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Interview mit Gertrud Pannier


Zitiervorschlag
Thomas Roesnick (Interviewer), Miriam Brauer (Transkription und Korrektur), Andreas Erbe (Transkription und Korrektur), "Interview mit Gertrud Pannier". LIBREAS. Library Ideas, 34 ().


Interview mit Gertrud Pannier, geführt von Thomas Roesnick (09.07.2018)

TR: Vielen Dank, Frau Pannier, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Wir feiern 90 Jahre IBI, das ist ein langer Zeitraum und nicht ganz so lange, aber beinahe die Hälfte dieser Zeit, haben Sie am Institut verbracht. Wie war denn Ihre erste Begegnung mit dem IBI? Wie sind Sie überhaupt auf das Institut aufmerksam geworden?

GP: Ich habe mich hier zum Studium beworben. Von 1969 bis 1973 habe ich hier studiert und das Studium dann mit dem Diplom abgeschlossen. Meine Mutter war Bibliothekarin, insofern war mir die Nähe zu diesem Fach vertraut und angenehm. Ich hatte mich erkundigt und es gab dieses universitäre Studium in der DDR nur in Berlin an der Humboldt-Universität. Ansonsten gab es noch die Fachschule in Leipzig, aber das war eben die Fachschulebene. Da wir als Abiturienten alle angehalten wurden, zu studieren, habe ich mich hier beworben und bin dann auch angenommen worden. Damals waren wir 30 Studierende am IBI. Es war ein interessantes Studium, obwohl kurz zuvor die Hochschulreform von 1968 dazu geführt hatte, dass der Studiengang nicht mehr zwei Fächer, sondern nur noch ein Fach umfasste. Ein Studium, das früher nur die Hälfte eines Vollzeitstudiums gebildet hatte, war plötzlich ein Vollstudium und wir hatten daher sehr verschiedene interessante Fächer, aber zu Beginn nur relativ wenig Stunden. Das wurde dann erst später erweitert. So kam ich also ans IBI.

TR: Welche inhaltliche Ausrichtung hatte das Institut denn zu Ihrer Anfangszeit? Module gab es ja noch nicht, aber erinnern Sie sich noch an die Lehrinhalte?

GP: Wir hatten damals Bestandserschließung, Bestandsaufbau, wie auch jetzt die Formal- und Inhaltserschließung. Wir hatten Bibliotheksgeschichte und Buchkunde, Schriftgeschichte, Bibliographie, Bibliotheksverwaltung und Planung von Bibliotheksprozessen. Marxismus und Leninismus, das war ein Pflichtfach für jeden Studierenden, und vier Sprachen hatten wir auch: Englisch, Französisch, Russisch und Latein. Es gab damals noch die Auffassung, dass man sagte: „Bibliothekare müssen viele Sprachen können, um die Literatur erschließen zu können". Auch Sport hatten wir noch als Pflichtfach. Das war sozusagen der Druck, dass man sich sportlich betätigte als junger Mensch und ein Angebot der Sportfakultät der Humboldt-Universität.

TR: Sie mussten also 4 Sprachen lernen?

GP: Wenn man vier Sprachen gelernt hat, kann man damit auch andere Sprachen soweit übersetzen, dass man eine Titelaufnahme machen kann. Die Ausrichtung war eigentlich gar nicht so schlecht. Es war von Anfang an so, dass nicht zwischen wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliothek getrennt wurde und auch die Informationsdokumentation wurde immer mit bedacht. Das ist etwas, das in den Fachschulen anders war und auch in der alten Bundesrepublik ganz anders gelaufen ist. Es war eine Universität, an der studiert wurde, und damit gab es auch immer eine deutliche wissenschaftliche Ausrichtung. Man kann natürlich immer streiten und den Streit gibt es ja bis heute: Ist Bibliothekswissenschaft überhaupt eine Wissenschaft? Diese Dinge, die jetzt diskutiert werden, waren durchaus auch damals Gegenstand der Diskussion. Wir hatten zum Beispiel auch Bibliothekswesen anderer Länder, eine Art Landeskunde. Da wurden dann auch die sozialen Verhältnisse verglichen, natürlich auch mit einer sozialistischen Ausrichtung. Man sagte, dass Bibliotheken auch progressive Gedanken und Literatur propagieren sollen. Sie sollten aktiv sein und Leser zur Lektüre anregen. Sowas gab es natürlich, aber es war auch die erklärte Ausrichtung, dass man erziehen will.

