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Jella Lepman: Die Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek

Nach zehn Exiljahren in London kam die jüdische Journalistin Jella Lepman 1946 im Auftrag der amerikanischen Regierung zurück nach Deutschland, als Beraterin für die kulturellen und erzieherischen Belange der Frauen und Kinder. Um der geistigen Verarmung der deutschen Nachkriegskinder entgegenzuwirken, organisierte sie eine große Internationale Jugendbuchausstellung, die im ganzen Land gezeigt wurde und später den Grundbestand der Internationalen Jugendbibliothek in München bildete. Aus Amerika führte Jella Lepman ein fortschrittliches Konzept für die Gestaltung und Leitung einer Jugendbibliothek ein, das zunächst auf viel Widerstand von Seiten der ausgebildeten deutschen Bibliothekare stieß. Die von ihr gegründete Bibliothek ist heute weltweit die bedeutendste Institution dieser Art. Der Beitrag porträtiert diese außergewöhnliche Frau, die keine ausgebildete Bibliothekarin war und doch das Bibliothekswesen im Jugendbereich in Deutschland revolutionierte, den deutschen Kinder- und Jugendbuchmarkt zu einem der internationalsten überhaupt gemacht hat und ihr ganzes Leben der Verbreitung hochwertiger Kinder- und Jugendliteratur als Beitrag zur Völkerverständigung widmete.


After having spent ten years in exile in London, the Jewish Journalist Jella Lepman came back to Germany in 1946 on behalf of the American government as Special Adviser for Women’s and Youth affairs. In order to countervail the lack of imagination of the children in post-war Germany, she organized a great exhibition of the best children’s books from various nations. The exhibition travelled through the whole country and afterwards constituted the core of the International Youth Library in Munich. From the USA Jella Lepman imported a progressive concept for the organization and administration of a youth library, which initially met the resistance of the professional German librarians. The library she founded is now the most important institution of this type in the world. This article portrays this extraordinary woman who wasn’t a skilled librarian and yet revolutionized the youth library system in Germany making the German market of juvenile literature one of the most international ones. In order to promote the understanding among nations, she dedicated herself to the cause of spreading high quality children’s books.


Zitiervorschlag
Anna Becchi, "Jella Lepman: Die Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek. ". LIBREAS. Library Ideas, 25 ().


Es gibt ein Buch, das vor fünfzig Jahren geschrieben wurde und jeden, der es in die Hände bekommt, in seinen Bann zieht. Es heißt Die Kinderbuchbrücke und liest sich wie ein Abenteuerroman. Dessen Heldin ist eine außerordentliche Frau, der viel mehr Ruhm hätte zustehen sollen als eigentlich der Fall gewesen ist. 

Was sie praktisch im Alleingang geleistet hat, kennt keinen Vergleich. Ihre Ideen haben die Welt verändert und auf bahnbrechende Weise zur Völkerverständigung beigetragen. Mehr als andere Persönlichkeiten hätte sie den Friedensnobelpreis verdient, und doch ist ihr autobiographisches Buch fast in Vergessenheit geraten und ihr Name den Wenigsten geläufig.

Wer war Jella Lepman?

1. Vorgeschichte

Geboren wurde sie am 15. Mai 1891 in Stuttgart als älteste von drei Töchtern des wohlhabenden jüdischen Textilfabrikanten Joseph Lehmann und seiner Frau Flora. Ihr Cousin war der Philosoph Max Horkheimer, der zusammen mit Theodor W. Adorno die Frankfurter Schule begründete.

Sie wuchs in einem liberalen Haus auf. Ihr Vater war ein Demokrat Uhlandscher Prägung und bald entwickelte Jella ein großes soziales Engagement. Bereits mit 17 Jahren gründete sie in ihrer Heimatstadt eine Internationale Lesestube für die Kinder der ausländischen Arbeiter der berühmten Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik – ein Ort, übrigens, der für die deutsche Pädagogik prägend werden sollte, denn in dieser Fabrik entstand 1919 nach Rudolf Steiners Prinzipien auch die erste Waldorf-Schule. 

1913 heiratete sie den Deutsch-Amerikaner Gustave Horace Lepman, der aus dem Ersten Weltkrieg als Invalide zurückkehrte. Er starb 1922 an einem Herzinfarkt und ließ seine knapp 30-jährige Frau mit zwei kleinen Kindern zurück.

Bravourös fing Jella Lepman an, sich im Leben durchzukämpfen und fand bald eine Anstellung als erste weibliche Redakteurin beim Stuttgarter Neuen Tagblatt, womit sie ihren Kindern ein bürgerliches Dasein sichern konnte. 

1929 kandidierte sie mit Theodor Heuss, dem späteren Bundespräsidenten, als Vorsitzende der Deutschen Demokratischen Partei Württembergs für den Reichstag. Doch dann kam die nie zu begreifende Katastrophe, wie Jella Lepman die Machtergreifung Hitlers bezeichnete (J.W. Goethe-Universität, 10), und die politische Lage in Deutschland nahm eine tragische Wende. Lepmans demokratische Ansichten und ihre jüdische Herkunft führten bald zu ihrer Entlassung. So beschloss sie 1936 kurzerhand mit ihren beiden Kindern über Florenz nach England zu emigrieren. 

Die zehn Exiljahre in London waren nicht einfach. Erst musste sie mit gelegentlichen Brotverdienstarbeiten vorliebnehmen. Nach zwei Jahren wurde sie jedoch von der Universität Cambridge mit der Durchsicht des geretteten Nachlasses von Arthur Schnitzler beauftragt. Später nahm man sie in den Foreign Office der BBC und daraufhin in die American Broadcasting Station in Europe auf, von wo aus sie zusammen mit Golo Mann Beiträge nach Deutschland sendete. Kurz vor Kriegsende wurde sie schließlich zur Botschaft der Vereinigten Staaten in London versetzt, um eine europäische Nachkriegsillustrierte, VOIR, zu gründen. 

2. Von der Internationalen Jugendbuchausstellung zur Gründung der Internationalen Jugendbibliothek

Als der Krieg zu Ende war und Amerika eine der vier Besatzungsmächte im besiegten Deutschland wurde, startete man das Reeducation Program mit dem Ziel einer umfassenden Entnazifizierung und bat Jella Lepman als Beraterin für die kulturellen und erzieherischen Belange der Frauen und Kinder (Special Adviser for Women’s and Youth Affairs ) nach Deutschland zurückzukehren.

Sie musste zuerst gegen ihren inneren Widerstand kämpfen, um ihre Heimat wieder zu betreten, und ließ sich lediglich dazu überreden, weil ihr die deutschen Kinder am Herzen lagen. Was genau ihre Aufgabe sein sollte, war ihr dennoch nicht ganz klar.

Im Hauptquartier in Bad Homburg nach einem abenteuerlichen Flug mit einem Militärflugzeug angekommen, beantragte Jella Lepman eine mehrwöchige Informationsreise durch das Land, um sich ein Bild von der Situation und den Bedürfnissen der deutschen Kinder und Frauen zu machen.

Von einem jungen, amerikanischen Hinterwäldler (Lepman 1964, 31 f.) namens Joe, der nie sein Nest im Mittleren Westen verlassen hatte und sich nun wie auf dem Mars fühlte, wurde Jella Lepman mit einem Jeep durch ganz Deutschland kutschiert. 

Sie schaute sich die zerbombten Städte an und holte Rat bei einigen ihrer ehemaligen Freunde und Bekannten, unter anderem Alfred Weber, Marianne Weber, Elly Heuss-Knapp und Theodor Heuss. Noch mehr als die körperliche war Jella Lepmann die geistige Verarmung der Kinder aufgefallen und so kam sie bald zur Erkenntnis, dass man Frauen und Kindern nicht nur Brot und Kleidung, sondern auch Nahrung für den Geist geben sollte (Lepman 1964, 48). 

