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Eine kurze Geschichte von Buch und Buchhandel


Zitiervorschlag
Konrad Umlauf, Sigrid Pohl †, "Eine kurze Geschichte von Buch und Buchhandel". LIBREAS. Library Ideas, 34 ().


Die Anfänge

Das Buch entstand, als ein Bedarf aufgekommen war, Informationen festzuhalten, die man sich ohne schriftliche Fixierung nicht gut merken konnte. Das waren keineswegs Mythen und Epen. Die waren schon längst mündlich überliefert; man konnte sie dank Reim und Rhythmus ordentlich memorieren. Aber als in Mesopotamien, im Zweistromland Ende des 4. Jahrtausends vor Christus eine so gute Bewässerung der Felder entwickelt war, dass man ausgedehnte Vorräte anlegen und einen lebhaften Handel mit Getreide und Olivenöl etablieren konnte, wollte man über Vorräte und Handel den Überblick behalten – das ging nur schriftlich. Die ersten Bücher waren Geschäftsbücher und enthielten Lagerlisten, eine vielleicht ernüchternde Erkenntnis. Man drückte mit einem Rohrgriffel keilförmige Zeichen in weichen Ton. So entstand die Keilschrift auf Tontafeln. Damit der Zusammenhang im Sinn eines Buches erkennbar blieb, nummerierte der Schreiber die Tontafeln.

Als ich bei meiner Rückkehr aus Griechenland nach Italien zu Brundusium anlangte und aus dem Schiffe ans Land gestiegen, da sah ich einige Bündel Bücherpakete zum Verkauf ausliegen. Allerdings strotzten diese Scharteken von Moder und Schmutz. Trotzdem trat ich näher, erkundigte mich nach ihrem Preis und wurde durch die un-verhoffte Billigkeit bewogen, die meisten Werke um ein Spottgeld an mich zu bringen. In den zwei darauf folgenden Nächten las ich sie rasch durch. Aulus Gellius (2. Jh. n. Chr.): Die attischen Nächte, IX. Buch, 4. Kap., gekürzt.

Buch und Buchhandel in Antike und Mittelalter

Die Buchform der klassischen Antike war die Rolle aus Papyrus, manchmal auch aus Pergament. Bereits in der Antike kam der Buchhandel auf: Händler ließen beliebte Lesestoffe – die berühmten Philosophen ebenso wie wilde Abenteuergeschichten, Reiseberichte und schlüpfrige Erzählungen – durch Sklaven auf Vorrat abschreiben und boten sie auf Marktständen neben gackernden Hühnern und Lederschläuchen voller Wein an. Im 2. Jahrhundert nach Christus kam der Kodex auf – das Buch in der Form, wie wir es heute noch kennen: Blätter zwischen Buchdeckeln, die links zusammengehalten werden. Üblicherweise bestanden die Blätter aus Pergament. Der Kodex ist beim Lesen und Nachschlagen praktischer als die Rolle. Er setzte sich bis zum 5. Jahrhundert wohl auch deshalb durch, weil die Christen ihn bevorzugten. Ihnen galt die Schriftrolle als heidnisches Relikt und außerdem hatte ihr Apostel Paulus nicht auf Rollen geschrieben, sondern auf Wachstäfelchen, die bereits wie die Blätter eines Kodex zusammengebunden waren. Bis zur Erfindung des Buchdrucks um 1450 durch Johannes Gutenberg gab es nur handgeschriebene Bücher. Ein tüchtiger Schreiber, meistens ein Mönch, brauchte ein Jahr, um ein mäßig langes Buch von kaum mehr als 100 Seiten abzuschreiben. Das Schriftbild war dann auch bezaubernd schön, sehr gleichmäßig – fast wie gedruckt – und mit schmückenden Initialen versehen.

