Die natürliche Sprache wird sich in einer Sprachwelt, die von Interaktionen mit sprachverarbeitenden Systemen wie den Diensten von Google geprägt ist, verändern. Diese Idee eines durch digitales Kommunizieren eintretenden Wandels im Sprachgebrauch allein dürfte nicht sonderlich überraschen. Es überrascht vielleicht eher, wie wenig bewusst wir in der Regel damit und den Bedingungen dieses möglichen Wandels umgehen. Andererseits gibt es selbstverständlich Akteure, die in diesem Zusammenhang sehr elaboriert agieren und wenig überraschend unter diesen auch genau diejenigen, die unser Texthandeln im Digitalen als Basis ihrer Geschäftsidee verwenden.
Der Digital Humanist Frederic Kaplan reflektiert in einem aktuellen Aufsatz (Kaplan, 2014) darüber und über die möglichen Auswirkungen algorithmenbasierter Sprachvermittlung und -gestaltung. Er plädiert für eine intensivere Auseinandersetzung mit solchen Veränderungsprozessen. Dabei verhandelt er zwei miteinander verwobene Phänomene. Das erste betrifft die digitale Verwandlung von Wörtern beziehungsweise Wortketten in eine Warenform, wie sie den Kern von Googles Geschäftsmodell in einer global linguistic economy
darstellt. Eine klassische Bezeichnung dafür ist: Kommodifizierung. Der Preis für die neben (oder in) Suchergebnissen platzierten Anzeigen wird dynamisch berechnet und versteigert. Bestimmte entweder sehr zweckklare oder eben sehr populäre Zeichenketten (Blumen
, Automobile kaufen
, Miley Cyrus
) sind in diesem Zusammenhang erwartungsgemäß teurer und somit möglicherweise für den so genannten linguistischen Kapitalismus
(linguistic capitalism) wertvoller. Anders als bei klassischer Werbung steht bei diesem weniger die Aufmerksamkeitsökonomie im Zentrum, sondern etwas, das man als Ausdrucks- oder Äußerungsökonomie bezeichnen kann (economy of expression).
Generell gilt: Anything that can be named can be associated with a bid.
(Kaplan, S. 59) Umso entscheidender ist es für die Anbieter solcher Auktionen, die naheliegend das Ziel einer umfassenden Kommodifizierung von Sprache verfolgen, ein hohes Verständnis von Sprache und Sprachgebrauch zu entwickeln und am besten bei Bedarf auch steuernd eingreifen zu können. Das Verständnis entsteht bei Google traditionell hauptsächlich aus der statistischen Erfassung und Analyse von textuellem Handeln beziehungsweise Verhalten und zwar in möglichst vielen Zusammenhängen (=Kon-Texten) und von möglichst vielen Akteuren. Auf dieser Basis werden die linguistischen Beziehungen ermittelt, die nach ihrer Häufigkeit unter anderem bei der Autovervollständigung im Eingabefenster bei Google oder dem Angebot von alternativen Zeichenketten bei der Ergebnisdarstellung als zusätzlicher Dienst erscheinen. An dieser Stelle ist dann auch prinzipiell ein gezielt lenkender Eingriff in das Sprachverhalten denkbar. Kaplan schreibt:
It transforms linguistic material without value (not much bidding on misspelled words) into a potentially profitable economic resource. When Google automatically extends a sentence you have started to type, it does more than save your time, it transforms your expression into one that is statistically more regular based on the linguistic data it daily gathers. Even if Google’s autocompletion may not be explicitly biased toward more economically valuable expressions, it nevertheless tends to transform natural language into more regular, economically exploitable linguistic subsets. (S. 59f.)
Anhand des durch die Indexierung von Webseiten, Büchern, Metadaten und konkreten textuellen Mensch-Maschine-Interaktionen entstandenen Korpus verfügt Google über ein enormes statistisches Wissen zu Relationen zwischen Zeichenketten. Außerdem – was Kaplan nicht erwähnt – bei entsprechend nachvollziehbaren Profilen auf der Basis von Gmail oder Google+ auch über Relationen zwischen dem Zeichen- und Sprachgebrauch bestimmter und bestimmbarer Akteure, die wiederum als soziales Netzwerk erfasst und über Metadaten kategorisiert werden können. Die Grunderkenntnis bestätigt sich auch hier: Der digitale Kapitalismus ist elementar semiotisch.