Zurück im Hauptquartier schlug Jella Lepman General McClure und seinem Stab als Hauptmaßnahme eine Wanderausstellung der besten Kinder- und Jugendbücher verschiedener Nationen vor. Lassen Sie uns bei den Kindern anfangen, um diese gänzlich verwirrte Welt langsam wieder ins Lot zu bringen. Die Kinder werden den Erwachsenen den Weg zeigen, versicherte sie (Lepman 1964, 47). Doch im Etat gab es keinen Posten für Kinderbücher.

Jella Lepman ließ nicht locker und nahm sich vor, die Ausstellung durch Spenden zu verwirklichen. Mit unermüdlichem Elan schrieb sie zwanzig Länder an und bat um Unterstützung bei der Realisierung ihres Projekts:

Wir suchen nach Wegen, um die Kinder in Deutschland mit den Kinderbüchern anderer Nationen bekannt zu machen. Die deutschen Kinder haben so gut wie keine Bücher mehr, nachdem die Kinder- und Jugendliteratur der Hitlerzeit ausgeschaltet wurde. Auch die Pädagogen und Verleger brauchen zu ihrer Orientierung Bücher aus der freien Welt. Die Kinder tragen keine Schuld an diesem Krieg, deshalb sollen Ihre Bücher die ersten Boten des Friedens sein! Sie sollen zu einer Ausstellung zusammengestellt werden, die zuerst Deutschland, später vielleicht auch andere Länder bereist. Zur Überwindung fremdsprachlicher Schwierigkeiten bitten wir vor allem um Bilderbücher und illustrierte Bücher. Aber auch die gute erzählende Literatur soll den Kindern in Gruppenarbeit erschlossen werden. Wir hoffen, dass die deutschen Verleger sich die Übersetzungsrechte vieler dieser Bücher erwerben können. Wir bitten Ihr Land auch um Kinderzeichnungen und Kindermalereien. Diese Bilder sprechen eine internationale Sprache und werden die Kinder beglücken. (Lepman 1964, 51 f.)

Die Aktion zeigte Erfolg und neunzehn Länder signalisierten ihre rückhaltlose Zustimmung. Nur Belgien schien seine Feindseligkeit gegen Deutschland nicht ablegen zu wollen, aber Jella Lepman wusste auch dieses von den Deutschen zweimal überfallene Land zu überreden: Steht es nicht besonders in Ihrem Interesse, eine Generation junger Deutscher mit heranzubilden, die dafür bürgt, dass ein dritter Überfall nicht zu fürchten ist? Damit überzeugte sie schließlich auch Belgien, das schließlich mit einer der schönsten Buchsendungen zur Ausstellung beitrug (Lepman 1964, 62 f.).

Als ersten Ausstellungsort wählte man München, das trotz seiner jüngsten braunen Vergangenheit – war es doch die Wiege der nazistischen Bewegung gewesen – zum geistigen Zentrum der Bundesrepublik auserkoren war. Ein Gebäude war von den Bomben verschont worden: das Haus der Kunst. Dieses erste Monumentalgebäude des nationalsozialistischen Regimes im Stile eines griechischen Tempels wurde als Haus der Deutschen Kunst zum Sinnbild von der Unterdrückung von Künstlern, deren Kunstwerke als entartet diffamiert und von der Großen Deutschen Kunstausstellung, die während der Nazi-Zeit dort einmal im Jahr stattfand, entfernt wurden. Inzwischen diente das Haus als amerikanisches Offizierskasino. Als sie die großen Räume für die mögliche Nutzung als Ausstellungsraum besichtigte, war sich Jella Lepman aber sicher: das wird es sein, das Schicksal hatte es so gewollt. Dieses Gebäude war unversehrt geblieben, damit die internationalen Kinderbücher in diesen Heidentempel einziehen und ihre guten Geister die schlimmen verjagen! (Lepman 1964, 64)

Im Frühling 1946 hatte dann Jella Lepman eine entscheidende Begegnung. Eleanor Roosevelt, die Witwe des Präsidenten, besuchte die amerikanische Besatzungszone und Jella Lepman setzte sich in den Kopf, sie als Verbündete zu gewinnen. Es gelang ihr und danach setzte sich Eleanor Roosevelt mehrfach ein, um die deutsche Journalistin bei der Verwirklichung ihrer Vision zu unterstützen. Beide Frauen verstanden sich von Anfang an hervorragend und Jella Lepman hätte das berühmte Motto der amerikanischen Präsidentenwitwe selber formulieren können: The future belongs to those who believe in the beauty of their dreams.

Am 3. Juli 1946 war es endlich soweit: die Internationale Jugendbuchausstellung wurde eröffnet.

In einem begeisterten Artikel beschrieb Erich Kästner in der Neuen Zeitung, welche Gesellschaft sich dort zusammengefunden hatte:

Es sind unter anderem gekommen: die Herren Eulenspiegel, Baron Münchhausen, Däumling und Rattenfänger aus Norddeutschland, Herr Rübezahl aus Schlesien, Monsieur Jean Bart aus Frankreich, Lord Fauntleroy und die Mister Robin Hood, Robinson, Gulliver, Copperfield und Twist aus England, Sahib Kim aus Indien, der Indianer Mohawk und der Neger Onkel Tom gleichfalls aus den Vereinigten Staaten, ein standhafter Zinnsoldat aus Dänemark sowie andere namhafte Persönlichkeiten. Außer diesen Herrschaften haben sich auch eine Reihe berühmter Tiere eingefunden, ein gestiefelter Kater, ein kleiner Stier namens Ferdinand, die Maus Micky, der zahme Bär Pooh, der Fuchs Reineke und Spiegel das Kätzchen. Alle Prinzen, Könige, Feen, Köhler, Schatzgräber, Hexen, Kapitäne, Helden und Zauberer, die der Eröffnung beiwohnten, mit vollem Namen und Geburtsort aufzuführen, reichte die Zeitung nicht aus, und so sei ihrer nur summarisch gedacht. Wer sie aufsuchen will, kann das tun. Ihre Adresse lautet: München, Haus der Kunst. Empfang täglich von 9 bis 11 und von 14 bis 17 Uhr. Anzug nach Belieben. Erwachsene dürfen mitgebracht werden (Lepman 1964, 76 f.).

Der deutsche Teil der Ausstellung bestand aus zur Verfügung gestellten privaten Sammlungen antiquarischer Kinderbücher. Die Bücher der Nazizeit wurden aussortiert. Kästner hätte sie trotzdem in einem separaten Kabinett nur für Erwachsene gezeigt, aber Jella Lepman fand zu Recht, dass sie nicht zu einer Ausstellung passten, die doch Kindern Bücher als Friedensboten präsentieren wollte.

Die Ausstellung stellte die erste internationale, kulturelle Veranstaltung im Nachkriegsdeutschland dar und erlaubte den vielen Besuchern aller Altersstufen und Bevölkerungsschichten durch Kinderbücher die Welt zu erkunden. Später tourte die Ausstellung durch das ganze Land. 

