Einen Leitfaden für Lehrende und Bildungseinrichtungen im Umgang mit urheberrechtlichen Fragen zu entwickeln, hat sich Thomas Hartmann zur Aufgabe genommen. Dies ist keine leichte Aufgabe, auch nicht für einen bereits mehrere Jahre auf dem Gebiet des Urheberrechts tätigen Autor und ausgewiesenen Experten. Zu ausdifferenziert scheinen die Regelungen und der Umgang der Rechtsprechung, gerade mit den Schranken des Urheberrechts zugunsten der Bildungsaufgaben nicht nur der staatlichen Schulen und Bildungseinrichtungen, sondern auch der privaten Träger der Aus- und Weiterbildung. Man denke hier nur an den Disput, der unter dem Titel „Meilensteine der Psychologie“ erst nach langem Rechtsstreit eine Klärung durch den Bundesgerichtshof erfahren hat und in dem es darum ging, ob die Fernuniversität Hagen ihren Fernstudierenden Auszüge aus dem Werk mit dem vorgenannten Titel zugänglich machen darf – und wenn dies zu bejahen sein sollte, in welchem Umfang dies zulässig wäre. Der Bundesgerichthof hat, nachdem zuvor der EuGH mit der Sache befasst war, in seinem Urteil vom 28.11.2013 (I ZR 76/12) klare Grenzen gesetzt.
Doch nicht nur die relativ junge Schranke in § 52a UrhG war Gegenstand gerichtlicher Befassung. Ein weiterer Streit entspann sich etwa um die Frage der Reichweite der mit der Zulassung elektronischer Leseplätze in öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Museen und Archiven verbundenen Befugnisse der Nutzer, der letztlich in dem Rechtsstreit zwischen der TU Darmstadt und dem Verlag Eugen Ulmer mündete. Der Europäische Gerichtshof entschied im Ergebnis zugunsten der Nutzer, indem er Nutzungen für zulässig erklärte, die dem Nutzer aufgrund ihm auch sonst zustehender Befugnisse urheberrechtlich gestattet sind. Damit können die Nutzer dieser Einrichtungen an den elektronischen Leseplätzen die rechtmäßig dort angezeigten Werke auch ausdrucken und abspeichern, soweit ihnen dies etwa aufgrund der Privatkopienschranke erlaubt wird.
Neue Phänomene der Erstellung von Unterrichtsmaterialien, der Ersatz von Papier, Schere und Leim durch den Computer, machen es den Betroffenen also zwar bei der praktischen Arbeit der Zusammenstellung von Unterrichtsmaterialien, nicht aber der Nutzung der ihnen von dem Gesetzgeber zugedachten Befugnisse einfacher. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sich selbst Experten bei der rechtlichen Würdigung der Schaffung kreativer Inhalte und deren Nutzung im Bildungsbetrieb bisweilen alles andere als einig sind. Umso wichtiger ist es, dass mit dem vorliegenden Band, der sich nicht an Urheberrechtsexperten richtet, eine gut verständliche und leicht nachvollziehbare Vermittlung urheberrechtlicher Grundregeln für die tägliche Arbeit derjenigen gelingt, die im Bildungsbetrieb tätig sind.
Wortreiche Ausführungen um Spezialfragen findet man daher zu Recht nicht in diesem Werk. Dem Praktiker helfen prägnante und hervorgehobene anschauliche Beispiele und Definitionen sowie tabellarische Übersichten beim Auffinden seiner eigenen Situation und erlauben ihm eine Antwort auf die Frage, welche Verhaltensanforderungen ihn von Gesetzes wegen treffen. Aber nicht nur die Grenzen zeigt Thomas Hartmann auf, viel interessanter sind die Spielräume, die von Gesetzes wegen demjenigen verbleiben, der Unterrichtsmaterialien zusammenstellt und nutzt. Mit Hilfe von Merksätzen wird dem Leser auf leichte Weise ermöglicht, die einschlägigen Regeln zu memorieren. Im Übrigen erleichtert eine zielgruppengerechte Sprache und die Konzentration auf das Wesentliche dem Leser das Verständnis der rechtlichen Zusammenhänge. Hat der Leser seine Situation aufgefunden und reflektiert, kann er sich mit Hilfe der Checkliste selbst überprüfen.
