- Einleitung: Die Situation an der HTW Chur
- Was heisst
Praxisorientierung
für die Lehre an einer Fachhochschule und weshalb soll diese Forschungsmethoden unterrichten? - Was sollen wissenschaftliche Methoden in der Ausbildung für Bibliothekswissenschaft an der HTW Chur erreichen?
- Beispiele für die Einbindung von wissenschaftlichen Methoden in die Lehre an der HTW Chur und Ergebnisse dieser Einbindung
- Fazit
Einleitung: Die Situation an der HTW Chur
Die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur in der deutschsprachigen Schweiz bietet unter anderem einen Studiengang (Bachelor, Master, Master of Advanced Studies(MAS)) in Informationswissenschaft an. Im Rahmen dieses Studienganges wird - aktuell als Vertiefungsrichtung, in Zukunft als Major - Bibliothekswissenschaft unterrichtet, wobei die beiden Autoren dieses Textes zusammen mit einer weiteren Kollegin den Grossteil des Unterrichts in diesem Fach übernehmen.
Es existieren in der Schweiz wenige andere Möglichkeiten, für die Tätigkeiten in Bibliotheken auf Hochschulniveau ausgebildet zu werden. Sowohl in Zürich als auch in Bern gibt es MAS-Studiengänge, grundständig bildet aber nur noch die Fachhochschule in Genf (Haute école de gestion de Genève) aus, wobei diese nicht nur einen französischen, sondern auch einen bilingualen Studiengang (französisch, deutsch) anbietet. Unterhalb der Hochschulen existiert eine Berufsausbildung sowie ein Kurs von 124 Lektionen von je 45 Minuten, der von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für allgemeine Öffentliche Bibliotheken akkreditiert wird und vor allem für Schul- und Gemeindebibliotheken beliebt ist. Angesichts dessen, dass die Sprachgrenzen in der Schweiz dem Anspruch nach durchlässig, in der Praxis aber doch wirksam sind, stellt das Studium an der HTW für die deutschsprachigen Bibliotheken - sowie Archive und Dokumentationseinrichtungen - praktisch die einzige Ausbildungseinrichtung dieser Art in der Schweiz dar.1
Seit die beiden Autoren dieses Textes im Laufe des Jahres 2012 ihre Unterrichtsaufgaben übernahmen, haben sie diesen in gemeinsamer Absprache verändert und legen heute grossen Wert auf die Einbindung von Forschungsmethoden in den Unterricht. Der vorliegende Text berichtet über die Grundüberlegungen, welche hinter dieser Orientierung stehen und stellt Vorstellungen zur zukünftigen Entwicklung des schweizerischen Bibliothekswesens, auf die sich diese Orientierung bezieht, dar. Anschliessend schildern die Autoren, wie sie Forschungsmethoden in die Lehre in unterschiedliche Fächer integrieren und präsentieren einige ausgewählte Abschlussarbeiten, auf die dieser Unterricht Einfluss hatte. Zum Abschluss diskutieren die Autoren, inwieweit die neue Orientierung ihre Zielsetzung erreicht hat und welche Schritte weiterhin notwendig wären, um - was das Ziel der Neuorientierung war - die Absolventinnen und Absolventen auf die zukünftigen Tätigkeiten in Bibliotheken besser vorzubereiten und gleichzeitig die Bibliotheksszene in der Schweiz zu bereichern.
Was heisst Praxisorientierung
für die Lehre an einer Fachhochschule und weshalb soll diese Forschungsmethoden unterrichten?
Fachhochschulen wurden in der Schweiz erst 1998 zugelassen und befinden sich weiterhin in einer Entwicklungsphase. Beispielsweise wurde die Akkreditierungsform erst Anfang 2015 wieder verändert. Die Fachhochschulen haben in der schweizerischen Bildungslandschaft noch nicht den starken Platz gefunden, den sie in der deutschen haben. Grundidee ist und war es aber, Einrichtungen zu schaffen, deren Lehre und Forschung sich mehr an praktischen Themen orientieren als in den Universitäten, aber auf einem akademischen Niveau stattfinden und sich damit von Höheren Fachschulen, die unterhalb der Fachhochschulen angeordnet werden, abzugrenzen. Gleichzeitig haben Fachhochschulen den Auftrag, vor allem solche Forschung zu betreiben, die praktisch angewendet werden kann und für den Wissenstransfer der Ergebnisse zu sorgen; obwohl gleichzeitig zum Beispiel der Schweizer Nationalfonds betont, dass auch an Fachhochschulen Grundlagenforschung betrieben werden könne.
Diese Situation führt selbstverständlich immer wieder zu Irritationen, beispielsweise, wenn bei Forschenden an Fachhochschulen der Eindruck entsteht, sowohl bei der Forschungsförderung durch den Schweizer Nationalfonds als auch bei anderen Förderprogrammen grundsätzlich strukturell benachteiligt und teilweise von Forschungsgeldern direkt abgeschnitten zu werden. Stattdessen sind Fachhochschulen darauf angewiesen, Drittmittel von anderen Stellen, hauptsächlich Firmen, einzuwerben. Das für Fachhochschulen wichtigste Förderprogramm, das von der KTI (Kommission für Technologie und Innovation) betrieben wird, basiert denn auch auf der Zusammenarbeit mit Firmen und bezweckt primär den Wissenstransfer.2 Diese Beschränkung wird im Rahmen der Fachhochschulen immer wieder beklagt. Andere Irritationen entstehen, wenn potentielle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zukünftiger Absolvierender, genauso wie einige Studierende oder wissenschaftspolitische Akteure, nicht wahrzunehmen scheinen, dass es sich bei den Fachhochschulen um akademische Einrichtungen handelt und deshalb Anforderungen an die Ausbildung stellen, die mit dem Selbstbild der Fachhochschulen nicht übereinstimmen. Zudem ist das Selbstbild von Fachhochschulen in der Schweiz wenig gefestigt. Gleichzeitig ermöglicht diese Situation aber auch, dass sich Lehrende und Forschende recht aktiv in die weitere Gestaltung von Fachhochschulen einbringen können.
Die beiden Autoren dieses Textes sind den akademisch orientierten Dozierenden zuzuordnen. Ihrer Meinung nach ändern sich Bibliotheken als Institutionen aktuell tiefgreifend; die Arbeit in Bibliotheken erfordert immer mehr Personen, die sich nicht auf die gute Anwendung einiger weniger spezialisierter Wissensbestände konzentrieren, sondern eigenständig Entscheidungen treffen und sich regelmässig neues Wissen erarbeiten. Gefragt ist eine immer grössere Eigenverantwortung des Personals - mit RDA zum Beispiel auch im Bereich der Erschliessung - sowie, analog zu anderen Bereichen der Gesellschaft, die sogenannten Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit, Zeitmanagement, Stressbewältigung und Empathie. Oder anders: Der Beobachtung der beiden Autoren nach wird auch die Arbeit in Bibliotheken immer mehr zu einem Handeln in Situationen mit unvollständigen Informationen und unter ständigem Entscheidungsdruck. Diese Situation ist bekannt, wird aber oft einigermassen ignoriert, insbesondere, wenn mit dem Begriff Lebenslanges Lernen
der Eindruck vermittelt wird, das alle notwendigen Fähigkeiten und Wissensbestände im Laufe des Lebens einfach in Weiterbildungen nachträglich erworben werden können.
Die Autoren haben als Lehrende eine Verantwortung für ihre Studierenden: Sie wollen sie nicht mit veraltetem Wissen in das Leben nach der Ausbildung entlassen, sondern ihnen die Fähigkeiten und Kompetenzen mitgeben, die sie für die aktive Gestaltung ihres Lebens und Berufsalltags benötigen.3 Sicherlich ist auch das spekulativ, dennoch gehen die Autoren davon aus, dass es eine der Aufgaben einer Ausbildung sein muss, den Studierenden zu ermöglichen, sich zu Persönlichkeiten zu bilden, die sich zutrauen, in Situationen mit unvollständigem Wissen zu handeln, ihr Handeln und die Gründe für dieses Handeln zu reflektieren, eigenständig neues Wissen zu akkumulieren und zu produzieren. Bibliotheken sehen sich hier einer dynamischen Entwicklung gegenüber, die ihre traditionelle Fokussierung auf klare Regeln und strukturierte Abläufe grundlegend in Frage stellt. Dies überträgt sich auf die Anforderungen an Mitarbeitende, was zumindest von fortschrittlichen Bibliotheken verstanden und bei der Neubesetzung von Stellen umgesetzt wird.