TR: Und dann haben Sie nach dem Studium direkt eine Stelle am Institut angenommen?

GP: Genau, wissenschaftliche Assistentin hieß das damals. Es gab relativ wenig Stellen und wenn es Stellen gab, dann wurden Studierende angesprochen, die man für geeignet hielt. Ich gehörte durchaus zu den Studierenden, die ganz gut waren, und es gab eine freie Assistentenstelle für das Fach Bibliographie. Da war ich gut drin. Ich war zeitweise auch Hilfsassistentin, also studentische Hilfskraft, was damals nicht bezahlt wurde und habe die bibliographischen Übungen begleitet. Es war also schon ein Interesse von meiner Seite da. Die Lehrstuhlausrichtung war damals nicht so stark, jedenfalls nicht bei uns am Institut. Vor dem Ende des dritten Studienjahres, also noch vor dem Ende des Studiums, gab es die sogenannte Absolventenlenkung, bei der den Studierenden Arbeitsplätze angeboten wurden. Es gab auf der einen Seite die gesetzliche Verpflichtung zwei oder drei Jahre dort zu arbeiten, wohin man nach dem Studium vermittelt wurde, und es gab andererseits aber auch für jeden ein Arbeitsplatzangebot. Dafür gab es eine Lenkungskommission, in einer solchen war ich später auch selbst Mitglied, die dann schauten: Ist jemand verheiratet, wohnt der Mann in Halle? Ist jemand sehr interessiert an Naturwissenschaften? Dann wurde nach Stellenangeboten in einer entsprechenden Bibliothek oder Universitätsbibliothek geschaut. Es wurde natürlich auch ein bisschen geguckt, wer ist geeignet, ein Kollektiv zu leiten und eine andere wichtige Aufgabe zu übernehmen. Das war natürlich eine paradiesische Situation. Wir hatten alle am Ende des dritten Studienjahres einen Arbeitsvertrag, obwohl noch keiner wusste, wie gut wir das Diplom machen würden. Da habe ich dieses Angebot am Institut eben angenommen. Es war üblich, dass solche Stellen auf 4 Jahre befristet waren und in dieser Zeit sollte man auch promovieren. Das habe ich nicht geschafft, also wurde ich verlängert. Ich habe dann nach dem Studium noch ein Jahr Auslandsstudium in Leningrad in der Sowjetunion gemacht und dann habe ich eben später promoviert, auch in der Fachrichtung Bibliographie.

TR: Jetzt machen wir mal einen größeren Sprung in die Wendezeit, also speziell zum Jahr 1989 mit dem Mauerfall und in die 1990er Jahre. Wie wirkte sich denn die Wendezeit auf die Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Berlin aus?

