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Die Frau im Bibliothekskatalog


Zitiervorschlag
Karin Aleksander, "Die Frau im Bibliothekskatalog. ". LIBREAS. Library Ideas, 25 ().


Es gibt sie noch, die alten Band- oder Sachkataloge. In vielen Bibliotheken stehen sie wie Denkmäler. Als Relikte einer vergangenen Zeit bezeugen sie die gebundene (!) Vielfalt und die alphabetische oder inhaltliche Ordnung der zugänglichen Informationen. Schon viele dieser Informationen sind in die aktuellen Online-Kataloge der Bibliotheken eingegangenen und stehen mit neuen technischen Mitteln zur Verfügung. Unter der neuen Oberfläche aber stecken die alten Schemata der Ordnung und Klassifikation. Mit den neuen technischen Möglichkeiten ist sogar sichtbarer, wo Klassifikationen und Schlagwörter alten, überholten Ordnungskriterien folgen. Schließlich muss ich nicht von einem Katalogkasten zum anderen laufen, mir nicht alles umständlich notieren  oder viele Bände nacheinander wälzen. Heute kann ich von einem Begriff zum anderen klicken, bekomme sogar alle Verweisungen und die vorhandene Literatur dazu angezeigt. Allerdings muss ich (wie immer) wissen, was ich suche. 

Ich möchte mit diesem Beitrag am Beispiel der Schlagworte Frau und Mann darauf aufmerksam machen, ob und in welcher Ordnung diese Schlagworte im Katalog verwendet werden. Er soll zudem ein Beitrag zur Diskussion sein, wie Kataloge in Zukunft besser ihr Potential offerieren, indem die Schlagworte als intellektueller Mehrwert mehr beachtet werden.

Bibliothekskataloge existieren nicht ohne Ordnung – oder sie sind unbrauchbar. Die Ordnung folgt dem Zweck, die eingegebenen Informationen bei einer Suche auch wiederfinden zu können. In diesem Sinne ist der Katalog ein Hilfsmittel – für die, die ihn schaffen wie für die, die ihn nutzen.

Die heute in Bibliothekskatalogen verwendeten Schlagwörter werden seit 2012 in der Gemeinsamen Normdatei GND geführt, in der die früher unabhängig voneinander geführten Normdateien wie die Schlagwortnormdatei (SWD), Personennamendatei, Gemeinsame Körperschaftsdatei und die Einheitssachtitel-Datei des Deutschen Musikarchivs zusammengeführt worden sind; eine separat geführte SWD gibt es nicht mehr.1 Für die Recherchen zu den Beispielen in diesem Artikel nutzte ich die GND im OPAC der Deutschen Nationalbibliothek2 und die Online-GND (OGND) auf dem Server des Bibliotheksservice- Zentrums Baden-Württemberg.3 Den Wechsel des Bezugssystems werde ich jeweils angeben.

In der realen Welt begegnen uns Frau und Mann als zwei, der weitaus umfangreicheren Varianz von geschlechtlichen Ausprägungen des Menschen. Die Verschiedenartigkeit von Frau und Mann nehmen wir meist als dichotome Zergliederung wahr. Die jahrtausendealte Entwicklung der Menschen hat dazu geführt, dass wir diese Zweigeschlechtlichkeit nicht nur als Non-Plus-Ultra, sondern auch noch als Wertesystem verstehen. Ebenso funktionieren die Dichotomien von Natur/Kultur, Geist/Stoff, Subjekt/Objekt etc. Innerhalb dieser dichotomen Denkweise ist der Mann bekanntlich der Mensch und die Frau ihm unterlegen/untergeordnet. Daraus ergeben sich weitere Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die Jakob Grimm im 19. Jahrhundert auch erstmals für die Sprache, genauer das Geschlecht der Wörter, angewandt hat.

