Ein gescheiterter Fachartikel
Als ich den Call for Papers für die LIBREAS1-Ausgabe #29 Bibliographien
zur Kenntnis nahm, war sofort klar: ich muss unbedingt etwas zu einem Thema einreichen, das mir schon länger auf den Nägeln brennt. Wie Wikipedia2, deren Aufstieg ich vor rund zehn Jahren intensiv mit Vorträgen, Publikationen und nicht zuletzt mit aktiver Teilnahme begleitete, geht es wieder um ein Projekt der Wikimedia Foundation3, und zwar um Wikidata4. Wieder habe ich das Gefühl, dass hier eine Entwicklung stattfindet, die eine der Kernaufgabe von Bibliotheken tangiert, aber in ihrer Tragweite von der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen5 Fachcommunity noch nicht so richtig wahrgenommen wird. Wieder versuche ich zum Thema zu publizieren und nehme an der Entwicklung regen Anteil. Im Gegensatz zu vor zehn Jahren ist mein Anteil am Wikidata-Projekt jedoch durch berufliche und familiäre Verpflichtungen beschränkt und vielleicht fehlt mir auch etwas die naive Unverfrorenheit, die so hilfreich ist, um andere für ein Projekt wie Wikipedia oder Wikidata zu begeistern.
Inzwischen habe ich den mittlerweile dritten Entwurf eines Fachartikels6 mit dem Titel Wikidata als Universalbibliographie
abgebrochen, während die Ideen, Notizen und offene Browsertabs zum Thema immer mehr werden. Falls jemand mit dem Gedanken einer Masterarbeit, Promotion oder eines Forschungsprojektes zum Thema spielt, möge sie oder er sich bitte bei mir melden. Ein Grundproblem besteht in der Geschwindigkeit, mit der sich Wikidata im Allgemeinen und die Sammlung von bibliographischen Daten in/mit Wikidata im Speziellen entwickelt.
Wikidata als Universalbibliographie
Um es kurz zu machen, möchte ich an dieser Stelle nur meine Einschätzung abgeben: Wikidata hat das Potential für Bibliographien vergleichbares zu leisten wie Wikipedia für allgemeine Nachschlagewerke. Mit allen Vor- und Nachteilen.78 Insbesondere ist seit Paul Otlets Répertoire bibliographique universel9 das Ziel einer wirklichen Universalbibliographie erstmals wieder in greifbare Nähe gerückt.10 Diese Einschätzung basiert nicht nur auf meiner allgemeinen Erfahrung mit Wikipedia, Wikidata, Social Cataloging, bibliographischen Datenformaten und Datenbanken et cetera, sondern kann auch durch einige Indizien belegt werden:
- Dank ihres flexiblen Datenmodells lassen sich bereits jetzt bibliographische Daten in Wikidata eintragen. Zur Koordinierung gibt es verschiedene Projekte innerhalb von Wikidata (WikiProject Books11, WikiProject Periodicals12, WikiProject Source MetaData13, …). Wie in Wikipedia gibt es allerdings keine zentrale Koordination, so dass von verschiedener Seite bibliographische Angaben in Wikidata einfließen.14
Während beim Social Cataloging herkömmlicherweise jedeR NutzerIn eine eigene Bibliographie pflegt (
bag-model
) arbeiten in Wikidata alle gemeinsam an einem Datenbestand (set-model
), ähnlich wie bei einem Verbundkatalog.Verglichen mit bibliothekarischer Verbundkatalogisierung ist die Hürde Fehler zu beseitigen oder Ergänzungen vorzunehmen in Wikidata allerdings ungleich niedriger. Während die Mittel von Bibliotheken eher begrenzt sind, ist bei Wikidata von einer weiter wachsenden Zahl von Beitragenden auszugehen.
Die umfangreiche Verfügbarkeit der Inhalte von Wikidata über verschiedene Schnittstellen ermöglicht es, qualifizierte Aussagen über die Datenqualität zu treffen und diese so kontrolliert zu verbessern.
