> > > LIBREAS. Library Ideas # 5

Rezension zu Krömer, Jan; Sen, Evrim: No Copy. Die Welt der digitalen Raubkopie. Berlin:Tropen, 2006. 303 S., € 16,80*


Zitiervorschlag
Jakob Voß, "Rezension zu Krömer, Jan; Sen, Evrim: No Copy. Die Welt der digitalen Raubkopie. Berlin:Tropen, 2006. 303 S., € 16,80*. ". LIBREAS. Library Ideas, 5 ().


In den 1990er Jahren ist das digitale Kopieren auch im privaten Umfeld für viele zur Gewohnheit geworden und damit auch die so genannte Raubkopie als rechtswidrig hergestellte oder verbreitete Kopie urheberrechtlich geschützter Software, Filme und Musik. Spätestens seit Napster und der ebenso verspäteten wie panischen Reaktion von Musik- und Filmindustrie tobt ein Kampf darum, welche immateriellen Monopolrechte an digitalen Werken legitim und durchsetzbar sein können und sollen. Die Auseinandersetzung und Berichterstattung beinhaltet in der Regel juristische, technische, moralische und wirtschaftliche Aspekte dieser Veränderung, während die Akteure oft als gewissenlose Piraten oder als idealisierte Datenbefreier dargestellt werden.

Mit „No Copy” zeigen Jan Krömer und Evrim Sen (letzterer bereits bekannt durch zwei Bücher aus dem Hackermilieu), dass das Spektrum der „Cracker“ und „Raubkopierer“ weitaus differenzierter ist. In neun Kapiteln und fünf Kurzinterviews liefern sie ein detailliertes Bild der Szene oder genauer der Szenen: die Release-Szene, in der neue Software, Filme und Musik nicht selten bereits vor der offiziellen Veröffentlichung kursieren, die FXP-Szene, in der es darum geht, möglichst viele und aktuelle digitale Werke auf versteckten FTP-Servern zu sammeln, und schließlich die Filesharing-Szene, über die auch normale Nutzer an Kopien gelangen. Dabei stehen in der Release-Szene und FXP-Szene vor allem der sportliche Wettkampf im Vordergrund, was sich beispielsweise in internen Regeln und Rankings niederschlägt. Weitere Kapitel behandeln Cracker, die gezielt Kopierschutzmechanismen entfernen, sowie die rechtliche Situation und Versuche der Industrie, gegen illegale Kopien vorzugehen.

No Copy mit Fernsehturm und Zubehör

No Copy mit Fernsehturm und Zubehör
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Das Buch ist kurzweilig geschrieben und enthält eine Fülle interessanter Details. Leider lassen sich diese jedoch oft nur mühsam (wieder)finden. Die Kapitelüberschriften vermitteln den Eindruck, eher nach dem Aspekt der Coolness anstatt nach Aussagekraft ausgewählt worden zu sein und ein Register zum Nachschlagen sucht man vergebens. Ebenso deutet die plakative Verwendung des nicht unumstrittenen Begriffs der „Raubkopie“ darauf hin, dass sich das Buch nicht primär an ein Fachpublikum wendet. Dennoch liefern die Autoren mit ihrer ausführlichen Beschreibung der Szene und der Motivation ihrer Beteiligten einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung des Diskurses.

Vom Thema beschränken sich Krömer und Sen allerdings auf die nur im Internet aktive, nicht-kommerzielle Szene, wodurch der Eindruck entsteht, bei der Verbreitung von Kopien geschützter Werke seien ausschliesslich Hobbyisten beteiligt. In welchem Umfang geschäftsmäßig organisierte Urheberrechtsverletzungen stattfinden und wo Verbindungen zu den beschriebenen Szenen existieren, bleibt im Dunkeln. Die zweite große Lücke betrifft die politische und kulturelle Dimension der unbeschränkten digitalen Kopie. Alternativen zum Dilemma der Illegalität wie zum Beispiel die Idee einer Kulturflatrate und die Verwendung freier Lizenzen werden nicht genannt oder nicht ausreichend erklärt. Wenigstens ein Verweis auf weitere Literatur wie das vor kurzem auch auf Deutsch erschienene „Freie Kultur” von Lawrence Lessig wäre angebracht gewesen. Auch fehlt eine deutliche Unterscheidung zwischen Copyright und Urheberrecht. Dass die Geschichte der Schwarzkopie auf digitale Werke beschränkt ist und Entwicklungen wie die des Digital Rights Management (DRM) nur gestreift werden, ist dagegen angesichts Themenumfangs zu entschuldigen.

Trotz der genannten Lücken ist „No Copy” nicht nur unterhaltsam, sondern liefert auch einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der häufig sehr emotional geführten Debatte um die digitale Raubkopie. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung der Praxis, während ethische und politische Aspekte eher kurz behandelt werden. Spätestens nach der Lektüre des Buches besteht kein Zweifel, dass das Werk selbst bereits als Kopie unter den eBooks im Netz kursiert. Vielleicht findet sich auch jemand, der durch Hinzufügen eines Registers und eines aussagekräftigeren Inhaltsverzeichnisses das Buch verbessert und damit „hackt“. Ebenso wünschenswert ist seine rege Verbreitung in physischer Form. „No Copy” bietet einen anregenden Einblick in die Szene und kann für angemessene 14,80 Euro jedem zum Kauf empfohlen werden, der sich dafür interessiert, wo digitale Kopien geschützter Software, Filme, Musik, Bücher etc. herkommen und weshalb sie inzwischen aus unserer Kultur nicht mehr wegzudenken sind.

* Diese Rezension kann frei unter den Bedingungen der Creative Commons Share-Alike Lizenz kopiert, modifiziert und verbreitet werden.


Jakob Voß studiert Bibliothekswissenschaft und Informatik (Magister) an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Mitglied des Vorstands von Wikimedia Deutschland - Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e.V.