- Das 18. Jahrhundert als Zuspitzungsepoche
- Die Aufgaben der Verleger
- Die digitalen Erben des Nachdrucks
Das papierne Buch scheint seinem Ende entgegen zu blättern. Allerorten wird versucht, den künftigen Verlust dieses Mediums zu bewerten. Die Positionen reichen von euphorischen Reden über die von ihrer Materialität befreiten und somit entfesselten Literatur, die nun in ungeahnt-komplexe Dimensionen aufsteigen wird, [Fn 01] bis zu kulturpessimistischen Abgesängen auf das Medium, die seine Inkompatibilität gegenüber dem Opportunismus elektronischer Tinte diagnostizieren. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darin, innerhalb digitaler Distributionsmodelle eine Erosion der bewährten Verbindung von Autor und Verleger zu sehen: Eine Entwicklung, die, je nach Standpunkt, als Gefahr oder Emanzipation der Autoren ausgeführt wird.
Dieser Essay verfolgt die Spur der Symbiose zwischen Autor und Verleger. Dabei wird gezeigt, wie sich die unterschiedlichen Akteure im Buchmarkt innerhalb der digitalen Umbruchsituation wieder in die Gräben des 18. Jahrhunderts begeben. Dies verwundert kaum, schließlich stellen die digitalen Spielregeln die vor rund 200 Jahren ausgehandelten, selbstverständlich gewordenen Umgangsweisen mit gedruckten und zum Verkauf bestimmten Textblättern wieder neu in Frage. Als eine Folge werden von Autoren, Verlegern und sonstigen Reproduzenten bewährte Argumente reformuliert, zumeist jedoch ohne die strategische Tradition der eigenen Position zu reflektieren.
Das 18. Jahrhundert als Zuspitzungsepoche
Das 18. Jahrhundert wird oft in Stellung gebracht, wenn es darum geht für uns selbstverständlich gewordene kulturelle Muster wieder in die Nicht-Zwangsläufigkeit historischer Entwicklungen einzuordnen. So beschrieb Albrecht Koschorke das 18. Jahrhundert als Epoche, in der die emotionale Bindung zwischen Buch und Leser, wie wir sie noch immer kennen, erst entsteht. [Fn 02] In einer ebenfalls in den Literatur- und Kulturwissenschaften viel beachteten Studie Joseph Vogls entwirft der Autor die Epoche der Aufklärung als einen Zeitraum der diskursiven Verflechtung von Ökonomie und Literatur. Er stellt dar, wie die ökonomischen Denkmuster die Literatur und literarische Formen sich wiederum in die Modelle ökonomischen Wissens eingeschrieben haben. [Fn 03] Beide Studien konnten dabei auch auf ein Buch zurückgreifen, das mit sozialhistorischem Datenmaterial und der 1981 noch eher unkonventionellen Diskursanalyse ebenfalls der Aufklärung und dabei besonders der Zeit „um 1800” zu Leibe rücken wollte. Heinrich Bosses Arbeit „Autorschaft ist Werkherrschaft” [Fn 04] macht es sich zur Aufgabe, die sozioökonomischen Veränderungen und die ideengeschichtlichen Verschiebungen im Literatursystems des 18. Jahrhunderts in einer überspannenden Erzählung zu verbinden. Er will zeigen, dass unsere Vorstellungen von geistigem Eigentum und moderner Autorschaft ihren Ursprung in der medialen Zuspitzungssituation des 18. Jahrhunderts haben. Gerade gegen Ende des Jahrhunderts wären durch den rasanten Anstieg der Buchproduktion die sozioökonomischen Grundlagen für „freie” Autorschaft entstanden und gleichzeitig durch die „geschäftsschädigende” Praxis des Nachdrucks gefährdet worden. Die Argumentation Bosses verfolgt die kulturellen, ökonomischen und juristischen Auseinandersetzungen um die diskursive Dominanz des literarischen Feldes. Die Studie kann für den Vergleich zweier, 200 Jahre auseinander liegender, medialer Umbruchsituation fruchtbar gemacht werden, wenn man die von Autoren, Verlegern und Nachdruckern entworfenen Positionierungen und Abhängigkeiten betrachtet und auf ihre Ähnlichkeit hin befragt. Die Überlegungen sind dabei auf den deutschsprachigen Raum begrenzt. [Fn 05]
Gelehrte, Autoren und das Publikum