Neben der Auswahl der Themen, die in den Kursen der beiden Autoren unterrichtet werden, wird versucht, diese Aufgabe mit vier Massnahmen anzugehen: (1) Das eigenständige Arbeiten der Studierenden wird geübt, indem sie nicht, wie in den meisten anderen Kursen, Klausuren schreiben oder in Gruppen möglichst viele Aufgaben lösen, sondern als Leistungsnachweise Hausarbeiten schreiben, die wissenschaftlichen Standards entsprechen müssen. (2) Der Unterricht der beiden Autoren ist geprägt vom freien Unterrichtsgespräch und ständigen Aufforderungen an die Studierenden, Entscheidungen zu treffen und zu begründen. Zudem wird immer wieder betont, welche Aufgaben auf die Studierenden bei einer Arbeit in Bibliotheken zukommen werden. Ein grosser Teil der Studierenden wird im Anschluss an das Studium auf festen oder befristeten Projektstellen eingestellt und hat dort oft eine grosse Verantwortung, sowohl in finanzieller als auch organisatorischer Hinsicht. Dies soll sie nicht unvorbereitet treffen. (3) Mit einer Einbindung wissenschaftlicher Methoden in den Unterricht. Dabei können Methoden nicht losgelöst von Inhalten vermittelt werden, gleichzeitig lassen sich Methoden nur nachvollziehen, wenn sich bei den Studierenden eine gewisse Haltung - eben das methodische und strukturierte Handeln in Situationen mit unvollständigen Informationen - einstellt. (4) Durch Projektarbeiten wird das eigenverantwortliche Handeln, die Arbeit im Team und der Einsatz einschlägiger Methoden gefördert.
Ziel der beiden Autoren ist es, Studierende zu Menschen auszubilden, die im Rahmen von Bibliotheken selbständig und reflektiert handeln können sowie sich in die bibliothekarischen Diskussionen einbringen. Das bedeutet selbstverständlich, dass das Üben spezifischer Fähigkeiten, die zum Beispiel in Bibliotheksschulen der Vorläufereinirichtung der Genfer Fachhochschule im Mittelpunkt standen, in die eigentliche Bibliothekspraxis verlagert werden muss. Für dieses Vorgehen erfährt die Hochschule sowohl Zuspruch als auch Widerspruch von Seiten der potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und ist deshalb auf eigene Entscheidungen angewiesen,4 wobei die Autoren bislang auf die Unterstützung durch die Studienleitung und den Fachbeirat des Instituts bauen können. Gerade die Bibliotheksvertreterinnen und -vertreter im Fachbeirat haben in der Diskussion um die aktuelle Curriculumsreform betont, dass von den Absolventinnen und Absolventen in erster Linie erwartet wird, dass sie flexibel, offen und neugierig sind und in den Bibliotheken als Innovationsträger
agieren können.
Was sollen wissenschaftliche Methoden in der Ausbildung für Bibliothekswissenschaft an der HTW Chur erreichen?
Die beiden Autoren dieses Textes haben in ihren Vorlesungen und Seminaren in den letzten Jahren damit begonnen, wissenschaftliche Methoden zu unterrichten und gleichzeitig die Studierenden wissenschaftlichen Texten auszusetzen. Dabei ist die Lehre an der HTW Chur grundsätzlich relativ schulmässig organisiert. Die Studierenden erhalten zu Beginn des Studiums eine Übersicht zu den Kursen, die in den folgenden drei (Bachelor Vollzeit), vier (Bachelor Teilzeit) oder zwei (Master) Jahren unterrichtet werden, inklusive einer Übersicht zu den Inhalten dieser Kurse. Innerhalb dieses System ist nur eine kleine Zahl von Projektkursen und Seminaren variabel. Die Studierenden erhalten die Zusicherung, dass die Kurse im Laufe ihres Studiums erteilt werden. Dies soll Planungssicherheit etablieren, gleichzeitig schränkt es die Hochschule und die Dozierenden in ihrem Unterricht ein.5 Insoweit können die beiden Autoren nicht ohne Weiteres neue Fächer einführen oder solche, die ihnen überflüssig erscheinen, streichen.6 Erst in der aktuellen Curriculumsreform wird dies möglich sein, wenn auch wieder nur für einen langen Zeitraum gedacht.
Im Rahmen der Fächer die unterrichtet werden, haben die Dozierenden allerdings einen grossen Gestaltungsspielraum, inklusive finanzieller Mittel für Gastdozierende auch aus dem Ausland. Die beiden Autoren unterrichten zur Zeit sowohl Kurse allein, aufgeteilt - das heisst je nach Sitzung eine andere Person - und auch gemeinsam im Team. Unter anderem unterrichten sie Bibliotheksmanagement
(Mumenthaler), Bestandsmanagement
(Schuldt), Grundlagen der Informationswissenschaft
, Bibliothekswissenschaft (Mumenthaler, Schuldt), Sozialpsychologie und Benutzerberatung
(Mumenthaler, Schuldt), Aktuelle Trends in der Bibliothekswissenschaft und -praxis
(Mumenthaler, Schuldt) sowie Seminare und Projektkurse. Der Anspruch, wissenschaftliche Methoden im Unterricht zu vermitteln, entstand bei den beiden Autoren zuerst ungeplant, wurde dann in Diskussionen über die konkrete Unterrichtsgestaltung aber genauer gefasst.
Im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich des Inhalts bestehender Vorlesungen und Module können die Dozierenden einzelne Methoden in den Unterricht integrieren. In Fächern wie Sozialpsychologie und Benutzerberatung
oder Bestandsmanagement
werden gemeinsam mit den Studierenden Studien aus wissenschaftlichen Zeitschriften gelesen und auf deren Aussagekraft hin befragt. Die Studierenden sollen so einen kritischen Blick auf Studien entwickeln und beispielsweise nach der Sinnhaftigkeit von Fragestellungen und genutzten Methoden sowie der Nachvollziehbarkeit von Ergebnisinterpretationen zu fragen lernen. Im Modul Sozialpsychologie und Benutzerberatung
besteht ein Leistungsnachweis darin, in einer Informationseinrichtung die Beobachtungsmethode Mystery Shopping durchzuführen. Dabei wird die Methode im Präsenzunterricht vorgestellt und ein Beobachtungsbogen erarbeitet. Die Umsetzung, also die eigentliche Beobachtung sowie die Auswertung, erfolgt dann im Selbststudium. Der schriftliche Bericht dient als Leistungsnachweis für den Teil Benutzerberatung in diesem Modul.
Insbesondere im Fach Aktuelle Trends in der Bibliothekswissenschaft und -praxis
wird der Einsatz von unterschiedlichen Methoden erprobt. Dies kann selbstverständlich immer nur in einer reduzierten Form geschehen. In einer normalen Unterrichtseinheit, welche an der HTW vier Mal 45 Minuten dauert, wird jeweils eine Methode vorgestellt und mit ihren Vorteilen sowie Grenzen diskutiert, an einem Beispiel zusammen mit den Studierenden durchgespielt und anschliessend reflektiert. Wichtig ist dabei nicht, dass die Durchführung den Kriterien wissenschaftlicher Arbeit entspricht. Beispielsweise wird bei der Vorstellung qualitativer Inhaltsanalysen nur ein erster, oberflächlicher Codierungsvorgang durchgeführt. Wichtig ist vielmehr, dass die Studierenden die Methode anwenden und erfahren, dass - wenn auch im kleinen Rahmen - durch diese Anwendung neues Wissen entsteht und dass sie selber in der Lage sind, dieses Wissen zu produzieren. In der abschliessenden Diskussion wird von den Dozierenden immer darauf verwiesen, welcher Standard bei der Durchführung der jeweiligen Methode existiert und wie die Ergebnisse in Bibliotheken oder der Bibliothekspolitik verwendet werden könnten. Grundsätzlich soll bei den Studierenden ein Interesse an der Nutzung solcher Methoden sowie der kritischen Reflexion von Studien, die zum Beispiel in bibliothekarischen Zeitschriften publiziert werden, gefördert werden. Gleichzeitig soll dem wissenschaftlichen Wissen
, dass in solchen Studien dargestellt wird, der Mythos der unangreifbaren Faktizität und der unverstehbaren Komplexität genommen werden.