Auf München folgte Stuttgart. Um die Schau hier zu beherbergen, wurden zur Freude des Direktors Dr. Wilhelm Hoffmann die ersten Räume der zerstörten Württembergischen Landesbibliothek wieder aufgebaut. Ähnlich verlief es mit dem Städel Museum in Frankfurt. Anschließend kam die Ausstellung nach Berlin, wo sie im US-Information-Center in Schöneberg gezeigt wurde. In den Jahren 1947 und 1948 kam sie noch nach Hannover, Braunschweig und Hamburg. Schließlich wurden die Bücher wieder in Kisten verpackt. Sie waren Eigentum des offiziellen Veranstalters, der US-Militärregierung, und gingen später an den Verein Internationale Jugendbibliothek über.

Der Erfolg der Ausstellung gab den Impuls für weitere literarische Unternehmungen. Zu Weihnachten 1946 hatte Jella Lepman nur einen Wunsch: den Kindern ein Buch zu schenken. Sie übersetzte das pazifistische Bilderbuch von Munroe Leaf und Robert Lawson, Ferdinand the Bull, ins Deutsche, ließ es als Sonderdruck in 30.000 Exemplaren auf Zeitungspapier herstellen und an Berliner Kinder verteilen. Sie bat außerdem Erich Kästner, die Weihnachtsverse It was the Night before Christmas von Clement Clarke Moore zu übersetzen und veröffentlichte sie in einer farbigen, den deutschen Kindern gewidmeten Weihnachtsausgabe von Heute

Inzwischen war Jella Lepman im Oktober 1946 nach München versetzt worden, wo sie zur stellvertretenden Chefredakteurin der Illustrierten Heute ernannt wurde. Die Zeitschrift Heute und die Neue Zeitung hatten die Aufgabe, die deutschen Leser über aktuelle Ereignisse zu informieren und ihnen dabei die Vereinigten Staaten als vorbildliche Demokratie vorzustellen. Natürlich war die Intention der Umerziehung deutlich zu spüren, doch den Redakteuren blieb ein großes Maß an Freiheit. 

Als Journalistin versuchte Jella Lepman immer wieder, das Anliegen der Kinder zu verteidigen. Später kam Jella Lepman auf die Idee, Gutenacht-Geschichten zu sammeln. Einem Aufruf in der Neuen Zeitung folgten 20.000 Einsendungen, von denen die überzeugendsten in der Zeitung veröffentlicht wurden. Mit diesem Material gab Jella Lepman später drei Geschichtensammlungen beim Züricher Europa-Verlag heraus. 

Aber ihr wichtigster literarischer Beitrag war, dass sie ihren Freund Erich Kästner zum Buch Die Konferenz der Tiere inspirierte. Kaum war die eine Schreckenszeit zu Ende, schon stand wieder Kriegsgefahr in der Welt. Es war der Anfang des Kalten Krieges. Friedenskonferenzen scheiterten und die Menschen bewiesen ihre Unvernunft. Dabei brachten sie immer wieder die Kinder in Gefahr. Vielleicht, dachte sich Jella Lepman, war es besser, einmal die Tiere zum Zug kommen zu lassen, ihren Instinkt der menschlichen Ratio entgegenzusetzen. Mit dieser Idee überredete sie Erich Kästner, gemeinsam ein Buch zu schreiben, das sich über die Kinder hin an die Erwachsenen richten, in möglichst vielen Sprachen erscheinen und eine Lanze für die Völkerverständigung brechen sollte. Und so kam es auch. Als dritten im Bund gewann Kästner seinen Freund und Illustrator Walter Trier, der mittlerweile in Kanada lebte. Dies sollte ihr letztes gemeinsames Werk werden, denn Trier starb bald darauf (Lepman 1964, 107 ff.).

In der Zwischenzeit ging die Tour der Jugendbuchausstellung dem Ende zu. Von Anfang an hatte Jella Lepman an die Möglichkeit einer Umwandlung der Ausstellung in eine internationale Jugendbibliothek als Dauereinrichtung gedacht. Aber zunächst fand sie bei den amerikanischen Offizieren kein offenes Ohr dafür. Doch im Spätsommer 1947 wurde sie von der amerikanischen Militärregierung für vier Tage nach Paris geschickt, um bei der UNESCO für ihr Projekt zu werben. Die UNESCO erklärte sich für nicht zuständig innerhalb Deutschlands und den Vorschlag, die Bibliothek außerhalb Deutschlands zu gründen, lehnte Jella Lepman strikt ab. Allerdings versprach man ihr, Professor Robert Havinghurst von der Rockefeller- Foundation, der ebenfalls ein Büro in Paris hatte, auf ihren Plan aufmerksam zu machen. Jella Lepman träumte von einem Institut, das von vielen Ländern gemeinsam finanziert werden sollte. Dies wurde leider nie erreicht, aber sie ließ bei der UNESCO nicht locker, vor allem als 1950 drei UNESCO-Institute in Deutschland eröffnet wurden. Am Ende erreichte Jella Lepman wenigstens, dass die Internationale Jugendbibliothek (IJB) als Associated Project of UNESCO anerkannt wurde.

Im Frühherbst 1947 meldeten sich schließlich tatsächlich Abgesandte der Rockefeller-Foundation bei Jella Lepman und zeigten Interesse für ihr Bibliotheksprojekt. Einer von ihnen war Professor Havinghurst. Im darauffolgenden Frühling lud er Jella Lepman zu einer Erkundungsreise in die Vereinigten Staaten ein, um einerseits Unterstützung für ihr Projekt einzuwerben und sie andererseits mit der Arbeitsweise der amerikanischen Jugendbibliotheken vertraut zu machen. Die Reise wurde bestens vorbereitet, Briefe an Bibliotheken, Verleger und bedeutende Persönlichkeiten wurden vorab verschickt. Vor allem nahm man Kontakt mit der American Library Association (ALA) in Chicago und mit Mildred Batchelder auf, die dort die Children’s Library Section leitete.

Nach dieser erfolgreichen Reise kam sehr viel Unterstützung von Seiten der ALA, die sich zunächst in Form einer Spende von Tausenden von Büchern konkretisierte.

Bald musste Jella Lepman jedoch erkennen, dass ihr Plan ohne deutsche Hilfe zum Scheitern verurteilt war. So kam es zu einer ersten Kontaktaufnahme mit dem bayerischen Kultusministerium und dann vorerst zur Gründung  des Vereins der Freunde der IJB e. V. als Träger der zukünftigen Bibliothek. Die IJB wurde zwar durch amerikanische  Gelder und Spenden ermöglicht, aber sie ist ein eingetragener deutscher Verein und wurde vorwiegend mit deutschen Mitteln finanziert, in staatlichen Gebäuden untergebracht und hatte überwiegend deutsche Mitarbeiter, wie Eva-Maria Ledig, die Assistentin von Jella Lepman in den Gründungsjahren, schreibt: Ihre Existenz verdankt die Internationale Jugendbibliothek in erster Linie dem Freistaat Bayern und der Stadt München, denen sich in den 50er Jahren die Bundesregierung angeschlossen hat (Ledig, 55).

Heute wird die IJB zu unterschiedlichen Anteilen aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und des Kulturreferats der Landeshauptstadt München institutionell gefördert. Außerdem gründete die Verlegerin Christa Spangenberg 1996 die Stiftung Internationale Jugendbibliothek, welche seitdem die Trägerschaft der IJB inne hat.

Endlich fand man einen möglichen Sitz der Bibliothek in der Kaulbachstraße 11a.

Es war eine zweigeschossige Villa im Neobarockstil hinter der Bayerischen Staatsbibliothek, gesäumt von Ruinen, aber mit einem großen Garten.

In der alten Gartenvilla, die inzwischen vom modernen Anbau der Staatsbibliothek eingezwängt ist, befindet sich heutzutage die Bibliotheksakademie Bayern, die für die Aus- und Fortbildung der Bibliothekare in Bayern zuständig ist.

