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Benennen und Verstehen. Überlegungen zur Wissenschaftskommunikation im Anschluss an Winfried Thielmann. Rezension zu: Thielmann, Winfried (2009): Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich. Hinführen - Verknüpfen - Benennen. Univ., Habil.-Schr.-München, 2006. Heidelberg: Synchron Wiss.-Verl. der Autoren (Wissenschaftskommunikation, 3), 39,80 €, ISBN-10: 393938111X


Zitiervorschlag
Ben Kaden, "Benennen und Verstehen. Überlegungen zur Wissenschaftskommunikation im Anschluss an Winfried Thielmann. Rezension zu: Thielmann, Winfried (2009): Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich. Hinführen - Verknüpfen - Benennen. Univ., Habil.-Schr.-München, 2006. Heidelberg: Synchron Wiss.-Verl. der Autoren (Wissenschaftskommunikation, 3), 39,80 €, ISBN-10: 393938111X. ". LIBREAS. Library Ideas, 17 ().


„Im Extremfall ist die hörerseitige Rekonstruktion der vom Sprecher intendierten grammatischen Zusammenhänge nur auf Basis einschlägigen begrifflichen Vorwissens möglich.“ – S. 310

Einleitung

Die Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist an sich eine disziplinoffene Metawissenschaft, da ihre Aufgabe darin besteht, Ansätze und Konzepte hervorzubringen, die den disziplinär spezifischen Praxen der Wissenschaftskommunikation differenziert Rechnung trägt. Denn nur so lassen sich passende Formen der wissenschaftlichen Literaturversorgung entwickeln, wobei sich diese Domäne nach und nach in die Richtung einer Diskursorganisation erweitert. Auch in diesem Fall gilt, dass die Wissenschaftskommunikation in Gänze reflektiert werden muss. Der Bibliotheks- und Informationswissenschaftler muss also quasi-omnidisziplinär orientiert sein.

Dennoch oder gerade deshalb birgt die Lektüre fremddisziplinärer Texte so manche Herausforderung, zumal für den allgemein nur bedingt linguistisch vorgebildeten Bibliothekswissenschaftler, wenn es sich um eine wie die vorliegende handelt: Eine wissenschaftssprachkomparatistische Habilitationsschrift, welcher der für die angestrebte Qualifikation notwendigen Präzision und Ausführlichkeit eher frönt, als der in anderen Publikationsformen möglichen pointierten Zuspitzung und Verknappung.

Aber sie ist dennoch (oder gerade deshalb) relevant, liegt sie doch genau am disziplinären Schnittpunkt dieses Verständnisses, das die Bibliotheks- und Informationswissenschaft als ein im Kern wissenschaftstheoretisches Fach begreift und das alle greifbaren neuen Erkenntnisse zum großen Komplex der Wissenschaftskommunikation begierig aufzusaugen trachtet.

Insofern ist die Lektüre des Bandes „Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich“ des Chemnitzers Professors für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Winfried Thielmann, nicht nur allgemein Horizont erweiternd, sondern vor dem fachlandschaftlichem Panorama der Bibliotheks- und Informationswissenschaft lohnenswert und ausgesprochen erhellend, sofern man von dem Anspruch absieht, sie als Fachkollege des Autors und mit dem kritischen Auge des Komparatisten zu lesen, sondern als neugieriger Bibliotheks- und Informationswissenschaftler aus einer eigenen Perspektive.

Denn wenngleich sich also jede Einschätzung des konkreten Vorgehens, der Methodenwahl und der Durchführung der Analyse für jemanden, der in der Sprachwissenschaftssprache bestenfalls mit Pidgin-Kenntnissen aufwarten kann, verbietet, so wirken die Resultate durchaus in unser Betrachtungsfeld herüber.

Gemeinsamkeit: Wissenschaftskommunikation

Der Schnittpunkt ist schnell klar: Wissenschaftskommunikation. Oder noch abstrakter: Sprachhandeln. Je mehr es um digital vermittelte Kommunikation geht, je mehr die Disziplin Bibliotheks- und Informationswissenschaft einen Zweig herausbildet, der sich mit der Analyse und konzeptionellen Ausgestaltung von digitalen semantischen, pragmatischen und semiotischen Netzen befasst, je mehr es um ein organisierendes Eindringen in den Text und die Textproduktion und die in Text enthaltenen vielschichtigen Relationsgefüge geht, desto relevanter werden sprachwissenschaftliche Aspekte für unsere Disziplin, auch wenn sich dies bislang nur in vergleichsweise geringem Umfang explizit in den Curricula des Faches niederschlägt. Der „semiotic turn“ hat sich, wider Erwarten und entgegen der Notwendigkeit, noch nicht allzu spürbar vollzogen, obschon der Erkenntnisaufbau in diesem Feld jeder Beschäftigung mit den semantischen Technologien vorausgehen sollte.

Denn es geht eigentlich schon seit dem Hereinbrechen der Dokumentation in die Bibliothekswissenschaft um eine Erweiterung des Erschließungskontextes, der über das Trägermedium (Formalerschließung) und das Titelthema (Sacherschließung) hinausreicht. Die Gestaltung digitaler Kommunikationsräume sieht sich dabei mit einer dreifachen Kontingenz hinsichtlich der in diesen verarbeiteten Aussagegefügen (=Texten) ausgesetzt, die sich nicht mehr mit konventionellen, mehr verwaltungsorientierten Verfahren bewältigen lassen. Sofern diese Räume dynamisch und entwicklungsoffen sind – und wenn sie diskursiv nutzbar sein sollen, müssen sie dynamisch und entwicklungsoffen sein – findet sich das schwer Vorhersehbare.