Vorteile für Studierende
Die Autoren des vorliegenden Textes erhoffen sich durch diese Einbindung von Forschungsmethoden eine ganze Reihe von Vorteilen für die Studierenden.
Die Studierenden werden ihr Wissen darüber, welche Forschungsmethoden existieren, vor allem auf den Projektstellen in Bibliotheken oder ähnlichen Positionen nutzen können. Dabei sollten sie in der Lage sein, nicht nur die nächstliegenden Methoden auszuwählen, sondern wissen, wie breit die Möglichkeiten jeweils sind und selber in der Lage sein, nach Methoden zu recherchieren, ihren Einsatz zu planen und die Grenzen von Methoden zu erkennen. Eine Hoffnung ist auch, dass die Studierenden beginnen, auf die Ergebnisse schon einmal durchgeführter Studien in ähnlichen Zusammenhängen zurückzugreifen und diese nicht, wie dies oft vorkommt, regelmässig zu wiederholen.
In zahlreichen Disziplinen, in der Schweiz vor allem in Medizinberufen, hat sich eine evidenzbasierte berufliche Praxis etabliert. Entscheidungen werden auf der Grundlage von kleinen Forschungsprojekten und wissenschaflichem Wissen, das auf die jeweilige Situation bezogen wird, getroffen. Um dies zu ermöglichen, müssen die im jeweiligen Feld Tätigen in der Lage sein, mit solchem Wissen umzugehen, es zu recherchieren, zu interpretieren und in die eigene Praxis einzubauen. Während in der Schweiz Höhere Fachschulen für Medizinberufe sowie Pädagogische Hochschulen dazu übergegangen sind, grosse Teile des Unterrichts in Form von evidenzbasierten Projekten zu organisieren, steht ein solcher Wandel in Bibliotheken – trotz längerer Diskussionen und Projekte unter dem Titel
Evidence Based Library Practice
vor allem in Kanada, auf die regelmässig verwiesen wird – aus. Die Studierenden sollen aber darauf vorbereitet werden, Prinzipien dieser evidenzbasierten Arbeitsweise nutzen zu können. Beide Autoren sehen eine solche Praxis, wenn sie reflektiert ist und nicht andere Formen der Wissensproduktion ersetzt, als sinnvoll an.Methodenwissen ermöglicht immer auch ein Denken auf einer vom konkreten Alltag abgelösten Abstraktionsebene. Nur wer in der Lage ist, vom Einzelfall in einer Bibliothek zu abstrahieren und sowohl Strukturen als auch Zusammenhänge zu analysieren, kann sinnvoll wissenschaftliche Methoden anwenden. Dies unterscheidet zum Beispiel Umfragen als reines Instrument, um Stimmungen und Meinungen aufzunehmen, von Umfragen, die zum Testen von Hypothesen und zum Erweitern von Wissensbeständen eingesetzt werden. In der Überzeugung der beiden Autoren dieses Textes impliziert der Aufbau von Methodenwissen immer auch einen Schritt hin zu wissenschaftlichem Denken. Ein solches abstrakteres Denken wird den Studierenden bei der Gestaltung ihres Lebens und bei Entscheidungen, die sie im Rahmen von Bibliotheken auf höherer Ebene zu treffen haben, von Nutzen sein. Insbesondere wenn es um zukunftsträchtige Entscheidungen geht, kann wissenschaftliches Denken besser diffuse Hoffnungen und Werbeversprechen erhellen und somit für die Institution sinnvolle Entscheidungen ermöglichen.
Studierende sollten, so die Hoffnung, durch den regelmässigen Kontakt zu wissenschaftlichen Texten, auch solchen, die theoretisch angelegt sind, und Methodendiskussionen ein Selbstbewusstsein gegenüber dem wissenschaftlichen Denken aufbauen. Im Berufsalltag sollen sie sich zutrauen, solche Methoden einzusetzen und nicht einfach auf subjektive Theoriebildungen zurückgreifen. Sie sollen ihre Arbeit als Teil des Fachdiskurses ansehen, dazu den Fachdiskurs aktiv verfolgen, sich darin verorten und auch über Publikationen zu ihm beitragen. Eine solche aktive Beteiligung wird nicht nur das Selbstvertrauen der dann New Professionals stärken, sondern auch zu einem bibliothekarischen Diskurs führen, an dem sich, verglichen mit der jetzigen Situation, mehr Personen mit größerem Wissen und unterschiedlichen Meinungen beteiligen sowie die spätere Arbeit der Studierenden interessanter machen.
Vorteile für Bibliotheken in der Schweiz
Grundsätzlich sollen, so das Verständnis in der schweizerischen Bildungspolitik und bei einigen potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, die Fachhochschulen in der Schweiz genau das Personal ausbilden, welches auf dem Arbeitsmarkt, im hier diskutierten Fall vor allem in den Bibliotheken, benötigt wird. Dieses utilitaristische Denken ist selbstverständlich unrealistisch: Konsens ist es heute, davon auszugehen, dass sich die Arbeitswelt so rapide ändert, dass Ausbildungsinhalte schnell veralten und dass deshalb in den Ausbildungsgängen vor allem grundlegende Kompetenzen vermittelt werden müssen, die Personen ermöglichen, sich an ständig neue Herausforderungen und Arbeitsweisen anzupassen. Unbeachtet bleibt allerdings oft, dass Personen, die solche Kompetenzen haben, nicht nur auf neue Anforderungen reagieren, sondern selber ihre Umwelt und damit auch die Arbeitswelt umgestalten. Nicht alle Veränderungen vollziehen sich, weil sie notwendig sind; viele vollziehen sich auch, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Prozesse ändern und verbessern wollen, weil sie bestimmte neue Arbeitsweisen erwarten oder etablieren.
Diese Entwicklung dürfte sich auch in der Schweiz vollziehen. Angesichts dessen, dass viele Absolvierende der HTW Chur relativ schnell einflussreiche Positionen in Bibliotheken in der Schweiz besetzen, ist davon auszugehen, dass das, was an der HTW unterrichtet wird, die Bibliotheken in der Schweiz mit beeinflusst. Bezogen auf die Integration von wissenschaftlichen Methoden in den Unterricht gehen die Autoren des Textes von folgenden Tendenzen aus, die sich möglicherweise in den Bibliotheken der Deutschschweiz dadurch ergeben könnten, dass die Studierenden im Anschluss an das Studium mit bestimmten Kenntnissen und Kompetenzen in den Bibliotheken angestellt werden.
Dadurch, dass Forschungsmethoden bekannt sind, aber auch gewusst wird, dass es zahlreiche weitere Methoden zur Lösung von bestimmten Fragen gibt, werden im Arbeitsalltag auch mehr Methoden eingesetzt. Grundsätzlich könnten Probleme eher als wissenschaftlich anzugehende Fragestellungen begriffen und dann auch systematisch bearbeitet werden, als bisher, wo sie oft im Trial-and-Error-Verfahren oder mit relativ einfachen Methoden (Umfragen und Interviews) zu bearbeiten versucht werden. Dies wird zu anderen, hoffentlich besseren Erkenntnissen führen.
Wenn mehr wissenschaftliche Methoden in der Berufspraxis, beispielsweise bei der Projektarbeit, eingesetzt werden, werden die dafür nötigen Fähigkeiten und Kompetenzen bei allen Beteiligten gefördert, insbesondere, wenn dies reflektiert geschieht. Dies könnte zu einem Personal führen, das eher kritisch, fokussiert auf durchdachte und abgewogene Aussagen, auf strukturierte, aber ergebnisorientierte Arbeit ausgerichtet und stärker kommunikativ geprägt wäre als bisher.
Der vermehrte Einsatz von wissenschaftlichen Methoden zur Beantwortung von mehr Fragestellungen im Bibliotheksalltag würde die Tätigkeiten in den Bibliotheken abwechslungsreicher und interessanter machen. Damit einhergehen könnte auch das Zunehmen des Interesses von eher an abwechselnde Tätigkeiten begeisterten Personen an der Arbeit in Bibliotheken.
