nur, wie die Verbreitung verhindert werden kann. Falls dann die Entscheidung hinsichtlich einer kommentierten und in entsprechende Verschlagwortungen und Kategorien eingeordneten Aufnahmen in den Bestand erfolgt, stellt sich zudem die Frage wie und von wem diese Einordnungen vorgenommen werden sollten.
Gegen eine Aufnahme von rechten Publikationen in Bibliotheken und Buchhandlungen?
Jörg Sundermaier vom Verbrecher Verlag in Berlin argumentiert beispielsweise gegen eine Aufnahme von rechten Verlagen und Publikationen in das Sortiment von Buchhandlungen und Bibliotheken und begründet dies, unter anderem, mit der Taktik von rechten Gruppen und Einzelpersonen, mit wiederholten Nachfragen in Buchhandlungen und Bibliotheken auf das Anschaffen bestimmter Publikationen zu drängen (Sundermaier, 2018, S. 332–333 und Baeck, 2018, 21. November). Es ist natürlich keineswegs illegitim seine Meinung und Wünsche in Bezug auf den Bestand von Bibliotheken und Buchhandlungen zum Ausdruck zu bringen. Auch dann nicht, wenn man die Publikationen selbst schon kennt und vielmehr dafür sorgen möchte, dass die eigenen politischen Vorstellungen weiterverbreitet werden (Sundermaier, 2018, S. 332–333). Allerdings müssen Bibliotheken und auch Buchhandlungen im Auge behalten, dass nicht nur interessierte Einzelpersonen, sondern eben auch effizient organisierte Netzwerke rechtsextremer Gruppen (Stöss, 2000, S. 6–21 und Hübner, 2008, S. 17–18) und Denkfabriken aus strategischen Gründen immer wieder die gleichen Sympathisanten an bestimmte Stellen senden könnten, immer mit dem Vorwurf im Handgepäck, bestimmte Themenbereiche würden ausgegrenzt, tabuisiert und totgeschwiegen. Schickt man nur eine Handvoll Leute (mit genug Zeit) über einen Monat verteilt in eine bestimmte Bibliothek oder Buchhandlung und lässt dieselben Leute auch E-Mails schreiben und anrufen, kann für eine Stadtteilbibliothek oder eine regionale Buchhandlung schnell der Eindruck entstehen, dass genau die nachgefragten Publikationen gerade sehr viel Interesse wecken. Um den Überblick über solche Formen der Beeinflussung verschiedener Meinungsfronten zu behalten, forderte bereits Boryano Rickum in seinem Essay Politikbibliothekarische Arbeit
, das Bibliothekspersonal unter anderem den Überblick über tagesaktuelle und grundsätzliche politische Debatten lokal und weltweit im Blick behalten muss (Rickum, 2017, S. 630). Zudem erwähnt Sundermeier als weitere Argumente gegen eine Aufnahme von rechter Literatur in den Bestand von Buchhandlungen und Bibliotheken, schlecht recherchierte und argumentierte Verschwörungstheorien und die oft miserable Qualität der Editionen (Sundermaier, S. 333).
Es muss allerdings klar und offen kommuniziert werden, dass einerseits niemand politische Wahrheit für seine Position oder politische Überzeugung in Anspruch nehmen kann und andererseits längst anerkannte Tatsachen, wie etwa der Holocaust oder die Kugel-Form der Erde, nicht ernsthaft erneut in Frage gestellt werden können. Zumindest nicht in Archiven der öffentlichen Wissensvermittlung und ohne jegliche Kommentierung oder Einordnung. Natürlich wird es, gerade in dem aktuell polarisierten gesellschaftspolitischen Klima, besonders schwierig diese Einordnungen, Kommentierungen und kategorischen Etikettierungen vorzunehmen.