  • auf der syntaktischen Ebene im Sinne einer Vielfalt an Kombinatorik, wie es sich beispielsweise bei Analyse von Ansetzungsformen von Tags unschwer zeigt,
  • auf der Ebene der semantischen Unterbestimmtheit und Mehrdeutigkeit von Ausdrücken und Äußerungen, wie sie in der Polysemie-Lehre der Dokumentationswissenschaft gern reflektiert wurde, sowie schließlich
  • in der pragmatischen Dimension eines nur schwer eindeutig nachvollziehbaren und selten eindeutig dokumentierten Äußerungssinns.

Bedauerlicherweise findet besonders der dritte Aspekt nur ausnahmsweise in den in die Wissenschaftssoziologie hineinlappenden Randgebieten der Bibliotheks- und Informationswissenschaft Beachtung.

Die Relevanz der Wissenschaftssprachkomparatistik für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft

Das, was in Hinblick auf die postinformationellen Kommunikationssysteme, die sich auch in der Wissenschaft herausbilden, als ein digital vermitteltes Semiotic Web entwickelt, verknüpft unendlich viele Forschungsaufgaben und -themen von den Social Informatics bis zur Korpuslinguistik. Um hier überhaupt einen Ansatz finden zu können, bleibt der Bibliotheks- und Informationswissenschaft gar nichts anderes übrig, als ein transdisziplinärer Blick und die Erfahrung des Denkens zeigt, dass man mit zwei, drei Schnitten von der Gehirnforschung bis hin zur Literaturwissenschaft aus fast allem etwas Fruchtbares für die Wissenschaft der Organisation von Kommunikationsräumen, die die Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist, mitnehmen kann. Nur leider geschieht dies vergleichsweise selten.

Insofern passt die mir dieser Tage auf den Schreibtisch gelangte Schrift aus dem Heidelberger Synchron-Wissenschaftsverlag der Autoren sehr gut in die Berliner Dorotheenstraß, wie auch der Reihentitel „Wissenschaftskommunikation“ deutlich zeigt. Denn kaum ein Feld bietet eine ersprießlichere Ackerkrume für das konzeptionelle Pflügen durch semiotische Rhizomlandschaften, als das (vermeintlich) durch bewusste Formalisierung beispielsweise über Entpersönlichung (bzw. auch „Deagentivierung“) kontingenzreduzierte der Wissenschaftskommunikation.

Bei der Gestaltung virtueller Diskursräume, in denen die Rezeption, Produktion und Kommunikation – also das Verstehen, Verarbeiten und Verbreiten – von Erkenntnissen in einer Kommunikationssphäre verschmelzen, ist durchaus grundsätzlich nach den Bedingungen der Erzeugung der Texte sowie den Darstellungsformen zur Fixierung von Erkenntnis zu fragen. Kontingenzreduktion tut dabei Not und als flankierende Herausforderung gilt es, die kontingenzreduzierenden Praxen der sich tatsächlich vollziehenden Wissenschaftskommunikation mit den kontingenzreduzierenden Ansprüchen der bibliotheks- und informationswissenschaftlich grundierten Organisationskonzepte für solche Räume in Übereinstimmung zu bringen.

Es ist demnach eine Übersetzungsarbeit erforderlich, bei der die wissenschaftskommunikativen Praxen einer über weite Strecken auch intrinsisch heterogenen Wissenschaftsgemeinschaft in die Strukturkonzepte übertragen werden, mit denen sich kommunikative Akte (also Diskurse) kumulieren, organisieren und vermitteln lassen, wobei auch der Aspekt der (automatisierten) Synopse relevant ist. Die aktuell viel besprochenen Ontologien mögen das semiotische Gehirn des Ganzen darstellen, aber diese Systeme benötigen darüber hinaus auch Lunge, Herz und Nieren.

Wissenschaftssprache/n

Eine Herausforderung bei diesen Übersetzungen von sich vollziehender Kommunikation in eine sie abbildende Struktur liegt aber schon allein darin, dass es natürlich keine einheitliche Wissenschaftssprache gibt. „Wissenschaft“ spricht mit vielen Zungen, die sowohl je nach Thema wie auch nach Kulturraum ganz unterschiedlich schlagen und zwar jeweils auf den drei Ebenen: Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Selbst wo der Flor auf dieselben Fasern zurückgreift, werden diese an der Spindel zu gänzlich unterschiedlichen Konzepten kardiert um schließlich in unterschiedlichen Kontexten different ausgelegt.

Bevor (bzw. während) sich die Bibliotheks- und Informationswissenschaft also an die Diskursraumplanung begeben kann, sieht sie sich gezwungen diese vielseitig verschachtelte Polyglossie zu erkunden. Winfried Thielmanns Schrift kann dabei helfen, indem sie einige Aspekte explizit in die Betrachtung rückt, die dort möglicherweise bereits als diffuse Grundüberlegung mitlaufen, die aber nicht exakt benennbar erschienen. Noch wichtiger als das ist jedoch, dass die hier fixierten Erkenntnisse neue Ansatzpunkte für zahllose Anschlusspunkte nach sich ziehen.

Um überhaupt einen Rahmen zum Bearbeiten zu haben, beschränkt sich Winfried Thielmann in seiner empirischen Untersuchung auf drei Dimensionen, in denen sich die deutsche und die englische Wissenschaftssprache unterscheiden. Er geht dafür aber quer über die Disziplinen und stellt einige interessante Muster heraus, die teilweise so grundsätzlich sind, dass man sie getrost auch für andere Sprachbeziehungen als prinzipiell ansehen kann.

Der Autor fragt grundsätzlich, inwieweit die Sprache, in der sich wissenschaftliche Forschung manifestiert, einen Einfluss auf die wissenschaftliche Tätigkeit als solche hat: Unterscheidet sich die Sprache, müsste sich auch die Praxis der Sprachverwendung, ergo die Wissenschaft unterscheiden. Um der Überlegung eine konkretere Form zu geben, entwickelt er daraus die Forschungsfrage:

„Gibt es in der deutschen und englischen Wissenschaftskommunikation, soweit sie durch Wissenschaftliche Artikel vollzogen wird, systematische Differenzen hinsichtlich der Mittel, durch die, und der Zwecke, auf die hin Autoren das Wissen ihrer Leser bearbeiten?“

Die drei Mittel der Wahl für die Analyse sind dabei:

  • die Textart der Wissenschaftlichen Einleitung als „Sub-Textart“ des Wissenschaftlichen Artikels,
  • kausale Verknüpfungen innerhalb von Aussagen als sprachliche Einzelhandlung,
  • die Benennungspraxis der wissenschaftlichen Erkenntnisgegenstände auf der Wortebene.