GP: Erst einmal gab es natürlich ein ziemliches Chaos und eine große Unsicherheit, wie es weitergeht. Es gab schon ziemlich früh Stimmen, die meinten, dass man dieses Institut nicht brauchen würde, weil es in Westdeutschland ja auch keines in dieser Art gab. Es gab auch die Diskussion innerhalb des Kollegiums zum politischen Engagement wegen restriktiver Maßnahmen gegen Studierende aus politischen Gründen. Einerseits war das schon sehr demokratisch und spannend, andererseits war es zum Teil auch eine schmerzhafte Erfahrung, zu sehen, wie „Wendehälse" sich outeten. Dass also Leute, die immer ihre politische Überzeugung vor sich hergetragen hatten, dann plötzlich sagten, sie wären eigentlich nie so gewesen. Dazu kam die persönliche Angst. Ich hatte zum Beispiel eine Kündigung erhalten, denn es wurden ja nun westdeutsche Maßstäbe angelegt. Das hieß zum Beispiel, dass der Personalschlüssel ein ganz anderer war und es war ganz klar, dass darauf hingearbeitet werden sollte, dass eine neue Soll-Struktur kommt und man nicht bei der Ist-Struktur bleiben kann. Deshalb gab es zahlreiche Kündigungen und vorzeitige Berentungen. Es war also manches friedlich und manches sehr kämpferisch. Ich habe dann gegen diese Kündigung geklagt und auch Recht bekommen. Es gab dann sofort viel Arbeit durch die neuen Studienordnungen nach Magisterstrukturen, die aus der alten Bundesrepublik kamen. Ich glaube 1991 wurde schon die erste neue Studienordnung eingeführt, mit einer Fächerkombination und dem Wegfall von Marxismus und Leninismus als Fach. Die klassischen Inhalte sind aber geblieben und einiges Neues kam hinzu, Verlagswesen oder Literaturseminare zum Beispiel.
Auch die Etats wurden hinterfragt, da wussten wir auch nicht, wie es weitergeht und dann gab es natürlich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, das war vielleicht das Wichtigste.
Wie sich das auf die Wissenschaft am Institut auswirkte? Es war anfangs eigentlich ganz konstruktiv, weil die Berufsvereinigungen gleich Kontakt aufnahmen. Da gab es fachlichen Austausch, die Literatur hatte man ja vorher schon zur Kenntnis genommen. Es gab auch Treffen mit anderen Ausbildungseinrichtungen und das ist in meiner Erinnerung noch sehr deutlich, weil dabei immer wieder die Föderalismusdiskussion aufkam. Ich sagte damals: Warum gibt es denn so viele verschiedene Profilierungen oder auch Ansprüche an diese Ausbildung?. Zu dem Zeitpunkt gab es ja vor allem die Fachhochschulen. Es waren auch Fachhochschulen mit Universitäten fusioniert, aber deshalb waren es natürlich noch keine universitären Ausbildungsgänge. Mir wurde dann gesagt: Ist doch toll, wenn Föderalismus herrscht, dann kann jedes Bundesland das Beste aus der Ausbildung machen und muss sich nicht nach der Mehrheit oder nach einem Durchschnitt richten, was auch erstmal ganz gut klang. Wie sich dann aber herausstellte, wussten die meisten nicht, wie woanders eigentlich ausgebildet wurde, sodass dieser Faktor Wir suchen uns den besten Weg eigentlich gar nicht so zum Tragen kam. Aber gut, das war eben so.

TR: Was sind denn Ihre Gedanken zur Zusammenlegung der Institute von Humboldt-Universität und Freier Universität Mitte der 1990er Jahre?

GP: Also im Nachhinein ist es ja ganz gut gelaufen [lacht]. Aber das war schon dramatisch. Ich bin froh, dass die Zusammenlegung unter dem Dach der HU erfolgte. Denn man merkte sehr schnell, dass die FU mit diesem Institut nicht so ganz glücklich war. Da gab es natürlich wie immer das Beharrungsvermögen der Westprofessoren, wie es bei uns wahrscheinlich auch gewesen wäre, die wollten das nicht. Einige der Alteingesessenen der FU wollten also weder von ihrem Hohenzollerndamm weg, noch an die HU, was politische Gründe hatte. Die HU galt als eine rote Uni. Aber hätte es keine Fusion gegeben, dann wäre unser Institut bestimmt geschlossen worden. Die Machtverhältnisse waren ja ansonsten so, dass man eher im Osten etwas schloss als im Westen, das war eben auch einfacher. Insofern denke ich, dass das insgesamt ganz gut war. Und es zeigte sich auch, also ich will jetzt nicht die wissenschaftliche Qualität des alten IBI zu hoch loben, aber ich hatte das Gefühl, dass das Institut der FU eher dem Fachhochschulniveau entsprach. Sie waren sehr praxisorientiert, also nicht so sehr auf Selbständigkeit aus und die Ansprüche an die Studierenden und auch die Ansprüche der Dozentinnen und Dozenten an sich selbst waren niedriger. Wir hatten damals zum Beispiel auch schon Fernstudiengänge am IBI, das wurde völlig abgelehnt: Wie kann man denn nur? Sowas lässt sich nicht organisieren. Und später ist das Fernstudium dann sogar zum Aushängeschild des Instituts geworden. Es gab also durchaus einen Selbstfindungsprozess für dieses neue, gemeinsame Institut.

