Erstabdruck: Fritz Milkau (Hrsg.): Handbuch der Bibliothekswissenschaft, Erster Band. Leipzig: Otto Harrassowitz, 1931: V–XI.
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SCHON beim Titel wird manch einer stocken: Bibliothekswissenschaft? Gibt es denn so etwas? Ja, das Handbuch der Bibliothekswissenschaft muß doch wohl glauben, daß es so etwas gibt, und wenn es auch nicht gerade darauf ausgeht, den Zweifler zu bekehren, so ist es doch sicher, ihn davon zu überzeugen, daß es zum mindesten praktische Gründe gibt, die die gewählte Benennung seines Gegenstandes rechtfertigen. Eine etwas wunderliche Situation, wenn man bedenkt, daß das immer noch gelegentlich in seiner Existenzberechtigung angefochtene Wort nun seit einem Jahrhundert und länger durch unsere Literatur läuft.1
Geprägt hat es Martin Schrettinger, ein Mann aus der Zucht des h. Benedikt. Also eine Provenienz, die sich sehen lassen kann. Als Bibliothekar seines Klosters (Weißenohe bei Nürnberg) in den Geschmack der Bücher gekommen, durch die Säkularisation entwurzelt und dann in der Hofbibliothek zu München vor gewaltige, plötzlich eingebrochene Büchermassen gestellt, die nach einem festen Ordnungsplan schreien, rafft er Anno 1808 mit dem Mut der Jugend, nicht mehr als 35 Jahre zählend, seine bibliothekarischen Erfahrungen und Anschauungen zusammen und gibt dem auf eigene Kosten gedruckten Buch frisch und unbefangen den Titel Versuch eines vollständigen Lehrbuchs der Bibliothek-Wissenschaft. Und als er 1834, jetzt Unterbibliothekar und Hofkaplan des Königs, sein Buch in starker Verkürzung von neuem ausgehen läßt, da zeigt der Titel bereits die zuversichtliche Fassung Handbuch der Bibliothek-Wissenschaft, diesmal sogar mit dem interessanten, bisher kaum beachteten Zusatz: Auch als Leitfaden zu Vorlesungen über die Bibliothek-Wissenschaft zu gebrauchen. Daß er sich der Neuheit seines Vorgehens und wohl auch der Neuheit seiner Benennung bewußt gewesen ist, daran läßt er selbst keinen Zweifel, wenn er in der Vorrede zum ersten Bande sich für fest überzeugt erklärt, mit gegenwärtigem Lehrbuche der Bibliothek-Wissenschaft eine ganz neue Bahn gebrochen zu haben, oder wenn er in dem erst 1829 erschienenen zweiten Band der ersten Ausgabe (S. 3f.) die Bibliothek-Wissenschaft ein bis jetzt noch zartes Pflänzchen nennt, das der Boreas einer unfreundlichen Kritik in seinem Wachstum hindern könne. An die Anfechtbarkeit seiner Namengebung aber hat er ebenso zweifellos nicht gedacht. Wie sollte er auch, da man das Wort Wissenschaft damals viel freier brauchte als heute und jedes Wissen von einer einzelnen Sache so bezeichnete? Auch fiel es damals kaum jemand ein, daran Anstoß zu nehmen: Friedrich Adolf Ebert braucht die neue Prägung wie etwas Selbstverständliches, nicht etwa in Anführungsstrichen; der Professor und Unterbibliothekar in Kiel W. Ratjen, der Christian Molbechs Buch Om offentlige Bibliotheker, Bibliothekarer og det man har kaldet Bibliotheksvidenskab ins Deutsche zu übertragen hat, gibt seiner Übersetzung den Titel Über Bibliothekswissenschaft (1833); der Ilmenauer Diakonus Johann August Friedrich Schmidt läßt 1840 in Weimar ein Handbuch der Bibliothekswissenschaft erscheinen; die in demselben Jahr begründeten bibliothekarischen Zeitschriften Naumanns Serapeum und Petzholdts Anzeiger, nebenbei die ersten ihrer Art in der Welt, nennen beide auf dem Titelblatt als ihr Arbeitsgebiet die Bibliothekswissenschaft; Edmund Zoller, der spätere Stuttgarter Hofbibliothekar, veröffentlicht, ganze 23 Jahre alt, 1846 seine viel beachtete Bibliothekwissenschaft im Umrisse, und der von der Kritik hart mitgenommene Buchhändler und Bibliothekssekretär des Germanischen Museums in Nürnberg Johann Georg Seizinger schließlich 1863 seine Theorie und Praxis der Bibliothekswissenschaft.