Das interessante Element der Frage liegt in der Erweiterung der Perspektive auf die pragmatische Motivation mit der die Mittel zum Einsatz kommen. Es geht also nicht allein um die der Sprache innewohnende Muster und Strukturen, sondern zusätzlich darum, wie diese von der Gemeinschaft benutzt werden, um die Leser in eine bestimmte Richtung zu lenken. Dies ist im Idealfall die Anerkennung einer kommunizierten neuen Erkenntnis. Leider bleibt der Autor sehr nah am Mittel und lässt die soziolinguistische Perspektive am Ende der Lektüre unterbeleuchteter, als ich es mir am Anfang erhofft hatte.

Der Untersuchungskorpus, der zu elf Disziplinen jeweils zwei Aufsätze umfasste, wurde dagegen so granular wie möglich auf die drei Untersuchungsdimensionen hin durchleuchtet und was in diesem Gegenlicht diaphan aufschimmerte, ist durchaus bemerkenswert.

Wissenschaftliche Einleitungen

Wissenschaftliche Einleitungen – also die hinführenden Bemerkungen in wissenschaftlichen Publikationen – sind zugleich Transferfläche und Türöffner. Der Leser wird auf der Ebene des ihm Bekannten – also dem Konsens in der Erkenntnis seiner Fachgemeinschaft – abgeholt und möglichst gradlinig und präzise auf die neue Erkenntnis hingeleitet. Je besser dieser Übergang gelingt, desto eher wird er bereit sein, diese neue Erkenntnis zu akzeptieren und sie im Gewebe seines bisherigen individuellen Wissens verankern, wodurch diese Erkenntnis Teil des geteilten Wissensstands der jeweiligen Fachgemeinschaft wird und Basis für jede valide Anschlusserkenntnis. Die Bedeutung einer wissenschaftlichen Erkenntnis zeigt sich auf der diskursiven Ebene weniger darin, dass sie einen bestimmten Sachverhalt erklärt, sondern dass sie bei jeder zukünftigen Erkenntnisproduktion berücksichtigt werden muss. Seine Fachkollegen (argumentativ) dazu zu zwingen, die eigene Erkenntnis in ihrem Denken berücksichtigen zu müssen, ist das Konzentrat jeder wissenschaftlichen Reputation. Wer über Diskursethik nachdenkt, muss Karl-Otto Apel lesen, selbst wenn er ihm nicht zustimmen mag. In der quantitativen Literaturwissenschaft wird man aktuell nicht an Franco Moretti vorbeikommen. Und wer sich wissenschaftssprachkomparatistisch betätigt, tut gut daran, auch einmal in Winfried Thielmanns Habilitation zu blättern.

Zu dem intra- und interindividuellen Wissensstand der Wissenschaftler ist der explizierte Wissensstand hinzuzurechnen, wie er sich in den Beziehungen zwischen den Äußerungen im Sinne von Zitationen manifestiert. Das spielt für den Zuschnitt der hier betrachteten Publikation weniger eine Rolle, ist aber eine relevante Erweiterungsfrage für Anschlussforschungen: Inwiefern lassen sich Zitationen als formalisierte Aussagen sehen, die sich zu anderen Aussagen in einer bestimmten Form – zustimmend, verwerfend – verhalten? Hier ist perspektivisch sicher noch einiges an interessanten Forschungen gerade auch aus dem Umfeld der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu erwarten, wobei man sich generell fragt, wieso sich eine linguistisch grundierte erweiternde Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Biblio-, Sziento- und Webometrie kaum entfaltet, wo doch die Verschränkung von qualitativen und quantitativen Methoden (u.a. unter dem Stichwort Multimethodology) durchaus im Lehrplan aktueller methodologischer Denkschulen eine große Rolle spielen.

Vergleicht man nun mit Winfried Thielmann zunächst die Hinführungen in englischen und deutschen Texten, wird nochmals deutlich, dass nicht die Sprache allein den Unterschied macht. Die Ursachen sind vielmehr konzeptionell, was wiederum mit der Sprache zusammenhängt. Bzw. wie es beispielsweise Nicholas Evans jüngst in seinem interessanten Buch über gefährdete Sprachen (Dying Words: Endangered Languages and What They Have to Tell Us. Malden, Mass.: Wiley-Blackwell, 2010) formulierte: „[...] the process of learning a language goes hand in hand with constructing a particular thought-world, and the pervasive web of integrated cultural practices that go with it. These distinct thought-worlds are neither ultimately incompatible nor hermetically sealed from each other.” (ebd., S. 180)

Die Wissenschaft selbst ist eine kulturelle Praxis, die zudem ihre eigene Sprachpraxis entwickelt. Insofern wäre es tatsächlich interessant zu sehen, wie sich die im Fall Deutsch und Englisch relativ häufigen (wenn auch zumeist unidirektionalen) Übergänge zwischen den sprachlichen Welten auf die Denkgewohnheiten der betroffenen Akteure auswirken und ob sich beim Wechsel zwischen Disziplinen ähnliche Effekte feststellen lassen.

Die in diesem Zusammenhang wichtige Vorannahme ist sicher, dass die Sozialisation in einer bestimmten Sprache eine Anbindung an eine spezifische Kultur nach sich zieht. Diese entwickelt sich in der Wechselwirkung mit der Sprache. Sprachwandel ist demnach auch immer Kulturwandel.