TR: Sechs Jahre später gab es dann den sogenannten Bologna-Prozess. Wie wirkte sich dieser denn auf das Institut beziehungsweise die Lehrsituation aus?

GP: Erst einmal gab es den Druck von außen, also von der Universität, die Studienordnungen entsprechend diesem Bologna-Prozess umzustellen. Ich habe das eigentlich für hilfreich gehalten. Denn ich weiß nicht, wie sehr diese Erneuerung aus dem Institut selbst hätte kommen können. Dabei ging es ja nicht nur um das formale Aufsplitten in Module und ein Punktesystem und anderes, sondern auch um das Verkürzen der Studiengänge. Der Bachelorstudiengang umfasst eben nur drei Jahre und wir hatten vorher viereinhalb Jahre, die allerdings auch kaum jemand eingehalten hat. Man musste sich also genau überlegen, welche Inhalte in diesen Studiengang übernommen werden und was man sich vielleicht für einen späteren Master aufhebt. Zur Festlegung wurden dann Kommissionen gebildet, die zu 50 % aus Studierenden und zu 50 % aus Lehrenden bestanden und dort haben die Studierenden auch eine ganze Menge an Forderungen eingebracht. Es ging so weit, dass manche Vorschläge abgelehnt wurden und es dann zu Konflikten innerhalb der Kommission kam.

TR: Ich höre da heraus, dass Sie die Verkürzung der Studienzeit nicht für schlechter halten?

GP: Ich bin keine die sagt: Dieser ganze Bologna-Prozess ist verkehrt. Das Problem ist, und das zieht sich in manchen Studienfächern wohl noch bis heute hin, dass man versucht hat, die gesamte Fülle der Inhalte und Anforderungen in diese drei Jahre zu pressen und damit ist es wirklich eine Überforderung geworden. Man kann eben nicht alles mit aufnehmen. Bei uns am IBI hat es dazu geführt, dass viele von den historischen Blickwinkeln verschwunden sind, dass es keine Buchgeschichte, keine Schrift- und Illustrationsgeschichte und keine Bibliotheksgeschichte mehr gibt. Das ist schon schade. Aber den Vorteil sehe ich darin, dass das Studium nun strukturierter ist, als es der Magister war. Es sind insgesamt vielleicht 5 % der Magisterstudierenden gewesen, die die Freiheiten in der Wahl der Inhalte wirklich genutzt haben, um sich zu profilieren. Es hat aber viele auch hilflos gemacht. Insofern denke ich, dass das neue System ein besseres System ist.

TR: Es gab Anfang der 2000er erneut eine Diskussion um eine mögliche Schließung des Instituts. In welche Richtung hat sich das Institut dadurch verändert?

GP: Die Aufgabe der Universität war es, zu sparen. Es gab daher großen Druck von außen und dann haben alle geschaut: Auf was könnten wir denn verzichten?. Und da ist bei so einem kleinen Institut mit bloß drei Professoren, die man woanders unterbringen muss, natürlich weniger Widerstand zu erwarten, als bei einem großen Institut. Eines ist auf jeden Fall passiert: Es gab einen Politisierungsprozess. Die Studierenden waren damals so interessiert und engagiert. Bis heute ist es wichtig zu sagen: Ohne diese engagierten Studierenden wäre das Institut damals geschlossen worden. Die haben wirklich viel organisiert, waren im Fernsehen, in der Zeitung, zusammen mit anderen Protestierenden natürlich. Es gab ja an der ganzen Universität eine große Unruhe. Eine wichtige Frage war: Warum brauchen wir die Bibliothekswissenschaft? Was ist das und warum braucht die Universität, die Bundesrepublik das? Es gab bei den Studierenden natürlich auch Unterschiede. Es gab welche, die sagten: Wir müssen das hier jetzt inhaltlich begründen und andere haben gesagt: Mensch, hört doch mal auf. Ich will einfach nur meinen Abschluss hier haben. Diese Konflikte wurden unter den Studierenden ausgetragen, aber die Fachschaft hat sich formiert. Ich war immer dafür, dass Studierende sich engagieren sollen, dass sie auch ihre Gremienmöglichkeiten wahrnehmen sollen. Insofern habe ich da auch gerne mitgemacht und habe eine öffentliche Vorlesung am S-Bahnhof Friedrichstraße gehalten [lacht] oder mich in den Gremien eingebracht, in denen ich war. Ich glaube, das war schon ein sehr wichtiger Prozess. Mit der Berufung von Professor Seadle hieß es: Wenn das Institut weiter besteht, dann muss es sich reformieren und dann muss es auch neue Personen geben und das ist dann auch geschehen. Die Studierenden haben da den größten Elan gezeigt.