Die aktuellere Geschichte zeigt, dass es schon früher Versuche gab, Klassifikationen und Normdateien geschlechtergerecht zu formulieren. So scheiterte z.B. 1991/92 die von Dagmar Jank ins Leben gerufene Diskussion um die Überprüfung der Regeln für den Schlagwortkatalog und die Schlagwortnormdatei unter dem Aspekt der Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Sprache.4 Von ihren damals kritisierten Beispielen sind die meisten auch heute nach über 20 Jahren kritikwürdig. Auf einige ihrer konkreten Beispiele (wie Arbeitslosigkeit, Gleichstellungsbeauftragte, misshandelter Mann u.a.) werde ich noch genauer eingehen. Der Begriff Mädchenhandel, der jetzt neben Frau / Menschenhandel ein Synonym für den Sachbegriff Frauenhandel ist und dem Oberbegriff Menschenhandel zugeordnet ist, wurde verändert. Z.B. beanstandete Jank, dass Misshandlung nur im Zusammenhang mit Frauen, Kindern und Alten existiert und der Aspekt, welche Person misshandelt hat, keine Rolle spielt. Der Tataspekt ist bis heute nicht abgebildet, aber inzwischen gibt es den Sachbegriff Misshandelter Mann. Interessant wäre hier zu erfahren, von wem, warum und wann diese Änderungen erfolgten. Dieser Prozess ist m.E. intransparent. Zwar können individuell per Formular Korrekturanfragen an die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) gestellt werden, aber als Antwort erhielt ich den Verweis auf bestehende Regeln. 

Einige dieser festgelegten Regeln erscheinen mir unter den hier verhandelten Aspekten mehr als veränderungswürdig:

  1. Für alle Sachgebiete außer Chemie und Medizin haben die Allgemeinnachschlagewerke Vorrang vor den Fachnachschlagewerken.5

Warum sind laut Regeln primär Allgemeinenzyklopädien den Fachlexika vorzuziehen?

Ein Grund dafür könnte sein, dass sich wissenschaftliche Thesen in allgemeinen Nachschlagewerken gewissermaßen gesetzt haben, sie als Erkenntnisse und nicht als Hypothesen verhandelt werden.

Vergleichen wir unter diesem Aspekt zwei wissenschaftliche Begriffe etwas genauer: Higgs-Teilchen und Geschlechterverhältnis. Für beide Begriffe werden in der GND Fachlexika herangezogen. Der erste Begriff wird in der Physik verwendet, speziell in der Elementarteilchenphysik. Die Higgs-Bosonen wurden Ende der 1960er Jahre hypothetisch formuliert und im Juli 2012 in einem ersten Experiment nachgewiesen.

Dieser Begriff ist ein Sachbegriff in der GND, angegeben mit der Quelle Fachlexikon ABC Physik (Leipzig 1986) und mit 65 Publikationen (92 bei Titelrecherche).

Der Begriff Geschlechterverhältnis wird seit den frühen 1980er Jahren (Frigga Haug), verstärkt seit den 1990er Jahren in der BRD-Frauenforschung verwendet, die damals noch nicht Geschlechterforschung genannt wurde.6 Der Begriff existiert nicht als Sachbegriff in der GND. Er taucht als Synonym unter dem Sachbegriff Geschlechtsverhältnis auf. Das ist ein spezieller Begriff, der in der Demografie oder auch Biologie die Anteile von Frauen bzw. Männern in einer Population angibt. Als hierarchisch untergeordnete Sachbegriffe tauchen hier Frauenmangel und Frauenüberschuss auf. Männeranteile werden nicht spezifiziert, obwohl z.B. die Suche nach Männermangel drei Titel liefert, gegenüber nur einem beim Wort Frauenmangel.

Frauenüberschuss liefert 8 Ergebnisse, Männerüberschuss keinen Treffer.