Wissenschaftliche Methoden in der Bibliothekspraxis würde die Erkenntnis der Bibliothek über sich selber erhöhen – schon allein, da Wissenschaft immer auch ein Mittel zur Selbstaufklärung darstellt – und somit dazu beitragen, dass die bibliothekarische Arbeit qualitativ besser wird. Gleichzeitig würde so mehr Wissen produziert werden, das auch in den bibliothekswissenschaftlichen Diskurs einfliessen könnte.7
Letzlich kann dies zu einer - analog zu anderen Berufen - evidenzbasierten Bibliotheksarbeit führen. Damit würden Bibliotheken erfolgreicher die laufenden und neuen Herausforderungen bewältigen können.
Die Öffnung für wissenschaftliche Methoden impliziert auch eine Öffnung gegenüber internationalen Entwicklungen und Erkenntnissen. Zu Beginn einer wissenschaftlichen Untersuchung steht in der Regel eine Literaturanalyse, die sich zwangsläufig auch mit Studien und Berichten aus anderen Ländern befassen muss. Sich auf den wissenschaftlichen Diskurs einzulassen bedeutet auch, sich mit Entwicklungen in anderen Weltregionen zu befassen und Lehren aus den dortigen Erfahrungen zu ziehen.
Methoden in der Curriculumsreform 2015
Konnten die beiden Autoren in den ersten Jahren ihrer Dozententätigkeit punktuell Methoden in die bestehenden Unterrichtsmodule integrieren, begann im Jahr 2014 eine grundlegende Curriculumsreform. Ziel der Reform ist es, das gesamte Bachelorstudium der Informationswissenschaft an der HTW Chur attraktiver zu gestalten und klarer zu positionieren. Es wird anstelle der eher kleinen Vertiefungen vier deutlich umfangreichere Majors
geben, einer davon in Bibliotheksmanagement. Beim Aufbau der Module wird nach den Vorgaben der Studienleitung dabei vom Ansatz ausgegangen, dass zunächst die Kompetenzen formuliert werden, welche die Studierenden im Modul erreichen sollen und über welche sie bei Eintritt in ein weiteres Modul verfügen sollten. Es wird also viel stärker von Fähigkeiten, Kompetenzen und Soft Skills ausgegangen als bisher.
Innerhalb des Majors Bibliotheksmanagement werden zum Teil komplett neue Module angeboten, wie zum Beispiel Bibliotheksdienstleistungen oder Bibliotheksinformatik. Zum anderen wird die Möglichkeit geschaffen, ein eigentliches Methodenseminar anzubieten, in dem künftig Methoden vermittelt und ihr Einsatz angewendet werden können. Gleichzeitig werden im Grundstudium bereits Vorlesungen zur empirischen Sozialforschung und zu statistischer Analyse angeboten (sowohl heute als auch nach der Curriculumsreform). Das geplante Methodenseminar wird auf diesen Grundlagen aufbauen und zusätzliche Methoden behandeln, beispielsweise ethnografische Methoden. Es ist angedacht, ausgehend von konkreten Fragestellungen in Bibliotheken, gemeinsam mit den Studierenden mögliche Untersuchungsdesigns zu entwickeln und zu diskutieren oder auch Methoden konkret in kleineren Projekten einzusetzen. Ein besonderer Fokus wird hier auf Beobachtungsmethoden gelegt, zum Beispiel Count-the-Traffic.
Die bisherigen Erfahrungen in studentischen Arbeiten (siehe unten) haben gezeigt, dass diese Methoden im Studium nicht nur vermittelt, sondern auch geübt werden sollten. Als Lernziel wird entsprechend formuliert, dass die Studierenden in der Lage sein sollen, geeignete Methoden auszuwählen und anzuwenden, die Kenntnis allein ist nicht ausreichend. Neben dem Methodenseminar sind zwei Projektkurse und ein weiteres Seminar, das majorübergreifend für alle Studierenden gelten wird, geplant. In den Projektkursen erhalten die Studierenden die Gelegenheit, das in der Vorlesung Projektmanagement (Grundstudium) erworbene Wissen anzuwenden und in einer konkreten Projektsituation umzusetzen. Hier wird der Schwerpunkt bei Projekten im Kontext von Um- oder Neubauten von Bibliotheken oder von Neukonzeptionen gesetzt. Bisher wurden im Rahmen der Vorlesung Bibliotheksmanagement begleitend solche Projekte bearbeitet, die mit ihrem Praxisbezug bei den Studierenden beliebt, jedoch auch sehr zeitaufwändig waren. Indem diese Projekte einen eigenen Ort im Curriculum erhalten, kann hier der Aufwand grösser und realitätsnaher sein. Das überarbeitete Curriculum soll zum Herbstsemester 2015 in Kraft treten.
Beispiele für die Einbindung von wissenschaftlichen Methoden in die Lehre an der HTW Chur und Ergebnisse dieser Einbindung
Beispiel 1: Seminar Was tun Nutzerinnen und Nutzer in der Bibliothek?
Wenn es den Autoren möglich ist, ein Seminar oder einen Projektkurs durchzuführen - diese werden immer in Konkurrenz zu anderen Dozierenden beantragt und wechseln jährlich -, versuchen sie bereits bisher, dies ebenfalls zur Vermittlung von wissenschaftlichen Methoden zu nutzen. Herausragend war dafür ein Seminar, dass 2013 unter dem Titel Was tun Nutzerinnen und Nutzer in der Bibliothek?
durchgeführt wurde und grundsätzlich als Methodenseminar geplant war.
In diesem Seminar erprobten die Studierenden die Nutzung verschiedener Methoden, um die im Titel des Seminars enthaltene Frage beantworten zu können. In vier Gruppen erarbeiteten sie - unter Zuhilfenahme von zuvor zusammengestellten Texten - unterschiedliche Methodenstränge (Umfragen, Online-Forschung, sozialwissenschaftliche und ethnologische Ansätze). In jeder Sitzung stellte eine Gruppe die Methoden, die sie erarbeitet hatten, vor, inklusive einem Ablaufplan für ein Forschungsprojekt mit dieser Methode, den Vorteilen, Grenzen, forschungsethischen Problemen und Beispielen, in denen diese Methoden in Bibliotheken eingesetzt worden waren. Anschliessend wurden in einem Rollenspiel die restlichen Studierenden als Bibliotheksleitung einer imaginären Bibliothek (in jeder Stunde eine andere, so dass unterschiedliche Bibliotheksformen und Herausforderungen bearbeitet werden konnten) vor die Aufgabe gestellt, zusammen mit den Forschenden - also der jeweiligen Gruppe, die als Expertinnen und Experten für ihre
Methode galten - einen Forschungsplan zur Frage, was Nutzerinnen und Nutzer in der Bibliothek tun, zu entwerfen. Dabei wurden unter den Studierenden jeweils per Los Positionen verteilt. Eine Person stellte zum Beispiel die Finanzabteilung dar und hatte auf einen möglichst ausgeglichen Etat zu achten, eine andere Person vertrat die Interessen des Personals und eine weitere die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer. Mithilfe der beiden Autoren, die jeweils eine Rolle als imaginäre Unternehmsberater spielten, wurden im Seminar vier potentielle Forschungspläne erarbeitet. In der letzten Sitzung des Seminars wurden die Methoden und ihre Anwendung, insbesondere eingebunden in den Alltag von Bibliotheken, besprochen.
Sicherlich haben die Studierenden in diesem Seminar keine vollständige Methodenausbildung erhalten. Vermittelt werden sollte aber, dass es möglich ist, unterschiedliche wissenschaftliche Methoden in der Bibliothekspraxis einzusetzen, sowie, dass dem Einsatz jeder Forschungsmethode eine intensive Forschungsplanung vorausgehen muss. Die Studierenden haben diese Punkte in der Abschlussevaluation als positive Erkenntnisse benannt. Die beiden Autoren zogen zum Abschluss ebenfalls ein positives Fazit. Sie wollten vor allem die Kritikfähigkeit der Studierenden erhöhen und zugleich die Breite möglicher Methoden aufzeigen.8 Ihrer Meinung nach war den Studierenden am Ende des Seminars zudem bewusst, dass es sich lohnt, in konkreten Fällen eigenständig nach Forschungsmethoden zu suchen.
