- Bibliothekarische Arbeit für Kinder und Jugendliche im Sinne der Expertengruppe
- Alles ist Vermittlung
- Eine weitere Beispielsammlung
- Fazit: Kein Handbuch, sondern ein Tätigkeitsbericht
- Wie schon erwähnt, werden immer noch die PISA-Studien für fast alle Angebote in der Kinder- und Jugendbibliotheksarbeit als Begründung angeführt, ohne dass dies aus den Studien selber herzuleiten wäre. Vielmehr scheinen diese Studien angeführt zu werden, wenn es eigentlich notwendig wäre, die eigene Arbeit argumentativ zu untermauern – was wohl auch möglich wäre, wenn man sich darauf einlassen würde.
- Allgemein wird darin übereingestimmt, dass bibliothekarische Angebote für Kinder und Jugendliche nur dann sinnvoll sind, wenn sie eine hohe Kontinuität entwickeln und zudem einen starken Identifikationsfaktor beinhalten, der sie von anderen Angeboten abgrenzbar macht. So setzen viele Angebote auf Maskottchen und Logos.
- Ebenso wird beständig eine Zusammenarbeit mit örtlichen Schulen, Kindertageseinrichtungen und anderen Partnern angestrebt. Die Bibliothek wird mit ihren Angeboten als Teil von Angebotsnetzwerken verstanden, nicht als Insellösung. Viele der Projekte zeigen, dass es möglich ist, mit anderen Partnern zusammenzuarbeiten. Gleichwohl wird im gesamten Handbuch darauf verzichtet, das bekannte Problem zu thematisieren, dass solche Partner in strukturschwachen Regionen fast nicht vorhanden sind, während Bibliotheken in strukturstarken Regionen die Möglichkeit haben, ihre Arbeit durch die Zusammenarbeit mit sehr unterschiedlichen Partnern zu ergänzen.
- Eine Anzahl der Projekte gibt an, dass eine Evaluation derselben durchgeführt wurde. Dies ist wenig überraschend, ist die Evaluation doch zum Bestandteil moderner Governance geworden. Allerdings scheint sich die in Bibliotheken durchgeführte Evaluation fast durchgängig auf selbst geschriebene Fragebögen für die Beteiligten zu beschränken, was selbstverständlich unzureichend ist, um die Wirkung einer Veranstaltung oder eines Projektes zu beschreiben. Es scheint, als sei im Bibliothekswesen – zumindest im Bereich der Arbeit für Kinder und Jugendliche – noch lange keine Evaluationskultur entwickelt worden.
- Wenig überraschend ist zudem, dass sich ein Großteil der beschriebenen Projekte auf die Leseförderung konzentriert und immer wieder die Bedeutung moderner Medien betont wird. Gleichwohl ist das Beharren darauf, dass neue Medien in der Kinder- und Jugendbibliotheksarbeit benutzt werden müssen, auffällig, da dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit darstellen sollte. Insoweit stellt sich die Frage, warum dies immer wieder betont werden muss.
- Auffällig ist, dass sich nur eines der sechzehn Beispiele mit Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigt. Dieses Beispiel ist zudem aus Bremen, also einer Großstadt, in der sich solche Menschen bekanntlich in den ersten Generationen nach der Einwanderung oft ansiedeln. Fast ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland hat heute einen Migrationshintergrund, dies spiegelt sich aber in diesem Buch nicht wieder. Zwar wird immer wieder einmal angesprochen, dass es notwendig wäre, für Menschen mit Migrationshintergrund besondere Angebote zu entwickeln, aber diese scheinen immer nur als Randgruppe, welcher zu helfen sei, verstanden zu werden. Menschen mit Migrationshintergrund sind aber keine Randgruppe mehr, sie sind in allen Schichten in Deutschland vertreten, wohnen in allen Städten und Gemeinden und prägen die Gesellschaft mit – nicht zuletzt als Minister und Parteienvorsitzende. Wenn ihr Anteil an den Nutzerinnen und Nutzern der Bibliotheken auffällig gering ist, müsste das Anlass zur Sorge und zu der Frage geben, welche Barrieren dann offenbar existieren. Zudem müssten Bibliotheken darauf hinarbeiten, dass diese Menschen so integriert werden, dass es egal wird, ob jemand einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Dies wird nicht thematisiert und ist eine der großen Schwächen dieses Handbuches, aber auch der Arbeit der Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken.