Geschlechterverhältnis taucht ebenso als Synonym zum Sachbegriff Geschlechterbeziehung auf, der in der GND mit einer Quelle aus dem Lexikon Psychologie (Heidelberg: Spektrum) ohne Jahresangabe identifiziert wird. In der Online-Version dieses Wörterbuches gibt es aber ebenso den gesuchten Begriff Geschlechterverhältnisse7, sogar in der Pluralform, die der Herkunft des Begriffs aus der US-Frauenforschung (gender relations) näher kommt. Dieser systemische Begriff ist klar gegen den unspezifischen Begriff Geschlechterbeziehung abgegrenzt8 und wurde zu einem zentralen Begriff in der Geschlechterforschung. In der DNB bringt die Suche nach Geschlechterverhältnis 1.305 Ergebnisse, nach der Pluralform 428.

Das sind im Vergleich zu Higgs-Teilchen deutlich mehr Ergebnisse, die bisher nicht mit einem gesonderten Schlagwort aufzufinden sind. Im Lexikon zur Soziologie von Werner Fuchs-Heinritz, das in der Liste der fachlichen Nachschlagewerke für die GND zitiert wird, steht der Begriff z.B. bereits in der 3., völlig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage (Opladen 1994)9. Warum ist dann Geschlechterverhältnisse noch kein Sachbegriff?

  1. Eine weitere Regel besagt: Die weibliche Form wird verwendet, wenn weibliche Personengruppen Gegenstand sind; männliche und weibliche Form dürfen zur Bezeichnung desselben Gegenstandes nur verwendet werden, wenn es sich um einen Vergleich handelt …

Werden also in einem Titel nur Männer als Musiker beschrieben, wird das Schlagwort Musiker vergeben.

Werden nur Frauen als Ingenieurinnen analysiert, folgt der Sachbegriff Ingenieurin.

Geht es um Gelehrte an der Universität Innsbruck, von denen 10 Männer und zwei Frauen sind, wovon schon die Fotos auf dem Buchumschlag künden, wird das Schlagwort Gelehrter angesetzt.10 Als Antwort auf meine Korrekturanfrage erhielt ich von der DNB den Verweis auf die o.g. Regel. Der Begriff Gelehrter sei dabei geschlechtsunabhängig und die entsprechende Ansetzung der Schlagwörter im Hause so beschlossen. Das Schlagwort Weibliche Gelehrte sei seit 1994 nur 12 Mal vergeben worden. Bei den entsprechenden Veröffentlichungen handele es sich ausdrücklich um solche zu weiblichen Gelehrten als durchgängiges Thema.

Abgesehen davon, dass auch eine Porträtsammlung zur wissenschaftlichen Karriere von Frauen und Männern an einer Universität einen Vergleich dieser Karrieren impliziert, und damit auch das Schlagwort Weibliche Gelehrte rechtfertigen würde, war es nicht die Absicht dieses Werkes, weshalb die o.g. Regel gilt. Diese Regelanwendung und -auslegung widerspricht aber:

  1. dem Hauptzweck von Verschlagwortung, nämlich das im Werk Enthaltene wiederauffindbar zu machen. Die RSWK sind ein Regelwerk für die intellektuelle Beschlagwortung. Ausschlaggebend ist der Inhalt eines Werkes, nicht die Titelformulierung. Demnach müsste Gelehrter und Weibliche Gelehrte vergeben werden.11

  2. Diese Regel widerspricht dem Interesse von Suchenden, denn sie möchten so schnell, so effektiv und so viel wie mögliche konkrete Ergebnisse zu ihren Anfragen finden. Die zwei Wissenschaftlerinnen des erwähnten Buches wären aber nicht auf ihrer Ergebnisliste der 12 Titel.

  3. Folglich widerspricht diese Regel auch jeglicher Ökonomie. Warum wird das Buch verschlagwortet, ohne seinen Nutzwert, d.h. den Inhalt des Buches, voll anzugeben? Zwei gelehrte Frauen werden nicht erwähnt! Alle, die zum Thema Frauen an Universitäten forschen, sind gezwungen, alle Titel unter Gelehrter durchzuforsten; in diesem Fall wären das laut DNB 3.608 Titel! In dieser Menge stecken garantiert mehr Werke zu weiblichen Gelehrten als die 12 Titel!

