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Augmented Reality – Neue Möglichkeiten für Bibliotheken, Services für Kunden einfach darzustellen

Augmented Reality (AR) ist eine der Technologien, der nach dem Gartners Hype Lifecycle 2011 in den nächsten 5-10 Jahren eine große Nutzung vorhergesagt wird. Der nachfolgende Artikel beschreibt die Funktionsweise von AR und beschäftigt sich mit der Frage, wie AR Bibliotheken bei der Visualisierung ihrer Angebote helfen kann.
Abstract (english): Augemented Reality ist one of the technologies, which use is, based on the Gartners Hype Lifecycle 2011, in the next 5 -10 years increasing. The following article is describing the functionality of AR and is dealing with the question how AR can help libraries with visualising their services.


Zitiervorschlag
Sabine Wolf, "Augmented Reality – Neue Möglichkeiten für Bibliotheken, Services für Kunden einfach darzustellen. ". LIBREAS. Library Ideas, 21 ().


Augmented Reality (AR, „Erweiterte Realität“) ist eine der Technologien, der nach dem Gartners Hype Lifecycle 2011 [Fn 1] in den nächsten 5-10 Jahren eine große Nutzung vorhergesagt wird. Der nachfolgende Artikel beschreibt die Funktionsweise von AR und beschäftigt sich mit der Frage, wie AR Bibliotheken bei der Visualisierung ihrer Angebote helfen kann.

Was ist AR, was sind die Voraussetzungen?

Augmented Reality (kurz „AR“) bedeutet „Erweiterte Realität“ und kombiniert nach Azuma die virtuelle mit der realen Welt in einer realen Umgebung. Dies geschieht außerdem auf interaktive Art und in Echtzeit. [Fn 2]

Die Darstellung von virtuellen Informationen findet in der Luftfahrt auf sogenannten „Head-up-Displays“, wie zum Beispiel der Windschutzscheibe, statt. Bei der Anwendung im Industriebereich kommen „Head-Mounted-Displays“, Datenbrillen, zur Anwendung. Die Nutzung im Freizeitbereich spielt sich hingegen auf dem Display des Smartphones oder Tablets ab: Die virtuellen Zusatzinformationen werden live eingespielt, während im Hintergrund eine reale Szene dargestellt wird. Diese Darstellung ist für den Bibliotheksbereich von Bedeutung.

Um virtuelle Zusatzinformationen zu empfangen, sind folgende Komponenten notwendig:

  • ein AR-Browser oder eine App
  • ein Verlinkungssystem
  • ein GPS

Zunächst ist ein Browser, über den mittels eines Verlinkungssystems die gewünschte AR gestartet werden kann, notwendig. Es gibt mittlerweile zahlreiche Firmen, die sich mit der Programmierung eigener AR-Lösungen beschäftigen. Die drei größten sind derzeit metaio, Layar und Wikitude, welche allesamt die gängigsten Betriebssysteme unterstützen (siehe Tabelle).

Anbieter Browser Bezeichnung des Verlinkungssystems Unterstützte Betriebssysteme Website
metaio Junaio Channels Android, Symbian, iOS www.metaio.de
Layar Layar Vision Layers Android, Blackberry, Symbian, iOS www.layar.com
Wikitude Wikitude Worlds Android, Windows Phone 7, Blackberry, Symbian, iOS www.wikitude.com

Tabelle 1: Anbieter, Browser und Bezeichnung des Verlinkungssystems

Die Bezeichnung des Verlinkungssystems variiert von Anbieter zu Anbieter, wie in der Tabelle zu sehen ist. Der Einfachheit halber wird im Artikel die Bezeichnung „Channel“ benutzt. Ein Channel stellt ein thematisches Angebot einer AR-Funktion dar. Beispielsweise gibt es im Junaio-Browser den Channel „Four Square Venues“, der Points of Interests (POIs) in einem vom Nutzer definierten Umkreis in der Nähe zum aktuellen Standort anzeigt. Wiederum andere zeigen freie Immobilien, den Weg zur nächsten U-Bahn oder sich in der Nähe befindliche Hotels an.