Gutenbergs Revolution

Dem Erfinder Gutenberg ging es nicht um das, was die Wirkung seiner Erfindung war: die Rationalisierung der Buchherstellung, damit eine enorme Preisreduktion und im Ergebnis die Verbreitung des Buches in allen Schichten der Gesellschaft. Vielmehr wollte Gutenberg das Schriftbild perfektionieren – es sollte nicht sehr, sondern vollkommen gleichmäßig sein. Der Witz an seiner Erfindung war nicht das Drucken – Vervielfältigung durch Drucken von Holztafeln gab es schon vorher –, sondern das Drucken mit beweglichen Lettern. Die Druckform wurde aus Buchstabenkörpern, die aus einer Bleilegierung bestanden und meistens ein, manchmal zwei Buchstaben trugen, zusammengesetzt. Nach dem Druck legte man die Lettern in den Setzkasten zurück und konnte sie für eine andere Buchseite wieder zusammensetzen. Mit Gutenbergs Innovation vergleichbare Erfindungen im Korea des 12. Jahrhunderts und schon im Jahr 1045 in China erzielten keinen Durchbruch, weil die damaligen asiatischen Gesellschaften kein Interesse an Textvervielfältigung im großen Stil hatten. Das war zu Gutenbergs Zeiten ganz anders: Humanismus und Renaissance hatten ein brennendes Interesse daran, die antiken Texte, die oft nur in ganz wenigen Handschriften überliefert waren und fast unerreichbar in Klosterbibliotheken lagen, neu herauszugeben. Der Papst ließ massenweise Ablassbriefe drucken und verkaufen, um den Neubau des Petersdoms in Rom zu finanzieren. Dagegen zog Luther zu Felde und die Reformation entzündete ein nie vorher dagewesenes Verlangen nach Textvervielfältigung: Man wollte jetzt nicht nur den Priester hören, sondern selbst in der Bibel lesen, und vor allem war man begierig auf die Bibelauslegung der Reformatoren.

Gutenberg war Verleger, Setzer, Drucker und Bucheinzelhändler in einer Person. Ab 1480 löste sich der Vertrieb von der Herstellung: Reisende Buchführer übernahmen die Verbreitung an die Endkunden. Sie hatten naturgemäß nur ein schmales Sortiment dabei. Deshalb reiste das gelehrte – und vermögende – Publikum einmal im Jahr zu Buchmessen in Frankfurt am Main, in Leipzig, Venedig, Florenz, Oxford, Cambridge und Paris oder man schickte seine Beauftragten dorthin. Erst im späten 18. Jahrhundert waren das Interesse an Büchern – jetzt konnte fast ein Viertel der Bevölkerung lesen – und die Kaufkraft so angestiegen, dass sich ein stationärer Bucheinzelhandel etablieren konnte.

Viele kleine Innovationen im 19. und 20. Jahrhundert

Statt einer einzigen umwälzenden Neuerung wie Gutenbergs Erfindung waren es im 19. und 20. Jahrhundert viele kleine Schritte, die zusammen dazu führten, dass die Buchbranche sich neu aufstellte:

  • Die Schnellpresse, 1811 von Friedrich Koenig erfunden, beschleunigt den Buchdruck um den Faktor drei bis zwölf, indem eine Walze die Bögen einzieht, statt dass sie einzeln händisch in die Druckerpresse eingelegt werden. Die Schnellpresse und weitere Optimierungen der Buchherstellung führen zu Preisreduktionen der Bücher, so dass der Buchmarkt spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts als echter Massenmarkt gelten kann.

  • Aber erst 1884 wird das händische Zusammensetzen der Druckform aus einzelnen Lettern durch Satzmaschinen (Linotype) abgelöst. Heute hat der computergestützte Satz alle älteren Satzverfahren verdrängt.

  • Wer zur Zeit Goethes ein Buch kaufte, erstand einen Buchblock ohne Einbanddecke, ging damit zum Buchbinder und ließ einen Bucheinband anfertigen. Das erlaubt zwar, dem eigenen Geschmack, passend zur Wohnungseinrichtung, Geltung zu verschaffen, taugt aber nicht für den Massenmarkt. Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts setzt sich der Verlagseinband durch.

  • Der Durchbruch des Taschenbuchs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (zuerst 1935 in Großbritannien mit den Penguin Books) bringt einen weiteren großen Schritt in den Massenmarkt.

  • Gegen das Buch als Massenware entstehen seit 1890 immer wieder innovative Ansätze des Buchdesigns und Buchkunstbewegungen. Verleger und Buchgestalter wie William Morris, Eugen Diederichs, Emil Rudolf Weiß, Franz Greno, Roswitha Quadflieg oder Judith Schalansky geben dem Buch ein hochwertiges Design in Typografie, Layout, Illustration und Material.

  • 1825 gründen Verleger und Buchhändler mit dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler (heute: Börsenverein des Deutschen Buchhandels) den ersten überregionalen Unternehmensverband. Er kämpft gegen Zensur, rationalisiert das Handelsgeschäft mit der Schaffung der Verkaufsordnung und der Verkehrsordnung, den ersten Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Buchhandels, und gründet 1912 in Leipzig und nach der deutschen Teilung 1947 in Frankfurt am Main die Vorgänger der heutigen Deutschen Nationalbibliothek mit dem Auftrag, die gesamte deutsche und deutschsprachige Buchproduktion zu sammeln und für die Nachwelt aufzubewahren.