In der Wirkung reicht er jedoch weit über den Bereich des Sprachlichen hinaus. Wenn Kaplan die Frage stellt, wie gerade in der Wechselwirkung von originär menschlichem Input (primary resources) und algorithmisch erzeugten beziehungsweise modifizierten Texten (secondary resources) bestimmte Sprachverzerrungen und -veränderungen entstehen, betrachtet er freilich nur einen Ausschnitt aus der Bandbreite möglicher Konsequenzen. Möglicherweise sind nämlich die simplen adaptiven Verfahren der Autovervollständigung, die eventuell unseren Sprachgebrauch beeinflussen genauso wenig wie eine damit einhergehende denkbare Kreolisierung
der Sprache die am dringlichsten zu analysierenden Auswirkungen des derzeitigen Quasimonopols, das Google auf dem digitalen multilingual lingustic market
innehat.
So interessant sich das Konzept des linguistic capitalism
präsentiert, so sehr vernachlässigt es in der Darstellung bei Kaplan die Spannweite der Effekte der digitalen Kodifizierung der menschlichen Lebenswelt.
Eine aktuelle Declaration on Digital Capitalism
der International Necronautical Society
(einem Projekt des Schriftstellers Tom McCarthy und des Philosophen Simon Critchley) rotiert das Phänomen in einer leider etwas aufgesetzten Art in einem weiter fassenden Radius, wenn es in ihr, in Rückgriff auf Michel De Certeaus Vor-Internet-Buch The Practice of Everyday Life
(1980/1984) heißt:
We inhabit a world of endless and inescapable codings and notations, a world whose central currency is legibility. The exercise of power is a
scriptural enterprise.Citizen agents, whom he [de Certeau] dubs consumers rather than individuals, orchestrate small parole acts through the language of capitalist culture, whose matrix of legibility conspires to capture and decode even the most idiosyncratic. What might escape this matrix? Nothing, not even bodies, since all bodies are already seized hold of and written, transformed into code. (McCarthy, Critchley, 2014, S. 259)
Die Leitidee des digitalen (Sprach-)Kapitalismus ist demzufolge naheliegend die Auflösung von allen dafür tauglichen Phänomenen in maschinell verarbeitbare Zeichen und deren Prozessierung durch bestimmte Algorithmen. Das Ziel dabei ist, wie bei jedem Marktgeschehen, die möglichst weitreichende Kontrolle dessen, was möglich wird und damit verbunden die Reduzierung von Unsicherheit. Was in den 1980ern und vielleicht schon eher Idee und Ansatz war (man denke an die Konzepte des so genannten Wissensmanagements), ist heute sehr weitreichend technisch umsetzbar. Die digitale Kodifizierung ermöglicht so die Kommodifizierung von Sinneinheiten beziehungsweise Informationsobjekten, die sich der Verwandlung in marktförmige Produkte zuvor entzogen. Grundlage dieser Ökonomie ist immer die Kombination aus eindeutiger Benennbar- und Lesbarkeit (legibility) des Bezugscodes und die statistische Erfassung von Relationen zwischen digitalen Objekten, zum Beispiel kategorisiert und vernetzt in der Dreiheit Akteur, Handlung, Ereignis.
Google ist in dieser Totalisierung der digitalen Kontrolle und Governance bei weitem nicht der einzige Akteur. Aber dadurch, dass es Google sehr früh gelang diese im Nachgang fast bestürzend einfachen Grundideen der Verknüpfung von Objekt- und Zeichenrelationen in eine massentaugliche und damit auch vermarktbare Dienstleistung zu verwandeln, ist es bis heute der zentrale Türhüter und damit wahrscheinlich das zentrale Machtzentrum der an dieser Stelle erstaunlich wettbewerbsarmen digitalen Ökonomie.
Frederic Kaplan (2014) Linguistic Capitalism and Algorithmic Mediation. In: Representations, Vol. 127, No. 1 (Summer 2014), S. 57-63. URL: http://www.jstor.org/stable/10.1525/rep.2014.127.1.57
Thomas McCarthy, Simon Critchley (2014) Declaration on Digital Capitalism. In: Artforum International. October 2014, S. 254-259
Überarbeitete Fassung eines Beitrags im LIBREAS-Tumblr:
http://libreas.tumblr.com/post/99407407976/linguistic-capitalism