Wie der Ablauf vom Öffnen des Browsers bis hin zur Darstellung auf dem Display ist, soll hier Schritt für Schritt erläutert werden:

Nach dem Herunterladen der Browser-App von metaio und dem Öffnen des Browsers erscheint das folgende Fenster (Abbildung 1), in dem nach Channels gesucht oder zum Beispiel Channel-Favoriten geöffnet werden können. Unter „Favoriten“ wird dann eine Liste der entsprechend kategorisierten Channels angezeigt (Abbildung 2). Nach Auswahl des Channels „Foursquare Venues“ erscheinen nach kurzer Zeit auf dem Display Hinweise zu Sehenswürdigkeiten, sowie Cafes, Restaurants et cetera (Abbildung 3). Durch Auswahl eines Ortes werden weiterführende Informationen (Adresse, Telefonnummer et cetera) bereitgestellt (Abbildung 4).

Augmented Reality

Augmented Reality

Augmented Reality

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Abb. 1 – 4 Start des Browsers. Auswahl, Öffnen des Channels, Anzeige der POIs

Wie bereits angedeutet, ist es auch möglich, eine AR-Funktion als eigenständige App zu programmieren. Ein Beispiel hier wäre die Google Sky Map, welche die Namen der Sternbilder und Planeten auf dem Display einblendet, während der Nutzer diese mittels Smartphone-Kamera erfasst. Ein Vorteil dieser Lösung ist, dass die AR-Funktion nicht als einer von vielen Channels über den Browser eines Anbieters gestartet werden muss.

Ermöglicht wird die punktgenaue Anzeige der Informationen bei beiden Lösungen – Channel und App – durch die Positionsbestimmung des GPS-fähigen Smartphones.

Welche Lösung für eine Bibliothek in Betracht kommt, hängt letztendlich von den zu erwartenden Kosten ab. Alle Anbieter bieten sogenannte Self Development Kits (SDKs) an, die zum Teil, wie bei metaio, kostenlos sind – aber nur solange das Wasserzeichen der Firma eingeblendet bleibt. Ein weiterer Kostenfaktor ist dann mit dem Start der AR-Funktion des Endnutzers selbst verbunden: Wird beispielsweise ein Objekt erfolgreich getrackt und anschließend Zusatzinformationen auf dem Display bereitgestellt, kostet dieser Abruf bei Layar etwas. Wikitude ist bei nichtkommerzieller Nutzung kostenlos.Wird eine auf einem Wikitude SDK programmierte App verkauft, würden auch hier Kosten auf die verkaufende Institution zukommen.

Bei der Programmierung einer App kommt es auf die gewünschten Funktionalitäten an. Es gibt keine genauen Preisangaben. Ein Blick in entsprechende Entwicklerforen hinterlässt den Eindruck, dass die Preise nach oben hin offen sind. In Bezug auf die Nutzung in Bibliotheken wäre also denkbar, dass die Bibliothek zunächst mit einem Channel startet und diesen dann bei Erfolg später in eine App überführt.

Bei den oben vorgestellten Beispielen wurde via Tracking ein Objekt erfasst und die genaue Position ermittelt. Dieses nicht-visuelle Tracking (nicht-visuell, da hier über das GPS oder den Kompass getrackt wird) eignet sich für eher für Location Based Services. Für eine Bibliothek selbst würde das visuelle Tracking über die Kamera in Betracht kommen. Um dann ein Objekt wie zum Beispiel ein Medium tracken zu können, wären in diesem Fall Marker wie QR-Codes oder Cover notwendig. Für Bibliotheken besonders interessant: metaio unterstützt als einziger Anbieter auch das Tracking von Barcodes.

Möglichkeiten für Bibliotheken – Aktuelle Beispiele

Die Nutzung von AR spielt sich im Bibliotheksbereich eher zaghaft ab, viele Beispiele gibt es noch nicht. Die Bibliothek der North Carolina State University hat sich mit dem „WolfWalk“ zum Ziel gesetzt, die digitalen Bestände den Nutzern mittels mobiler Technologien zugänglich zu machen. Die Nutzer können bei einer Tour über das Gelände der Universität unter anderem erfahren, wann die einzelnen Gebäude errichtet wurden, wer sie errichtet hat und wie die Gebäude in früheren Zeiten ausgesehen haben. Die Funktion beinhaltet über 1000 Bilder. [Fn 3]

„ShelvAR“, eine „Augmented Reality App for Shelf Reading“, liegt derzeit in der Alpha-Version vor und soll die Inventarisierung und Regalordnung der Miami University Bibliothek erleichtern. [Fn 4]