Im Rahmen der Curriculumsreform wird, wie erwähnt, ein regelmässig durchgeführtes Methodenseminar eingeführt. Es soll im Ablauf ähnlich gestaltet sein. Dies gilt auch für ein im Frühjahrssemester 2015 geplantes Seminar zur Frage, ob Bibliotheken in der Schweiz als Dritter Ort funktionieren. Dabei werden von der Fragestellung ausgehend unterschiedliche methodische Ansätze evaluiert, um schliesslich eine ausgewählte Methode anzuwenden und umzusetzen. Geplant ist im Rahmen dieses Seminars auch, zumindest eine koordinierte Beobachtung über die Art der Nutzung von Bibliotheksräumen durchzuführen.
Beispiel 2: Modul Aktuelle Trends in Bibliothekswissenschaft und -praxis
Ziel dieses Moduls, welches eingeführt wurde, bevor die beiden Autoren zur HTW Chur wechselten, war es, einen Ort zu schaffen, an dem den Studierenden flexibel die aktuellen Entwicklungen im Bibliotheksbereich vermittelt werden könnten. Das Modul wird am Ende des Studiums besucht, die Studierenden sollten daran anschliessend mit aktuellem Wissen in den Arbeitsmarkt wechseln. Diese respektable Vorstellung hat in der Praxis die Autoren als Lehrende nicht überzeugt. Im Gegensatz zu anderen Kursen ermöglicht dieses Modul zwar eine gewisse Flexibilität in der thematischen Gestaltung, was das Unterrichten interessanter macht. Allerdings widerspricht der Aufbau dem Ziel, Studierende mit einem zukunftsfähigen Wissen auszustatten, da der Eindruck entstehen könnte, dass einen einmalige Vermittlung von Zukunftsthemen für das gesamte Berufsleben ausreichen würde. Ab dem Herbst 2012 wurde deshalb der Hauptaugenmerk darauf gelegt, mit den Studierenden Strategien und Methoden zu erarbeiten, die es ihnen ermöglichen, auch nach der Ausbildung selbstständig den Trends in den bibliothekarischen und bibliothekswissenschaftlichen Diskussionen zu folgen, diese sowohl für eine Arbeit in Bibliotheken zu nutzen als auch kritisch zu hinterfragen sowie selber an der genannten Diskussion teilzunehmen.
In gewisser Weise ist es das Ziel dieses Seminars, den Studierenden zu zeigen, wie Trends in den Diskussionen entstehen, wie hilfreich, aber auch prekär Trendberichte sein können und welche reichhaltigen Methoden für die Analyse zukünftiger Aufgaben von Bibliotheken existieren. Auch dies ist motiviert durch das Wissen, dass die Studierenden der HTW im Anschluss an ihr Studium oft auf Stellen eingesetzt werden, bei denen das Verfolgen von Trends und das Übersetzen dieser Trends auf die Ebene einzelner Bibliotheken zum Aufgabenspektrum gehört.
Konkret werden im Modul mehrere, auf ein bis zwei Stunden Arbeitszeit reduzierte, Methodenübungen durchgeführt und anschliessend reflektiert. Dazu gehören Literaturanalysen, das Erarbeiten von State-of-the-Art-Berichten, die Methodik des Horizon Reports - an dessen Library Edition die HTW Chur aktiv beteiligt ist - als Beispiel für Trendreports und die Szenariotechnik. Selbstverständlich sind die Ergebnisse, die in diesem Modul erarbeitet werden, relativ unabgesichert und oberflächlich. Dennoch scheinen die Studierenden, soweit dies zu überprüfen ist, jeweils am Ende des Moduls sowohl das Selbstvertrauen, solche Methoden anzuwenden und Aussagen aus ihnen zu generieren, als auch einen kritischen Blick auf die Methoden erworben zu haben.
Was bisher nicht gelang, ist, Studierenden im Anschluss an das Studium zur Publikation von Ergebnissen oder zur aktiven Teilnahme an Konferenzen zu gewinnen, obwohl auch dies Ziel des Moduls ist und von den Autoren dieses Textes regelmässig betont wird. So wird die Arbeit von Redaktionen bibliothekarischer Zeitschriften sowohl aus der Sicht von Schreibenden als auch von Redaktionsmitgliedern erläutert, es werden je Durchführung des Moduls zwei Expertinnen und Experten eingeladen, die nicht nur aktuelle Themen besprechen, sondern gleichzeitig zeigen sollen, dass die Arbeit im Umfeld von Bibliotheken nicht nur in klassischen bibliothekarischen Aufgaben bestehen kann. Findet das Modul im Herbst statt, wird das seit drei Jahren an der HTW Chur durchgeführte Infocamp - ein zweitägiges Barcamp mit einem hohen Anteil an Impulsreferaten - ebenfalls in das Modul eingebunden. Die Studierenden nehmen dann an dem Infocamp teil, dokumentieren die Diskussionen, bereiten die Veranstaltung gemeinsam mit den Dozierenden nach und nutzen ein von ihnen ausgewähltes, auf dem Infocamp aufgekommenes Thema für eine Hausarbeit. Auch dies soll den Studierenden direkt die Möglichkeiten, sich mittels Konferenzteilnahme in den bibliothekarischen Diskurs einzubringen, aufzeigen.
Beispiel 3: Praxisprojekt im Modul Bibliotheksmanagement
Im Modul Bibliotheksmanagement werden verschiedene Managementmethoden vermittelt, die im beruflichen Alltag - vor allem in leitender Funktion - eingesetzt werden können: neben traditionelleren Themen wie Personalmanagement oder strategischem Management auch neuere Aspekte wie Innovations- oder Change Management. Es handelt sich dabei also nicht um Forschungsmethoden im engeren Sinn. Ein wichtiges Element stellt jedoch die Praxisarbeit dar, die ins Modul integriert ist und den Leistungsnachweis darstellt. Dabei werden verschiedene Methoden kombiniert, um die Neuausrichtung einer Bibliothek zu konzipieren. Schwerpunkt bildet dabei das Raumkonzept, das an einem realen Beispiel und auf der Grundlage eines wirklichen Bedarfs einer Bibliothek entwickelt wird. Die Studierenden haben die Aufgabe - in der Regel in Form einer Gruppenarbeit - die Bibliothek und ihre Bedürfnisse zu analysieren und anschliessend eine oder mehrere Varianten für ein neues Bibliothekskonzept zu entwickeln. Bei der Visualisierung der Entwürfe erhalten sie Unterstützung durch einen Dozenten aus dem Fachbereich Architektur an der HTW Chur. Zum Abschluss werden die Vorschläge vor den Auftraggebern präsentiert. Durch die Arbeit an einem realen, konkreten Fall können verschiedenste Methoden kombiniert und angewandt werden. Der Lerneffekt ist sehr hoch - und die Praxisarbeit wird von den Studierenden meist sehr geschätzt, auch wenn sie einen verhältnismässig hohen Aufwand bedeutet. Im Rahmen der Curriculumsreform erhält das Praxisprojekt ein eigenes Modul, so dass eine noch vertieftere Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht wird.
Beispiel 4: Mystery Shopping im Teilmodul Benutzerberatung
Im Modul Sozialpsychologie und Benutzerberatung
wird die Methode Mystery Shopping zur Qualitätssicherung von Dienstleistungen eingeführt. Mystery Shopping geniesst zwar nicht unbedingt den Ruf einer streng wissenschaftlichen Methode, doch ist sie als teilnehmende Beobachtung durchaus ernstzunehmen. Im Unterricht wird das Untersuchungsdesign gemeinsam entwickelt. Somit können sich die Studierenden aktiv bei der Planung der Beobachtung (was wird beobachtet?) sowie bei der Definition der Kriterien (wie wird beobachtet? was wird bewertet?) einbringen. Da dieses Modul im Grundstudium unterrichtet wird, machen die Studierenden hier zum ersten Mal Erfahrungen mit einer eigenen Untersuchung. Die Ergebnisse sind durchaus positiv: die Studierenden berichten, dass sich durch die strukturierte Beobachtung des Auskunftsdienstes auch ihre eigene Wahrnehmung verändert hat. Sie betrachten nun die eigene Tätigkeit kritischer als zuvor - eine Rückmeldung aus den Reihen der Teilzeitstudierenden, die bereits in einer Bibliothek arbeiteten. Andere Studierende waren positiv überrascht von der Aufmerksamkeit, die ihrer kleinen Forschungsarbeit von Seiten der untersuchten Bibliothek zuteil wurde.