Also Bibliothekswissenschaft allerwegen. Erst jener um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts einsetzende tiefgreifende Wandel in den Zielen und Methoden der Forschung ist es, der mit seiner strengeren Auffassung des Begriffs der Wissenschaft die so lange kaum beanstandete Benennung Schrettingers in Mißkredit bringt. Und so schnell wirkt sich diese Umstellung aus, daß das nach dem Verschwinden von Naumanns Serapeum und kurz vor dem Ende von Petzholdts Anzeiger 1884 begründete neue Bibliotheksorgan sich bereits Zentralblatt für Bibliothekswesen nennt und der 1886 in Göttingen für die Interessen der Bibliothek errichtete Lehrstuhl beileibe nicht die Bestimmung für Bibliothekswissenschaft erhält, sondern schüchtern und unlogisch zugleich als Professur für Bibliothekshilfswissenschaften signiert wird. Aber des Wandels ist auch hier kein Ende. War die Reaktion gegen die Sorglosigkeit in der Verwendung des Wortes Wissenschaft zu streng gewesen, so hat sie heute einer kaum beschränkten Weitherzigkeit Platz gemacht, vielleicht aus der Erkenntnis heraus, daß das, was das eigentliche Wesen der wissenschaftlichen Arbeit ausmacht, die Ehrfurcht vor der Wahrheit und die innere Freiheit, nicht an bestimmte Objekte gebunden ist, sondern in jeder Sphäre menschlicher Tätigkeit bewährt werden kann. So sehen wir denn auch heute die Bibliothekswissenschaft selbst in die amtliche Sprache aufgenommen und die Namengebung Martin Schrettingers, dem die Bibliotheksgeschichte bisher auch sonst manches schuldig geblieben ist,2 wieder zu Ehren gebracht. Aber es soll nicht verschwiegen werden, daß auch heute noch solche gefunden werden, die den Kopf schütteln. Das Handbuch, das sei ausdrücklich gesagt, will es ihnen nicht verwehren.
So viel – schon zu viel – über das Wort. Und wie steht es nun um die Sache? Was wollte Schrettinger mit dem neuen Namen sagen? Und was haben wir heute darunter zu verstehen? Zur Beantwortung der ersten Frage wird am besten der Erfinder selbst herangezogen, aber nicht mit der prätentiös philosophisch aufgezogenen Definition, die zu Anfang seines Lehrbuchs zu lesen ist.3 Er kann sich gottlob auch verständlich ausdrücken, wie in der Vorrede desselben Heftes, wo er (S. IV f.) seinen Vorgängern den Vorwurf macht, sie hätten sich in ihren Schriften hauptsächlich damit beschäftigt, die Bibliothekare über den verschiedenen Wert der Bücher zu belehren und ihnen Klugheits-Regeln in Betreff ihres Ankaufes an die Hand zu geben, die Einrichtung einer Bibliothek selbst aber, gleichsam als eine unbedeutende Nebensache, nur obenhin berührt, und wo er dann also fortfährt: Die Idee eines Bibliothekärs setzt die Bücherkunde voraus, da es lächerlich wäre, jemanden zum Bibliothekäre zu machen, der nicht schon vorläufig Literator wäre; aber nicht jeder Literator ist darum auch schon zum Bibliothekäre geeignet. Bücher sammeln kann zwar der Erstere; aber aus den gesammelten Büchern eine brauchbare Bibliothek zu bilden ist das wesentliche Geschäft des Letztern, und dazu gehören praktische Kenntnisse, die ein ganz eigenes Studium erfordern, und welche ich unter dem Begriffe Bibliothek-Wissenschaft zusammengefaßt habe. Nach dem Vorangegangenen ist man gründlich überrascht. Aber so ist es in der Tat: Nur selten und auch dann nur ganz leicht wird in dem Buche eine Frage gestreift, die über die Praxis hinausgeht, und das Neue – das Bahnbrechende nennt es der Verfasser – ist nichts anderes als die den Vorgängern gegenüber freilich sehr viel eindringlichere Behandlung aller bei der Einrichtung und Verwaltung der Bibliothek erforderlichen Arbeiten und die straffere Formulierung der nötigen Anweisungen. Immerhin verdienstvoll genug, um ihm die großen Worte nachzusehen.