Entsprechend führt die Sozialisation in einer Wissenschaftskultur und einer Wissenschaftssprache tatsächlich zu wissenschaftskulturellen Festlegungen, die das konzeptionelle Verständnis von Gegenstandsbereichen nachhaltig prägen dürfte. Sie macht nicht unbedingt kommunikationsunfähig, wenn es darum geht, sich über disziplinäre und sprachliche Grenzen hinweg zu unterhalten. Es erklärt sich aber, warum man mitunter bei der Sprachgrenzen überschreitenden Konversation eines eklatanten Mangels an Ankopplungsmöglichkeiten gewahr wird.

Umso höher ist der Stellenwert der Einleitungen einzuschätzen, auch wenn sie in diesem Kontext für einen Anschluss innerhalb der Fachgemeinschaft geschrieben werden. Der Wissenskonsens, den es herzustellen gilt, richtet sich auf dieser Betrachtungsebene zunächst einmal an Akteure, die die gleiche Sozialisation erfahren haben. Dem Akteur wird es während der Lektüre möglich, zu prüfen, inwieweit er vom Text adressiert wird. Bei disziplinüberschreitenden Annäherungen ist der Nebeneffekt, dass man eine Verortungsgrundlage für mögliche Anschlüsse und vor allem Lücken erhält. Wo die Aktualisierung über den jeweiligen Text nicht gelingt, werden die Stellen markiert, an denen man sich fachsprachlich zunächst einmal auf das geforderte Verständnisniveau anpassen muss. (Diese Aussage ist im vorliegenden Kontext durchaus auch selbstbezüglich zu verstehen.) Dies gilt insbesondere für die englische Wissenschaftskommunikation, die voraussetzt, dass „hinsichtlich der Möglichkeiten neuen Wissens ein weitgehender Konsens [im begrifflichen Vorwissen] besteht.“ (S. 310) Wo dies nicht der Fall ist, wird dieser Konsens in der Einleitung selbst durch „z.T. recht aufwendige sprachliche Strategien“ – also z.B. über rhetorische Mittel oder einfach „eine konsensgenerierende philosophische Plattitüde“ (S. 81) – hergestellt. Im Zweifelsfall greift man auf die „konsensuelle Wissensform“ eines unhintergehbaren und nicht weiter reflektierten Common Sense zurück, der in gewisser Weise die Letztbegründung zu ersetzen scheint.

Liegt ein geteilter Verstehenshorizont vor, kann der Autor die Leser mit der Argumentation konfrontieren. Im englischen Sprachraum vollzieht sich dies, wie Winfried Thielmann nachweist, über den berühmten Dreischritt („Moves“) der Landnahme nach John Swales: (1) das Themengebiet abstecken, (2) in diesem eine Nische bestimmen und (3) die Nische besetzen.

Für diesen Ansatz dürfte sich die englische Wissenschaftspraxis tatsächlich besser eignen, lässt sie doch, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung Winfried Thielmanns, weitaus mehr sprachgestalterischen Spielraum als die deutsche. An einem roten Faden, der die genannten Stationen verbindet, wird der Leser geradewegs und zwangsläufig über die entsprechend gesetzte Argumentationskette auf das Ziel hingeführt, zu dem es, sofern die Argumentation überzeugt, keine Alternative geben kann. Insofern gestaltet die englische Schreibpraxis den Weg vom Ziel aus. Die deutsche dagegen, wie noch zu zeigen ist, das Ziel über den Weg.

In der deutschen Wissenschaft schreibt man anders. Hier steht, so die Annahme, weniger der Konsens der Gemeinschaft, sondern die Logik der Sache im Mittelpunkt. Während also im Englischen der Akteur bestimmt, wo es lang geht, führt im Deutschen der Gegenstand das Ruder. Die Akteursorientierung englischer Schule schlägt sich auch dahingehend nieder, dass das Ziel der Argumentation laut Thielmann eine Profilierung des Akteurs über die Durchsetzung der eigenen Nische an einem wissenschaftlichen Gegenüber bzw. Gegner geht. Dazu benötigt der Wissenschaftler die Zustimmung seiner Leserschaft.

Dem deutschen Wissenschaftler geht es dagegen weniger um das Überzeugen an sich, sondern um die darstellende Aufschlüsselung der Entwicklung hin zu einer Erkenntnis. Das Ziel ist hier nicht der Bezug auf ein Vorverständnis des Lesers, sondern die modellierende Bearbeitung des Leserverstehens durch die Strukturierung des Textes.

Im Anschluss wird dann möglichst transparent, welche Begründungsschritte zwischen dieser Basis und der Erkenntnis liegen.

Die Konjunktionen

Exemplarisch analysiert Thielmann diese Praxis anhand der Verwendung der Kausalkonjunktionen „because“ und „weil“. Das deutsche „weil“ übernimmt dabei eine ordnende (hypotaktische) Rolle. Es kategorisiert den in einer Aussage enthaltenen Sachverhalt und begründet dadurch, warum der Sachverhalt aus dem Kontingenzraum aller für diesen Kontext möglichen Sachverhalte ausgewählt wurde. In den Einleitungen wissenschaftlicher Aufsätze soll die Konjunktion aufzeigen, warum dieser Schritt für die Erkenntnisproduktion entscheidungsrelevant ist. Der Leser soll nachvollziehen können, warum die Sprechhandlung erfolgte, wie sie erfolgte und somit, welche Entwicklungswelt die neue Erkenntnis durchlief. Stimmt die Basis, kann der Leser anhand der Argumentation den Erkenntnisprozess rekonstruieren. Fehlt die Basis des gemeinsamen Wissens, können also die Gründe und Ursachen nicht „einverständig verbalisiert“ werden, dürfte die Kommunikation dagegen eher nicht zufriedenstellend vollziehbar sein.