Diese Beispiele zeigen, dass geschlechtergerechte Formulierungen in den Normdateien eine besondere Herausforderung, weil bisher nicht bearbeitetes Feld, in der übergeordneten Problematik von Kataloganreicherungen und verbesserter inhaltlicher Erschließung sind. Wenn nur ca. 30 bis 50% aller Titel überhaupt inhaltlich verschlagwortet werden, dann wird klar, wie viele Potenzen hier noch nicht ausgeschöpft sind.12

Auffallend an der Regel zur Verwendung weiblicher Formen für Schlagwörter in der GND ist, dass sie genau dem Prinzip des generischen Maskulinums folgt. Auch danach sind, wie Senta Trömel-Plötz schon 1980 schrieb 99 Lehrerinnen und ein Lehrer =100 Lehrer!13 Schlagworte sind eben Worte und unterliegen damit den Regeln von Rechtschreibung und Grammatik, aber auch dem real stattfindenden Sprachwandel. Da es sich im Beispiel Gelehrte vs. Weibliche Gelehrte um Berufsbezeichnungen handelt, müsste hier auch die Überlegung der Duden-Redaktion von 1998 beachtet werden. Danach sollten Berufsbezeichnungen besser dem Geschlecht der Personen entsprechend verwendet werden14, also Gelehrter und Weibliche Gelehrte.

Welches Bild von Frauen und Geschlechterverhältnissen steckt in der Struktur der GND mit all ihren Sachbegriffen, Oberbegriffen, thematischen Bezügen, hierarchischen Unterbegriffen?

Dazu hier nur drei ausgewählte Beispiele zur Diskussion:

  1. Die angesetzten Sachbegriffe sind quantitativ und qualitativ uneinheitlich in der Ansetzung.

Schon in der alten SWD standen quantitativ mehr Begriffe beim Sachbegriff Frau als bei Mann. Ob das schon allein beweist, dass der Mann gleich der Mensch ist, also das Allgemeine und die Frau das Abweichende, Untergeordnete, Spezielle und deshalb mehr Begriffe zur Beschreibung braucht, sei dahingestellt. Die bei den Sachbegriffen Frau und Mann verwendeten Unterbegriffe unterscheiden sich v.a. auch qualitativ. Außer Lebemann und Macho gab es bei Mann keine weiteren Begriffe mit negativen oder besonderen Konnotationen. Bei Frau verwiesen viele Unterbegriffe auf Aspekte von Behinderung/Versehrtheit (Blinde Frau, Taubstumme Frau, Weibliche Tote), auf Opferpositionen (Misshandelte Frau, Getrenntlebende Frau) oder auf negative Konnotationen wie Sünderin und Weibliche Radikale.15

Auch in der OGND fällt wieder die unterschiedliche Quantität auf: 265 Sachbegriffe unter Frau gegenüber 57 für Mann. Die Liste für Frau ist aufgebläht durch alle möglichen Länderzugehörigkeiten von Frauen, die bei Mann in der Liste der 57 fehlen, obwohl sie z.T. auch als Sachbegriffe in der OGND vorhanden sind. So findet sich von der Bosnierin über die Marokkanerin bis zur Zyprerin auch eine Keltin oder Kroatin, wobei es keinen Kelten und Kroaten gibt, weil hier die Regel angewandt werden muss, dass Bezeichnungen für Personen- und Ländergruppen im Plural anzusetzen sind. Deshalb gibt es eine Hugenottin, aber nur Hugenotten. Die männliche Pluralform steht also auch hier für die allgemeine Gruppe, unabhängig vom einzelnen Geschlecht.

  1. Es gibt Sachbegriffe, die nur für Männer bzw. nur für Frauen angewendet werden, obwohl sie für beide Geschlechter zutreffend formuliert werden müssten – und das einheitlich.