Schwieriger ist die zweite Frage. Man hat, wie wir gesehen haben, Schrettingers Benennung bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts festgehalten, ist aber auch, wenn man von dem Ilmenauer Diakonus, bei dem sich Ansätze zu einer Weiterbildung finden, absieht, über seine Begrenzung des Begriffs nicht hinausgekommen, auch der vortreffliche Arnim Graesel nicht, an dessen Hand ganze Generationen Bibliotheksbeflissener ihre ersten Schritte getan haben und dessen Name, nicht in den deutschen Bibliotheken allein, noch lange in Dankbarkeit genannt werden wird.4 Die Zeit war noch nicht gekommen. Erst die Erweckung des Bibliothekars durch die Schaffung der bibliothekarischen Laufbahn bereitet die Kräfte, mit denen die alte Engigkeit der Auffassung vom Wesen der Bibliothek und den Aufgaben des Bibliothekars überwunden wird. Der gewaltig beschleunigte Arbeitsrhythmus des neuen Deutschlands, der alle Kreise erfaßt und überall Anforderung wie Leistung ins Ungeahnte steigert, macht vor der Bibliothek nicht Halt. Was ein Jahrhundert lang tauben Ohren gepredigt ist, das wird jetzt Gegenstand ernstester Prüfung: ist es am Ende nicht doch richtig, daß der Bibliothekar gewisser besonderer, aus der Eigenart seines Berufs sich ergebender Kenntnisse bedarf? Aller Völker und aller Zeiten Sprachen tauchen vor ihm auf, gehen durch seine Hände. Wäre es da nicht seine Pflicht, von ihren Zusammenhängen etwas mehr zu wissen als der Durchschnittsgebildete? Muß er, der Traditionsgebundene, dem Überkommenen gegenüber nahezu Machtlose nicht wenigstens dessen Geschichte kennen, um sich das unentbehrliche Mindestmaß von Freiheit zu retten? Sollte er, dessen berufliches Leben sich um das Buch dreht, nicht eine Vorstellung von dem Weg haben, den es durch die Jahrtausende gemacht hat, von seiner Form und deren Wandel und von der Zier seines Kleides, von dem Wunder des Alphabets und der Entwicklung der Schrift, von der Ausbildung und dem stürmischen Siegeslauf der fünfundzwanzig Bleisoldaten Gutenbergs über die Erde, von dem Gold- und Farbenglanz der Miniatur, den feinen Reizen der Illustration?
Und noch weitere Überlegungen melden sich, die Wünschbarkeit wenigstens eines Überblicks über diese Dinge im Besitze des Bibliothekars zu steigern. Anders als Archiv und Museum braucht die Bibliothek, deren Interessenkreis das ganze Leben umspannt, Arbeiter verschiedenster Vorbildung, vom Theologen bis zum Techniker, Landwirt und Kaufmann, und andererseits verlangt es die Eigenart der bibliothekarischen Arbeit, daß diese von Hause aus einander fremden Kräfte jetzt einander – das Wort im eigentlichsten Sinne genommen – in die Hand arbeiten. Sollte es da nicht gut und der Einheitlichkeit der Arbeit förderlich sein, wenn diese verschiedenen Geister, die zunächst nur das Räderwerk des Dienstes zusammenhält, nun auch noch durch die Gemeinsamkeit eines wenn auch begrenzten, so doch eigenartigen geistigen Besitzes einander näher gebracht würden? Und, das Problem von einer anderen Seite gesehen: es gibt keinen gelehrten Beruf, der seine Angehörigen in so hohem Grade der Einrostung und Verstaubung aussetzt wie der des Bibliothekars, bei dem auch die großen Leistungen nur durch Überwindung unendlicher Kleinarbeit erreicht werden, einer Kleinarbeit, die zwar gelehrte Kenntnisse aller Art erfordert, aber nur ausnahmsweise zu jener Anspannung der geistigen Kräfte zwingt, die deren eigentliche Nährmutter ist. Da gibt es für den Bibliothekar nur ein άντιφάρμαχον, und das ist die wissenschaftliche Arbeit. Wohl dem, dem es gelingt, sie von der Universität ins Leben hinüberzuretten. Wie aber wird der Mediziner, der Physiker, der Chemiker, wie werden alle die das anfangen, deren Arbeit an Beobachtung und Experiment gebunden ist? Bieten sich da nicht ungerufen jene besonderen