Dem abstrakteren „because“ geht es dagegen nicht um durchsichtige Dinge, sondern um Schärfung des Profils des Aktanten. Es erzwingt keine Einschränkung auf Entscheidungsrelevanz des angebundenen propositionalen Gehaltes, wie sie „weil“ voraussetzt, sondern kann durchaus auf die vermeintlichen bzw. tatsächlichen Motivationen eines wissenschaftlichen Gegenübers bezogen sein. Geht es beim „weil“ nahezu ausschließlich um begriffliche Operationen, kann „because“ viel flexibler benutzt werden.

Wie die Sprache, so auch die Wissenschaftskultur: Das Verstehen ist in der englischen Wissenschaftslandschaft sowohl antagonistisch motiviert wie auch konsensgeleitet, wogegen sich die deutsche Wissenschaftstradition argumentativ-anleitend erst im Text aufgrund einer bestimmten Logik herausbildet. Die Kausalkonjunktion „because“ übernimmt dabei eine sprachliche Führungsposition.

Es ist grundsätzlich zu vermuten, dass angelsächsische Wissenschaft weitaus eher mit dem Konzept der „Nouvelle Rhétorique“ eines Chaїm Perelman als mit dem Layout of Arguments eines Stephen Toulmin zu erklären ist: wo die deutsche Wissenschaftskultur auf eine begrifflich schlüssige Herausarbeitung neuer Erkenntnis (Logik des Begriffs) setzt, fokussiert die angelsächsische Wissenschaftskultur die Empfänger, „die sich durch argumentative Strategien überzeugen lassen.“ (Logik des effektiven Überzeugens) (S. 312) Die Anerkennung eines Arguments ist dabei in gewisser Weise Verhandlungssache: Wenn man nicht überzeugt ist, kann man es auch ablehnen.

Vor diesem Hintergrund entwickelt jede Fachgemeinschaft eine Erwartungshaltung an wissenschaftliche Publikationen sowie ein dispositives Verständnis, welche Darstellungsform sie als „wissenschaftlich“ anerkennt. Ob die als gültig bestimmten semantischen Reichweiten der Verwendung von „because“ und „weil“ dies hervorgebracht haben oder aber ihre Begrenzung genau aus diesem Anspruch heraus erhalten, müssen die Etymologen beider Sprachen abklären.

Eine ausführliche Überlegung zur Grammatikalisierungsgeschichte von „weil“ und „because“ lassen sich übrigens im vorliegenden Band von Seite 218 bis 227 nachlesen. Als grobe Orientierung scheint notierbar, dass „weil“ auf den Prozess bezogen erscheint, während das Englische den Gegenstand bzw. das Konzept fokussiert.

Benennung des wissenschaftlichen Erkenntnisgegenstandes

Benennungen sind die Marksteine begrifflicher Abmarkungen. Bleibt man im Bild, erscheint Wissenschaft als Vermessungstätigkeit, bei der allein oder kollaborativ auf der weiten Flur der Wahrnehmungen Orientierungsmarken gesetzt werden, Flächen eingehegt werden und eine kultivierende Bearbeitung erfahren. Diese nennt man dann Begriffsentwicklung und nun wird es verständlich, wieso die amerikanisch geprägte Wissenschaft den Claim der Nische zum Leitbild ausruft: Hier ist Wissenschaft auch immer die Eroberung einer neuen Welt. Die europäische und daher auch die deutsche Wissenschaft, müssen sich nach dieser topologischen Sichtweise immer damit herumschlagen, dass die Räume, in denen sie sich befindet, schon recht vollständig besetzt sind. Die alte Welt muss nicht mehr erobert werden, aber man kann sie immer neu durchleuchten. Bei beiden Ansätzen geht es um eine differenzierende Annäherung. Was man benannt und abgegrenzt hat, was also eine eindeutige Erkennbarkeit erfahren hat, kann als Grundstock für eine weitere Verfeinerung sein. Wer eine feste Burg als Grundmauer hat, hat auch einen Aussichtspunkt.

Wie vollzieht sich nun die abgrenzende Bestimmung „dingbegrifflicher Wissenskomplexe“. Genau genommen erweist sich die Abgrenzung als eine doppelte: Einerseits zu anderen dingbegrifflichen Wissenskomplexen und andererseits zu dem Prozess, aus dem sie herausgenommen bzw. wie Thielmann es formuliert „zum Stehen gebracht“ werden. Also zugleich zur Landschaft an sich und zum Nachbarfeld, das wie das eigene Teil dieser Landschaft ist.

Die Landschaft, der Prozess ist, je nach Perspektive, das Fließen der Welt (beispielsweise mit den Stichworten „Lebenszyklus“ und „Evolution“) oder das Fließen der Beobachtung. Auch hier begegnen wir der Kontingenz, denn was durch den Beobachter unter bestimmten Bedingungen in einer bestimmten Form als Gegenstand definiert, also abgegrenzt wird, könnte unter anderen Umstände mittels ganz anderer Spundwände vom Fluss der Dinge geschieden werden. Die Parzellierung der Begriffe könnte auch ein anderes Begriffs- und damit Erkenntnisraster hervorbringen. Umso entscheidender ist es also, die Regeln, nach denen die begrifflichen Gemarkungen unter einem Namen zusammengeführt werden, zu reflektieren.

Die Frage – übrigens eine auch für jede Klassifikationsforschung hochrelevante – lautet demnach, wie Erkenntnisgegenstände bestimmt und in Begriffe gefasst werden, also welche kommunizierbare Form sie erhalten und mit welchem Ausdruck man sie in den Diskurs einbringt?

Im Englischen ist, so ein Ergebnis der Analyse Winfried Thielmanns, die Terminologieentwicklung an dieser Stelle relativ offen: Es erfolgt, verkürzt gesagt, einfach eine Setzung (beziehungsweise „Positionierung eines puren Symbolfeldausdrucks als Kern einer Nominalphrase“).