Im 18. Jahrhundert erfährt das Verhältnis der Schriftsteller, die noch nicht die Autoren im heutigen Sinne sind, zu ihren Lesern eine grundlegende Änderung. Zu Beginn des Jahrhunderts war es für die schreibenden Gelehrten und Dichter im deutschsprachigen Raum kaum denkbar, ein Auskommen allein aus dem Verkauf von Manuskripten an einen Verleger zu ziehen. Die Herstellung von Büchern war teuer und aufwendig. Hohe Auflagen für ein breites Publikum erschienen dementsprechend selten. Die meisten Neuerscheinungen wurden auf dem Gebiet von Wissenschaft und Erkenntnis veröffentlicht. Die Autoren waren oft Gelehrte, die neben ihren Unterrichtstätigkeiten ein Interesse hatten, ihr akkumuliertes Wissen zu verbreiten. Innerhalb einer nicht durchgängig monetarisierten ständischen Gesellschaft zählte dabei die Anerkennung durch die Standesgenossen mindestens ebenso viel, wie die bare Vergütung. Die „Produzenten-Rezipienten der gelehrten Republik” [Fn 06] waren einander durchaus bekannt und tauschten ihre Werke untereinander. Es war nicht ungewöhnlich sich von seinem Verleger auch durch eine bestimmte Anzahl gedruckter Exemplare der eigenen Bücher bezahlen zu lassen und diese mit anderen Gelehrten zu tauschen. Ökonomische und soziale Absicherung versprach dabei eher der jeweilige Fürstenhof. Gelehrte und Poeten warben mit ihren Schriften um die Gunst des Herrschers und konnten auf Ämter und Geschenken hoffen. Eine gängige Praxis innerhalb der Schriftstellerei war daher die „untertänigste Zueignung” des eigenen Werkes an einen potenten Mäzen, versprach diese Praxis doch bisweilen ein auskömmliches Dedikationshonorar. Dementsprechend fand die „schöne Literatur” den Ort ihrer Produktion und Rezeption noch häufig bei Hofe, wurde in „Nebenstunden” verfertigt, aber öffentlich zur Kenntnis genommen. Eine weitere Verdienstmöglichkeit bot die Casualpoesie, also Gelegenheitsdichtung. Zu gesellschaftlichen Anlässen wie Hochzeiten und Todesfällen konnten Dichter durch Rhetorik und Regelpoetik reglementierte Schriften zu Ehren des Auftraggebers verfassen. Diese Werke wurden dann für gewöhnlich auch in geringer Auflage gedruckt und unter den Anwesenden verteilt. Der Dichter schuf als Auftragskünstler Prestigeobjekte für bezahlende Kunden.
Diese groben Skizzen können zeigen, dass der Kontakt zwischen Autoren und ihren Lesern am Anfang des 18. Jahrhunderts noch enger und persönlicher war, als er es am Ende des Jahrhunderts sein sollte. Der Buchmarkt begann im 18. Jahrhundert immens zu wachsen. Im Durchschnitt der Jahre 1745-50 waren 1348 Titel erschienen, im Jahr 1783 waren es schon mehr als 3000 und im Todesjahr Goethes 1832 sollten 8855 Titel erscheinen. Dabei war es besonders die „schöne” Literatur, deren Anteil exponentiell zunahm: 1745 betrug ihr Anteil noch 6,4% der Neuerscheinungen, 1800 waren es schon 27,3%. [Fn 07] Bosse möchte in dieser quantitativen Verschiebung auch eine qualitative Veränderung auf dem Buchmarkt registrieren. Man kommuniziere mit seinen Büchern nicht mehr innerhalb eines eng abgesteckten Feldes von Interessierten, sondern ziele darauf, möglichst „alle” zu erreichen. Ein Jurist formuliert das 1767 so: „Bücher, deren Inhalt und Sprache nur vor eine kleine Anzahl Leser gehöret, können keinen so starken Abgang finden, als solche, die vor alle Stände und vor alle Arten von Leuten sind.” [Fn 08] Die Verbindung zwischen den Autoren und ihren Lesern anonymisierte sich zusehends. Die Persönlichkeit des Autors konnte beim Leser nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden, sondern musste in die Zeilen des Textes versenkt werden. In seiner „Analyse der Mitteilung” zeigt Bosse, dass sich der Status der Texte in Büchern für Produzenten und Rezipienten änderte: Konnte der Text erst noch als direkte Repräsentation von mündlicher Rede gedeutet werden, so machte die anonyme Kommunikationssituation es notwendig, durch bestimmte Textstrategien das Ethos des Autors vor die Augen der Leser zu stellen. Schließlich kann der Autor nicht mehr allein darauf zielen, mit aufklärerischem Pathos allgemeine und überpersönliche Erkenntnisse zu verkünden, sondern muss zuerst sich selbst vor das Publikum treten lassen, um in einem zweiten Schritt die eigenen Gedanken zu entwickeln. Für den Autor, der sich so selbst in seinen Text einschreibt, wird so zunehmend auch ein Eigentumsrecht am eigenen Text evident, das auch nach der Veröffentlichung noch bestehen sollte. Dieser neue Typus Schriftsteller ist nicht mehr Gelehrter innerhalb des ständischen Netzes persönlicher Abhängigkeiten, sondern legitimiert sich nun primär über seine eigenen Werke. Statt an einen wohlwollenden Mäzen oder Auftraggeber wendet er sich an das anonyme „Publikum” und findet Bestätigung in einer befriedigenden Auflagenhöhe.