Am 14. September 1949 war es soweit und die IJB öffnete ihre Tore. Erich Kästner verkündete den Kindern aller Welt in einem Brief, der in seiner Abwesenheit während der Eröffnung verlesen wurde: Ihr seid Hausbesitzer geworden! Und Jella Lepman erklärte in ihrer Ansprache: Die Internationale Jugendbibliothek will in Wort und Schrift, in Führungen und Vorträgen, in Rundgesprächen und Ausstellungen das Verständnis  zwischen Kindern und jungen Menschen aller Nationen fördern. Sie will den Eltern, Pädagogen, Schriftstellern, Illustratoren neue Möglichkeiten der Information und Zusammenarbeit eröffnen, sie will den Verlegern Deutschlands und der ganzen Welt Hinweise und Anregungen für die Buchproduktion geben. Ganz neue Wege sollen dabei eingeschlagen werden, und die Kinder selbst werden unsere ersten und besten Mitarbeiter sein. (Ledig, 78).

3. Die IJB: eine Revolution im deutschen Bibliothekswesen

Es wurden wahrlich neue Wege eingeschlagen. Jella Lepman legte von Anfang an großen Wert darauf, dass die Bibliothek sich nicht auf Massenbetrieb einstellte und dass jedes Kind und jeder Jugendliche individuell behandelt wurde. Sofort verlieh sie den Jungen Bibliotheksbenutzern Mitverantwortung, indem sie ein Jugendkomitee bilden ließ. Die jungen Leser waren Mitgestalter in Diskussionsgruppen und in der Theatergruppe. Ihre Buchbesprechungen wurden sogar vom Bayerischen Rundfunk übertragen. Ein fortschrittliches Experiment wurde gewagt: in der Jugend-UN für 10- bis 14jährige wählten sich die Kinder ein Land um es zu vertreten und darüber vor den anderen Delegierten zu referieren. Diskussionsthemen in dieser UN-Simulation waren: Was können wir gegen die Atombombe tun? Wie können wir die internationale Verständigung fördern? Wie sollte eine Charta der Kinderrechte aussehen?

Der umkämpfte Glanzpunkt der Bibliothek war das Malatelier, das viele Jahre lang vom Künstler Ferdinand Steidle geleitet wurde. Dieses Kinderatelier war Bibliothekaren und bundesministeriellen Verwaltungsbeamten stets ein Dorn im Auge, die kein Verständnis für ein Malstudio in einer Bibliothek aufbringen konnten oder wollten.

Als eine Finanzierung verweigert wurde, musste man einen Beitrag von den Kindern verlangen und auf Dauer ließ sich diese Aktivität nicht aufrechterhalten. Später fand man aber in der Blutenburg, im jetzigen Sitz der IJB, wieder Raum für ein Malstudio und so konnte diese Idee von Jella Lepman wieder auferstehen.

Jella Lepman war der enge Zusammenhang zwischen Bild und Buch von Anfang an sehr klar. Während ihrer Reise nach Amerika war sie mit der dort schon etablierten Bilderbuchkultur in Berührung gekommen und hatte festgestellt, dass die erste Stufe des Kinderbuches […] in allen Ländern nur eine Sprache [aufweist]: die Bildersprache und dass sobald die Wortsprache die Bildersprache abzulösen beginnt, […] die Mauern auch zwischen den Kindern wachsen (Ledig, 78). Daraus erwuchs ihre Aufmerksamkeit für die Illustration und für Kinderzeichnungen, die sie bis an ihr Lebensende sammelte, in ihrer Wohnung aufhängte und mit denen sie mehrere Ausstellungen gestaltete: eine zur Eröffnung der Internationalen Jugendbuchausstellung und eine zur Eröffnung der IJB und später eine mit Selbstportraits und eine zum Thema Hochzeit. Auch ihr letztes publizistisches Unternehmen, dessen Veröffentlichung sie nicht mehr miterlebte, war eine Sammlung von Kinderzeichnungen und -texten aus 35 Ländern (Lepman 1971). In der IJB wurde den Bilderbüchern ein eigenes Zimmer gewidmet. 

Diese Vorliebe für die Illustration stieß oft auf Unverständnis. So äußerte sich einmal der berühmte Autor der Roten Zora Kurt Held in einem Brief an die Gründerin der niederländischen Sektion des International Board on Books for Young People (IBBY) mit etwas Verachtung über Jella Lepman: Vielleicht setzt J.L. da auch ihren Kopf durch und verleiht [den ersten Deutschen Jugendliteraturpreis] einem Bilderbuch. Sie findet ja ‚den gutmütigen Löwen’ so gut. Ich finde ihn eine cabarettistische Angelegenheit und unwahr im Fond. Der Löwe bleibt ein Raubtier und es verfälscht im Kleinkind die Begriffe. Es ist eine Sache für Erwachsene (Brief an Johanna Wolff vom 7. April 1956, IJB - Jella Lepman Archiv). Die Rede ist vom amerikanischen Bilderbuch Der glückliche Löwe von Louise Fatio und Roger Duvoisin, das gerade dieses Jahr sechzig geworden ist und nichts von seinem Charme verloren hat. Tatsächlich bekam es den ersten Deutschen Jugendliteraturpreis, der damals noch Deutscher Jugendbuchpreis hieß, und gilt inzwischen als absoluter Bilderbuchklassiker. Dass Bilderbücher dieselbe Beachtung wie erzählende Werke verdienen, hatte Jella Lepman, die auch Babar von Jean de Brunhoff und Wo die wilden Kerle wohnen von Maurice Sendak leidenschaftlich liebte, sehr früh erkannt. Sie war so sehr davon überzeugt, dass sie zahllose Persönlichkeiten mit Bilderbüchern und Kinderzeichnungen beschenkte. Ein wenig schmunzeln lässt ein Brief an Thomas Mann zu dessen achtzigsten Geburtstag: 

Die Internationale Jugendbibliothek sendet Ihnen hier das BuchDer glückliche Löwe, das aus dem Amerikanischen übersetzt wurde. Ich glaube, ich habe Ihnen bei meinem Zusammensein bei Emmie Oprecht [der Frau des Schweizer Verlegers Emil Oprecht] von diesem ganz entzückenden und für meine Begriffe besten Buch der ganzen internationalen Kinderbuchproduktion des letzten Jahres erzählt. Vielleicht macht es Ihnen ein wenig Freude (Brief an Thomas Mann vom 2. Juni 1955, IJB – Jella Lepman Archiv). 

Ähnlich ergeht es einem angesichts der Tatsache, dass Jella Lepman Winston Churchill zum Geburtstag ein Album mit Kinderselbstportraits und dem Philosophen Martin Buber, der einmal auch die Bibliothek besuchte, eine Auswahl von Kinderzeichnungen zu Weihnachten nach Israel schicken ließ. 

Das Thema Bilderbuch beschäftigte Jella Lepman sehr und auf der IBBY-Tagung über Buch und Bild (Wien 21. – 23.9.1955) hielt sie auch einen Vortrag darüber.

Jella Lepman war ihrer Zeit voraus, aber sie war auch eine Visionärin, die bis zu jenem Zeitpunkt der Bibliothekswelt fremd gewesen war. Es wundert also nicht, dass sie viel Widerstand erlebte, vor allem von Seiten der traditionell ausgebildeten deutschen Bibliothekare, denen das bunte Treiben in der IJB wie ein Zirkus erschien (Lepman 1964, 150). Mit ihrem resoluten und hartnäckigen Charakter erntete Jella Lepman zudem nicht immer Sympathie. Ihr wurde oft vorgeworfen, dass sie keine professionelle Bibliothekarin sei. Tatsächlich erschienen ihr die organisatorischen Aspekte der Bibliotheksarbeit völlig nebensächlich, vor allem was die Dokumentenerschließung betraf. Die praktischen Probleme ihres beinahe utopischen Unterfangens wollte sie einfach nicht wahrhaben. 