Als universelle Datenbank ist Wikidata nicht auf bibliographische Daten beschränkt. Das Prinzip der Verknüpfung mit Normdaten15 lässt sich so auf die Spitze treiben und ermöglicht bibliometrische und weitere Auswertungen, die mit anderen Katalogen nur schwer möglich sind.
Wikidata ist weder kommerziellen noch politischen Interessen unterworfen, die die Entwicklung von (Universal)bibliographien in anderen Bereichen behindern.
Die Verwendung von Wikidata für die Wissenschaft wird auch in anderen Bereichen vorangetrieben. Der Antrag zum EU-Projekt Wikidata for Research (Wiki4R) gibt einen guten Überblick über die zu erwartende Entwicklung (Mietchen u. a., 2015).
Ende Mai findet in Berlin die WikiCite-Tagung16 mit 50 ExpertInnen statt, um einen konkreten Plan für die Umsetzung der Migration aller Quellenangaben aus Wikipedia nach Wikidata festzulegen.
Es kann also davon ausgegangen werden, dass alle, die sich mit der Sammlung bibliographischer Daten beschäftigen, mit Wikidata in interessanten Zeiten leben
17 werden.
Literaturangaben
Hartmann, F. (2015). Paul Otlets Hypermedium. Dokumentation als Gegenidee zur Bibliothek. LIBREAS. Library Ideas. URL: http://libreas.eu/ausgabe28/04hartmann/.
Mietchen, D., Hagedorn, G., Willighagen, E., Rico, M., Gómez-Pérez, A., Aibar, E., Rafes, K., Germain, C., Dunning, A., Pintscher, L., & Kinzler, D. (2015). Enabling Open Science: Wikidata for Research (Wiki4R). Research Ideas and Outcomes 1, e7573. http://doi.org/10.3897/rio.1.e7573.
Voß, J., Bausch, S., Schmitt, J., Bogner, J., Berkelmann, V., Ludemann, F., Löffel, O., Kitroschat, J., Bartoshevska, M., & Seljuzki, K. Normdaten in Wikidata. lulu.com. URL: https://hshdb.github.io/normdaten-in-wikidata/.
Willighagen, E. (2016). Migrating pKa data from DrugMet to Wikidata. chem-bla-ics. URL: http://chem-bla-ics.blogspot.de/2016/03/migrating-pka-data-from-drugmet-to.html.
http://www.wikidata.org/entity/Q1798120 Die Hyperlinks im Text verweisen auf entsprechende Wikidata-Items oder -Projektseiten.↩
Diese Vor- und Nachteile wären unter Anderem Gegenstand einer genaueren Untersuchung der tatsächlichen und prognostizierten Rolle von Wikidata für Bibliographien.↩
Für den Bereich der Normdaten ist Wikidata übrigens von ähnlicher Bedeutung, dies ist aber ein anderes Thema (vgl. Voß u. a.).↩
Siehe Hartmann (2015) für eine Auseinandersetzung mit Otlets Projekt in LIBREAS, aus der bereits der Datenbank-Charakter dieser Universalbibliographie hervorgeht.↩
https://www.wikidata.org/wiki/Wikidata:WikiProject_Periodicals↩
https://www.wikidata.org/wiki/Wikidata:WikiProject_Source_MetaData↩
Ein einfaches Beispiel ist die von Willighagen (2016) beschriebene Migration seiner Datenbank zu Wikidata: Zwischen 2010 und 2016 sammelten Egon Willighagen und Samuel Lampa die Säurekonstante (pKa) verschiedener chemischer Substanzen in einer Datenbank. Jeder Eintrag besteht aus dem International Chemical Identifier (InChI), einem Messwert und einer Fachpublikation in welcher der Messwert publiziert wurde. In Wikidata würden im Rahmen des Umzugs der Datenbank nach Wikidata für alle Fachpublikationen einzelne Wikidata-Einträge angelegt.↩
Jakob Voß arbeitet im Bereich Forschung und Entwicklung an der Verbundzentrale des GBV (VZG).