An den folgenden Beispielen zeigt sich, wie unterschwellig schon der unter 3. zu besprechende Aspekt enthalten ist, dass nämlich stereotype Geschlechtsrollenmodelle die unbewusste Basis der Ansetzungen bilden. Hier sollen deshalb Beispiele gezeigt werden, die auf einer mehr sichtbaren Ebene zeigen, dass der Mann das Allgemeine verkörpert und die Frau das Abgeleitete. Das zeigt sich v.a. daran, welchem Oberbegriff bzw. Synonymen oder thematischen Bezügen ein Sachbegriff zugewiesen wurde.

Zum Beispiel gibt es den Sachbegriff First Lady, definiert als Ehefrau von Staatschefs u. Ministerpräsidenten. Dementsprechend lauten die Synonyme Staatsoberhaupt / Ehefrau und Präsident / Ehefrau. Die männliche Entsprechung fehlt (noch).

Ähnlich gibt es Schönheitswettbewerb und Misswahl nur für Frauen, ohne männliche Entsprechungen. Zum Begriff Photomodell wird sowohl auf die verwandten Begriffe Mannequin als auch Dressman verwiesen; in der Online-GND auch unter dem Sachbegriff Model <Beruf>. Dort erscheinen zwei Titel zu Dressman. Gebe ich das Wort in die Suchmaske (als Stichwort) ein, erscheinen 99 Titel, von denen 97 über weibliche Models handeln und die zwei Titel zu Dressman.

Für den Sachbegriff Hose gibt es zahlreiche weitere Sachbegriffe wie Jeans und Knickerbocker und auch Damenhose, aber keine Herren- oder Männerhose. Die zu Hose zugeordneten Titel enthalten trotzdem Bezüge zu Damenhosen, Frauen in Hosen etc., weil zusätzlich zu Hose auch mit Frauenkleidung verschlagwortet wurde. Suche ich nach Frauenkleidung und Hose erhalte ich drei Titel. Bei der Suche nach Männerkleidung und Hose erhalte ich keinen Treffer; auch nicht bei Herrenkleidung. Bei Mann und Hose gibt es drei Ergebnisse, bei Frau und Hose 23, aber ohne den wichtigen Titel von Gundula Wolters, der bei Frauenkleidung und Hose erschien!

Die Beispiele zeigen, dass es Suchenden schwer gemacht wird, die richtigen Ergebnisse für ihre Suchen zu finden, weil die Titel uneinheitlich verschlagwortet werden.

Ebenso uneinheitlich ist die Geschlechterzuordnung beim Sachbegriff Arbeitslosigkeit. Auch hier gibt es Frauenarbeitslosigkeit aber keine Männerarbeitslosigkeit, dafür den Sachbegriff Arbeitsloser, mit den verwandten Sachbegriffen Arbeitslosigkeit und Arbeitslose Frau; Keine Arbeitslose oder Arbeitsloser Mann, dafür viele speziellere Begriffe.

Ein Beispiel für die Zuordnung zu einem allgemein als weiblich konnotierten Thema ist der Begriff Männliche Prostitution. Er wird dem allgemeinen Oberbegriff Prostitution untergeordnet. Als Synonym taucht hier die Verweisung Mann / Prostitution auf. Demgegenüber gibt es Weibliche Prostitution nur als Synonym unter Prostitution. Der Sachbegriff Prostitution selbst ist dem Oberbegriff Sozialverhalten zugeordnet und bringt keinen Bezug zu männlicher Prostitution:16

                PPN: 209073810
         GND-Nummer: 4047516-5     http://d-nb.info/gnd/4047516-5Link
                     zu diesem Datensatz in der GND
      Alte Norm-Nr.: 4047516-5 ( in der "swd" vor der GND-Migration)
  Frühere Ansetzung: in swd:|s|Prostitution
             Quelle: M
     GND-Systematik: 9.3d [Sozialisation, Sozialverhalten]
       DDC-Notation: 176.5 ; 306.74 ; 331.76130674 ; 338.4730674 ;
                     363.44 ; 364.1534
            Synonym: Gewerbliche Unzucht
                     Weibliche Prostitution
                     Sexarbeit
        Oberbegriff: Sexualverhalten [Oberbegriff allgemein]
 Thematischer Bezug: Bordell [Verwandter Begriff, allgemein]