Diese entspricht einer konkreten, spezifischen Benennung, die situationsentbunden und kontextunabhängig gilt, nicht aus sich heraus rekonstruierbar sein muss und entsprechend der wissenschaftskommunikativen Tradition des Überzeugens auch eine „metaphorische Schlagkraft“ aufweisen kann. Dass in diesem Zusammenhang die Intention des Autors in Hinblick auf die anvisierte Nische von Bedeutung ist, versteht sich von selbst und deshalb ist ein Wort wie Lifestreaming auch relativ schnell in den entsprechenden Diskursräumen derart etabliert, dass man es ohne Anführungszeichen verwenden kann. Andere Ausdrücke wie compunication setzen sich dagegen aufgrund ihrer Sperrigkeit kaum durch und auch ein auf Gleichheit gerichtetes huself als Substitut für himself und herself offenbart seine Raffinesse erst nach längerem Nachdenken und damit für eine schnelle Übernahme in den allgemeinen Diskurs zu spät. Diesen zu komplex angelegten Protologismen fehlen die verstehende Anerkennung durch eine Diskursgemeinschaft und zugleich die logische Herleitung und damit der Durchsetzungserfolg. Sie entsprechen demnach nicht einer „besonders geglückten Wahl“ (S. 313) einer symbolischen Prozedur in Hinsicht auf das angestrebte Ergebnis. Die Flexibilität der Benennungspraxis, die sich nicht an präzise Herleitungen des Ausdrucks zu halten braucht, hat, so Thielmann, aber auch bei gut harmonierenden Benennungen den Effekt, dass die Semantik der jeweiligen Ausdrücke außerhalb der Diskursgemeinschaft kaum präzise abgeschätzt werden können und bestimmte Gesichtspunkte des Gegenstandsbereiches verbergen bzw. aus der Abbildung ausschließen. Der Begriff restringiert dadurch eventuell eine allzu ausschließliche Perspektivität, wo Reflexion den Erkenntnisprozess notwendigerweise begleiten sollte. Seine Verwendung setzt nicht eine logische Herleitbarkeit, sondern eine einverstehende Anerkennung voraus.

Da ein derart festgelegter Begriffsrahmen mit jeder bestätigenden Verwendung tradiert wird, schwingt diese Verborgenheit zwar permanent mit, wird aber erst durch ein bewusstes Aufbrechen der Festlegung thematisierbar. Im Deutschen bleibt man näher bei der Spur. So wird ein Gegenstand „praktisch ausschließlich“ über eine deverbale Ableitung als Substantiv fixiert. Die Benennung des Gegenstands wird durch seine interne, logisch nachvollzogene Struktur bestimmt. Sie ist also wiederum auf ein nachvollziehendes Verstehen gerichtet. Grob gesagt, wird der Prozess substantiviert und dadurch vergegenständlicht. Die Besonderheit dieses Vorgehens liegt darin, dass über dieses Verfahren der begriffliche Fokus für den Leser konstant bzw. nachvollziehbar bleibt und es dem Rezipienten entsprechend möglich wird, die Erkenntnisgenese an der Begriffsgeschichte zu rekonstruieren.

Fazit und Folgeüberlegungen

Das Buch erfordert seinem Ursprung in einer Habilitation gemäß eine konzentrierte und vor allem zielgerichtete Lektüre. Die Analyse wird sehr feingliedrig in der dem Anlass angemessenen Form dargestellt und die Zusammenfassungen weisen ein mehr als vertiefendes Maß an Redundanz auf. Für die Lektüre muss man diese Rahmenbedingungen und Schwerpunktsetzungen selbstredend berücksichtigen, gerade wenn man eine andere disziplinäre Provenienz aufweist.

So zeigt sich für Bibliotheks- und Informationswissenschaftler der Begriff des „Wissens“ in der Verwendung eher unreflektiert und wird leider nicht so exakt definiert, wie zum Beispiel Text („verdauerte Sprechhandlungsfolgen zur Ermöglichung von Situationen, in denen Sprecher und Hörer nicht kopräsent sind“, S. 47). Wissenschaftssoziologen erscheint die „Community“ und die sich in ihr vollziehenden sozialen Koordinationen vermutlich zu unterbestimmt. Die Beschränkung auf die Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch zeugt von einer Spezialisierung und kann nur Baustein sein, wenn es darum geht vermittels einer Komparatistik der Wissenschaftssprachen Erkenntnisse „über die ›kognitiven Differenzen‹ [...] zwischen den europäischen Wissenschaftssprachen“ zu gewinnen. (vgl. S. 22) Mögliche Veränderungen durch die in der Realität häufig durch Studienortwechsel stattfindende bilinguale Wissenschaftssozialisation und damit verbundene mögliche Sprachwandelprozesse werden nicht angedacht. Der Fokus liegt eng auf den drei Phänomenen Kausalverknüpfung Textart, Wortart und damit weitgehend auf der sprachstrukturellen Ebene.

Das ist nicht als Kritik an der Arbeit zu verstehen, sondern eher als unabdingbarer Hinweis darauf, dass Erkenntnisproduktion naturgemäß begrenzt ist und Lücken lässt. Wissenschaft lebt von diesen Nischen und es zeigen sich, je nach Blickwinkel, zahllose Anschlusspunkte an die von Winfried Thielmann untersuchten Aspekte. Auch diese Arbeit dient dazu, in der Praxis der Wissenschaftssprachen etwas zum Stehen zu bringen, um daraus einen Erkenntnisgegenstand zu definieren, an den sich anschließen lässt.

Generell lassen sich nach der Beschäftigung mit dem Buch einige Implikationen für jede Art von wissenschaftsvermittelnder Tätigkeit, also auch für die Konzeptentwicklung in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft formulieren.

Eine Grunderkenntnis lautet, dass die scheinbare Leichtigkeit des Wechselns zwischen den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch, wie sie aufgrund der Ähnlichkeit der Sprachen oft angenommen wird, einen nicht sichtbaren, aber sehr wirksamen Bleiboden besitzt, der erst dann spürbar wird, wenn sich die Abweichungen im Verstehen tatsächlich in Handlungsdiskrepanzen niederschlagen.