TR: Sie sagten, das Institut musste sich reformieren. Was folgte war dann eine eher technische Ausrichtung des Instituts. Können Sie darauf etwas näher eingehen?

GP: Technisch ja, aber ich glaube auch sehr anwendungsbezogen. Das ist aber vermutlich dem Hintergrund geschuldet, dass wenn man der Gesellschaft sagen will Ihr braucht uns, dann will man auch Praxisbereiche aufzeigen. Die Absolventen müssen mit den Kenntnissen, die sie hier erworben haben, nicht in die Bibliothek, sie können auch in viele andere Bereiche gehen. Es ist, glaube ich, eine praxisnahe Ausrichtung dabei herausgekommen.

TR: Der Studiengang wurde auch umbenannt in Bibliotheks- UND Informationswissenschaft. Bei Informationswissenschaft denke ich zuerst an das Internet. Können Sie den Zeitpunkt nennen, an dem sich das Internet bei den Lehrinhalten am Institut etabliert hat?

GP: Den genauen Zeitpunkt kann ich Ihnen nicht sagen. Wir hatten schon Ende der 1980er Jahre in der DDR die ersten Computerkurse und PCs. Ich denke, angekommen ist das Internet dann auf jeden Fall so Mitte/Ende der 1990er Jahre und zwar als Gegenstand. Da konnte sich mein alter Kollege Herr Michael Heinz sehr viel einbringen und wir haben das dann angewendet. Wir haben damals ein gemeinsames Fernstudium mit Koblenz-Landau eingeführt. Die haben also Bibliothekswissenschaft dort als Zweitfach im Magister angeboten und wir haben die Kurse angeboten. Wir saßen hier vor Videokameras und es gab auch einen Prozess von handgeschriebenen Notizen hin zu Word-Dokumenten, die dann auch in die Onlinekurse eingeflossen sind.

TR: Da sprechen Sie schon die Veränderung der Lehrmaterialien an. Inwiefern hat sich denn das Lernen und Lehren am IBI zwischen Ihrer eigenen Studienzeit im Vergleich zu heute verändert?

GP: Zu meiner Zeit als Studentin gab es noch die klassische Vorlesung. Da hat einer gelesen und wir haben mitgeschrieben und haben auch gelesen oder auch nicht, haben exzerpiert, alles natürlich mit der Hand und haben uns dann für die Prüfung vorbereitet. Heute packt man als Dozentin oder Dozent das Material in einen Moodle-Kurs, das ist natürlich komfortabel. Für die Dozentinnen und Dozenten macht es Arbeit, aber man kann den Studierenden sagen: Es ist alles da, ihr könnt alles noch einmal angucken. Also natürlich nicht alles, ich habe nicht das volle Material reingestellt, aber doch genug. Wer nicht da war und auch wer da war, konnte anhand der eingestellten Materialien durchaus verfolgen, was Schwerpunkt war, was behandelt wurde und wo man sich weiterklicken kann. Das halte ich für einen Vorteil, das muss ich schon sagen. Dazu noch die Möglichkeit der Kommunikation über Email oder andere Wege. Dass sowohl die Studierenden sich niedrigschwellig an die Dozentinnen und Dozenten wenden können und dass diese unabhängig von Sprechzeiten antworten können, das finde ich gut.

TR: Eine letzte Frage noch zu den Veränderungen. Haben Sie eine Veränderung bei den Studierenden gespürt? Man sagt ja, beim Bachelorstudium hat man mehr Stress und viele Studierende müssen neben dem Studium arbeiten gehen. War das früher auch schon so?