Nunmehr sind alle meine Verbindungen aufgelöst. Das Publikum ist mir jetzt alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter. Ihm allein gehör ich jetzt an. Vor diesem und keinem andern Tribunal werd ich mich stellen. Dieses nur fürchte ich und verehr ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen als den Ausspruch der Welt – an keinen andern Thron mehr zu appellieren als an die menschliche Seele. [Fn 09]
Ob die Autoren diesen Schritt in die Ungewissheit des freien Buchmarktes bewusst gehen oder sich für deren Unwägbarkeiten und die zweifelhafte Ehrenhaftigkeit der Marktgesetzte nur als Ultima Ratio entscheiden, [Fn 10] soll hier nicht diskutiert werden. Schillers gern zitiertes Bekenntnis zur „freien” Autorschaft macht aber als Indiz die Entstehung eines neuen, „modernen” Typs von Autorschaft greifbar.
Noch heute ist unser Bild von emphatischer Autorschaft von dieser 200 Jahre alten Vorstellung, man könne von der „eigenen Feder leben”, geprägt. Auch wenn nur ein kleiner Bruchteil der Personen, die sich als Autoren vorstellen, tatsächlich ein erträgliches Auskommen über den Verkauf ihrer Bücher findet, sehen sie ihre Arbeit noch immer über den Publikumserfolg legitimiert. Am ökonomischen Pol des literarischen Feldes sehen sich Autoren und Verleger durch Bestseller-Listen geadelt. [Fn 11] Diese Bindung an ein Publikum, das man nie oder höchstens auf Lesungen trifft, das also weitgehend anonym bleibt, könnte nun fallen. Schließlich verbinden die sozialen Netzwerke über die Datenbanken abgegebener Sympathie den konkreten Leser mit den Texten und ihren Autoren. Für Autoren und Autörchen wird anhand von „Likes” und „Retweets” nachvollziehbar, wer ihre Texte gelesen hat. Als besonders spannend zeigt sich dieses neue Rückbindungsmodell vom Leser zum Autor bei der geldgedeckten Komplimente-Plattform „Flattr”. Dem Autor wird hier nicht nur durch einen konsequenzarmes „Like” geschmeichelt, er erhält durch das leserseitige Bedienen des „Flattr-Buttons” einen Anteil am vorher definierten Kultur-Budget des Lesers und damit eine konkrete finanzielle Anerkennung. Bislang bewährte sich das Prinzip bei journalistischen Texten, Podcasts und Blogposts.
Mit einiger Kühnheit kann man bei diesem Finanzierungskonzept von einer Rückkehr der Casualpoesie sprechen. Der Autor richtet sich nicht mehr an ein anonymes Publikum, sondern kennt seine Leser recht gut. Dementsprechend kann er die Vorlieben seines Publikums in Themenwahl und Stil antizipieren und mittels Abrufstatistiken überprüfen. Der Vergleich trägt selbstverständlich nicht in allen Bereichen. Die schmeichelnden Leser treten dem Autor höchstens mit Leserkommentaren gegenüber. Es handelt sich auch nicht um explizite Auftragsarbeiten zu konkreten gesellschaftlichen Anlässen, die den Leser zum veritablen Kunden des Autors machen würden. Die Produktion des Autors wird meist im Nachhinein belohnt, [Fn 12] dient aber gleichwohl als Anreiz für zukünftige Produktionen ähnlichen Formats. Die produktiven Steuerungsmechanismen durch die lesende „Community” sind also wesentlich subtiler als sie es noch im 18. Jahrhundert waren. Von Bedeutung ist jedoch der direktere Kontakt zwischen Leser und Autor, der auch in einer direkten Vergütung des Autors durch den Leser Niederschlag findet. Die Verlegerfunktion der ökonomischen Vermittlung zwischen Autor und Leser entfällt.