Dem Einen wird etwa Sarrazins (2010) Deutschland schafft sich ab
nur das professorale Konvolut eines beherzten Konservativen innerhalb der SPD sein, der möglicherweise etwas unbedacht biologistische Argumentationen mit ethnisch-kulturellen Statistiken in Zusammenhang bringt. Dem Anderen ist er die Speerspitze nie wirklich reflektierten nationalsozialistischen Gedankenguts in der bürgerlich-akademischen Mittelschicht. Zwischen diesen Polen müssen Bibliotheken und ihr ausgebildetes Fachpersonal vermitteln und wenn möglich Dialoge zwischen verhärteten Fronten fördern. Aber vor allen Dingen müssen Sie die Netzwerke, Hintergründe und Etymologien dieser Gedankenwelten kennen, um sie wirklich Einordnen und als Bibliothek zu diesen Positionen Stellung beziehen zu können.
Eindeutige Einordnung und Kommentierung von rassistischer oder anderweitig diskriminierender Literatur
Der Autor des vorliegenden Essays hätte persönlich wenig dagegen einzuwenden, wenn rechte Publikationen, wie Sarrazins Machwerk gar nicht mehr in Bibliotheken auftauchen. Wenn aber der Entschluss für eine Aufnahme in den Bestand erfolgt, gehört zur Minimalanforderung an eine kompetente Einordnung, dass der Publikation kritische Erkenntnisse, wie etwa die der Forschergruppe um die Wissenschaftlerin Dr. Naika Foroutan von der Humboldt-Universität, zur Seite gestellt werden, die am Ende der Publikation Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand
(2011, S. 57) anmerkt:
Dieses Dossier befasst sich mit Thilo Sarrazins Thesen zur Integration von Muslimen in Deutschland, die er in seinem Buch
Deutschland schafft sich ab(Wiesbaden 2010, 1. Auflage) aufgestellt hat. Es ist eine empirische Gegenüberstellung, die einen ersten Überblick darüber geben soll, wie die in dem Buch verwendeten Zahlen zu Zuwanderung und Integration auf Grundlage desselben Datenmaterials und ergänzenden wissenschaftlichen Studien unterschiedlich gewertet werden können. Das Dossier soll als ein erster Impuls verstanden werden, der einen Zugang zu den vielzähligen wissenschaftlichen Studien zum Themenfeld Integration und Muslime in Deutschland eröffnen und zu vertiefenden Analysen anregen soll.
Zudem werden die Autoren in einer Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung (2011) zum gesellschaftlichen Einfluss von Sarrazins Thesen folgendermaßen zitiert:
Als
tendenziös und pauschal abwertendbeurteilen die Autoren Sarrazins Thesen. Dasgezielte Verschweigeneiner weitgehend erfolgreichen Integration und dieAusweitung des Diskursraums bis an die Grenzen der Diffamierungdrohen die zuvor messbaren Integrationserfolge rückgängig zu machen. Nicht Integration, sondernÄngste, Ressentiments und rassistische Abwehrreaktionenseien in der Auseinandersetzung mit seinen Thesen verhandelt worden, schreiben die Autoren (Abschnitt 10).
Darüber hinaus, vor allen Dingen auch weil es für viele Menschen schon zu lange dauert solche Aussagen ganz zu lesen, muss der Text eindeutig in irgendeiner Form in der Kategorie rassistische bis stark diskriminierende Literatur eingeordnet werden. So eingebettet und auch rein physisch, auf dem entsprechenden bibliothekarischen Bücherregal von kritischen Gegenargumenten umgeben, könnten auch solche Texte nicht nur von Forschenden der Sozialwissenschaften, sondern auch von Laien klarer verortet werden, als wenn das Buch unkommentiert zwischen alle anderen Sachbuch-Bestseller gestellt wird.