Wissensgebiete dar, mit deren Objekten schon der tägliche Dienst den Bibliothekar ständig zusammenbringt? Jene Wissensgebiete, für die das Lehrprogramm der Universität in der Regel keinen Raum hat und die daher selbst dem historisch oder philologisch vorgebildeten Bibliothekar in seiner Studienzeit kaum begegnet sind? Die Geschichte des Buchs, die Entwicklung der Schrift und des Drucks, die Geschichte der Buchmalerei und der Buchillustration, des Bucheinbands und des Buchhandels, die Bibliographie und die Gelehrtengeschichte und schließlich, das Ganze im Zusammenhang überschauend, die Geschichte der Bibliotheken – alle diese Disziplinen finden sich nur ausnahmsweise in den Vorlesungsverzeichnissen unserer Universitäten, und wenn ihrer keine daran denken darf, sich als selbständig und gleichberechtigt neben die alten Fakultätswissenschaften zu stellen, so ist doch andererseits kaum eine darunter, der selbst die strengste Observanz, soweit Probleme und Arbeitsmethoden maßgebend sind, den Eintritt in den geheiligten Bezirk der Wissenschaft verwehren möchte. Fallen sie also nicht auf die natürlichste Weise von der Welt der Bibliothek zu und sind sie nicht bereits zu einem guten Teil in der Bibliothek beheimatet?5
Das ungefähr mögen die Erwägungen sein, von denen die Unterrichtsverwaltungen jetzt ausgehen,6 wenn sie bei der Schaffung der bibliothekarischen Laufbahn für die Zulassung zur Ausbildung nicht mehr verlangen als Staatsexamen und Promotion, die endgültige Übernahme in den Staatsdienst aber von dem in einer Prüfung zu erbringenden Nachweis einer gewissen Vertrautheit mit eben jenen besonderen Wissensgebieten abhängig machen. Nicht als hätten sie nun – das muß doch der Sicherheit Wegen noch ausdrücklich gesagt werden – lauter Spezialisten auf dem Gebiete des Buch- und Bibliothekswesens heranzüchten oder gar solche Anwärter, die ihrem Studienfach treu geblieben waren, davon abtrünnig machen wollen. Daran hat tatsächlich niemand gedacht, und nur, weil man vom Selbstverständlichen nicht spricht, ist in den Prüfungsordnungen kein Wort darüber zu finden, daß die heute glücklich durchgedrungene Auffassung von der Aufgabe der Bibliothek durch die neuen Ordnungen nicht im geringsten geändert ist und daß der Hauptakzent der Ausbildung nach wie vor auf die Erziehung zur rückhaltlosen Hingabe an den Dienst zu legen ist. Wenn man also hier von einer Lücke in den neuen Ordnungen nicht sprechen kann, so darf man vielleicht einen Mangel darin sehen, daß sie es ganz und gar dem Anwärter überlassen, wie er, ohnehin durch den neuen Dienst ungewöhnlich in Anspruch genommen, sich nebenher die verlangten Kenntnisse aneignen soll. Denn hier findet er keine festen Grenzen, keine ad hoc verfaßten Kompendien, keine Tradition, und an eine Orientierung an der Hand der großen oder größeren Veröffentlichungen ohne Lehrmeister läßt schon der Mangel an Zeit nicht denken. Zweifellos ein gewisser Notstand. Wie man versucht hat, ihn zu überwinden, wie zuerst die großen und dann auch kleinere Bibliotheken unter Heranziehung der Beamten für den Unterricht systematisch aufgebaute Kurse einführten,7 wie dann die Unterrichtsverwaltungen mit Lehraufträgen nachhalfen und wie schließlich Preußen mit der Errichtung des BIBLIOTHEKSWISSENSCHAFTLICHEN INSTITUTS bei der Universität Berlin (1928) – neben sechs Bibliothekaren der Staatsbibliothek sind dort ebensoviel Professoren der Universität um die theoretische Ausbildung der Anwärter bemüht – eine Form gefunden hat, die sich hoffentlich bewähren wird: das alles soll im zweiten Bande ausführlicher behandelt werden. Hier muß es genügen, den Zusammenhang mit dem vorliegenden Werk festzustellen: eben jene Not des Nachwuchses ist es, die den lange gehegten Plan eines Handbuchs der Bibliothekswissenschaft zur Reife gebracht hat.