Die Aufgaben der Verleger
Diese Verlegerfunktion des ökonomischen Ausgleichs ist ebenfalls keine historische Zwangsläufigkeit. Die enge Bindung von Autoren an bestimmte Verleger hatte sich, eng verknüpft mit der Entstehung des Urheberrechts, ebenfalls erst im 18. Jahrhundert entwickelt. Bevor unsere Vorstellung von geistigem Eigentum denkbar wurde, gaben Gelehrte lange Zeit ihre Manuskripte bei den Buchproduzenten ab und erhielten als einmalige Anerkennung ihrer geistigen Arbeit ein Verlegerhonorar. Dieses orientierte sich nicht, wie zum Beispiel der Lohn von Handwerkern, an Arbeitszeit und -aufwand der Arbeit, sondern eher an Rang und Ansehen des Schreibers. Für die Verleger gehörten die Manuskripte zu den Rohstoffen der Buchproduktion, ähnlich wie das zu bedruckende Papier. Schließlich musste das handschriftliche Manuskript noch in aufwändigen Arbeitsschritten in die Form des gebundenen Buches gebracht werden. So war es auch nicht unüblich, dass die herausgebenden Verleger ihre eigenen Zueignungen den Büchern voranstellten, um im ständischen Spiel um Ansehen und Gunst Vorteile zu erlangen. Der Verleger, der bekanntermaßen das benötigte Kapital zum Druck einer Auflage vorzulegen hatte, musste den Buchmarkt sondieren, um die Höhe der Auflage abzuschätzen – mit dem Risiko der teuren Fehlkalkulation. Der durch den Ehrensold schon vergütete Autor hingegen hatte zwar ein Interesse an der Verbreitung seiner Schriften, zog aber keinen ökonomischen Vorteil aus erfolgreichen Buchprojekten und ähnelte in dieser Hinsicht heutigen Wissenschaftlern. So konnten sich auch nicht autorisierte Nachdrucker zu Gute halten, im Sinne der Autoren für die Verbreitung derer Schriften zu sorgen. Tatsächlich hatte Voltaire mit seinem Verleger und einer Gruppe von Schweizer Nachdruckern ein doppeltes Spiel gespielt und den Nachdruckern heimlich Material zugespielt, welches seinem üblichen Verleger exklusiv versprochen war. [Fn 13] Der Nachdruck, schon immer ein Übel für die Erstverleger, wurde mit dem Wachstum des Buchmarkts zu einer veritablen ökonomischen Krise für die Herausgeber. „Aus einem alten Übel, das früher jeder Buchhändler laut beklagte und heimlich oft selber praktizierte hatte, wurde der Nachdruck zu einem öffentlichen Ärgernis.” [Fn 14] Nachdrucker gelang es immer schneller, die Bedürfnisse einer stark wachsenden Leserschaft zu befriedigen. Das Risiko einer erfolglosen Ausgabe war dabei auf Grund der Möglichkeit der „Marktforschung”, [Fn 15] also der Sondierung der Nachfrage geringer. Diese besaßen nur die stumpfe Waffe eines Privilegs, ausgesprochen durch die jeweiligen Landesfürsten um gegen Nachdrucker vorzugehen. Zum Schutz ihres Geschäftsmodells musste das Besitzrecht von Literatur neu geregelt werden. Es bot sich dafür an, ein System zu finden, in dem auch die Autoren stärker durch den stark expandierten Büchermarkt profitierten. Dies lag nahe, da gegen Ende des 18. Jahrhunderts gerade auf dem Feld der Belletristik starke idelle und materielle Verschiebungen stattfanden. Mit der Abkehr von Regelpoetiken und dem Aufkommen des genialistischen Sturm und Dranges war die persönliche Bindung der Autoren an ihre Texte gestärkt. Vorstellungen von geistigem Eigentum, also einem unveräußerlichen Besitz auch nach Veröffentlichung, erschienen zunehmend evidenter. Die erfolgreichen Autoren pochten auch zunehmend darauf, am Gewinn der Verleger beteiligt zu werden. Statt einem einmaligen Verlegerhonorar mit dem der Verleger in vollständigen Besitz des Manuskripts kam, wurden zunehmend auch marktwirtschaftliche Honorare gezahlt. Die Autoren wurden dabei anteilig zur Höhe der Auflage bezahlt und konnten sich also bei Publikumserfolgen über eine höhere Entlohnung freuen. Die Verleger waren also in die Position doppelseitiger Vermittler getreten, die die Schriften des Autors dessen Wünschen