Die Fülle der Aktivitäten hätte viel mehr Personal benötigt als die zur Verfügung stehenden Mittel erlaubten, so dass die Mitarbeiter ständig überfordert waren und es auch zu Auseinandersetzungen kam. Darunter litt vor allem die Katalogisierung. Die Bibliothekare fühlten sich von ihrer eigentlichen Arbeit abgezogen und einige empfanden Widerstand gegen die Programmarbeit, die so gar nicht den Vorstellungen der damaligen Bibliothekare entsprach (Ledig, 95) 

Die Ausleihbibliothek wurde von Anfang an als Freihandbibliothek konzipiert, was damals von den meisten professionellen Bibliothekaren abgelehnt wurde. Später wurde das Freihandsystem, das Jella Lepman sozusagen aus Amerika importiert hatte, auch in den deutschen Bibliotheken eingeführt und heute erscheint uns unglaublich, dass eine solche Diskussion für so viel Aufregung sorgen konnte.

Bezüglich der Katalogisierung gab es die größten Probleme. In ihrem Idealismus hatte Jella Lepman die damit verbundenen Schwierigkeiten völlig unterschätzt. Wer sollte denn die Bücher aus den fremden Ländern und Sprachen entziffern, um sie zu katalogisieren? War eine Formalkatalogisierung in den meisten Fällen noch machbar, so erschien dagegen eine Sachkatalogisierung oft unmöglich. Doch Jella Lepman selbst machte keinen Hehl aus ihrer manchmal naiven Unwissenheit: Nicht jeder nämlich, der Bücher katalogisiert, liebt und liest sie, dieses Phänomen wurde mir erst später klar (Lepman 1964, 145). Man fing mit dem Einrichten eines Titelkatalogs an, bei dem es – wie Lepman beschönigend sagte – nur die Sprachklippen zu umschiffen gab (ebd.).

Schon vor der Eröffnung der IJB hatte man mit der Erschließung der Bücher nach bibliothekarischen Gesichtspunkten begonnen. Die American Library Association schickte als Beraterin Margaret Scoggin, eine Spezialistin im Kinder- und Jugendbuchbereich. Sie sollte den Katalog anlegen und entschloss sich für folgende standortgebundene Signaturgebung:

  • Herkunftsland des Buches (Internationale Länderkennzeichen)

  • Erste drei Buchstaben des Verfassers (bei erzählender Literatur) oder des Titels (bei Sachliteratur)

  • Sachliteratur nach dem Dewey-Dezimalsystem aufgeschlüsselt (1952 nach einer für die IJB vereinfachten Systematik)

Später wurde die Aufschlüsselung der Sachbücher nach Dewey unter der Leitung Walter Scherfs wegen der steigenden Zahl der Buchzugänge mehr und mehr differenziert. Die beiden bestehenden Kataloge wurden abgebrochen und neue Kataloge wurden angelegt:

  1. Alphabetischer Katalog

  2. Länderkatalog

  3. Sachkatalog nach dem Dewey-Dezimalsystem

  4. Titelkatalog (ab 1959)

  5. Illustratorenkatalog

  6. Chronologischer Katalog (ab 1978 auch für die historischen Bestände vor 1951 geführt)

Damals war man nicht nur gegen die Einrichtung vom Kinderleseraum und vom Bilderbuchzimmer als Freihandbibliothek, sondern auch gegen die Einführung des Dewey-Dezimalsystems. Die deutschen Fachleute waren für die Anwendung der Preußischen Bibliotheksordnung. Ich ahnte […] nicht, daß dieser Katalog mich im Lauf meiner Karriere in die Gefahr der Beruhigungspillensucht bringen würde, schreibt Jella Lepman nicht ohne Ironie in ihren Memoiren (Lepman 1964, 144).

Marion Horton, eine andere ALA-Beraterin, betonte noch 1954 in einem Brief:

The friendly atmosphere of the IYL with its flowers, open shelves and book exhibits is an innovation in a country where most libraries have closed shelves and often charge a fee for each book taken from the library (Ledig, 74).

Auch unter den Mitarbeitern gab es heftige Diskussionen, aber Jella Lepman ließ sich nicht von ihren Vorstellungen abbringen. Heute ist das Freihandmodell auch aus den deutschen Bibliotheken nicht mehr wegzudenken, aber man muss wirklich sagen, dass die IJB hier wie auf dem Gebiet der Programmgestaltung der Jugendbibliotheken eine bahnbrechende Rolle gespielt hat.

Jella Lepman dachte immer im Großen und immer international. So war sie tief enttäuscht, als mit amerikanischen Mitteln ein Fahrbüchereifahrzeug (Bookmobil) gekauft wurde, aber seine Nutzung nicht nach ihren Plänen laufen konnte. Die fahrbare Bücherei hätte in den Hauptstädten Deutschlands und anderer Länder eine internationale Musterbibliothek und ihre modernen Methoden vorführen sollen. Stattdessen tourte sie nur kurz durch die Dörfer des Bayerischen Waldes, um dann wegen Benzinmangels und eines fehlenden zusätzlichen Bibliothekarspostens in einer Blechbaracke in den Winterschlaf zu gehen. Danach wurde das Bookmobil von der UNESCO in ein anderes Land geschickt.

Jella Lepman ging es immer um die Verwirklichung ihrer großen Vision: Sie wollte die Kinder zu aufgeschlossenen Weltbürgern machen und durch die Verbreitung der internationalen Kinderliteratur zur Völkerverständigung und zum Frieden beitragen. Im Mittelpunkt ihres Projekts standen immer die Kinder. Aus diesem Grund verfolgte sie, wie wir sehen werden, die spätere Entwicklung der Internationalen Jugendbibliothek nach ihrem Ausscheiden als Leiterin 1957 teilweise mit Missbilligung.

4. Die Gründung von IBBY und das UNESCO-Projekt in den Entwicklungsländern

Jella Lepman glaubte so fest an ihre Vision, dass sie diese nicht nur in München, sondern weltweit verwirklichen wollte. Sie gründete also 1953 das International Board on Books for Young People (IBBY), eine Weltorganisation, die inzwischen Sektionen in vierundsiebzig Ländern hat und der Verbreitung der Ideale ihrer Gründerin gewidmet ist. Ihre Ziele sind nicht nur die Förderung der internationalen Verständigung durch Kinderliteratur dank der Schaffung der Voraussetzungen für die Veröffentlichung und Verbreitung hochwertiger Kinderbücher – vor allem in benachteiligten Ländern – , sondern auch die Unterstützung und Weiterbildung für alle an Kinder- und Jugendliteratur Interessierten. IBBY stellt die größte internationale Plattform von Experten dar, die sich wissenschaftlich mit Kinderliteratur befassen. Zwei wichtige Literaturpreise im Zeichen der Internationalität sind auf IBBY zurückzuführen: der Hans-Christian-Andersen-Preis, der alle zwei Jahren an jeweils eine/n KinderbuchautorIn (seit 1956) und eine/n IllustratorIn (seit 1966) während des Internationalen IBBY-Kongresses vergeben wird sowie der Deutsche Jugendliteraturpreis für die besten Kinder- und Jugendbücher auf dem deutschen Markt, der von der deutschen IBBY-Sektion, dem Arbeitskreis Jugendliteratur, jedes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wird. Immer wieder musste dieser Preis Kritik einstecken, zuletzt 2013 durch eine Unterschriftensammlung deutschsprachiger Autorinnen und Autoren und Illustratorinnen und Illustratoren, welche die Internationalität des Preises beanstandeten. Diese Kritik verkennt aber den Ursprung des Deutschen Jugendliteraturpreis, der von Jella Lepman 1956 gerade zur Förderung einer solchen Internationalität auf dem deutschen Buchmarkt ins Leben gerufen wurde. Ohne Zweifel ist es ihr Verdienst, wenn nach der dunklen Nazizeit Deutschland zu einem der weltoffensten Kinder- und Jugendbuchmärkte überhaupt geworden ist. 