Sieht man allein auf den Titel, so hat dies Handbuch also Vorgänger genug; es hat keinen, wenn man den Inhalt, Anlage und Absicht ins Auge faßt, wenigstens nicht in der überreichen Fülle der deutschen Bibliotheksliteratur, und auch das Ausland bietet nur zwei Beispiele gleichartiger Unternehmungen.8 Alle die älteren Veröffentlichungen, die mit dem Anspruch auftreten, das Ganze des Bibliothekswesens zu umfassen, beschränken sich auf eine mehr oder weniger kritische und nur ausnahmsweise auch leise historisch gefärbte Behandlung der bibliothekarischen Praxis. Das vorliegende Handbuch will mehr. Und zwar will es nicht allein, was sich von selbst versteht, der Tatsache Rechnung tragen, daß die deutschen Bibliotheken und nicht viel anders die ausländischen in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten mit ihrem enormen Aufstieg zum Teil auch Ziele und Arbeitsmethoden geändert haben. Darüber hinaus will es einmal grundsätzlich jede Erscheinung bei der Wurzel fassen, um sie durch geschichtliche Beleuchtung ihrer Entwicklung verständlich zu machen, und weiter will es, was die Hauptsache ist und was es am stärksten von der älteren Literatur unterscheidet, alle die besonderen theoretischen Kenntnisse zur Darstellung bringen, deren ein richtig konstruierter Bibliothekar in seinem Beruf nicht entraten kann und deren Aneignung allein der dienstlichen Praxis zu überlassen die bisherigen Erfahrungen keineswegs empfehlen.
Fern von aller Prätension, Pionierarbeit zu leisten, will sich das Handbuch doch nicht daran genug sein lassen, lediglich den gegenwärtigen Stand unseres Wissens rein objektiv zur Anschauung zu bringen; vielmehr hofft es, auch durch eigene Kritik und Vorlegung eigner Forschungsergebnisse seiner Sache zu dienen. Entsprechend jedoch der ihm zugrunde liegenden Absicht will es sich überall auf das Wesentliche und Notwendige, auf die führende Linie und die entscheidenden Punkte beschränken, nirgends eine Erschöpfung des Stoffes anstreben und auch in den Literaturangaben jeden Überfluß vermeiden. Andererseits aber will es auch nichts versäumen, was der Leser braucht, um sich mühelos über die Herkunft des Mitgeteilten und über den weiterführenden Weg zu unterrichten – das alles jedoch, und darauf ist das größte Gewicht gelegt worden, ohne die Lesbarkeit zu gefährden. Und um auch die Einheitlichkeit des Ganzen leidlich zu sichern, wurde die Bearbeitung der einzelnen Gegenstände ausschließlich Bibliothekaren in die Hände gelegt.
Daß der Ausgangspunkt immer und überall die deutsche Bibliothek ist, das versteht sich von selbst, wie es andererseits bei der grundsätzlichen Einstellung der deutschen Wissenschaft ebenso selbstverständlich ist, daß die Verhältnisse des Auslands sorgfältig berücksichtigt worden sind.
Nach dem Vorstehenden braucht kaum gesagt zu werden, daß es zunächst die wissenschaftliche Bibliothek ist, auf die das Handbuch abgestellt ist. Der jungen, so schnell aufgeblühten Schwester, der Volksbibliothek, etwa nebenher durch Herausstellung ihrer Eigenheiten bei den einzelnen Abschnitten gerecht zu werden, hat sich als unmöglich erwiesen, so daß ihr eine zusammenhängende Sonderbehandlung am Schluß eingeräumt werden mußte. Von einem Register ist abgesehen worden, Weil es durch das mit dem zweiten Band folgende Gesamtregister überflüssig werden würde.