  • Nach einer Phase des ruinösen Preiswettbewerbs, in dem Verleger gegen Einzelhändler stehen, Buchhändler in urbanen Zentren gegen die Provinzialbuchhändler in kleinen Städten, wirtschaftsliberal denkende Großverleger gegen rückwärtsgewandt-zünftig eingestellte Sortimentsbuchhändler, rauft sich die Branche zur Buchpreisbindung durch: Die Mitglieder des Börsenvereins verpflichten sich 1888, den vom Verlag festgesetzten Endverkaufspreis einzuhalten. Wer sich nicht daran hält, wird nicht beliefert. Maßgeblichen Anteil an der nach ihm benannten Reform hat der Stuttgarter Verleger Adolf Kröner; sein Verlag existiert bis heute. 2002 wird die Buchpreisbindung mittels brancheninterner Vereinbarungen durch das Buchpreisbindungsgesetz abgelöst.

  • 1843 gab es in Deutschland 883 Sortimentsbuchhandlungen, 1880 waren es 3.375, 1929 allein in Berlin 524 – ein Fünftel aller deutschen Sortimentsbuchhandlungen. Krieg und Inflation hatten ihre Spuren hinterlassen. Heute ist die Buchhandelsdichte in Deutschland im internationalen Vergleich außerordentlich hoch – auch dank der Buchpreisbindung, die einen vermutlich ruinösen Preiswettbewerb verhindert.

  • Neben den stationären Buchhandlungen gehörten zur Buchbranche vom 18. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts Unternehmen, die Bücher nicht verkauften, sondern vermieteten: Leihbüchereien. Sie unterschieden sich von Bibliotheken der öffentlichen Hand (Öffentliche Bibliotheken, Universitäts-, Staatsbibliotheken und so weiter) durch ihr unternehmerisches Geschäftsmodell. Die Mietzahlungen der Kunden mussten mindestens die Kosten decken. Sie erreichten insgesamt mehr Kunden aus allen Schichten der Gesellschaft als die stationären Buchhandlungen; das reiche Bürgertum und der Adel schickten die Dienstboten, die für ihre Herrschaften auch Bücher holten. Steigende Einkommen der Kunden und die Verbilligung der Buchpreise entzogen ihnen die Geschäftsgrundlage. Im digitalen Zeitalter kehrt dieses Geschäftsmodell in Form von Flatrates für die E-Book-Nutzung von Anbietern wie Amazon (Kindle Unlimited) oder Skoobe zurück.

  • Als im 19. Jahrhundert das Lesen von Büchern unter Jugendlichen selbst auf dem Land üblich wurde, warnten Pädagogen vor der Lesewut und wollten den Nachwuchs lieber zum Spielen auf die grüne Wiese schicken – ohne Erfolg. Heute sehen Pädagogen die Lesekompetenz in Gefahr und fordern Aktionen zur Leseförderung – wenn es gut geht gemeinsam mit dem Buchhandel.

  • Bedrückend waren für Autoren wie Verleger jahrhundertelang die Raubdrucke – ein vor Einführung des Urheberrechtsschutzes legaler geistiger Diebstahl. 1837 führen Preußen und der Deutsche Bund erstmals einen Urheberrechtsschutz ein – in England ist er seit 1710 etabliert. Ein erstes gesamtdeutsches Gesetz, der Vorläufer des heutigen Urheberrechtsgesetzes, tritt 1871 in Kraft. Der Börsenverein erringt mit ihm einen aus seiner Sicht bedeutenden Erfolg.

  • Innovative Vertriebswege (Buchhandelsabteilungen in Warenhäusern seit dem späten 19. Jahrhundert; Taschenbuchdrehsäulen in Tankstellen, Lebensmittelfilialen und Apotheken und anderes mehr) machen Bücher überall da greifbar, wo Kunden erscheinen, die zunächst gar nicht an Buchkauf denken.