Die vermeintliche Einfachheit englischer Texte ist, wie Thielmann anmerkt, nicht etwa Resultat der einfacheren englischen Sprache, sondern der Vertrautheit der in der englischsprachigen Wissenschaftsgemeinschaft sozialisierten Autoren mit der dort akzeptierten Schreibpraxis. Hier wird der Zusammenhang zwischen Sozialisation und Sprache besonders augenfällig.

Wie durchsetzungsfähig ein aus der deutschen Wissenschaftslandschaft stammender Autor mit englischen Texten im englischen Sprachraum ist, hängt entweder von seiner Integration in die dortige Fachcommunity und/oder seinem Wissen um diese Metabedingungen wissenschaftlichen Schreibens ab. Zweifellos ist eine entsprechende Zweit- bzw. Nachsozialisierung durch einen Wissenschaftsspracherwerb denkbar und ein dankbares Untersuchungsfeld ergibt sich aus der Frage, in welchem Umfang eine wissenschaftskommunikative Souveränität in Fremdsprachen möglich ist, wie sich also in deutschsprachigen Kontexten wissenschaftssozialisierte Akteure beim Publizieren im und für die englischsprachige Community bewähren. (Gleiches gilt im Übrigen vermutlich auch für Abstecher in andere Fächer als der Heimatdisziplin.)

Ein wichtiger Aspekt und wiederum ein wunderbares Thema für weitergehende Untersuchungen liegt in den von bestimmten Wissenschaftskulturen geprägten Publikationsrichtlinien der Fachjournale und genauso in der Beurteilung der Texte nicht-muttersprachlicher Autoren im Peer-Review-Verfahren.

In der Regel, so eine Annahme, reproduziert eine Darstellung der eigenen Erkenntnisse in der jeweils anderen Sprache hauptsächlich die Darstellungsweisen der eigenen Wissenschaftskultur. Je nach Sensibilität leiten die Autorenhinweise der Zeitschriften sowie das Begutachtungsverfahren in Rückkopplung den Autor – so der Idealfall, der für die Erkenntnispluralität gar nicht mal ideal sein muss – auf eine Art Kompromisslösung hin, die bestimmte Charakteristika anpasst beziehungsweise glättet. Untersuchungswert wäre an dieser Stelle, inwieweit die Hegemonie des Englischen besonders in den STEM-Disziplinen (Science, Technology, Engineering and Mathematics) die Sprachraum spezifische Ausprägung dieser Fächer nivelliert.

Immerhin legen die Ergebnisse der Arbeit Thielmanns die Vermutung nahe, dass sich die jeweiligen in der lingua franca Englisch verfassten Publikation tatsächlich erst in den Rekurs auf die Muttersprache bzw. Wissenschaftskultur des Verfassers in Gänze verstehen lassen. Seine Erkenntnis lautet: „In einer lingua franca ist keine Wissenschaft möglich.“ (S. 318) Ob dies in dieser Zuspitzung tatsächlich stimmt, lässt sich natürlich hinterfragen, selbst wenn die Erfahrung diese Tendenz eher untermauert. Aber auch hier bleibt die Überlegung, ob nicht die Rolle des individuellen Akteurs und seine subjektive Kompetenz im Umgang mit den verschiedenen Wissenschaftspraxen einen Unterschied überbrückt, den die Sprache an sich lässt.

In der Übersetzerausbildung werden die zwischensprachlichen Fallstricke sicher präzise markiert. Aufgrund der Omnipräsenz des Englischen und der oft nicht ganz zutreffenden Annahme eines selbstverständlichen Hantierens mit dieser Sprache auch durch deutsche Wissenschaftler unterbleibt eine Kenntnisvermittlung aber an anderer Stelle häufig, wo sie einen interwissenschaftskulturellen Dialog nur befördern könnte.

So ist die semantische Differenz der Kausalkonjunktionen „because“ und „weil“ sicher kein Einzelfall. Dass die unterschiedliche Grundstruktur wissenschaftlicher Texte Auswirkungen nicht nur für das Übersetzen, sondern auch für die verstehende Lektüre und mehr noch für das Schreiben im Englischen hat und es nicht damit getan ist, an der richtigen Stelle „since“ einzusetzen, liegt auf der Hand. Wer hier zu viel Ähnlichkeit vermutet, entstellt möglicherweise recht grundlegend den Sinn einer Aussage. Ein anderer Effekt ist, dass englische Texte, da sie auf eine konsensuell-antagonistische Vermittlungspraxis gerichtet sind, eher wenig auf eine verstehende Leistung des Rezipienten und mehr auf seine Zustimmung zielen, in der deutschen Übersetzung Deutsche mitunter etwas schlicht (bzw. je nach Standpunkt auch: verständlich) anmuten. Da benennende Gegenstandsfixierungen im Englischen häufig metaphorisch motiviert sind, werden sie, wie Winfried Thielmann aufzeigt, als Festlegung mit ins Deutsche übernommen, was durchaus – anglifizierend – tiefer in die deutschsprachige Wissenschaftspraxis hineinwirken dürfte.

Eine einfache Übersetzung vom Deutschen ins Englische, die erfahrungsgemäß seltener vorkommt, ist für den Autor dagegen nahezu unmöglich: „Der hermeneutische, musterwissenbasierte deutsche Einleitungstyp ist im Englischen dysfunktional, weswegen Einleitungen für das Englische als lineare Orientierungen im Wissen neu zu konzipieren sind.“ (S. 316) Ähnliches gilt wenigstens für im englischen Wissenschaftsraum nicht bereits durchgesetzte Gegenstandszusammenhänge. Da die deutschen Texte das Einverständnis des englischen Lesers weder in ihrer Entstehung berücksichtigen noch in der Übersetzung aufweisen, dürfte dessen Erwartungshaltung an den Text nicht nur nicht erfüllt werden. Es ist darüber hinaus zu vermuten, dass er, sofern er nicht die Diversität wissenschaftskultureller Schreibkulturen aktiv reflektiert, diese Texte als hermetisch empfindet und zutiefst irritiert wird, da das von ihm erwartete antagonistisch gerichtete Überzeugungshandeln im Text ausbleibt. Das bedeutet, dass etwas, was in der einen Community alle Standards erfüllt, in der anderen als „nicht-wissenschaftlich“ empfunden werden könnte.