Unermüdlich hat sie nach Möglichkeiten der weltweiten Etablierung der Kinderbuchkultur gesucht. Erwähnt seien hier noch die Gründung der IBBY-Zeitschrift Bookbird Ende der 1950er Jahre und die des Internationalen Kinderbuchtages, der am 2. April, dem Geburtstag von Hans Christian Andersen, weltweit gefeiert wird.

Als Jella Lepman 1957 die Leitung der IJB aufgab, bekam sie einen letzten Auftrag der Rockefeller Foundation, um ein Spezialprogramm der IJB für die Förderung der Jugendliteratur in Asien, Afrika und Lateinamerika durchzuführen. Sie reiste nach Istanbul, Beirut und Teheran und knüpfte neue Kontakte. Im Oktober 1958 nahm sie endgültig Abschied von München und zog nach Zürich, wo sie ihren Lebensabend verbrachte und am 4. Oktober 1970 starb. 

Zur großen Feier zu ihren Ehren, die für ihren achtzigsten Geburtstag geplant war, kam es leider nicht mehr. Doch hatte eine frühe Mitstreiterin bei der Gründung der IJB, die später in der FDP politisch Karriere machen sollte, 1969 eine Ehrung besonderer Art für Jella Lepman veranlasst. 

Hildegard Hamm-Brücher, heute die Grande Dame der FDP, hatte Jella Lepman in der Redaktion der Neuen Zeitung kennengelernt und bei der Gründung der IJB mit großer Begeisterung mitgeholfen. Auch als sie Staatssekretärin im Hessischen Kultusministerium wurde, blieb sie weiterhin in Kontakt mit Jella Lepman, die so eine mütterliche Zuneigung zu ihr hatte und ihr hin und wieder […] ihr Herz ausschüttete (Betten, 23). Am 3. Juli 1969 gelang es der Politikerin, in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Institut für Jugendbuchforschung, eine Feierstunde in der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt zu organisieren. Hildegard Hamm-Brücher überreichte Jella Lepman die Goethe-Plakette des Hessischen Kultusministeriums und Erich Kästner hielt die Laudatio. Er schlug vor, diese Frau, die auf ungewöhnliche Weise Ungewöhnliches geleistet und zustande gebracht hat, mit einer Variante einer altrömischen Formel zum Ausdruck des höchsten Grades öffentlicher Anerkennung auszuzeichnen: Statt ‚Sie hat sich ums Vaterland verdient gemacht’, sollte es Jella Lepman hat sich verdient gemacht ums – Kinderland! heißen (Reusch, 75 f.).

5. Die Entwicklung der IJB nach der Ära Lepman

Jella Lepmans wegweisende Arbeit hatte die Leseförderungskultur in Deutschland eingeführt und die Gründung neuer Kinder-, Jugend- und Schulbibliotheken veranlasst. Mit der Zeit eröffneten in München immer mehr Stadtteilbibliotheken mit Kinder- und Jugendabteilungen, so dass in der IJB die Arbeit mit dem Buch […] Vorrang vor der Arbeit mit dem Kind gewann (Ledig, 117). Diese unvermeidbare Entwicklung verfolgte Jella Lepman mit Besorgnis, wobei es für sie schon schwer genug gewesen war, ihr Lebenswerk, ihr Kind, in andere Hände zu geben, denn niemand erschien ihr passend. Nur widerwillig akzeptierte sie Walter Scherf als Nachfolger. Vielleicht hätte ihre feministische Seite eine Frau vorgezogen. Scherf gab sich jedoch seinerseits viel Mühe um mit ihr gut auszukommen, aber die beiden waren wie Feuer und Wasser, zwei völlig verschiedene Naturen (Betten, 33, 44).

Für Jella Lepman kamen die Kinder an erster Stelle, weil für sie die Bibliothek geschaffen wurde. Walter Scherf sah dagegen die wissenschaftliche Arbeit und den Kontakt mit den Verlagen als zukünftige Hauptaufgabe der IJB. Er baute den Katalog und die Studienbibliothek aus, widmete sich dem Ankauf von Sekundärliteratur und historischen Büchern, erweiterte den Mitarbeiterstab und vor allem das Lektorenteam. Wie jede Bibliothek litt auch die IJB an akutem Platzmangel und so begann man, sich nach einen neuen Sitz umzuschauen. Nach langem Suchen und Überlegen stimmte man überein, trotz des Risikos eines Publikumsschwunds, das Stadtzentrum zu verlassen und nach Obermenzing in das Schloss Blutenburg zu ziehen, das allerdings erst umgebaut und renoviert werden musste. Die größte Baumaßnahme war die Unterkellerung des Hofes, um dort den Buchbestand unterzubringen. Dieses Magazin wurde in eine 70 cm starke Betonwanne gelegt, um die Bücher vor Feuchtigkeit zu schützen, und dann mit einem platzsparenden Rollregalsystem eingerichtet.

Der neue Sitz der IJB wurde am 16. Juni 1983 eröffnet. Bald merkte man, dass die Vorteile dieser Unterkunft die fehlende unmittelbare Nähe zum Stadtzentrum überwogen. Im neuen zauberhaften Rahmen blühte die Programmarbeit der Bibliothek wieder auf. Zugleich führte man die von Scherf initiierte Ausrichtung der IJB als internationales Forschungszentrum weiter. Es kam zu einer auch räumlichen Trennung zwischen dem Forschungsbereich (Spezialbibliothek) und dem Kinder- und Jugendbereich (Junge Bibliothek), wobei der Fokus der Bibliotheksarbeit vorwiegend auf ersteren gelegt wurde.

6. Die IJB heute

Seit über dreißig Jahren ist nun die IJB am westlichen Stadtrand Münchens im idyllischen Schloss Blutenburg untergebracht. Mit ihren zwei Weihern, in denen Enten und Schwäne schwimmen, dem schönen Restaurant und der spätmittelalterlichen Kapelle, die zu den Kunstjuwelen der Stadt zählt, ist die Burg ein beliebtes Ausflugsziel, das nicht nur Buchliebhaber lockt. 

Die Bibliothek hätte sich kein charmanteres Heim wünschen können. An ihre Gründerin Jella Lepman erinnert heute eine Bronzetafel im Hof, sowie der große nach ihr benannte Festsaal oberhalb der Ausleihbibliothek.

Heutzutage gilt die IJB als die weltweit bedeutendste Bibliothek für Kinder- und Jugendliteratur mit über 600.000 Medien in mehr als 130 Sprachen und einem jährlichen Bestandszuwachs von ca. 10.000 Medien. Die Sekundärliteratur wird durch Kauf erworben, während die Primärliteratur aus Spenden von internationalen Verlagen und von Privaten besteht. Zur Verwaltung dieses Schatzes wurde das Lektorenprinzip immer weiter ausgebaut: einige große Sprachen (Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, slawische und skandinavische Sprachen) werden von internen, andere von externen Lektoren betreut. 