Das von Kerstin Keller-Loibl herausgegebene Handbuch Kinder- und Jugendbibliotheksarbeit ist hauptsächlich eine Werbeschrift: Das gesamte Buch ist durchzogen von einer unsachgemäßen Werbesprache, welche sich zumeist auf anpreisende Begrifflichkeiten wie „jetzt”, „neu”, „aktuell” oder „innovativ” verlässt, wo inhaltliche Argumentationen von Nöten wären. Die Texte versuchen allesamt den Eindruck zu vermitteln, als gälte es keine Fragen zu stellen oder Probleme zu benennen, sondern vor allem schon fertigen Modellen zu folgen. Zwar werden in diesem Buch zum Teil – im Gegensatz zu einigen älteren Texten zur Kinder- und Jugendbibliotheksarbeit – die Veränderungen in der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen und in der Zusammensetzung der Gesellschaft akzeptiert. Gleichwohl wird versucht, dies als Innovation zu verkaufen, obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass – wenn auch mit Verspätung – festgestellt wird, dass sich die Gesellschaft, Mediennutzung, Kindheit und Jugend verändern. Ein solcher Gedanke erscheint jedoch einer Werbeschrift unangemessen. Verstörend ist, dass nie so richtig klar wird, wem eigentlich was angepriesen wird, für welches Produkt geworben wird und wem es verkauft werden soll.
Kerstin Keller-Loibl hat dieses vorgebliche Handbuch für die Expertengruppe Kinder- und Jugendbibliotheken (jetzt Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken) im Deutschen Bibliotheksverband, deren Vorsitz sie aktuell innehat, herausgegeben. Zu vermuten ist also, dass diese Schrift vor allem die Sicht und die Konzepte dieser Gruppe verbreiten soll. Das allerdings ist aus zwei Gründen problematisch. Zum einen tritt die Kommission, zumindest bislang, mit dem Anspruch auf, die einzige kompetente Gruppierung in diesem Bereich in Deutschland zu sein und deshalb auch die Diskurshoheit zum Thema Kinder und Jugendbibliotheksarbeit beanspruchen zu dürfen. Dies unterbindet die Möglichkeit, an den von der Gruppe propagierten Modellen und Lösungen eine notwendige Kritik zu äußern oder auch nur andere Schwerpunkte der Kinder- und Jugendbibliotheksarbeit öffentlich zu thematisieren. Zum zweiten wird dieses Buch, dass vor allem eine Systematisierung von Forderungen und Texten des Gruppe selber und der IFLA darstellt, welche mit einer Beispielsammlung und einem relativ umfangreichen Appendix mit einschlägigen Adressen und Literaturnachweisen ergänzt wurde, als Handbuch bezeichnet.
Ein Handbuch sollte eine Grundlage für die bibliothekarische Arbeit darstellen, ein Werk, in welchem man schnell Grundfragen der Arbeit für Kinder und Jugendliche nachschlagen kann und eventuell weiterführende Hinweise findet. Kurz gesagt ist ein Handbuch eigentlich ein Hilfsmittel für die alltägliche Arbeit. Ganz richtig vermerkt Keller-Loibl, dass es ein solches Handbuch – welches neben Rupert Hackers „Bibliothekarisches Grundwissen” und den „Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation” in der Arbeitsbibliothek von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, stehen könnte – nicht gibt. Leider versucht Keller-Loibl im Namen der Expertengruppe nun mit ihrem Werk diesen Platz zu besetzen, obgleich ihr Werk nicht für die alltägliche bibliothekarische Arbeit ausgelegt ist.