Gegen rassistische und diskriminierende Verschlagwortung und Kategorisierungen in Bibliotheken
Aber damit nicht genug. Das Fachpersonal in öffentlichen Bibliotheken müsste sowohl in den Katalogisierungs- und Indexierungssystemen, als auch in den thematischen Kategorien der eigenen Bibliothek sensibel, und im vollen Bewusstsein der polarisierten gesellschaftlichen Meinungen, jede diskriminierende Einordnung vermeiden, auflösen oder entsprechend kommentieren. Natürlich würden dafür unabhängige Kollektive interdisziplinär aufgestellter Teams von Fachpersonal mit sozial-, kommunikations-, geschichts-, kultur- und informationswissenschaftlichem Hintergrundwissen benötigt. Sie sollten beispielsweise verhindern helfen, dass bei dem Musik-Streamingdienst Freegal
der öffentlichen Bibliotheken Berlins ein rassistisches Kinderlied angezeigt wird (das in den Archiven gar nicht verfügbar sein dürfte), wenn man in das Suchfeld zehn kleine…
eingibt und die Vorschläge, die das System macht, das letzte Wort nicht nur mit Zappelmänner(n)
, sondern an vierter Stelle, nach Fröschlein
und Zappelfinger
, mit dem rassistischen N-Wort vervollständigt.
Auch ewig wiederkehrende Empörungsquellen, wie das Comic Tim im Kongo
wegen eindeutig kolonialistischer und rassistischer Stereotype ohne jegliche historische und kolonialismus-kritische Analyse und Einordnung keinesfalls in den Bestand von Kinder- und Jugendbibliotheken gehört, sind erneut und weiterhin klar zu benennen.
Im zweiten Band Tim im Kongo (Tintin au Congo, 1931) sind
Rassismus und Kolonialismus […] so offensichtlich, dass es da nichts nachzuweisen oder zu überführen gibt(Seeslen, 2011, S. 81 zitiert nach Planka, 2012, S.241).
Dennoch hat der Autor dieses Essays bislang weder in Berlin noch in anderen deutschen Städten in Kinder- und Jugendbibliotheken eine solche kritische Kommentierung gefunden. Den rassistischen Comic konnte man dagegen fast überall ausleihen.
Diese hoffentlich eindrücklichen Alltags-Beispiele, könnten mit ihren folgenreichen Forderungen auch wieder schnell als Zensur angegriffen werden. Darüber hinaus hätten sicherlich einige als Gegenargument vorzubringen, dass gerade der hyperkorrekte politische Röntgenblick einer akademischen Elite von Kultur- und Sozialwissenschaftlern normale Menschen so sehr genervt hat, dass sie dann, schon aus Protest, lieber AfD und andere rechtsextreme Gruppen gewählt oder diese in anderer Form unterstützt haben. Im selben Fahrwasser könnte man argumentieren, dass eine freiheitlich demokratische Gesellschaft auf so vielen Ebenen bedroht wird, dass es völlig unverhältnismäßig ist, sich mit rassistischen Wörtern und Bedeutungszusammenhängen in Kinderliedern und Comics zu beschäftigen.
Dem muss entschieden widersprochen werden. Koloniales, rassistisches und jegliche Gruppen von Minderheiten diskriminierendes Gedankengut ist so tief und seit so vielen Generationen in allen Kulturtechniken menschlicher Politik, Wirtschaft, der Wissenschaft, Kunst und Kultur reproduziert worden, dass jeder noch so unbedeutende wirkende Faden dieses Teppichs auseinandergenommen genommen werden muss; von Kinderbüchern bis zu Image-Filmen auf YouTube; von Bilderserien auf Instagram bis zu dem Twitter-Feed des amerikanischen Präsidenten; von Bestsellern, die vermeintliche, aber gar nicht vorhandene Sprechverbote adressieren bis zu dem selbst gefilmten und auf Facebook gestreamten Live-Feed des Christchurch Attentäters, der sich in seinem eigenen Manifest auf das des Massenmörders Breivik bezogen hat. Alles muss analysiert, eingeordnet und in seiner Gefährlichkeit für ein empathisches und gewaltfreies gesellschaftliches Zusammenleben benannt werden. Nicht die Mikro-Konfliktfelder sollten dabei im Fokus sein, sondern die Medien- und Propagandastrategien rechter Netzwerke, die antirassistische, feministische, gegen Gewalt und für Toleranz eintretende Kräfte insgesamt angreifen und ihre Bemühungen einer globalen liberal-kapitalistischen Elite vorwerfen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Elite tatsächlich in hohem Maß zur Polarisierung der Gesellschaft beigetragen hat. Tragisch und gleichermaßen unhaltbar wäre in diesem Zusammenhang allerdings, wenn wir alle ohnmächtig den Nebelkerzen rechter Propaganda zusehen, wie sie linke Globalisierungskritik kapern, mit Kulturprotektionismus und identitärer Ideologie vermischen und statt die verantwortlichen politischen und wirtschaftlichen Eliten schon wieder Minderheiten verantwortlich machen, die am meisten unter den gegenwärtigen Krisen leiden.