Das erste europäische Beispiel, welches sich zum Ziel gesetzt hat, jüngere Kunden zwischen 16 und 24 Jahren anzusprechen und als neue Kunden zu gewinnen, ist bei den Öffentlichen Bibliotheken Barcelonas angesiedelt. Für die zuständige Bibliothekarin, Rosa Lazaro, ist die Kundengewinnung das erklärte Ziel des Projektes. Der Interessent erfährt, welche Vorteile die Bibliothek für ihn beinhaltet. Was sie ebenfalls schätzt ist, dass AR die Interaktion zwischen Bibliothek und Kunden erlaubt: QR-Codes leiten den Nutzer zum Facebook-Profil, zur Website und zum Blog. Diese Bibliothek hat sich für das Produkt Layar entschieden. [Fn 5]

Die Bayerische Staatsbibliothek wiederum begibt sich mit ihrer Location-Based-Services-App auf die Spuren des Märchenkönigs und visualisiert auf dem iPhone Informationen zu Orten, informiert über Personen und Themen in Zusammenhang mit Ludwig II. [Fn 6]

Zusammenfassend ist zu bemerken, dass lediglich eine Bibliothek – Barcelona – konkret für Bibliothekskunden, AR einsetzt. An diesem Punkt setzt auch das Berliner Vorhaben ein.

Das Berliner AR-Projekt

Ziel dieses Vorhabens ist die Einführung einer kundenorientierten AR-App für die Lichtenberger Stadtbibliothek. (Lichtenberg ist einer der Berliner Stadtbezirke.) Hier ist der Fokus ganz klar auf die Kundenorientierung gerichtet. Im ersten Schritt soll eine Teilauswahl der aktuellen Bibliotheksbestände augmentiert, das heißt, mit Zusatzinformationen, versehen werden. Zu diesem Zweck wird auch eine Zusammenarbeit mit Verlagen angestrebt.

Wie ein augmentiertes Buch aussehen kann, zeigt Abbildung 5. Nach dem Scannen des Covers hat der Nutzer die angezeigten Optionen:

Augmented Reality

Abb. 5: Augmentiertes Buch, Anzeige der Informationen

Neben der Verlinkung auf Websites sind auch Einspielungen von Interviews und Filmen denkbar. Die Anzeige weitere Bücher wird vorgeschlagen. Durch die Möglichkeit, eine eigene Rezension des Buches zu veröffentlichen oder sich Rezensionen anderer Nutzer anzeigen zu lassen, soll die Interaktion zwischen Kunden und der Bibliothek angeregt werden.

Da sich das Projekt erst im Anfangsstadium befindet, ist noch nicht festgelegt, welche Informationen und Aktionen nach dem Scannen eines Mediums angezeigt beziehungsweise ausgelöst werden. Dies wird im Laufe des Projektes eruiert.

In diesem Zusammenhang sind weitere Szenarien denkbar, unter denen die Bibliothek sich und ihr Angebot ansprechend präsentieren kann:

Auf der Ebene…

…des Bibliotheksgebäudes

Dem Nutzer könnten Informationen zu verschiedenen Bereichen und Räumen auf dem Display eingeblendet werden. Vermietet die Bibliothek zum Beispiel Räume, könnte der Nutzer dann bei Fragen zum Raumangebot zur für die Vermietung zuständigen Stelle weitergeleitet werden oder gleich per Smartphone eine Reservierung vornehmen.

…des Bestandes

Neben den bereits oben beschriebenen Möglichkeiten ist auch eine tiefergehende Nutzung von AR denkbar. Einige Verlage aus dem Kinderbuch-Sektor wie zum Beispiel die „Books come to live“-Reihe von Carlton Books oder „Comprendre ça marche“ von Éditions Nathan bieten bereits augmentierte Inhalte an. [Fn 7] An diesem Punkt wäre ein Zusammenspiel von Inhalten und weiterführenden Informationen wie Rezensionen sinnvoll.

Hilfreich wären auch Zusatzinformationen zu den Sachgebieten à la „Hier finden Sie u.a. Medien zum Thema…“. Auch die Hervorhebung von weniger benutzten Beständen ist an diesem Punkt möglich. Verweise von der Printausgabe auf eine ebenfalls vorhandene Elektronische Ausgabe sind hier denkbar. Selbst die Ausleihe eines Mediums kann – ähnlich wie der Kauf eines Artikels bei Amazon – auf Wunsch über Facebook mitgeteilt werden und somit zusätzlich für das Angebot der Bibliothek werben.