Dabei richtet Thomas Hartmann den Blick nicht nur auf die notwendig zu erläuternde Entstehung des Urheberrechts nach dem Schöpfungsprinzip, er geht auch auf den Umfang der allein dem Urheber zugewiesenen Befugnisse ein, ohne dabei die besondere Situation der Arbeitgeber oder Dienstherren von in ihrem Auftrag und auf ihre Weisung tätigen Urhebern zu übergehen oder die Praxis der Verlage zu vernachlässigen, die regelmäßig umfassend die Berechtigung zur Ausübung urheberrechtlicher Befugnisse vom Urheber erwerben. Ohne die Kenntnis dieser Grundlagen wäre sonst auch kaum nachvollziehbar, in welcher Weise die anschaulich beschriebenen Ausnahmen von der urheberrechtlichen Ausschließlichkeit in den Schrankenbestimmungen wirken. Da erfahrungsgemäß die gesetzlichen Befugnisse der Nutzer auf der Grundlage der Schrankenbestimmungen nicht immer ausreichen, um eine konkret geplante Nutzung zu rechtfertigen, widmet sich die Darstellung auch der Frage der rechtsgeschäftlichen Einräumung von Nutzungsbefugnissen sowohl im Einzelfall als auch im Wege standardisierter Lizenzen.
Wie auch im Übrigen ist das Werk bei der Frage der Lizenzierung sowohl im Online- wie im Offline-Bereich auf dem neuesten Stand. So findet der Interessierte neben Grundlegendem zum Lizenzierungsumfang und dem Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung, wichtige Hinweise auf die Veröffentlichung von Bildungsmaterialien in den verschiedenen Erscheinungsformen des Open Access (OA) und der Open Educational Ressources (OER). Insoweit ist es nur konsequent, wenn der Autor auch den Umgang mit den weit verbreiteten Creative Commons-Lizenzen erläutert, hierbei aber nicht stehen bleibt, sondern darüber hinaus das neue Zweitveröffentlichungsrecht für die Autoren wissenschaftlicher Beiträge, die im Rahmen einer wenigstens zur Hälfte aus öffentlichen Mitteln finanzierten Forschungstätigkeit entstanden sind, in den Blick nimmt. Die Zurückhaltung bei den Ausführungen zur gesetzlichen Umsetzung der „Green Road“ des Open Access ist hierbei sicherlich dem Umstand geschuldet, dass sich derzeit weder eine sichere Praxis, und wegen des Ablaufs der ersten Embargofristen erst im Jahr 2015, noch keine Rechtsprechung herauskristallisieren konnten, aus denen nähere Erkenntnisse zu ziehen wären.
Über die Behandlung der neuen Publikationsphänomene klassische Wege der Verbreitung urheberrechtlich geschützter Bildungsmaterialien etwa durch die Schulbuchverlage aus den Augen zu verlieren, würde das Werk unvollständig erscheinen lassen. Daher hat Thomas Hartmann auch die in diesem Zusammenhang zu beachtenden Besonderheiten beschrieben und nicht vergessen, auf mögliche Rahmenvereinbarungen hinzuweisen, die dem Lehrenden die Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials aufgrund einer von seinem Arbeitgeber oder Dienstherrn ausgehandelten Lizenz zugunsten seiner Mitarbeiter erlaubt. Ferner ist die Handhabung des Einsatzes von Notenmaterial im Unterricht Gegenstand einer genaueren Betrachtung.
Wer trotz der umfassend angesprochenen Problemlagen, wie sie für den Unterrichtsbetrieb im Einzelnen sowie den Bildungsbetrieb im Allgemeinen typisch sind, die Antwort auf seine Frage im 120 Seiten starken Band nicht findet, weil es sich dann letztlich doch um einen Sonderfall handelt, der im Rahmen des vorliegenden Werkes nicht behandelt werden konnte, wird sicherlich bei den zahlreichen Online-Quellen, auf die das Werk verweist, fündig werden. Damit kann es allen in Bildungseinrichtungen Tätigen, gleich ob als Lehrender oder in der Verwaltung nicht nur bei dem Erwerb urheberrechtlicher Kenntnisse, sondern auch als Nachschlagewerk eine wertvolle Stütze sein und dazu beitragen, urheberrechtliche Risiken zu erkennen und zu vermeiden sowie vor allem vorhandene urheberrechtliche Spielräume sinnvoll zu nutzen.
Rechtsanwalt Michael Weller, Geschäftsführer und Projektverantwortlicher „remus – Rechtsfragen von Multimedia und Internet in Schule und Hochschule“, Europäische EDV-Akademie des Rechts gGmbH, Merzig/Saar