Weitere Beispiele: Ausgewählte Bachelor- und Masterarbeiten in Bezug auf den Einsatz verschiedener Methoden
Die Lehrenden an der HTW Chur haben einen, im Vergleich zu anderen Hochschulen, relativ hohen Einfluss auf die studentischen Abschlussarbeiten. Im Allgemeinen schlagen die Dozierenden Themen vor, aus denen sich die Studierenden ein ihnen zusagendes aussuchen. Eigene Vorschläge von Studierenden sind möglich, stellen aber Ausnahmen dar. Nach der Themenwahl besprechen die Studierenden das Konzept ihrer Arbeit, inklusive der Forschungsfragen und der gewählten Forschungsmethoden mit den für ihre Arbeit zuständigen Dozierenden, schreiben anschliessend auf dieser Basis ein Exposé, in dem sie Thema, Fragestellung, Thesen, Methoden und Zeitplan für ihre Abschlussarbeit darlegen. An dieses schliesst sich ein Kolloquium an, bei dem die einzelnen Studierenden sowohl ihren Mitstudierenden als auch den Dozierenden des Instituts ihr Vorhaben schildern und es im gemeinsamen Gespräch gegebenenfalls anpassen. Erst daran anschliessend erarbeiten und schreiben die Studierenden ihre Abschlussarbeit.9
Ausrichtung der Abschlussarbeiten auf Forschungsmethoden
Nachdem durch die beiden Autoren 2012 die ersten Abschlussarbeiten an der HTW Chur betreut worden waren, wuchs bei ihnen ein gewisses Unbehagen. Einerseits besteht in diesem System immer die Gefahr, dass Dozierende zu sehr Einfluss auf die studentischen Arbeiten nehmen und die Studierenden gerade die Eigenständigkeit, die sie mit der Arbeit unter Beweis stellen sollen, nicht zeigen können. Andererseits tendierten die Studierenden zu den immer gleichen Methoden, insbesondere Umfragen und Expertinnen- und Experteninterviews. Dabei waren dies nicht unbedingt die jeweils sinnvollsten Methoden, um die Forschungsfragen der Studierenden zu untersuchen. Die Studierenden erhielten mit ihren Arbeiten zwar Ergebnisse, aber nicht unbedingt immer die sinnvollsten oder ausreichenden.
In gemeinsamer Absprache wurde versucht, dieses Problem in den folgenden Abschlussarbeiten anzugehen. Dies ist auch möglich, da die beiden Autoren kontinuierlich die meisten Bachelorarbeiten am gesamten Institut betreuen. In den Ausschreibungen der Themen wurden seit 2013 nicht nur die zu untersuchende Fragestellung vorgeschlagen, sondern explizite Hinweise zu einer oder mehreren möglichen Forschungsmethoden gegeben. Gleichzeitig wurden die Studierenden in den Gesprächen zu ihren Abschlussarbeiten darauf hingewiesen, dass sie den Einsatz jeder Methode in den Exposés begründen müssen, insbesondere dann, wenn sie Umfragen oder Expertinnen- und Experteninterviews vornehmen wollten. Dabei wurden sie explizit auf die reichhaltige Literatur zu Forschungsmethoden, auch in anderen Fachgebieten, hingewiesen. Gerade bei jenen Studierenden, die das entsprechende Methodenseminar bei den beiden Autoren besucht hatten, stiessen die Vorschläge für die Anwendung neuartiger Methoden auf Interesse.
Dieser an sich geringfügige Wechsel in der Betreuung der Arbeiten führte relativ schnell dazu, dass die Bachelorarbeiten eine grössere Palette an Methoden nutzten, dass diese Methoden in den Arbeiten relativ oft diskutiert und ihr Einsatz sinnvoll geplant wurde. Eine Anzahl von Arbeiten erhob sogar den Anspruch, bestimmte Methoden - insbesondere strukturierte Beobachtungen wie Count-the-Traffic
oder Sweeping the Floor
- fortzuschreiben. Offenbar sind die Studierenden am Ende des Studiums in der Lage, Methoden sinnvoll auf unterschiedliche Fragestellungen bezogen auszuwählen und selbstsicher genug, diese Methoden nicht einfach nur anzuwenden, sondern auch zu verändern.
Die klare Einbindung von Forschungsmethoden in den Unterricht wird von den beiden Autoren erst seit einer kurzen Zeit vorgenommen. Erst Mitte 2015 werden die ersten Studierenden ihr Studium an der HTW beenden, die während ihres gesamten Studiums mit diesem Ansatz unterrichtet wurden.10 Dennoch scheint sich bereits jetzt in einer Anzahl von Abschlussarbeiten diese Orientierung bemerkbar zu machen. Eine kurze Auswahl soll hier vorgestellt werden, um die Potentiale eines solchen Unterrichts zu verdeutlichen. Die Arbeiten nutzen alle unterschiedliche Methoden, die sie zum Teil fortschreiben, um Wissen zu generieren, das für die Bibliotheken neu und sinnvoll zu nutzen ist. Gleichzeitig zeigen sie Potentiale des Einsatzes von ausgewählten Forschungsmethoden für Bibliotheken auf. Im Rahmen der Forschungsstrategie im Schwerpunkt Digitale Bibliotheken werden die Autoren systematisch studentische Arbeiten als Vorstudien einbeziehen. Diese Arbeiten bilden dann einen Teil in der Forschungsaktivität im Bereich Bibliothekswissenschaft.
Erste Ergebnisse: Beispiele aus einigen Abschlussarbeiten
Sibylle Schlumpf untersuchte das NutzerInnenverhalten in der Pestalozzi Bibliothek Altstadt in Zürich mit Hilfe der Methode Count-the-Traffic. Im Ergebnis wurde gezeigt, dass bestimmte Altersgruppen bestimmte Zonen besonders nutzen (ältere Herren nutzen zum Beispiel die Zeitschriftenecke intensiv) und dass andere Nutzergruppen die für sie vorgesehenen Zonen nicht erwartungsgemäss in Anspruch nehmen - so blieben die Jugendlichen der Jugendzone im Untergeschoss weitgehend fern. Eine eingehende wissenschaftliche Untersuchung benötigte jedoch mehr Zeit als für eine Bachelor-Thesis zur Verfügung steht.11 In zwei Bachelorarbeiten wurden 2014 die verwandte Methode des Sweeping the Floor für Öffentliche und Wissenschaftliche Bibliotheken auf der Basis empirischer Ergebnisse erweitert.12 Mit einer Methodenkombination von Sweeping the Floor-Methode und Interviews eruierte Sayako Bissig die Nutzungsformen und Wahrnehmung eines bedienten und eines unbedienten Bibliothekscafés. Im Ergebnis konnte sie zeigen, dass Bibliothekscafés offenbar von den Nutzerinnen und Nutzern positiv als Öffnung der Bibliothek wahrgenommen werden und auch dazu beitragen, dass Bibliotheken flexibler genutzt werden, sie aber die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer einer Bibliothek nicht relevant verändern.13
Andrea Breu untersuchte mit einer teilnehmenden Beobachtung das Verhalten von Familien in der St. Galler Freihandbibliothek. Hier sollte die Frage untersucht werden, ob erwachsene Begleitpersonen von Kindern während ihres Besuchs auch die Angebote für Erwachsene nutzen. Als Fazit konnte festgestellt werden, dass dies vor allem die Väter tun, wenn sie ihre Kinder in die Bibliothek begleiten. Ansonsten lassen sich Bestände für die Zielgruppen Kinder und Erwachsene auch gut trennen, so wie das in St. Gallen aktuell geplant ist.14
Die strukturierte Beobachtung wandte Felix Hüppi in seiner Master-Thesis zum Nutzungsverhalten in wissenschaftlichen Bibliotheken an. Auch wenn die Beobachtungssequenz relativ kurz war, zeitigte sie aufschlussreiche Ergebnisse. Auffällig war, dass die in der Bibliothek lernenden oder arbeitenden Studierenden sich ganz an den Rhythmus des Stundenplans anpassten. Sie pausierten zeitgleich mit den Unterrichtszeiten. Für die kurze Erholung verliessen sie jeweils die Bibliothek - vermutlich um Mitstudierende zu treffen, die ebenfalls in der Pause waren. Aufgrund dieser Beobachtung stellte Felix Hüppi die These auf, dass Hochschulbibliotheken kaum als Dritter Ort genutzt werden und sie sich eher darauf konzentrieren sollten, ein attraktiver Ort zum Arbeiten (also ein zweiter Ort) zu sein. Diese These wiederum wurde von den Autoren für das Methodenseminar im Frühjahrssemester 2015 aufgegriffen (siehe oben).15