Das wäre alles, was zur Einführung in das Verständnis des Buches zu sagen wäre, und so bleibt dem Herausgeber nichts anderes zu tun übrig, als seiner Dankbarkeit Ausdruck zu geben gegen alle, die ihm geholfen haben, das Werk zu gestalten wie es hier vorliegt. Herzlichsten Dank also dem Präsidenten der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft Exzellenz Schmidt-Ott, der als überzeugter alter Freund der Bibliotheken ermutigend seine Hand auftat, als der Plan noch kaum feste Gestalt gewonnen hatte, und mit ihm seinem treuen Berater Geheimrat Siegismund, der die Arbeit helfend und ratend durch alle Stadien begleitete, und endlich als dem Dritten im Bunde der Förderer, dem Generaldirektor der Staatsbibliothek Geheimrat Krüss, der dem Herausgeber in vorbildlicher Gastlichkeit Arbeitsbedingungen geschaffen hat, wie sie freundlicher nicht gewünscht werden können. Wie sehr weiter die Mitarbeiter und der Verleger, Herr Hans Harrassowitz, ihn verpflichtet haben, das zeigt der heute der Öffentlichkeit übergebene Band deutlicher als Worte es darzutun vermöchten. Für den Leser aber möchte der Herausgeber sich das Gebet CASSIODORS, des Schutzpatrons der Bibliotheken und der Bibliothekare zu eigen machen, nicht ohne den profectus auch auf die Güter dieser Welt auszudehnen.
BERLIN, den 5. März 1931
Fritz Milkau
Sehr eingehend hat sich zuletzt mit der Frage beschäftigt Georg Leidinger in seinem auf der 24. Tagung des Vereins deutscher Bibliothekare gehaltenen Vortrag Was ist Bibliothekswissenschaft? (ZfB XLV 1928 S. 440–454.)↩
Adolf Hilsenbeck, Martin Schrettinger und die Aufstellung in der Kgl. Hof- u. Staatsbibliothek in München. Vortrag auf der 15. Tagung des Vereins deutscher Bibliothekare (ZfB XXXI 1914 S. 427–433).↩
Heft I S. 16: Bibliothek-Wissenschaft ist der auf feste Grundsätze systematisch gebaute und auf einen obersten Grundsatz zurückgeführte Inbegriff aller zur zweckmäßigen Einrichtung einer Bibliothek erforderlichen Lehrsätze.↩
Grundzüge der Bibliothekslehre (Leipzig 1890; Italienische Übersetzung von A. Capha 1893; Französische Bearbeitung von Jules Laude 1897). — 2. Aufl. u. d. T. Handbuch der Bibliothekslehre (Leipzig 1902).↩
Erich v. Rath, Die Forschungsaufgaben der Bibliotheken (Forschungsinstitute hrsg. von Ludolph Brauer u. a. I S. 136–147, Hamburg 1930). — Fritz Milkau. Bibliothekswesen (Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft: Festschrift f. Friedrich Schmidt-ott, 1930 S. 41 ff.).↩
Preußen mit dem Erlaß vom 15. Dez. 1893 voran, die anderen Länder wenig später sich anschließend.↩
Hier München voran 1905.↩
Handbog i Bibliotekskundskab udg. af Svend Dahl, 3. Udg. Bd I–II (København 1924–1930). Erscheint gleichzeitig in schwedischer Bearbeitung. – Československé Knihovnictví. Red. Zdeněk V. Tobolka (V Praze 1925).↩
Fritz Milkau, Bibliothek in Königberg, Bonn und Berlin, später Bibliotheksdirektor Universitätsbibliothek Greifswald und Universitätsbibliothek Breslau, Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, ab 1928 Honorarprofessor Bibliothekswissenschaft (Friedrichs-Wilhelm-Universität Berlin), erster Direktor des Instituts für Bibliothekswissenschaft an dieser Universität. († 1934)