GP: Zu meiner Studienzeit hat in der DDR jeder Studierende ein Stipendium bekommen. Das war niedrig, aber die Lebenshaltungskosten waren ja auch niedrig. Also war der Stress nicht so groß. Ich habe während des Studiums immer mal wieder gearbeitet, aber das war mehr, um sich noch etwas kaufen zu können. Ich hatte eine kleine Studentenwohnung, die Miete waren 23 Mark [lacht] und es gab ein Leistungsstipendium, was noch zum Grundstipendium hinzukam. Das waren 80 Mark, also damit hätte ich dreimal meine Miete bezahlen können. Insofern kam das Arbeiten müssen erst nach der Wende, aber dann auch sehr massiv. Ich war später Studienfachberaterin und da waren es bestimmt 70 bis 80 % der Studierenden, die arbeiten gehen mussten. Das verursacht schon Stress und das muss man tolerieren. Ich denke da haben wir auch im Institut und im Prüfungsausschuss immer Möglichkeiten gefunden, um die Studierenden zu unterstützen, beispielsweise durch eine Stückelung des Praktikums. Familiäre Belastung gab es bei DDR-Studierenden auch, da haben ja sehr viele während des Studiums Kinder bekommen. Da wurden dann Sonderstudienpläne gemacht und Patenschaften organisiert. Die meisten haben dadurch die Regelstudienzeit trotzdem einhalten können.

TR: Noch eine abschließende Frage: Im Winter feiern wir 90 Jahre IBI. Was wünschen Sie dem Institut zum 90. Geburtstag?

GP: Auf jeden Fall wünsche ich dem IBI, dass es weiter als akzeptierter, sichtbarer Teil der Universität existiert. Ich wünsche mir, dass immer wieder auch innovative Prozesse stattfinden. Dass durch neue Leute, durch neue Fragestellungen, durch neue Projekte und durch Kooperationen immer wieder auch etwas bewegt und neu erforscht wird und neu in die Ausbildungsinhalte kommt. Darüber hinaus wünsche ich dem Institut, dass ein gutes Klima herrscht, eine Kollegialität unter den Kolleginnen und Kollegen und eine Solidarität mit den Studierenden, so dass dieses offene und studierendenfreundliche Niveau erhalten bleibt. Und dann wünsche ich dem IBI natürlich auch, dass immer ausreichend personelle und materielle Ausstattung da ist [lacht]. Es wäre schöner, es gäbe mehr Stellen, so dass sich die Arbeit mehr verteilt. Ein besserer Zustand der Räumlichkeiten wäre auch gut. In meinem ganzen Berufsleben habe ich immer wieder Umzüge und Bauarbeiten erlebt [lacht].

TR: Frau Dr. Pannier, vielen Dank für das Interview.

GP: Ich danke Ihnen, es war sehr interessant das noch einmal zu spiegeln.


Dr. Gertrud Pannier war bis 2015 langjährig akademische Mitarbeiterin am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (IBI) bzw. seiner Vorgängerinstitutionen. Ihr Lehr- und Forschungsinteresse galt insbesondere der Bibliographie.

Thomas Roesnick studiert aktuell im sechsten Bachelorsemester „Bibliotheks- und Informationswissenschaft“ am Institut. Momentan schreibt er an seiner Bachelorarbeit und würde danach gerne an der Humboldt-Universität den Master in „Deutsche Literatur“ belegen.

Miriam Brauer studiert aktuell im vierten Bachelorsemester Bibliotheks- und Informationswissenschaft am Institut. Zudem ist sie als studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Information Processing and Analytics tätig.

Andreas Erbe studiert derzeit im 3. Bachelorsemester Bibliotheks- und Informationswissenschaft am Institut. Vor seinem Studium absolvierte er erfolgreich eine Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste in der Fachrichtung Bibliothek und ist seit dem an der Staatsbibliothek zu Berlin tätig. Den damit eingeschlagenen Berufsweg möchte er auch nach seinem Studienabschluss weiter fortsetzten.