Lucas Althaus nutzte für seine Bachelor-Thesis die Methode der qualitativen Statistik, um ausgehend von den Kennzahlen der Schweizer Bibliotheksstatistik den Einfluss der Einführung eines Angebots von E-Books in Öffentlichen Bibliotheken auf die physische Ausleihe von Medien zu untersuchen. Die Ausgangslage präsentierte sich als unvollständig, zumal sich bei weitem nicht alle Schweizer Kantone an der Bibliotheksstatistik beteiligen. Ein Manko dieser Erhebung besteht zudem darin, dass keine konsolidierten Zahlen zur Nutzung von E-Books erhoben werden und dass auch die Zahl der Besucherinnen und Besucher einer Bibliothek (nicht nur die Ausleihen oder die Zahl der eingeschriebenen aktiven Nutzerinnen und Nutzer) nicht flächendeckend erfasst wird. Bei den digitalen Plattformen für E-Books (de facto handelt es sich mit der Onleihe um genau ein Produkt) lassen sich wiederum die Nutzungszahlen - so weit sie überhaupt zur Verfügung gestellt werden - nicht für die einzelnen Bibliotheken eruieren, sondern müssen auf der Ebene der Verbünde oder Konsortien betrachtet werden. Auch wenn also die Ausgangslage nicht optimal für eine solche Fragestellung war, konnte Lucas Althaus als Trend klar zeigen, dass die Einführung eines E-Book-Angebots keine direkten Auswirkungen auf die Ausleihzahlen der jeweiligen Bibliothek hat.16
Mit Usability-Methoden, die sie auf die E-Books-Angebote von Bibliotheken anwandte, befasste Farah Aeschlimann sich in ihrer Bachelor-Thesis. Dabei ging es nicht darum, einzelne Angebote zu prüfen, sondern ein Instrument für die Evaluierung der Usability von Bibliothekswebsites, die am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft entwickelt wurde (CHEVAL), auf die E-Book-Angebote zu übertragen. Im Ergebnis wurden Kriterien erarbeitet, mit denen dieser Selbsttest für Bibliotheken ergänzt werden soll.17
Ruth Süess wandte für ihre Master-Thesis die Methode der Szenariotechnik an, um zu untersuchen, inwiefern sich diese für die strategische Planung einer Hochschulbibliothek eignet. Sie kam zu einem durchaus positiven Fazit, obschon sich herausstellte, dass die Methode, konsequent eingesetzt, sehr aufwändig ist. Eine besondere Herausforderung bei der Szenariotechnik ist es, die negativen Szenarien mit derselben Konsequenz durchzuspielen wie die positiven. Entsprechend benannte die Autorin diese Szenarien nicht als negative, sondern als herausfordernde. Ansonsten besteht die Gefahr, dass unliebsame Vorstellungen (zum Beispiel die Schliessung einer Bibliothek) als mögliche Ergebnisse einfach ausgeblendet werden.18
Fazit
Die Autoren dieses Textes binden seit einiger Zeit in ihrer Lehre im Bereich Bibliothekswissenschaft an der HTW Chur die Vermittlung von verschiedenen Forschungsmethoden ein. Diese Einbindung beschränkt sich nicht auf das Vorstellen der Methoden, sondern beinhaltet zumeist das Ausprobieren und die kritische Reflexion derselben.
Grundsätzlich ist die Integration solcher Methoden, den Erfahrungen der Autoren nach, einfach und im Rahmen zahlreicher Themen sinnvoll möglich. Ebenso sind Studierende in der Lage, die Grundüberlegungen unterschiedlicher Methoden schnell zu erfassen, diese Methoden, wenn auch in vereinfachter Form, direkt anzuwenden und ihre Grenzen sowie Potentiale zu reflektieren. Dabei kommt der Lehre zu Gute, dass sich ein Grossteil der Studierenden im Anschluss an ihre Ausbildung keiner wissenschaftlichen Karriere zuwenden werden, sondern Positionen in Bibliotheken, oft Projektstellen, besetzen werden. Auf diesen Stellen können sie Methoden einigermassen offen einsetzen und sind nicht den gleichen Restriktionen unterworfen, wie in wissenschaftlichen Anwendungsfällen. Dennoch profitieren sie von der Schulung im kritischen Denken, die mit der Methodenlehre einhergeht, und der Einführung in das wissenschaftliche Denken, insbesondere dem Selbstvertrauen, in Situationen mit unzureichenden Informationen Entscheidungen zu treffen, Thesen und Aussagen zu formulieren und zu handeln.
Die Motiviation der Studierenden, aber auch die Qualität und Aussagekraft der Abschlussarbeiten scheint sich durch dieses Vorgehen erhöht zu haben. Gleichzeitig fühlen sich auch die beiden Autoren durch den geschilderten offenen Methodenunterricht herausgefordert und motiviert. Dieser Unterricht bedeutet für die Autoren ebenfalls, sich selbst ständig mit Methoden und Methodenentwicklungen auseinanderzusetzen, mit den Studierenden zusammen, trotz thematischer Wiederholungen, immer wieder neue Ergebnisse zu erarbeiten und offene Diskussionen über die einzelnen Methoden zu führen. Dabei ist auch das praktizierte Teamteaching der beiden Autoren von Vorteil, da sie so in Diskussionen ihre manchmal gegenteiligen Meinungen darlegen können. Dies soll den Studierenden auch verdeutlichen, dass alle Methoden und alle Ergebnisse im bibliothekarischen Diskurs zur Diskussion stehen. Grundsätzlich ist also, bei allen Einschränkungen, ein positives Fazit zu ziehen.
Offen bleibt, ob es gelingen wird, die Studierenden auf lange Sicht zu einer Beteiligung am bibliothekarischen Diskurs zu motivieren. Dies ist zur Zeit nicht der Fall, auch wenn an der HTW Chur eine erstaunliche Anzahl von Publikationsorganen verankert ist - im Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft arbeiten Redakteure der LIBREAS. Library Ideas (einer der Autoren des Textes), der Informationspraxis (der andere Autor des Textes), der B.I.T. online und des Beirats der Medien & Alter, zudem bestehen personell kurze Wege zum schweizerischen Fachorgan Arbido (mehrere ehemalige Mitarbeitende) - auf die im Unterricht des Öfteren verwiesen wird. Eine weitere Publikationsmöglichkeit bietet das Blog des Instituts,19 die durchaus häufiger genutzt werden könnte. Eventuell muss dazu das Schreiben von Artikeln und Referaten als Mittel zur Beteiligung an Diskussionen explizit in der Lehre verankert werden.
Ebenso müssen die Studierenden auch die Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeiten im Berufsalltag einzubringen. Dazu bedarf es noch einer Öffnung seitens der schweizerischen Bibliotheken hin zu einer durch wissenschaftliche Methoden untermauerte Berufspraxis. Auch ist es überdies die Aufgabe der HTW Chur, diesen Einrichtungen bekannt zu machen, über welche Kompetenzen die Studierenden am Ende des Studiums verfügen und wie deren Fähigkeiten dazu beitragen, dass Bibliotheken stets am Puls der Zeit agieren und sich so in die verändernde Gesellschaft integrieren können.
Nicht zuletzt verbleibt das, was in der Lehre an Methodenwissen vermittelt werden kann, auf einer allgemeinen Ebene. Letztlich haben die Autoren die Hoffnung, dass die Studierenden ermutigt werden, nach dem Studium den Einsatz verschiedener Methoden zu erproben. An der HTW Chur sollen sie dazu das Grundwissen beziehungsweise übergreifende Kompetenzen erwerben. Angesichts der hohen Arbeitslast der Studierenden während des Studiums ist dies nicht anders möglich.
Insoweit ist die Einbindung von Forschungsmethoden in die Lehre kein Ersatz für eine aktive Methoden- und Theorieentwicklung. Diese muss anderswo stattfinden, die Lehre kann nur auf deren Ergebnisse zurückgreifen.