Von großer Relevanz ist auch der historische Bestand. Seine Grundlage bildet die sogenannte Genfer Sammlung, die seit Mitte der 1920er Jahre vom Bureau International d’Éducation des ehemaligen Völkerbundes aufgebaut wurde und annähernd 30.000 Bücher aus 58 Ländern (vorwiegend erzählende Literatur und Bilderbücher der 1910er bis 1960er Jahre, aber auch ältere Titel ab Erscheinungsjahr 1835) umfasst und der IJB 1969 von der UNESCO übergeben wurde.

Später kamen andere private, kostbare Schenkungen hinzu. So zum Beispiel die Sammlung des Hamburger Arztes Karl-Heinz Schulz (1913-1982) mit ihren 11.400 Bänden historischer Kinder- und Jugendliteratur, überwiegend aus dem Bereich Abenteuerliteratur (verschiedene Ausgaben von Daniel Defoes Robinson Crusoe und Robinsonaden und eine der besten und umfangreichsten Karl-May-Sammlungen in Deutschland). Aus dieser Sammlung stammen auch zahlreiche historische Märchen- und Sagenausgaben, die zusammen mit den übrigen internationalen Märchenausgaben die Märchensammlung der Internationalen Jugendbibliothek zu einer der größten in Deutschland machen, sowie das älteste Buch der IJB, eine lateinische Reineke Fuchs-Ausgabe aus dem Jahre 1575. 

Auch der Hamburger Pädagoge und Sammler Horst Mischke hinterließ der IJB seine etwa 7.000, nach pädagogischen Gesichtspunkten gesammelten, illustrierten Kinder- und Jugendbücher des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts (vor allem ABC-Bücher und Fibeln, Bilderbücher, Kinderlieder und Kinderzeitschriften). 

Besondere Bedeutung hat die Sammlung nationalsozialistischer und militaristischer Jugendliteratur von Barbara Murken, die um Bestände aus Bad Godesberger Bibliotheken erweitert werden konnte, die nach 1945 auf Anweisung der amerikanischen Militärregierung ausgesondert und separiert worden waren. Den Schwerpunkt der Sammlung bilden die Gattungen der Kriegs- und Soldatenbücher, Abenteuerbücher, Mädchenbücher, Bücher für die Hitler-Jugend, Volksmärchen und Sagen, Historische Romane, Anthologien und Sachbücher, die in ihrer ideologischen Ausrichtung die Jugend auf die NS-Ideologie einschwören und auf den Krieg vorbereiten sollten. Mit der Aufnahme dieser Sammlung in den historischen Bestand der IJB wurde auch jene Lücke geschlossen, die Erich Kästner und einige Besucher in der Internationalen Buchausstellung 1946 erkannt hatten. In gewissem Sinne wurde auch nachträglich der schon erwähnten Empfehlung Kästners gefolgt, diese Art von Literatur in einem Kabinett ‚Nur für Erwachsene’ unterzubringen. Damit die ‚Großen’ unter den Besuchern schon durch bloße Anschauung hätten erkennen können, wie weit sich das Dritte Reich vom Wege der übrigen Menschheit entfernt hatte! (Lepman 1964, S. 77 f.). 

In der Tat werden alle diese Bücher in einem nahen Büchermagazin aufbewahrt und können im wissenschaftlichen Lesesaal für Studienzwecke eingesehen werden. Aus aller Welt kommen Forscher in das Bücherschloss, viele im Rahmen des Stipendiatenprogramms, das vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird. Mittlerweile verbringen jedes Jahr 10 bis 15 internationale Stipendiaten sechs Wochen bis drei Monate in der IJB, wo sie im großen Lesesaal freien Zugang zu Nachschlagewerken und Sekundärliteratur haben, an eigenen Arbeitsplätzen mit Internet-Anschluss arbeiten und von Bibliothekaren und Lektoren betreut werden. Die IJB ist eine internationale Forschungsstätte geworden, die optimale Arbeitsbedingungen für all jene bietet, die sich professionell mit Kinder- und Jugendliteratur beschäftigen. 

Die Arbeit mit dem Kind, die Jella Lepman so sehr am Herzen lag, ist heute sicher nicht mehr vergleichbar mit jener der Anfangszeit und bildet nicht mehr den Kern der Bibliotheksarbeit. Man bemüht sich dennoch, sie weiter im Blick zu behalten und versucht konstant, Familien und Schulklassen zu involvieren. Über das ganze Jahr kommen Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern oder mit den Lehrerinnen und Lehrern ins Schloss Blutenburg, um Ausstellungen zu besuchen und an den damit verbundenen Aktivitäten teilzunehmen. Die Kinder der Umgebung nutzen die Ausleihbibliothek, aber für viele Kinder, die in München leben und gerne vom internationalen Angebot der Ausleihbibliothek Gebrauch machen würden, ist der weite Weg nach Obermenzing, den sie nicht ohne erwachsene Begleitung zurücklegen können, ein Hindernis. 

Die Ausleihbibliothek ist mit knapp 30.000 aktuellen Kinder- und Jugendbüchern sowie DVDs und CDs in über 20 Sprachen nachmittags geöffnet. Dort gibt es laufend Programme wie den Büchertreff für Vorschulkinder, Erzähl- und Aktionsnachmittage. Außerdem werden Sprach- und Malkurse und eine Werkstatt für junge Nachwuchsautorinnen und -autoren angeboten.

Die IJB dient auch als Literaturhaus für Kinder und Jugendliche, sowie für Lehrerinnen und Lehrer, Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Autorinnen und Autoren, Illustratorinnen und Illustratoren, in dem Ausstellungen, Lesungen, Theateraufführungen, Workshops, Familienfeste, Fachforen und Vorträge stattfinden. 

Kommenden Juli, vom 19. bis zum 24., wird zum Beispiel zum dritten Mal das Internationale White Ravens Festival stattfinden, eine einzigartige Gelegenheit um eine Woche lang Kinder- und Jugendbuchautorinnen und –autoren, Illustratorinnen und Illustratoren aus der ganzen Welt zu treffen. 

Große Namen sind dabei (diesmal u. a. Herrmann Schulz und Axel Scheffler aus Deutschland, Christine Nöstlinger aus Österreich, Fabio Geda aus Italien, Jean-Claude Mourlevat aus Frankreich, Bart Moeyaert aus Flandern), aber auch Autoren aus Ländern außerhalb Europas (Tamta Melaschwili aus Georgien, Francisco Montaňa Ibaňez aus Kolumbien oder Kagiso Lesego Molope aus Südafrika), welche die Veranstaltung zu einer der buntesten und aufregendsten im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur überhaupt machen, eine, die im Sinne Jella Lepmans einen wahren Brückenschlag zwischen den Kulturen schafft. Sechs Tage lang werden in der IJB Lesungen, Workshops, Schreibwerkstätten und Podiumsgespräche angeboten. Die eingeladenen Autorinnen und Autoren, Illustratorinnen und Illustratoren touren in diesen Tagen darüber hinaus auch bayernweit durch Jugend- und Kulturzentren, Schulen und Bibliotheken.

White Ravens ist für die Bibliothek seit vielen Jahren ein Synonym für außergewöhnliche und innovative Kinder- und Jugendliteratur. So heißt auch der jährlich erscheinende, englischsprachige Empfehlungskatalog, in dem das Lektorenteam der IJB 250 Neuerscheinungen aus etwa 50 Ländern in mehr als 30 Sprachen vorstellt. Der Katalog erscheint zur Frankfurter Buchmesse und im Folgejahr werden auf der Kinderbuchmesse in Bologna am Stand der IJB die aufgelisteten Titel präsentiert. Diese Auswahl dient internationalen Buchhandlungen und Bibliotheken als Grundlage für die Buchbeschaffung und wird gerne auch von Verlagen im In- und Ausland benutzt, um sich ein Bild von der internationalen Kinder- und Jugendbuchproduktion zu machen.