Fünf vor Zwölf
Um dem entgegenzuwirken und den provokativen und mittlerweile sehr professionellen Medienstrategien rechtsextremer Netzwerke und lautstarker Einzelpersonen argumentativ und mit einer konsistenten Gesamtstrategie zu begegnen, wäre ein erster großer Schritt getan, wenn die Gefahr, die von ihnen ausgeht, zunächst einmal wirklich anerkannt würde.
Die NSU-Anschlagsserie, die Warnung des FBI 2009, dass die größte innenpolitische Gefahr für die USA von rechtsradikalen Einzeltätern und Terrorzellen ausgehe, das Netzwerk rechts gesinnter Soldaten und Polizisten mit Kontakten zum Militärischen Abschirmdienst (MAD), das im November 2018 von der taz aufgedeckt wurde und sich auf die Staatskrise vorbereitend zu den Waffen greifen wollte im indirekten Verbund mit den parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Kräften der Rechtsnationalen Bewegungen, Stiftungen und Verlagen, sind viel zu lange ignoriert oder von potentiell involvierten staatlichen Stellen vertuscht worden (Ross & Zhubi, Abschnitt 4–10). Um die vielfältigen Beeinflussungsversuche der neuen Rechten aber einschätzen und die Positionierung gegen sie mit einer konsistenten Gesamtstrategie verbinden zu können, sind eine Fülle von Fertigkeiten gefragt, die Boryano Rickum bereits in seiner Forschungsarbeit Städtische und gesellschaftliche Funktionen von Bibliotheken im Kontext von Metropolen
(2016) beschrieben hat. Insbesondere bezieht er sich dabei auch auf Kompetenzen, die den Dialog fördern und interkulturellen3 Austausch ermöglichen sollen.
Anliegen meiner Arbeit war es, dem bibliothekarischen Fachdiskurs ein ganzheitliches Verständnis von interkultureller Arbeit bzw. diversity management anzubieten, das der Realität der deutschen Einwanderungsgesellschaft gerecht wird: Menschen mit interkulturellen Wurzeln und Erfahrungen lassen sich in hoher Konzentration in den deutschen Metropolen bzw. Metropolregionen sowie quer durch alle sozialen Milieus finden. Aufgrund dieser Interdependenz zwischen gesellschaftlicher Diversität und Metropole bestand die Hauptaufgabe der Arbeit darin, aus den aktuellen Erkenntnissen der Stadtforschung über das Wesen und die Funktionen von solchen Stadtformen ein normatives Konzept von Metropolbibliothek zu entwickeln. Nur auf diese Weise ließ sich ein Bibliothekskonzept erstellen, dass gemäß meiner Eingangshypothese interkulturelle Arbeit sowie diversity management in sämtlichen bibliothekarischen Funktionen einschließt (Rickum, 2016, S. 55).
Neben dem Überblick über tagesaktuelle und grundsätzliche politische Debatten lokal und weltweit, werden auch politik- und sozialwissenschaftliche Fertigkeiten zum Einordnen der Inhalte und zum Auswerten und Aufbereiten von Statistiken, mediatorische Kompetenzen zum Moderieren von Debattier-Formaten und IT-technische Fertigkeiten zur Umsetzung des Blended-Library-Gedankens benötigt, der digitale und analoge Bestände verknüpfen soll. Hierbei muss im Selbstverständnis der erweiterten Fertigkeiten-Palette von Fachpersonal in Bibliotheken neu diskutiert werden, inwieweit dafür eigene Stellen geschaffen werden müssten oder intensiverer Kontakt gesucht und Kooperationsvereinbarungen mit Institutionen und Organisationen getroffen werden müssten, die diese Kompetenzen bereits haben (vgl. Rickum, 2017, S. 630).