Vier Haupttendenzen seit Gutenberg

Es wird deutlich, dass Teile der Buchbranche jeweils etliche dieser Schritte negativ werten; es ist eine Frage der Perspektive und der Betroffenheit. Zum Beispiel sieht der Sortimentsbuchhandel im Vertriebskanal Apotheken einen Kaufkraftabfluss, während die Verlage hierin die Chance der Umsatzsteigerung sehen. Oder die Digitalisierung der Buchherstellung hat den traditionsreichen Beruf des Setzers vernichtet. Er ist seit 1998 durch den Beruf Mediengestalter Digital und Print abgelöst, hat jedoch mit Texterfassung Buchstabe für Buchstabe kaum noch etwas zu tun. In Krisenzeiten tritt die Buchbranche nicht verstärkt solidarisch auf, sondern Partikularinteressen werden lauter artikuliert und durchgesetzt. Seit Gutenberg war die Geschichte des Buches und des Buchhandels von vier Haupttendenzen geprägt:

  • Bücher wurden immer billiger. Zu Gutenbergs Zeiten kostete eine seiner wertvollen Inkunabeln so viel wie ein Stadthaus. Ein Facharbeiter musste um 1900 eine Stunde arbeiten, um sich ein Reclamheft leisten zu können – heute hat er in sieben Minuten die Kaufkraft für ein Reclamheft erworben. Und vor allem: Um 1900 war, wenn Miete und Kohlen, Lebensmittel und Tanzvergnügen am Wochenende bezahlt waren, kaum noch etwas übrig, von dem man sich hätte Bücher kaufen können. Heute sind zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer Buchhandelskundinnen und -kunden. 47 Prozent der Personen in Haushalten bis 1.000 Euro Monatsnettoeinkommen kaufen regelmäßig Bücher. Die Ursache für diese Verbilligung sind technische Innovationen in der Buchherstellung.

  • Bücher haben die Gesellschaft immer mehr durchdrungen. Sie fanden immer mehr Kunden und Leser. Hier spielt auch eine Rolle, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Analphabetismus eine marginale Rolle spielt. In der Gegenwart sind Bücher historisch erstmals allgegenwärtig: Jedes Schulkind kommt mit Büchern in Kontakt, fast jeder Haushalt besitzt Bücher, das Netz der stationären Buchhandlungen ist dicht und darüber hinaus kann man an vielen weiteren Verkaufsstellen von Lebensmittelmärkten bis zu Tankstellen Bücher kaufen. Drei von vier Erwachsenen greifen mehr oder minder regelmäßig zum Buch.

  • Immer öfter überschreiten Bücher und Buchinhalte politische und Sprachgrenzen. Schon im 17. Jahrhundert waren die Buchmessen erst in Frankfurt am Main, dann in Leipzig internationale Umschlagplätze für Bücher. Vor 25 Jahren gab es wenige Sortimentsbuchhandlungen, meistens nur in Universitätsstädten, die ausländische Literatur besorgen konnten. Heute gehört dies zum Alltagsgeschäft mehr oder minder jeder Sortimentsbuchhandlung. In Deutschland erscheinen jedes Jahr rund 12.000 Übersetzungen aus anderen Sprachen.

  • Bücher und Buchhandel haben sich immer wieder gewandelt, haben Umbrüche erlebt und hervorgebracht. Ihre Geschichte ist von Neuerungen und von Verschiebungen innerhalb der Branche geprägt, eine spannende Geschichte. Wer sie erfolgreich fortführen möchte, braucht Innovationskraft im Geist, Ruhe in der Seele und Tatkraft im Handeln. Bei all diesem Wandel ging und geht es darum, den Kern des Geschäfts – die gesellschaftliche Kommunikation über Schriftmedien auf Basis unternehmerischen Handelns – jeweils zeitgemäß zu organisieren und ihm Mehrwerte zu geben, die über die Logistik hinausgehen, zeitgemäß sowohl in technischer und kultureller Hinsicht (Papier, Ausstattung, digitale Ausgaben; das Buch als Statussymbol oder als Alltagsgegenstand) wie auch hinsichtlich der Geschäftsmodelle (inhabergeführte Sortimentsbuchhandlungen, Filialisten, internetbasierter Versandhandel; Buchhandlungen als Schmökerstuben oder als Bühne des Lifestyles und so weiter).

Seit dem tintenklecksenden Saeculum, wie es Friedrich Schiller beklagte, weil zu viel kursierender Lektürestoff seine ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts behindere, waren die Weichen des Lesemarktes auf Pluralisierung und Konkurrenzkampf um Deutungsmacht und Aufmerksamkeit gestellt. Hübinger, Gangolf: Intellektuelle im Strukturwandel der Öffentlichkeit. In: Das evangelische Intellektuellenmilieu in Deutschland… Hrsg. von M. Grunwald u.a. Bern 2008, S. 25-40, Zitat S. 28-29.