Eine andere erfolgreiche Publikation der IJB ist der seit 2010 im Arche Kalender Verlag erscheinende Arche Kinder Kalender. Für ihn wählen die Lektorinnen und Lektoren der IJB 53 illustrierte Gedichte aus ca. 30 Ländern aus, die dann in der Originalsprache und in deutscher Übersetzung zusammen mit der Originalillustration ein Kalenderblatt füllen.

Einige international ausgerichteten Kooperationen wurden in den letzten Jahren verstärkt gepflegt, wie zum Beispiel mit dem schwedischen Kulturrat und dem Astrid Lindgren Memorial Award (ALMA), dessen Empfänger seit 2009 vor der Zeremonie in Stockholm der IJB einen Besuch abstatten, oder mit der Robert Bosch Stiftung, die das Förderungsprojekt für Kinder und Jugendliteratur aus Mittel- und Osteuropa ViVaVostock zusammen mit der IJB gestaltet und seit 2011 regelmäßig zwei- bis vierwöchige Arbeitsstipendien für Übersetzer deutscher Kinder- und Jugendbücher in der IJB finanziert.

Die Bibliothek beherbergt Dauerausstellungen zu drei der großen Kinderklassikern Deutschlands. Im Torturm können die Besucher das Erich-Kästner-Zimmer mit etwa 500 internationalen Erstausgaben des Autors in 60 Sprachen bestaunen.

Im James-Krüss-Turm findet man zahlreiche internationale Erstausgaben der Kinderbücher des Helgoländer Autors sowie Sammelstücke aus seinem Besitz. Seinen gesamten schriftstellerischen Nachlass hat die Erbengemeinschaft der IJB übergeben und er wird seit 2013 mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft erschlossen.

Im Dachgeschoss befindet sich ein literarisches Museum zu Leben und Werk von Michael Ende, dessen Teilnachlass die Bibliothek besitzt. Nicht nur sämtliche internationale Ausgaben seiner Bücher, sondern auch Typoskripte, Zeichnungen, Briefe und Fotos, Illustrationen und eine Reihe persönlicher Gegenstände, Möbel, sowie seine Arbeitsbibliothek können dort besichtigt werden. 

Zu erwähnen ist schließlich das Binette-Schroeder-Kabinett im Museumsdach. Dort sind in einem zauberhaften Ambiente, gestaltet vom britischen Architekten Andrew Howcroft, das Gesamtwerk der Künstlerin, ihre eigene umfassende internationale Bilderbuchsammlung und viele originelle Sammelstücke aufbewahrt. Glanzstück ist ein historisch anmutendes mechanisches Theater mit vertrauten Figuren aus den Bilderbüchern der Künstlerin.

Neben diesen Dauerausstellungen bietet die IJB jedes Jahr wechselnde Ausstellungen zu verschiedenen Themen. Die erfolgreichsten davon werden dann zu ausleihbaren Wanderausstellungen.

Natürlich zählt die Leseförderung weiterhin zu den Aufgaben der IJB. Dies wird einerseits mit gezielten Schulprogrammen und andererseits mit festlichen Familienprogrammen verfolgt. Die Herausforderung besteht laut der jetzigen Direktorin, Dr. Christiane Raabe, darin, in einer Zeit, in der die digitalen Medien zunehmend das Lesen zurückdrängen, bei Kindern und Jugendlichen mit nachhaltigen Konzepten für das Buch und die Lust am Lesen zu werben (Raabe, 10). Spätestens seit dem letzten White Ravens Festival passiert das auch mit kreativem Einsatz neuer Medien. So wird das Festival von Aktivitäten in sozialen Netzwerken begleitet und dokumentiert. Es gibt eine Festival Facebook-Seite sowie einen Twitter-Account und einen Jugendblog. Junge Gastblogger können über Veranstaltungen, Autoren oder Bücher schreiben. Ein weiteres Beispiel ist der neue Workshop Buch auf – Film ab, der in der Kinderbibliothek angeboten wird und in dem Kinder ab zehn Jahren am Tablet-PC zu bekannten oder selbst erfundenen Geschichten kleine Filme machen können.

Wie aus dieser Fülle von Tätigkeiten ersichtlich ist, haben sich zwar das Profil und die Aufgaben der Internationalen Jugendbibliothek in den letzten 60 Jahren stark verändert, aber die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen [sind] dem Erbe Jella Lepmans bis heute verpflichtet. Ihre Ideale und Ziele sind nach wie vor aktuell (Raabe, 8). Alle Veranstaltungen und Publikationen fördern den interkulturellen Dialog, bauen weitere Brücken, die zur Völkerverständigung, zur Toleranz und zum Frieden beitragen wollen.

Jella Lepman war eine außerordentliche Frau, der wir so Vieles zu verdanken haben: die Gründung der Internationalen Jugendbibliothek, einer einzigartigen Institution, die weltbekannt ist und keinen Vergleich kennt, die Etablierung der Kinderliteratur in der Kulturdebatte und die Förderung der Kinderbuchkultur weltweit sowie die Idee einer Friedenserziehung durch Kinderbücher. Für ihren intensiven Einsatz für die Völkerverständigung und den Weltfrieden hätte sie den Friedensnobelpreis verdient. 

Alle, die heutzutage etwas mit Kinderliteratur zu tun haben - Lehrer, Bibliothekare, Autoren, Illustratoren, Übersetzer, Verleger – sind ihr zu Dank verpflichtet und deswegen sollte man die Lebensleistung von Jella Lepman einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen, ihre Ideale aufrechterhalten und immer weiter verbreiten.

Literatur

Bamberger, Richard; Binder, Lucia; Hürlimann, Bettina (Hrsg.) (1973)/ 20 Years of the International Board on Books for Young People. Czechoslovakia: IBBY, 1973.

Betten, Lioba (Hrsg.) (1992)/ Mrs. Lepman. Gebt uns Bücher. Gebt uns Flügel. München: Roman Kovar Verlag, 1992.

Hürlimann, Bettina (1976)/Sieben Häuser. Aufzeichnungen einer Bücherfrau. Zürich und München: Artemis Verlag, 1976.

Johann Wolfgang Goethe-Universität Abteilung für Erziehungswissenschaften (Hrsg.) (1969)/ Dank an Jella Lepman. Frankfurt, 1969.

Ledig, Eva-Maria (1988)/ Eine Idee für die Kinder. Die Internationale Jugendbibliothek in München. München: Erasmus-Grasser-Verlag GmbH, 1988.

Lepman, Jella (1964)/ Die Kinderbuchbrücke. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag, 1964.(Sonderausgabe der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen e. V. anlässlich des 100. Geburtstag von Jella Lepman 1991)

Lepman, Jella (Hrsg.) (1971)/ Kinder sehen unsere Welt. Texte und Zeichnungen aus 35 Ländern, gestaltet von Dietmar Meyer. Berlin: Ullstein, 1971.

Raabe, Christiane (2009)/ Ein Bücherschloss für die Kinder- und Jugendliteratur der Welt, in Bibliotheksforum Bayern, 3. Jg. (2009), Heft 3, S. 6-11.

Reusch, Jutta (2010)/ Jella Lepman und Erich Kästner in Briefen, in Das Bücherschloss. Mitteilungen aus der Internationalen Jugendbibliothek, Ausgabe 2009, S. 69-76