gemäß verbreiteten und diesen gleichzeitig durch das Geld des Publikums entlohnten. Von dieser Position gelang es den Verlegern, im Laufe der Zeit immer erfolgreicher gegen den Nachdruck zu argumentieren, in dem sie geltend machten, dass der Nachdruck den Autoren den verdienten Gewinn am Buchprojekt stahl. Indem die Autoren und ihr Persönlichkeits- und Verwertungsrecht auf ihr geistiges Eigentum in das Zentrum der Nachdruck-Debatte gestellt wurden, konnten die Verleger sich in ästhetischen, ökonomischen und juristischen Diskursen gegen ihre nachdruckenden Rivalen durchsetzen. Die zentralen, heute noch hervorgebrachten Argumentationslinien des Urheberrechts hatten sich ineinandergefügt. Die Entlohnung der Verleger und die daran geknüpfte Gewinnbeteiligung der Autoren sind für uns selbstverständlich geworden und ergeben sich scheinbar zwangsläufig aus unserem Verständnis von Arbeit und Eigentum. Eine bemerkenswerte Fußnote Bosses erscheint dabei eher als eine ideologische Entgleisung. Er führt das Zitat eines vehementen Nachdruck-Gegners an und kommentiert:
[Anonymer Nachdruck-Gegner:] „Ich rede in vollem Ernste, und wünsche von Niemanden gelesen zu werden, der fähig wäre, über Tagelohn des Schriftstellers das Maul zu rümpfen. Ich kenne nichts Edlers, als seiner Arbeit leben, und nichts Verächtlichers , als Lohn seiner Arbeit begehren, wie unter andern, freilich in guter Gesellschaft, der Nachdrucker thut.” (An den Verfasser des Aufsazes über den Büchernachdruck, in Deutsches Museum, Februar 1784, S. 126.) O du versteckter Autor, ich habe dich gelesen, und den Mund hast du mir auch verzogen, und ich zitiere dich hier zur Strafe, du elender Apostel der Leistungsgesellschaft, damit noch mehr Leute das Maul rümpfen.” [Fn 16]
Die Bezahlung der Autoren und Verleger, die sich im 18. Jahrhundert noch nicht von selbst verstand und erst mit Hilfe nüchterner Beweisführungen und harscher Polemiken erstritten wurde, ist heute in weiten Gesellschaftsteilen kaum erklärungsbedürftig. Bosse möchte, wenn er den Konsens der „Leistungsgesellschaft” angreift, mit seiner historischen Arbeit aber augenscheinlich auch innerhalb seines zeitgenössischen Diskurses intervenieren. So wie noch heute die gleichen, über 200 Jahre alten Argumente gegen den Nachdruck und die Kopie ins Feld geführt werden, kämpft auch Bosse mit historischen Waffen um die Deutungshoheit in aktuellen Auseinandersetzungen. Das Argumente-Arsenal des 18. Jahrhundert kann durch Selektion und Kommentar von konträren Seiten aktueller Debatten genutzt werden.
Die digitalen Erben des Nachdrucks
Die deutschen Länder festigten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert zunehmend die Rechte der Urheber bis 1871 ein flächendeckender Urheberschutz im Deutschen Reich festgeschrieben wurde. Der Nachdruck war darauf für gute 100 Jahre kein größeres Problem mehr. Die Rechte der Autoren und durch sukzessive Erhöhung der Schutzfristen auch die Rechte der Verleger wurden immer weiter gestärkt. Doch seitdem die globale Kopiermaschine Internet in immer höherer Frequenz Inhalte verlustfrei vervielfältigt, stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Nachdruckes ein weiteres Mal. Schließlich ist auf mikroskopischer Ebene jeder Nutzer, der ein E-Book illegal herunterlädt schon ein Nach- oder – pseudojuristisch gewendet – Raubdrucker. Auf makroskopischer Ebene ist Google und ihr Projekt GoogleBooks in Kooperation mit Bibliotheken auf den Plan und in die Fußstapfen der Nachdrucker des 18. Jahrhunderts getreten. Der qualitative Unterschied zum 18. Jahrhundert besteht allerdings in der imperialen Marktmacht einer solchen Plattform. Das Geschäft des Büchernachdrucks im Jahrhundert der Aufklärung war noch mit einem immensen Risiko verbunden. Zwar konnten die Nachdrucker sich die Kosten für Entlohnung des Autors sparen. Dagegen standen aber immer noch die Personalkosten für den aufwendigen Prozess der Buchproduktion. Das „Allgemeine Oeconomische Lexicon” von 1753 definiert ein Buch dementsprechend folgendermaßen:
[Das] Buch, ist ein […] höchst nützliches und beqvemes Werckzeug, die Wahrheit dem andern auf eine beqveme Weise zum Lesen und Erkennen vorzulegen. An dieser Waare arbeiten viele Leute, ehe sie zu Stande kommt, und zu einem eigentlichen Buche in diesem Verstande wird. Der Gelehrte und Schriftsteller, der Pappiermacher, der Schrifftgiesser, Setzer und Buchdrucker, der Corrector, der Verleger, der Buchbinder, bisweilen auch der Goldschlager und Gürtler etc. Von dieser Manufactur ernehren sich also viel Leute. [Fn 17]
Vor allem aber die Kosten für Papier, die oftmals bis zu drei Viertel des reellen Buchpreises ausmachten, zwangen die Nachdrucker zu einer wohl kalkulierten Auflagenpolitik. Die nachdruckenden Verleger arbeiteten gegen die latente Gefahr, dass Konkurrenten den gleichen Titel schneller und in einer attraktiveren Ausgabe auf den Markt werfen könnten. Auf dem Feld des literarischen Marktes war also die eigene Position sowohl für die Originalverleger als auch für die Nachdrucker stets prekär. Google hat mit seinem umfassenden Digitalisierungsprojekt die Risikogleichheit von Verleger und Nachdrucker jedoch aufgehoben. Statt auf eine selektive Nachdruckpolitik zielt das Unternehmen auf eine möglichst totale Erfassung veröffentlichter Werke, die durch die geringen Kosten der digitalen Aufbewahrung und Verbreitung ermöglicht werden. Die entscheidende Schranke für Google Books sind daher nicht mehr die materiellen Auflagenkosten, sondern die durch das Urheberrecht abgesicherten Persönlichkeits- und Verwertungsrechte der Autoren. Die juristischen Auseinandersetzungen um das GoogleBooks-Settlement zielten darauf diese Schranke zu überspringen, indem die juristisch einwandfreie Nutzung „fremder” Werke finanziell kalkulierbar gemacht wird. Anders als für die Nachdrucker der Aufklärung ist für die digitalen Erben – dank des im Urheberrecht festgeschriebenen geistigen Eigentum – die Entlohnung des Autors und seiner autorisierten „Verwerter” der zentrale Kostenpunkt.
Gegen Googles Übergriff regte sich prompt Widerstand auf Seiten der Verleger und Autoren:
„International wird durch die nach deutschem Recht illegale Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke geistiges Eigentum auf Plattformen wie GoogleBooks und YouTube seinen Produzenten in ungeahntem Umfang und ohne strafrechtliche Konsequenzen entwendet. […] Autoren und Verleger lehnen alle Versuche und Praktiken ab, das für Literatur, Kunst und Wissenschaft fundamentale Urheberrecht, […] zu untergraben.” [Fn 18]
Im Heidelberger Appell sollte die vor 200 Jahren geschlossene Allianz zwischen Autoren und Verlegern gegen die Nachdrucker erneuert werden. Die Digitalisierungsbestrebungen Googles kämen einer Enteignung gleich, die vor allem die Autoren träfe. In seinem den Heidelberger Appell stützenden Aufsatz setzt Roland Reuß seine 200 Jahre alte Argumentation fort: „Es gibt ein geistiges und sittliches Band zwischen Autor und Werk, das als Wert höher steht als jede Ökonomie und Verwertbarkeit.” [Fn 19] Reuß reanimiert einen emphatischen Begriff vom Autor, der jenseits ökonomischer Erwägungen mit „Hingabe” für sein Werk arbeitet. Nachdrucker und Kopierer würden sich also nicht nur unrechter Wettbewerbsmethoden bedienen, sondern auch ethisch verwerflich handeln. Um diese Sittenwidrigkeit zu apostrophieren, zitiert er jedoch nicht einen Autoren herbei, sondern nutzt den Goethe-Verleger Göschen als Gewährsmann. Dieser ließ zum Erscheinen der Goethe-Gesamtausgabe eine Anzeige mit folgendem Text schalten, der sich an die „Herren Nachdrucker” richtete:
Ich kann es mir zwar leicht vorstellen, daß die hier angekündigten Werke auch eine ganz artige Spekulation für Sie seyn werden; allein erlauben Sie mir doch, meine Herren, Ihnen, ehe Sie zum Werk schreiten, die Versicherung zu geben, daß ich auch schon ganz artige Maasregeln gegen Sie genommen habe, und Muth genug besitze mit Aufopferung meines ganzen Vortheils Ihre Hoffnungen zu Wasser zu machen, wenn Sie mich in meinem rechtmäßigen Erwerbe durch Ihre unrechtmäßige Industrie zu stöhren gedenken. Besitzen Sie noch einigen guten Namen in der Welt, so heben Sie ihn gewiß durch eine solche Unternehmung gänzlich auf. Sie sollen so blamirt werden, daß Ihr eigenes Weib, Ihr eigenes Kind Sie mit Verachtung ansehen und kein ehrlicher Mann mit Ihnen aus einem Kruge trinken soll. [Fn 20]
Die Verleger des 18. Jahrhunderts verteidigten ihre Druckprivilegien mit dem – damals nur moralischen – Recht des Autors an seinem geistigen Eigentum. Dem Autor zur Durchsetzung seines Rechtes zu verhelfen ist demnach eine ebenso ehrenvolle Aufgabe des Verlages, wie der Schutz des Werkes vor der Autorintention entstellender Verwendung. An diesen Verlags-Funktionen hätte sich nach Reuß auch im 21. Jahrhundert nichts geändert. Die Digitalisierungsbestrebungen von Google und Open-Access-Aktivisten wären abzulehnen, da sie das Band zwischen dem Autor und seinem Geisteskind zerschneiden würden.
Jeder Versuch, auf dieses vertrauensvolle und schützenswerte Verhältnis zwischen Verlag und Autor von außen einen dirigistischen Einfluß zu nehmen, zeichnet deshalb zugleich auch immer Brutalität gegenüber dem Faktum der innigen Beziehung zwischen Urheber und Produkt einer geistigen Schöpfung aus. [Fn 21]
Die durch das Internet wandernden Texte wären der väterlichen Obhut von Autor und Verleger entzogen und genössen keinen Schutz gegen Entstellung und missbräuchlichen Gebrauch. Es ist maßgeblich der Verleger, der das intime Verhältnis zwischen Verfasser und Verfasstem schützt. Mit den gleichen Argumenten wurde gegen den Nachdruck argumentiert, bei dem tatsächlich oftmals geänderte oder verkürzte Versionen von Texten große und für die Autoren zum Teil unliebsame Verbreitung fanden. Einen ähnlichen Umgang mit beliebten kulturellen Artefakten lässt sich heute wieder – als „Remix- und Sharing-Kultur” apostrophiert – im Internet beobachten. Dabei kollidieren diese digitalen Kulturtechniken regelmäßig mit den Interessen der Rechte-Verwerter, die sich mit den Waffen des Urheberrechts zu Wehr setzen.
Dabei konnten die Nachdrucker von damals und könnten die Filesharing-Börsen von heute die Situation von Autoren und anderen Kulturschaffenden auch durchaus verbessern, erfüllen sie doch beide den Künstlerwunsch nach Verbreitung des Geschriebenen. Die von Reuß oder auch dem Börsenverein des deutschen Buchhandels hervorgebrachten Argumente gegen den digitalen Nachdruck bestehen auf der Selbstverständlichkeit der Symbiose von Autor und Verleger. Diese Verbindung ist jedoch, wie gezeigt wurde, nicht überzeitlich, sondern aus einer bestimmten medialen und diskursiven Konstellation des 18. Jahrhunderts hervorgegangen, in der die Verleger durch ihre distributive und ökonomische Vermittlerfunktion zwischen Produzent und Publikum eine scheinbar alternativlose Stellung einnahmen. Die neuen digitalen Distributionswege über die unmittelbare Verbindung zwischen Autor und Leser und direkte Ent- und Belohnungssysteme kommen ohne Vermittler aus. Es ist nachvollziehbar, dass die Verwerter ihre enge Verbindung zu den „Kreativen” für überzeitlich erklären. Für letztere könnten sich aber gerade durch eine Reorganisation der Verhältnisse neue Möglichkeiten ergeben. So sind neue Allianzen in Tradition Voltaires denkbar. Vom Streit zwischen dessen Verleger und seinen Nachdruckern hatte vor allem der Autor profitiert. Voltaire erkannte die exzellente Chance seine Texte zu verbreiten und dekretierte seinem Verleger:
„Hiermit ist es jedem Buchhändler gestattet, meine Dummheit, sie sei wahr oder falsch, auf sein Risiko, seine Gefahr und für seinen Gewinn zu drucken.” [Fn 22]
Fußnoten
[01] Siehe beispielhaft: Jürgen Neffe: Es war einmal. Die Ära des gedruckten Buches geht zu Ende. Kein Grund zur Trauer, in: DIE ZEIT, 23.04.2009 Nr. 18. (Online unter: http://www.zeit.de/2009/18/L-Buch, zuletzt abgerufen am 1. Februar 2012.) [zurück]
[02] Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 1999. [zurück]
[03] Jospeh Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München 2002. [zurück]
[04] Vollständig: Heinrich Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit. Paderborn 1981. [zurück]
[05] Einen ähnlichen Ansatz verfolgte für den angloamerikanischen Raum der Historiker Adrian Johns, der in aller Ausführlichkeit historische Veränderung von „piracy”-Diskursen, beginnend mit der Erfindung des Buchdrucks bis in digitale Zeit, verfolgt: Adrian Johns: Piracy. The Intellectual Property Wars from Gutenberg to Gates. Chicago 2010. [zurück]
[06] Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S. 77. [zurück]
[07] Zahlen aus: Ebd., S. 85. [zurück]
[08] Zitiert aus: Ebd., S. 85. [zurück]
[09] Friedrich Schiller: Rheinische Thalia. In: Deutsches Museum. Zweiter Band. Julius bis Dezember 1784, S. 564–570, hier S. 565–566. [zurück]
[10] Siehe für diese These maßgeblich: Geoffrey Turnovsky: The Literary Market. Authorship and Modernity in the Old Regime. Philadelphia 2010. [zurück]
[11] Mit dem gleichen Impuls werden von Verwerterseite auch Downloadstatistiken über digitale Vervielfältigung interpretiert. Mit polemischer Intention werden die Downloads 1:1 der Verkaufsstatistik zugeschlagen. Dabei wird jedoch verkannt, dass ein kostenlos heruntergeladenes E-Book ohne das Internet nicht zwangsläufig im Laden gekauft worden wäre. [zurück]
[12] Einen anderen Ansatz probte 2000 Stephen King, der eine Kurzgeschichte im Internet veröffentlichte und die Fortführung der Story an eine finanzielle Beteiligung der Leser knüpfte. [zurück]
[13] Siehe die ausführliche Entfaltung dieser Verwicklungen in: Robert Darnton: Die Wissenschaft des Raubdruckes. München 2003, S.32ff. Zum riskanten Geschäft des Verlegers im 18. Jahrhundert sei auch Darntons große buch- und wirtschaftsgeschichtliche Studie über die Verbreitung der Encyclopédie von Diderot und d'Alembert in Frankreich empfohlen. In gekürzter deutscher Übersetzung: Robert Darnton: Glänzende Geschäfte. Die Verbreitung von Diderots Enzyklopädie oder: Wie verkauft man Wissen mit Gewinn? Berlin 1993. [zurück]
[14] Bosse: Werkherrschaft, S.107f. [zurück]
[15] Den anachronistischen Begriff bringt pointiert Darnton ins Spiel: Wissenschaft des Raubdruckes, S.20ff. [zurück]
[16] Bosse: Werkherrschaft, S. 203, Fußnote 327. [zurück]
[17] Georg Heinrich Zinck: Allgemeines Oeconomisches Lexicon. 3. Auflage. Leipzig 1753, Sp. 442. Zitiert nach Bosse: Werkherrschaft, S. 40. [zurück]
[18] Roland Reuß: Heidelberger Appell: http://www.textkritik.de/urheberrecht/ (zuletzt abgerufen am 1. Februar 2012). Die gekürzten Stellen beziehen sich auf das ebenfalls kritisierte System des Open Access und sind hier nicht Thema. [zurück]
[19] Roland Reuß: Autorverantwortung und Text, in: Ders., Volker Rieble [Hrsg.]: Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit. Frankfurt a.M. 2009, S. 12. [zurück]
[20] Georg Joachim Göschen: [An die Herren Nachdrucker]. Journal von und für Deutschland 3 (1786), 577f. Zitiert nach Roland Reuß: Autorverantwortung und Text, in: Ders., Volker Rieble [Hrsg.]: Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit. Frankfurt a.M. 2009, S. 11. [zurück]
[21] Reuß: Autorverantwortung, S. 13. [zurück]
[22] Voltaire in einem Brief 1771 an seinen Verleger Cramer. Zitiert aus Darnton: Wissenschaft des Raubdrucks, S.40. [zurück]
Hannes Fischer