Daneben gibt es Sachbegriffe wie Gleichstellungsbeauftragte als Synonym für Frauenbeauftragte weiterhin bisher nur für Frauen. Es scheint, als ob die Anforderungen des Gender Mainstreaming bisher v.a. in die Richtung gingen, fehlende Sachbegriffe für Frauen nachzuholen (z.B.: Weibliche Zwangsrekrutierte, …Drogenabhängige, …Vermisste, …Strafentlassene, Weibliches Publikum, … Parteimitglied etc.). Die hier jeweils verwendeten Substantive tauchen beim Schlagwort Mann gar nicht auf. Es gibt aber bereits den Sachbegriff Entbindungspfleger unter demselben Oberbegriff Medizinisches Personal wie Hebamme!

  1. Bei vielen Sachbegriffen basiert die Zuordnung auf unbewussten Geschlechterstereotypen, die dringend aufgelöst werden müssen.

Diese Unterordnung von Frauenaspekten unter Männerallgemeinheiten ist am schwersten zu durchschauen und deshalb auch nur mit wachsender Erkenntnis, Überzeugung und Voranschreiten der gesellschaftlichen Entwicklung zu verändern. Um diese geschlechterungerechten Zuordnungen zu erkennen, braucht es den geschlechtersensiblen Blick, von dem der Soziologe Pierre Bourdieu schrieb:

“Wenn es darum geht, die soziale Welt zu denken, kann man die Schwierigkeiten bzw. Risiken gar nicht hoch genug veranschlagen. Die Macht des Präkonstruierten liegt darin, daß es zugleich in die Dinge und in die Köpfe eingegangen ist und sich deshalb mit einer Scheinevidenz präsentiert, die unbemerkt durchgeht, weil sie selbstverständlich ist. Der Bruch ist eigentlich eine Konversion des Blicks, und vom Unterricht in soziologischer Forschung kann man sagen, daß er zuallererst lehren muß, mit anderen Augen zu sehen … Und das ist nicht möglich ohne eine echte Konversion, eine metanoia, eine mentale Revolution, einen Wandel der ganzen Sicht der sozialen Welt.

Was man den epistemologischen Bruch nennt, also die vorübergehende Außerkraftsetzung der gewöhnlichen Präkonstruktionen und der gewöhnlich bei der Realisierung dieser Konstruktionen angewandten Prinzipien, setzt oft einen Bruch mit den Denkweisen, Begriffen, Methoden voraus, die allen Anschein des common sense, der gewöhnlichen Alltags- und Wissenschaftsvernunft (also alles dessen, was die herrschende positivistische Disposition honoriert und anerkennt) für sich haben.“17

Ob wir wollen oder nicht, der Mann oder die Frau, welche die Analyse durchführen, sind selbst Teil des Objekts, das sie zu begreifen versuchen. Denn er oder sie hat in Gestalt unbewußter Schemata der Wahrnehmung und der Anerkennung die historisch sozialen Strukturen männlicher Herrschaft internalisiert. Unser erstes Gebot muß deshalb sein, eine praktische Strategie zu finden, die uns zur methodischen Objektivierung des Subjekts wissenschaftlicher Objektivierung befähigt: einen Kunstgriff zur Aufdeckung der Strukturen des archaischen Unbewußten, das wir unserer Ontogenese und Phylogenese als geschlechtliche Wesen verdanken und das dazu führt, daß wir an eben dem Phänomen teilhaben, das wir ergründen wollen.18

Ein Begriff dieser Kategorie ist z.B. Gleichstellungspolitik, der dem Oberbegriff Frauenpolitik zugeordnet ist und letzterer zu den verwandten Begriffen Frauenbewegung und Gleichberechtigung. Erst beim Begriff Gleichberechtigung gibt es mit den Synonymen Mann / Frau / Gleichberechtigung und Mann / Frau / Gleichstellung einen Bezug zu Männern. Die Gleichstellungspolitik ist der Frauenpolitik untergeordnet und diese wiederum dem Oberbegriff Sozialpolitik. Einen Sachbegriff Männerpolitik gibt es nicht, ebenso wenig Geschlechterpolitik!