…des Services

Wenn bedacht wird, dass AR in der Industrie durchaus eingesetzt wird, um die Bedienung komplizierter Mechanismen zu erklären, könnte im Bibliotheksbereich AR als visuelle Bedienungsanleitung für den Gebrauch des OPAC seine Anwendung finden. Auch die Inanspruchnahme des Services könnte einfach und schnell durch den Kunden bewertet werden.

 

Ein gutes Beispiel für den vielfältigen Einsatz zeigt das unter YouTube eingestellte Video „Introducing: Layar Vision“ von Layar. Einige der Szenen könnten durchaus für den Bibliotheksbereich adaptiert werden. [Fn 8]

Ausblick

Laut BITKOM besitzt jeder dritte Deutsche ein Smartphone, bei den unter 30jährigen sogar jeder zweite. [Fn 9] Und doch gibt es immer noch Bibliotheken, in denen ein generelles „Handyverbot“ herrscht und Smartphones der Einfachheit halber gleich auch dazu zählen. Schade.

Denn AR bietet Bibliotheken die Chance, sich und ihre Bestände auf eine neue Art zu präsentieren und stellt bedeutend mehr dar, als ein bloßer Ersatz für die einfache Suche über den OPAC. Betont werden muss, dass AR nicht nur eingesetzt werden sollte, weil es „in“ ist. So betont Frau Lazaro ganz klar, dass der Einsatz nur dann einen Mehrwert für die Bibliothek schafft, wenn zuvor ein Ziel mit dem Einsatz verbunden wird. Dies kann – wie bei dem gestarteten Berlin-Projekt – die Fokussierung auf die Kunden sein und die Überlegung, für diese Kunden als Mehrwert von einer AR-Lösung erwartet wird.

Klar ist, dass sich mit AR die Visualisierung zusätzlicher Services, die Einladung zur Interaktion und die Verbindung zu Sozialen Netzwerken vorteilhaft vereinen lässt - vorausgesetzt Smartphones sind erlaubt…


Fußnoten

[1] Siehe dazu http://www.gartner.com/it/page.jsp?id=1763814 [zurück]

[2] Azuma, Ronald: A Survey of Augmented Reality. In: Presence : Teleoperators and Virtual Environments, 6, 4 (1997), S. 355ff [zurück]

[3] Mehr Informationen dazu unter www.lib.ncsu.edu/dll/projects/wolfwalk [zurück]

[4] Mehr Informationen dazu unter www.shelvar.com [zurück]

[5] Persönliche E-Mail-Korrespondenz vom März 2012 [zurück]

[6] Die Website dazu: http://www.bsb-muenchen.de/Ludwig-II-Auf-den-Spuren-des-Maerchenkoenigs.ludwig-app.0.html [zurück]

[7] Vgl. die Websites der Verlage dazu: www.bookscometolive.co.uk/ und http://www.nathan.fr/catalogue/catalogue_detail_enseignants.asp?ean13=9782092516027 [zurück]

[8] http://www.youtube.com/watch?v=AsD0DuPT1GI&feature=youtu.be [zurück]

[9] Vgl. die Presseerklärung der BITKOM dazu unter http://www.bitkom.org/de/presse/8477_71854.aspx [zurück]


Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Junaio Browser, Start: www.androidpit.de

Abb. 2 Anzeige der Channels: www.allinmac.de/2012/05/junaio/

Abb. 3 Anzeige Foursquare Channel: www.junaio.com

Abb. 4 Auswahl im Foursquare Channel: www.junaio.com

Abb. 5 Augmentiertes Buch: mit freundlicher Unterstützung der mCrumbs GmbH


Sabine Wolf geboren 1972 in Gelsenkirchen. 1990-2000 als Assistentin an Bibliotheken bei der Stadtbibliothek Gelsenkirchen. Studium des Bibliothekswesens an der FH Potsdam. Ab 2004 als Dipl.-Bibliothekarin bei der Stadtbibliothek Neumünster. Bis 2012 im Key-Account der Bibliothekssoftware-Firma Dantek. Zahlreiche Veröffentlichungen zu technischen Aspekten im Bibliothekswesen und zu Schulbibliotheken. Mitautorin bei „Erfolgreiches Management von Bibliotheken und Informationseinrichtungen“.