Das alles scheint sehr viel, sehr komplex und ich höre es schon raunen, absolut unbezahlbar. Aber es muss gemacht werden. Weniger einzubringen ist in diesem Fall nicht möglich. Über das wie und wer genau, kann und muss im Einzelnen von so vielen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen wie in diesem Prozess nur eingebunden werden können, verhandelt werden. Aber wenn wir alle nicht irgendwann unseren Kindern erklären wollen, warum wir nichts oder eben viel zu wenig gegen die rechtsextremen Stimmen in einem Land getan haben, dass für das schlimmste Menschheitsverbrechen verantwortlich ist, steht die Uhr schon längst auf fünf vor zwölf. Die Torwächter des öffentlichen Wissens wären dann nichts anderes als Bären, die von neuen Nazis zur Belustigung der Massen am Nasenring durch die Manege gezerrt werden.
Literatur und Internetquellen
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Wikipedia. (2018). Antaios. Abgerufen von https://de.wikipedia.org/wiki/Antaios
Die zitierten Internetquellen wurden zuletzt am 23.03.2019 aufgerufen.
Diese Ergänzung wurde vom Autor selbst hinzugefügt, um die Relevanz von geschlechtergerechter Sprache gerade auch in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigen.↩
Antaios war ein Riese aus der griechischen Mythologie und der Sohn von Poseidon und Gaia, der Göttin der Erde, die ihm auch seine unbezwingbare Stärke verlieh. Antaios, der alle vorbeikommenden Reisenden zwang, mit ihm zu kämpfen und aus ihren Schädeln einen Tempel zu Ehren Poseidons fertigte und zudem Fremde jagte und Löwen verspeiste (Wikipedia, 2018), entspricht der Selbstdarstellungsstrategie der neuen Rechten, provokative, hypermaskuline und politisch inkorrekte Rollenvorbilder zu wählen. Da Antaios seine Kraft aus der Erde bezog, hat Herkules, der ihn zunächst nicht bezwingen konnte, ihn dann übrigens einfach in die Luft gehoben und erwürgt (ebd.).↩
Obwohl in diesem Artikel Boryano Rickum zitiert wird, der sich auf interkulturelle Arbeit bezieht, wird vom Autor dieses Essays grundsätzlich und auch in diesem Zusammenhang eher der Begriff
transkulturell
stattinterkulturell
bevorzugt. Der Begriff der Transkulturalität geht im Gegensatz zur Interkulturalität und Multikulturalität davon aus, dass Kulturen nicht homogene, klar voneinander abgrenzbare Einheiten sind, sondern, besonders infolge der Globalisierung, zunehmend vernetzt und vermischt werden. Die Transkulturalität umschreibt genau diesen Aspekt der Entwicklung von klar abgrenzbaren Einzelkulturen zu einer Globalkultur. (IKUD (o. D.)., Abschnitt 4).↩
Christian Meskó ist bibliotheks-, informations-, politikwissenschaftlich und unter anderem auch historisch und literarisch daran interessiert, die oft als alternativlos dargestellten Fassadenpersönlichkeiten spätkapitalistischer Gesellschaften im selbstironischen rezitierwettbewerb von coolness, sex, gewalt und narzisstischer Machtdemonstration schön in ihre Einzelteile zu zerlegen. Nach einem politikwissenschaftlichen Diplom (Abschluss 2011), einigen literarischen und politikwissenschaftlichen Publikationen, studiert er gerade am IBI im 4. Semester Bibliotheks- und Informationswissenschaften.
Mehr dazu im Blog: Schundromanliteratur
(http://jackfog.bplaced.net/).