An diesem Beispiel zeigt sich deutlich die alte Denkweise einer gesondert existierenden Frauenfrage, die mit Frauenpolitik gelöst werden muss.

Ein anderes Beispiel ist der Sachbegriff Misshandelter Mann, der nach der Kritik von Dagmar Jank damals noch gänzlich fehlte, der aber nach 2010 aufgenommen worden sein muss.19 Es existiert auch der Sachbegriff Misshandelte Frau, aber beide werden völlig unterschiedlichen Oberbegriffen zugeordnet:

Sachbegriff(OGND)

Oberbegriff

Misshandelter Mann

  • Mann 

  • Misshandlung

Misshandelte Frau

Frau

Warum fehlt bei Misshandelte Frau die Zuordnung zum Oberbegriff Misshandlung? Letzterer offeriert dann als hierarchisch untergeordnet.

Sachbegriffe:

Misshandelter Mann / Häusliche Gewalt / Altenmisshandlung / Kindesmisshandlung.

Was wird hier warum nicht zugeordnet?

Überhaupt ist die Suche nach Themen wie Gewalt gegen Frauen oder Männer sehr schwer, weil die Erläuterungen besagen: für Gewalt gegen Frauen bzw. Männer in allen Bereichen verknüpfe die Schlagwörter Gewalt und Mann bzw. Gewalt und Frau oder laut OGND Gewalt / Frau etc. Dieses Vorgehen ist unsystematisch. Es deckt v.a. nicht den Tataspekt auf. Bei Eingabe der entsprechenden Suchbegriffe tauchen sowohl bei Gewalt Mann als auch bei Gewalt Frau Titel zum Thema Gewalt gegen Frauen auf. Auch hier wird durch ein unkonkretes Schlagwort sehr viel Rechercheaufwand abgefordert, wenn konkret nach Gewalt gegen Frauen oder Gewalt gegen Männer gesucht wird.

Ähnliches Potential wird verschenkt, wenn ein Titel wie Rechtsextremismus und Gender mit den Schlagworten Rechtsradikalismus und Geschlechterforschung verschlagwortet wird. Was auf den ersten Blick positiv erscheint, weil der Begriff Geschlechterforschung vergeben wurde, ist auf den zweiten Blick unkonkret und geht weit über den Titel hinaus (was laut Regeln auch nicht statthaft ist). In dem Sammelband finden sich von 16 Titeln 8, die sich mit Rechtsextremismus und Männern beschäftigen und 7, die Frauen und Mädchen in diesem Feld untersuchen. Bei einer Recherche zu Rechtsradikalismus und Frau oder Mann, wird dieser Sammelband aber nicht angezeigt.

Zusammenfassung

Wenn über die Qualität von Katalogen diskutiert wird, sollte das Potential, das eine gendersensible Verschlagwortung bietet, genutzt werden. Dazu brauchen wir mehr Analysen, die Lücken, Fallen und Fehler in den bisherigen Systematiken und Klassifikationen auf der Grundlage der Ergebnisse der Geschlechterforschung aufzeigen. Die existierenden Frauen-, Lesben- und Genderbibliotheken im deutschsprachigen Dachverband i.d.a.20 haben dazu eine über Jahrzehnte ausgebildete Expertise angesammelt und sind bereit zur Kooperation.


