Wir alle hier in der LIBREAS-Redaktion haben auch unsere politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen. Nicht alle die gleichen, aber doch in der Grundtendenz übereinstimmend: für eine offene Gesellschaft, für Freiheit, für Demokratie, für Humanismus und Menschenrechte, für eine soziale und auch ökologische Zukunft. Was in den letzten Jahren passiert, in der Welt und vor allem im DACH-Raum, mit all den rassistischen, nationalistischen, autoritären Bewegungen, mit den Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien, dem Mainstreaming von Anti-Feminismus, der Produktion von Hass, der Ausgrenzung von Menschen, Verschwörungstheorien, und zuletzt auch noch der Verächtlichmachung politischer Bewegungen junger Menschen durch, well, alte weiße Männer
, hat uns – nicht nur uns – immer und immer wieder erschreckt, besorgt und wütend gemacht. Ist die Welt verrückt geworden? Machen vor allem alte Generationen die Welt, die EU, die Zukunft kaputt?
Was uns in dieser Atmosphäre auch erschreckte, war die Reaktion einiger Bibliotheken und bibliothekarischer Publikationen. Waren gerade Öffentliche Bibliotheken kurz vorher aktiver und wahrnehmbarer Teil der großen Bewegung gewesen, Menschen, die nach Europa geflohen waren, willkommen zu heißen und ihnen die Integration zu erleichtern, gab es auf dem Bibliothekstag 2018 in Berlin eine Podiumsdiskussion, die uns als Kumulation einer anderen Bewegung im Bibliothekswesen erschien. Sie hinterließ den Eindruck, als ob Teile des Bibliothekswesens den Ernst der Lage nicht verstanden hätten. In der Diskussion ging es eigentlich darum, wie mit den Medien neu-rechter Verlage umzugehen sei. Das ist keine unwichtige Frage, denn diese Medien existieren und stellen die Grundfesten jeder humanistischen Überzeugung in Frage – mit alten rassistischen und nationalistischen Vorstellungen, aber geupdateter Sprache und Sprachstrategie. Sollten Bibliotheken sich dazu verhalten und wenn ja wie? Teile des Podiums schienen sich nicht einmal auf die Veranstaltung vorbereitet zu haben, so als ob es sich um ein austauschbares Thema handelte. Bei der anschließenden Diskussion wurde – vielleicht im Affekt – teilweise mit dem Argument, das sei halt Neutralität, für das Einstellen dieser neu-rechten Bücher in den Bestand geworben mit dem Verweis darauf, im Sinne einer Serviceeinrichtung, dass es ja eine Nachfrage für diese Literatur gäbe. Kurz nach dem Bibliothekstag erschienen dann in verschiedenen bibliothekarischen Publikationen Beiträge, auch hochrangiger Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls mit dem Argument einer angeblich der Bibliothek eigenen Neutralität
die Meinung vertraten, solche Medien müssten neben anderen – damit auch solchen, die ihnen widersprechen – in allen Bibliotheken eingestellt werden. Es wurde damit auf ein Verständnis von Medien und Informationen zurückgegriffen, das uns absonderlich apolitisch vorkam – so, als wäre das alles nur ein Meinungsstreit, bei dem alle Beteiligten das gleiche Interesse an der Wahrheit hätten, was bekanntlich nicht der Fall ist, denn es geht hier um Politik, also Gesellschaftsgestaltung, nicht um die Wahrheit.
Was soll diese Neutralität
sein? Wieso hatten wir den Eindruck, unter diesem Begriff wurden vor allem die Medien der neuen Rechten in die Bestände eingefügt? (Oder gab es solche Diskussionen in den letzten Jahren um andere Medien? Medien von Minoritäten, feministischen Medien, Medien anderer politischer Richtungen?) Warum schien uns, als würde mit diesem Neutralitäts
-Diskurs vor allem die autoritäre Rechte unterstützt? Weil das gleiche Spiel in den letzten Jahren in den Medien zu beachten war, wo unter dem Label der Meinungsfreiheit vor allem die Meinung eines autoritären Teils der Gesellschaft verstärkt wurde? (Zumal uns auffiel, wer hier vor allem von Neutralität
sprach: Kolleginnen und Kollegen aus der Mehrheitsgesellschaft, gut situiert, abgesichert. Kolleginnen und Kollegen aus marginalisierten Gruppen hingegen – zu denen wir in der Redaktion ehrlich gesagt nicht gehören, auch wenn wir (noch?) nicht alle gut situiert sind – schienen dazu nicht zu reden: Was dachten die sich eigentlich dazu? Oder sprachen vor allem die, die sich keine Sorgen machen müssen, was passieren könnte, wenn die neue Rechte die Macht übernimmt, von Neutralität, während andere sich Sorgen machten?)
Uns ist und war das alles nicht geheuer. Deshalb schrieben wir zu diesem ominösen Begriff der Neutralität
– der auch im Bibliothekswesen eine Geschichte hat, die aber auch in all den Beiträgen nicht referiert wird – einen Schwerpunkt der LIBREAS aus. Wir wollten wissen, ob wir alleine sind. Wir wollten auch wissen, ob es differenzierte Überlegungen zu diesem Thema gibt. Hieraus ist die Ausgabe entstanden.
Wir wissen jetzt, aus den Einreichungen zur Ausgabe und auch aus Reaktionen auf unseren Call for Papers, dass wir nicht alleine sind mit unserem Missbehagen an der undifferenzierten Verwendung des Begriffs Neutralität
und auch nicht mit unserem Missbehagen an der politischen Gesamtsituation. Soviel immerhin. Manchmal ist es wichtig, sich dessen zu versichern. Es ist nicht so, dass nur wir in der Redaktion zufällig ähnliche Gedanken haben. Wir sind viele
heißt bekanntlich eine Kampagne von Kultureinrichtungen. Sie gilt offenbar auch für das Bibliothekswesen.
Während wir diese Ausgabe vorbereiten, gibt es auch bessere Zeichen. Jugendliche sind, vollkommen zu Recht, für nachvollziehbare Themen auf der Strasse. Hier und da zeigen Wahlergebnisse wieder in eine andere Richtung – in der Türkei, der Slowakei, der Schweiz. Informationen dazu, wie die neue Rechte redet, wie sie vorgeht, finden immer mehr Verbreitung. Die neuseeländische Gesellschaft demonstrierte mit ihrer Reaktion auf das Attentat in Christchurch, dass Gesellschaften auch heute nicht ins Autoritäre, Rassistische kippen müssen, sondern auch mit Empathie, Solidarität und klaren Ansagen entgegenhalten können. Der Generalangriff auf Zukunft, offene Gesellschaft, Menschenrechte, Demokratie und Fakten scheint nicht so erfolgreich zu sein, wie befürchtet. Das macht Hoffnung.
Eure / Ihre Redaktion LIBREAS. Library Ideas
(Berlin, Chur, Dresden, Hannover, München)