Nicht berücksichtigt sind dabei verschiedene Angebote im tertiären Weiterbildungsbereich mit berufsbegleitenden Master-Studiengängen an der HTW Chur (MAS), der Universität und Zentralbibliothek Zürich (MAS), den Universitäten Lausanne und Bern (MALIS).↩
Vergleiche http://www.kti.admin.ch↩
Zwei Dinge sind anzumerken. Zum einen ist für einen Teil der Studierenden das Studium an der HTW nicht die erste Ausbildung. Eine grosse Zahl der Studierenden ist aus anderen Berufen in Bibliotheken gewechselt oder plant diesen Wechsel und nutzt das Studium als Aufstiegsweiterbildung. Dabei haben viele Studierende schon Berufe verlassen, die sie offenbar als monoton und ohne Zukunftsperspektive angesehen haben, beispielsweise eine erstaunliche grosse Anzahl von Buchhändlern und Buchhändlerinnen. Diesen Studierenden wieder einfach feststehende Wissensbestände zu vermitteln, nur auf Bibliotheken bezogen, würde ihren Interessen widersprechen. Zum anderen ist das Studium nicht einfach nur als Wissenszuwachs zu begreifen. Die Studierenden sind mindestens drei Jahre mit ihrem Studium beschäftigt, das heisst auch, dass sie sich in dieser Zeit verändern, ihre Persönlichkeit (neu) ausrichten. Obwohl dies bei den Diskussionen um Curriculareformen und dem Bachelor-/Mastersystem oft vergessen geht, ist jedes Studium selbstverständlich auch eine Passage im Leben. Die Studierenden am Anfang des Studiums sind andere Menschen als die am Ende des Studiums. Akzeptiert man dies, steigt die Verantwortung der akademischen Einrichtungen für die jeweiligen Studierenden. Die Autoren des Textes versuchen in ihrer Lehre auf diese Verantwortung zu reagieren.↩
Was, in gewisser Weise ironisch, ein Handeln in einer Situation mit unvollständigem Wissen darstellt. Offenbar wird jede Entscheidung im Bezug auf das Studium von den potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitsgebern sowohl begrüsst als auch abgelehnt; ob potentielle Studierende das überhaupt wahrnehmen oder ob das für ihre Studienentscheidung relevant ist, ist nicht bekannt. Insoweit liegt die Verantwortung für die Entscheidung bei den Dozierenden, da das Umfeld kein eindeutiges Bild von der notwendigen Weiterentwicklung zeichnet. Auch dies ist eine Situation, die vielleicht unbefriedigend ist, wenn die Fachhochschule als Dienstleister für die Wirtschaft - oder hier die Bibliotheken - angesehen wird; wie das Teile der schweizerischen Bildungspolitik zu tun scheinen. Aber es ist eine realistische Situation, welche den Unterrichtenden Möglichkeiten zur Gestaltung bietet.↩
Abgesehen davon, dass nicht klar ist, wie in diesem System die Ergebnisse der Forschung in die Lehre einfliessen sollen. Dies kann nur sehr zufällig - wenn die Dozierenden eines Moduls zufällig an Projekten arbeiten, die genau zum Modul passen - oder sehr zeitverzögert nach einigen Jahren erfolgen. Sichtbar ist, dass die HTW, genauso wie viele andere schweizerische Fachhochschulen, aus einer Höheren Fachschule erwachsen ist und bislang offenbar noch nicht dem akademischen Ideal der Einheit von Forschung und Lehre folgt. Dass die Fachhochschulen in der Schweiz trotzdem zur Forschung angehalten werden und darauf Wert gelegt wird, dass die Forschenden auch unterrichten, ist einer der Widersprüche dieser Einrichtungen.↩
Dieses Problem stellt sich tatsächlich mit einem Fach, das von beiden Autoren unterrichtet wird und von dessen Sinnhaftigkeit die Dozierenden nicht überzeugt sind. Wenig überraschend wird dieses Fach auch durch die Studierenden regelmässig unterdurchschnittlich bewertet. Da aber dieses Fach im Studienplan ausgeschrieben ist und somit die Studierenden einen Anspruch auf eine Durchführung haben, kann es nicht einfach ersetzt werden. Mit der kommenden Curriculumsreform wird das Fach wegfallen, da sich die beiden Autoren dafür stark gemacht haben. Die starre Struktur des Studiengangs hemmt somit die Innovation in der Lehre, was aus Sicht der Autoren typisch für das stark verschulte Studium an Schweizer Fachhochschulen ist.↩
Strukturell gesehen könnte damit die praxisorientierte Forschung, die bislang an den Fachhochschulen verortet wird, mehr in den Bibliotheken selber betrieben werden. Wäre eine ausreichende Forschungsfinanzierung gegeben, könnten die Fachhochschulen sich dann mit einer theoriegetriebenen Forschung befassen und somit den Wissensstand, auf dem praxisorientierte Forschung fussen soll, massiv erhöhen.↩
Dabei wurde es im Rahmen des Seminars notwendig, den Studierenden zu untersagen, zu jeder Forschung und Forschungsfrage als Methode Umfragen vorzuschlagen. Offenbar tendieren nicht nur Bibliotheken, sondern auch Studierende dazu, diese Methode als naheliegendste anzusehen.↩
Dieses Vorgehen gilt vor allem für die Bachelorarbeiten. Vor allem der Berufsbegleitende MAS-Abschluss verzichtet auf das Kolloquium, dafür kann die Betreuung durch die Dozierenden enger sein.↩
Wobei es wichtig ist, noch einmal zu betonen, dass die beiden Autoren lediglich eine Anzahl von Modulen unterrichten. Andere Lehrende, welche die gleichen Studierenden unterrichten, setzen in ihrem Unterricht selbstverständlich andere Schwerpunkte.↩
Schlumpf, Sibylle (2013). Neue Raumkonzepte in Schweizer Öffentlichen Bibliotheken - Erfahrungen aus einem Bibliotheksumbau am Beispiel der Bibliothek Altstadt. Bachelorarbeit, HTW Chur.↩
Jenni, Stephanie (2014). Zonierungskonzepte in Öffentlichen Bibliotheken: Anwendung und Nutzung in sechs Öffentlichen Bibliotheken in der Deutschschweiz. Bachelorarbeit, HTW Chur. Völker, Edith (2014). Arbeitszonen und Arbeitsräume in Wissenschaftlichen Bibliotheken: Entwurf einer Methode zur Beobachtung des Nutzerverhaltens in Wissenschaftlichen Bibliotheken. Bachelorarbeit, HTW Chur.↩
Bissig, Sayako (2014). Das Bibliothekscafé als dritter Ort: Praxis-Untersuchung über den Zusammenhang und die Beeinflussungsmöglichkeiten zwischen einer öffentlichen Bibliothek und einem Café in den Stadtbibliotheken Aarau und Baden. Bachelorarbeit, HTW Chur.↩
Breu, Andrea (2014). Familien in der Bibliothek: Eine Fallanalyse der Freihandbibliothek St. Gallen. Bachelorarbeit, HTW Chur.↩
Hüppi, Felix (2014). Lernraum Bibliothek: Theorie und Schweizer Praxis mit Umsetzungsbeispiel für die neue Campusbibliothek Muttenz der FHNW. Masterarbeit, HTW Chur.↩
Althaus, Lucas (2014). Der Einfluss ihrer Digitalen Bibliotheksportale auf die Öffentlichen Bibliotheken der Schweiz. Bachelorarbeit, HTW Chur.↩
Aeschlimann, Farah (2014). Usability von E-Book-Angeboten wissenschaftlicher Bibliotheken - Entwicklung eines Kriterienkatalogs. Bachelorarbeit, HTW Chur.↩
Süess, Ruth (2014). Szenario-Technik: Entwickeln von Zukunftsszenarien am Beispiel einer Universitätsbibliothek. Masterarbeit, HTW Chur.↩
Vergleiche http://blog.informationswissenschaft.ch.↩
Rudolf Mumenthaler (Prof.) ist Dozent am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur, Vorstandsmitglied des BIS (Bibliothek Information Schweiz) und Redakteur der Informationspraxis. Zuvor war er tätig an der ETH-Bibliothek Zürich.
Karsten Schuldt (Dr.) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur, Lehrbeauftragter an der FH Potsdam und Redakteur der LIBREAS. Library Ideas. Zuvor tätig am Interdisziplinären Zentrum für Bildungsforschung, HU Berlin.