Bibliothekarische Arbeit für Kinder und Jugendliche im Sinne der Expertengruppe
Sieht man aber davon ab, ist dieses Buch dennoch hilfreich. Es stellt vor allem die Position der Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken dar, ohne allerdings auch nur zu vermerken, dass es auch andere Positionen gibt. Es hilft nicht dabei, gegenüber Geldgebern für eine bestimmte bibliothekarische Position zu argumentieren, da es in diesem Werk an Argumentationen mangelt; aber es hilft dabei, zu verstehen, was die Grundpositionen einer der einflussreichen Gruppen des deutschen Bibliothekssystems sind. Man kann an diesem Buch auch ablesen, welche langsamen Veränderungen in den letzten Jahren im Bereich der Arbeit von Bibliotheken für Kinder und Jugendliche stattfanden. Und schon allein dafür ist das Buch tatsächlich, bei aller Kritik, wertvoll. Gleichwohl ist zu kritisieren, dass dies nicht offen gesagt wird. Vielmehr wird unter den Überschriften „Theoretische Grundlagen und Standards der Bibliotheksarbeit für Kinder” bzw. „für Jugendliche” eine Zusammenfassung der Positionen der Kommission und teilweise einiger Arbeitsgruppen der IFLA präsentiert, welche mitnichten theoretisch oder empirisch untermauert sind. Das ist ärgerlich, weil mit der Überschrift Erwartungen geweckt werden, die sich nicht erfüllen. Es passt aber in dieses Buch, welches beständig mit zu großen Begriffen arbeitet. Dies macht es allerdings schwierig, die interessanten Aussagen und Erkenntnisse, welche in den einzelnen Texten enthalten sind, nicht zu überlesen.
Die bibliothekarische Arbeit für Kinder und für Jugendliche ist für Keller-Loibl explizit voneinander zu trennen. Sie besteht darauf, dass sich diese beiden Lebensalter nicht in eine Abteilung zusammenfassen ließen. Vielmehr würden sich Jugendliche, das heißt hier Menschen ab 12, 13 Jahren, ganz entschieden dagegen wehren, als Kinder angesehen zu werden. Keller-Loibl verweist zu Recht darauf, dass die Jugend als Übergangsalter zwischen Kindheit und Erwachsenensein, aber gleichzeitig auch als eigenständiges Lebensalter mit eigenen Sozialisationsformen angesehen werden muss, allerdings ohne aus dieser wichtigen Differenzierung einen wirklichen Rückschluss für die bibliothekarische Arbeit zu ziehen. Folgerichtig fordert Keller-Loibl, dass die Arbeit für Kinder in anderen Bereichen der Bibliothek und unter anderen Zielsetzungen stattfinden soll als die Arbeit für Jugendliche. Allerdings ignoriert sie, dass im bibliothekarischen Alltag ebenso die gegenteilige Entscheidung getroffen wird und zwar nicht etwa nur, weil die von ihr vertretene Ansicht nicht bekannt oder umsetzbar wäre, sondern tatsächlich auch, weil es für eine Zusammenführung von Kinder- und Jugendabteilungen, teilweise auch für die Zusammenführung dieser mit dem allgemeinen Bestand einer Bibliothek, gute Gründe geben kann.
Weiterhin fokussiert Keller-Loibl die bibliothekarische Arbeit für Kinder- und Jugendliche auf eine vorgebliche Bildungsfunktion von Öffentlichen Bibliotheken, obgleich der kindliche und jugendliche Alltag bekanntlich nicht nur aus Lernprozessen besteht. Dennoch werden sogar die wenigen anderen Funktionen von Bibliotheken, insbesondere als Spielort für Kinder und als Ort der sozialen Interaktion für Jugendliche, dem Bildungsparadigma untergeordnet. Diese Fokussierung ist aus den Argumentationen des Deutschen Bibliotheksverbandes bekannt, obwohl sie auch in diesem Buch nicht weiter begründet wird. Vielmehr wird darüber geschwiegen, dass Bibliotheken beispielsweise auch als Freizeitort oder als Ort, der zum demokratisierenden Zugang zu Informationen beiträgt, gesehen werden könnten. Keller-Loibl behauptet stattdessen, dass es zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Hinwendung der Kinder- und Jugendbibliotheken zur Bildungsfunktion gegeben hätte, was – obwohl sie selber es für notwendig hält, einen allerdings sehr allgemeinen und nicht vollständig haltbaren historischen Überblick zu diesen Bibliotheken zu geben – erstaunlich unhistorisch und zudem frappierend national gedacht ist. Weder ist diese Hinwendung wirklich erst mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts eingetreten oder auch nur so übermächtig geworden, wie sie es jetzt ist; noch wäre es richtig, sie als allgemeinen, gar internationalen Trend zu beschreiben. Die in Keller-Loibls Darstellung referenzierte schockhafte Wirkung auf die Bildungsdiskussion hatten die PISA-Studien 2001-2002 nur in Deutschland und der Schweiz, mit dreijähriger Verspätung dann auch in Österreich. Aber das ist kein internationaler Trend, sondern ein sich seitdem schon sichtlich abgeschwächter Trend in drei relativ ähnlichen Staaten. Richtig ist allerdings, dass in Deutschland die bibliothekarischen Verbände seit den öffentlichen Debatten um die ersten PISA-Studien versuchen, sich auf diese Studien zu berufen.