Perspektiven des Buchs und des Buchhandels im 21. Jahrhundert

Am Ende des 20. und im frühen 21. Jahrhundert stehen Trends im Vordergrund, die sich mit dem Stichwort Digitalisierung zusammenfassen lassen:

  • Die Buchherstellung beruht heute fast überall auf Informationstechnologie. Die Autoren liefern kein Papier an den Verlag, sondern Dateien. In immer mehr Verlagen werden die Werke – Texte, Bilder, Layout-Anweisungen – in einer XML-Datenbank vorgehalten, aus der heraus Ausgabeformate für den Druck und für die Online-Publikation automatisch generiert werden. Wenn gedruckt wird, dann immer häufiger im Digitaldruck, besonders bei kleinen Auflagen.

  • Das Blättern in gedruckten Buchhandelskatalogen gehört der Vergangenheit an. Kunden und Buchhändler recherchieren in Datenbanken und senden die Bestellung über das Internet an den Lieferanten. Wenn der Kunde daheim selbst recherchiert, dann noch zu selten auf der Website seiner örtlichen Sortimentsbuchhandlung, obwohl sie dasselbe Lieferpotential wie Amazon und andere große Versandbuchhandlungen haben kann, in vielen Fällen ein besseres Lieferpotential, wenn nämlich die Buchhändler ausländische und antiquarische Verzeichnisse mit einbeziehen. Und sie kann schneller liefern, wenn sie die Logistik der Barsortimente nutzt. Aber viele Kunden wissen das nicht. Hier müssen die einzelnen Buchhandlungen und vor allem der Börsenverein die Öffentlichkeit besser informieren.

  • Sobald die Ware in der Buchhandlung eingetroffen ist, wird der Vorgang im Warenwirtschaftssystem erfasst. Auch Lieferschein und Rechnung kommen über das Internet. Jeder Verkaufsvorgang wird im Computer abgebildet. Die Buchhandlung hat auf diese Weise so tiefe und differenzierte Daten über Lagerhaltung und Verkauf, wie es ohne Informationstechnik nicht denkbar wäre. Jetzt muss sie die Daten auch nutzen, um sowohl Ballast wie auch Lücken im Lager zu vermeiden. Wenn die Buchhandlung ihrerseits Rechnungen für die Kunden ausstellt, holt sie die benötigten Daten – Kundenstammdaten, Titelangaben, Anzahl und Preis – wiederum aus dem Warenwirtschaftssystem. Das Warenwirtschaftssystem übergibt die Daten der Buchhaltung, die ihrerseits mittels Computer erfolgt.

  • Aber eigentlich muss der Kunde gar nicht mehr in die Buchhandlung kommen, um das bestellte Buch abzuholen. Er kann ein E-Book beziehen und muss dazu nicht mal die Wohnung verlassen. Bisher hat der Sortimentsbuchhandel am Vertrieb digitaler Bücher einen marginalen Anteil. Aber er hat Stärken, die kein Anbieter von E-Books im Internet wettmachen kann. Der Sortimentsbuchhandel kann ein Einkaufserlebnis vermitteln, das vom inspirierenden Ambiente über das Treffen mit Freunden und dem Gespräch über Leseerlebnisse mit der Buchhändlerin bis zum Latte macchiato reicht. Bei der künftigen Profilierung des Sortimentsbuchhandels müssen diese Funktionen, die über die Logistik hinausgehen, im Fokus stehen, Funktionen, die den Sortimentsbuchhandel einzigartig machen. Auch die Digital Natives – und die womöglich noch stärker als mancher Rentner, der nie ein E-Book kaufen wird – suchen Erlebnisse in der realen Welt, unmittelbare Kontakte zu anderen Menschen und fläzen sich gerne in solchen Sesseln, die sie zuhause nicht haben. Vielleicht verkauft die Sortimentsbuchhandlung der Zukunft mehr Aufenthaltsqualität als Bücher…

Dieser Beitrag erscheint außerhalb des Schwerpunktes unter der Rubrik Streiflicht als Ausdruck der langjährigen Verbundenheit des IBIs mit Konrad Umlauf.


Prof. Dr. em. Konrad Umlauf hatte von 1992 bis 2016 am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (IBI) und seinen Vorgängereinrichtungen den Lehrstuhl für Öffentliche Bibliotheken inne. Er war u.a. langjährig (stellvertretender) Geschäftsführender Direktor des Instituts und in vielen Gremien innerhalb des Instituts, der Humboldt-Universität und im Bibliothekswesen aktiv Für sein Engagement wurde ihm 2015 die Karl-Preusker-Medaille durch Bibliothek & Information Deutschland BID verliehen. Zusammen mit seiner Frau Sigrid Pohl, langjährige Buchhändlerin in Ludwigsburg, publizierte Konrad Umlauf insbesondere rund um das Thema Buchhandel und Buchkunde.