Eine Übersetzung vom Deutschen ins Englische muss also wenigstens auf den „Common Sense“ verweisen. Die Darstellung einer neuen Erkenntnis in eine an diese Zielgruppe angepasste Form dürfte in jedem Fall eine höhere Rezeptionswahrscheinlichkeit aufweisen, als eine reine Übersetzung der Vorlage. So lässt sich durchaus auch fragen, inwieweit der Stellenwert deutscher Wissenschaft durch eine entsprechende Überarbeitung erhöht werden kann.

Aufgrund einer sprachwissenschaftlichen Betrachtung eines Ausschnitts der Wissenschaftskommunikation lässt sich abschließend unschwer die These entwickeln, dass sich Wissenschaft im angelsächsischen Raum weitaus stärker akteursbezogen vollzieht, wogegen deutschsprachige Wissenschaft der Eigenbewegung des Gegenstandsbereiches folgt.

Dies ist bei der Entwicklung virtueller Diskursräume von besonderer Relevanz, wenn es um die Entwicklung von Technologien zur Abbildung pragmatischer und semantischer Relationen geht. Eine solche konzeptionelle Arbeit setzt die Berücksichtigung entsprechender Praxen der Wissenschaftskommunikation auch dann voraus, wenn sie selbst lenkend wirken soll. Ein Angebot, das angenommen werden soll, muss zwangsläufig die Erwartungen der jeweiligen Zielgruppen berücksichtigen. In der Praxis streben diesem Anliegen Aspekte wie Ressourcen oder die technische Machbarkeit naturgemäß immer wieder entgegen. Dennoch bleibt keine Alternative zur Reflexion und Integration spezifischer wissenschaftskommunikativer Prinzipien, wie sie die Fachgemeinschaften herausbilden. Ein Angebot, das vorwiegend auf bibliothekarische oder informatische Strukturen setzt, droht an dieser Stelle zu scheitern.

Die Entwicklung im Bereich der Internet-Angebote für die Informations-, Literatur- und Kommunikationsorganisation auch für die Wissenschaft zeigt, dass es zahlreiche Mitbewerber gibt, die sich zwar nicht immer systematisch mit wissenschaftstheoretischen und mit Analysen von wissenschaftskommunikativen Sprachhandeln befassen, aber entsprechend flexible Plattformen und Werkzeuge auf den Markt bringen, die einen sympathischen Kompromiss in der Kombination aus Niedrigschwelligkeit und Funktionalität darstellen. Allerdings scheint es sinnvoller, wenn entsprechende Angebote nicht nur als Spin Off oder Webbusiness-Unternehmung, sondern aus der Wissenschaft selbst entstehen und an den doch mehr auf Dauerhaftigkeit wissenschaftlichen Infrastrukturinstitutionen, wie z.B. Bibliotheken.

Sieht man Wissenschaft nun jenseits der Fach- und Sprachgrenzen, wie es die Bibliotheks- und Informationswissenschaft tun muss, zeigen sich gerade an dieser Stelle Ansatzpunkte u.a. für korrespondierende Kompetenzvermittlungskonzepte. Denn wenn man die Aufgabe von wissenschaftlichen Bibliotheken und Informationseinrichtungen zeitgemäß interpretiert und über die reine Inhaltsvermittlung hinaus auch die Vermittlung von wissenschaftlicher Handlungskompetenz in das Spektrum solcher Institutionen aufnimmt, werden durchaus Angebote vorstellbar, die im geringsten Fall eine Sensibilisierung für diese Problematik und in der Erweiterung disziplin- und sprachraumgerichtete Schulungsangebote für eine interkulturell orientierte wissenschaftliche Kommunikationskompetenz umfassen.

Nach der Lektüre der Arbeit findet sich die Grundannahme bestätigt, dass die Schwerpunktsetzung bei der Konzeption neuer Diskursräume für die Wissenschaft prinzipiell davon abhängig ist, welche Wissenschaftsgemeinschaft als Zielgruppe definiert wird und zwar nicht nur in disziplinärer Hinsicht, sondern auch in Abhängigkeit vom jeweiligen Sprachumfeld. Es ist einsichtig, dass die Sprachverwendung in der Wissenschaftskommunikation sehr bestimmt auf den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess als solchen verweist. Die Grenzen der Sprache markieren auch hier die Grenzen des Denkens und die Praxis der Sprachverwendung bestimmt die Praxis des Denkens. Konzepte für die Organisation virtueller Kommunikationsräume für die Wissenschaft sollten diesen Punkt als ihren Ausgangspunkt definieren.

Eine allumfassende Einheitspassform zu gießen, die dann nach Belieben auf Diskursgemeinschaften gestülpt wird, kann folglich nicht als Ziel bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Entwicklungsarbeit sein. Vielmehr ist auch hier ein feinfühliges Verständnis der Gepflogenheiten und Praxen der jeweiligen Disziplinen notwendig, womit sich der Kreis schließt, indem deutlich wird, warum ein interdisziplinärer Blick essentiell für unsere Disziplin ist. Die Bibliotheks- und Informationswissenschaft muss verstehen, wie die anderen kommunizieren und warum dies so ist.


Ben Kaden, M.A. hat Bibliothekswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim DFG geförderten Projekt "IUWIS. Infrastruktur Urheberrecht für Wissenschaft und Bildung".