  1. Vgl. Umlauf, Konrad: Einführung in die die Regeln für den Schlagwortkatalog RSWK : mit Übungen. Berlin: Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin 1999- Letzte Änderung: 03.04.2014 (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft. ; 66) http://www.ib.hu-berlin.de/~kumlau/handreichungen/h66/#gr (Zugriff 14.06.2014)

  2. https://portal.dnb.de

  3. swb.bsz-bw.de/DB=2.104/

  4. Jank, Dagmar: Die Nicht-Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Schlagwortnormdatei : ein Offener Brief. In: Bibliotheksdienst. Berlin 25(1991)9, S.1418-1421

  5. Liste der fachlichen Nachschlagewerke für die Gemeinsame Normdatei (GND), 2014, Stand: 1. April 2014, S. 256 (http://d-nb.info/1050511964/34; Zugriff: 22.06.2014)

  6. Vgl.: Braun, Kathrin: Frauenforschung, Geschlechterforschung und feministische Politik. In: Feministische Studien. Weinheim 13(1995)2, S. 107-117

  7. Vgl.http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/geschlechterverhaeltnisse/5795. Zugriff: 20.06.2014

  8.  Vgl.: Braun, Kathrin, a.a.O., S. 108, 115

  9.  Fuchs-Heinritz: Geschlechterverhältnis. In: Ders. u .a. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie. Opladen : Westdeutscher Verlag, 1994. – S. 235 (3., völlig neu bearb. und erw. Aufl.)

  10. Vgl.: Töchterle, Karlheinz (Hrsg.): Köpfe zwischen Krise und Karriere. Innsbruck : Innsbruck Univ. Press, 2010. - 96 S.

  11. Vgl. Umlauf, Konrad. a.a.O.

  12. Vgl. z.B. Wiesenmüller, Heidrun: Sacherschließungsdaten in Bibliothekskatalogen : gestern, heute, morgen ; Vortrag auf der VDB-Fortbildung Gegenwart und Zukunft der Sacherschließung am 6.10.2011 in Leipzig.http://de.slideshare.net/heidrunw/wiesenmueller-sacherschliessung-in-bibliothekskatalogen. Zugriff: 20.06.2014

  13. Trömel-Plötz, Senta: Frauensprache : Sprache der Veränderung. Frankfurt/M. : Fischer, 1990. – S. 95 (Die Frau in der Gesellschaft ; 3725)

  14. Der Grammatik-Duden von 1998 betont: Besonders bei Berufsbezeichnungen und Substantiven, die den Träger bzw. die Trägerin eines Geschehens bezeichnen (Nomina Agentis), wird die Verwendung des generischen Maskulinums immer mehr abgelehnt. Vgl.: Dudenredaktion (Hrsg.): Duden : Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6. neu bearb. Aufl. Mannheim ; Leipzig u.a. : Dudenverlag, 1998, S. 200 [Der Duden ; 4]

  15.  Vgl. Aleksander, Karin: Gendern heißt ändern! : Erfahrungen aus der Geschichte der Genderbibliothek des ZtG an der Humboldt-Universität zu Berlin. In: Niedermair, Klaus (Hrsg.): Die neue Bibliothek - Anspruch und Wirklichkeit : 31. Österreichischer Bibliothekartag ; Innsbruck 18. - 21. Oktober 2011. - Graz [u.a.] : Neugebauer, 2012. – S. 335

  16.  Vgl.: Online-GND.http://swb.bsz-bw.de/DB=2.104/SET=17/TTL=1/CLK?IKT=12&TRM=209073810&NOABS=Y&REC=*

  17. Bourdieu, Pierre: Reflexive Anthropologie / Pierre Bourdieu und Loïc J. D. Wacquant. - Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996. - S. 284f.

  18. Bourdieu, Pierre: Männliche Herrschaft revisited. In: Feministische Studien. Weinheim 15(1997)2. S. 88f.

  19. In einem Artikel zu Frauenbibliotheken, der seit 2010 im Bibliotheksportal erscheint, hatte ich dieses Beispiel noch selbst angeführt, was zu korrigieren ist. Vgl.:http://www.bibliotheksportal.de/bibliotheken/bibliotheken-in-deutschland/bibliothekslandschaft/frauenbibliotheken.html. Zugriff: 23.06.2014

  20. Vgl. http://www.ida-dachverband.de/home/