Dies kann man auch im Handbuch ablesen: Beständig werden die PISA-Studien angerufen, um alle möglichen Strategien und Projekte zu begründen, ohne dass dies mithilfe der Studien überhaupt möglich wäre. Und dies, obwohl sowohl die Bildungsforschung als auch die Bildungspolitik immer weniger auf diese Studien zurückgreifen. Richtig auffällig wird dies, wenn Projekte zur Leseförderung von Kindern damit begründet werden, dass die PISA-Studien mangelhafte Lesekenntnisse festgestellt hätten und deshalb Lesekompetenzen in der Kindheit gefördert werden müssten. Dies lässt sich aus den PISA-Studien nicht ableiten. Vielmehr stellte sich in den letzten Jahren die Frage, warum deutsche Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse, die in den IGLU-Studien auf ihre Lesekompetenz hin getestet werden, noch international leicht überdurchschnittlich gute Ergebnisse erzielen, während sich in den PISA-Studien – bei denen 15-Jährige getestet werden – unterdurchschnittliche Lesekompetenzen zeigen, welche zudem anhand der Schultypen und des Migrationshintergrundes stratifiziert sind. Sicherlich kann man mit einer eingehenden Kritik der IGLU- und der PISA-Studien darauf eine Antwort formulieren, genauso wie man die Notwendigkeit einer frühkindlichen Leseförderung auch mit anderen Argumenten untermauern könnte. Aber in der reduzierten Wahrnehmung, wie sie in diesem Handbuch an den Tag gelegt wird, könnte man eigentlich nur eine Leseförderung für Jugendliche der fünften und höherer Klassen begründen, da offensichtlich nach der vierten Klasse die Lesekompetenz sinkt. Das Hauptproblem ist dabei gar nicht einmal diese eine, wenn auch sichtbare, Fehlinterpretation zweier sehr weitreichend dokumentierter Studien, sondern dass sich die gesamte Argumentation des Handbuches auf dieser Ebene bewegt: Studien oder Aussagen werden gewissermaßen als Autoritäten angeführt und auf eine eigenständige Begründung der getroffenen Aussagen verzichtet.
Alles ist Vermittlung
Allerdings argumentiert Keller-Loibl im weiteren Verlauf des Bandes folgerichtig, dass die gesamte Arbeit von Bibliotheken für Kinder und Jugendliche dem Prinzip der Vermittlung von Kompetenzen zu folgen hätte. Es ginge nicht darum, Wissen direkt zu vermitteln und dann davon auszugehen, dass dieses eins zu eins bei den Lernenden angekommen wäre. Vielmehr sei es nötig, die Bibliothek als einen Lernort zu begreifen, der als Erlebnis- und Freizeitwelt gestaltet sein und den mehr oder minder selbstgesteuerten Erwerb von Kompetenzen durch Kinder und Jugendliche ermöglichen solle.
„Der Vermittlungsbegriff darf nicht auf die Vermittlung von Wissen reduziert werden. Die Bildungsziele der Bibliothek sind so umzusetzen, dass die Bildung der Entfaltung der Persönlichkeit, der Talente und der geistigen und körperlichen Fähigkeiten dient.” (Seite 64)
Aus dieser Grundsetzung leitet Keller-Loibl alle weiteren Bestimmungen einer sinnvollen bibliothekarischen Arbeit ab. Sie plädiert dafür, bei der Arbeit für Kinder einem Ermöglichungskonzept zu folgen, welches gerade nicht belehrt, sondern Räume und Plätze bereitstellt, in denen Kinder eigenständig lernen können. Für Jugendliche postuliert sie, dass es notwendig ist, die Eigenständigkeit der Jugendlichen auch beim Aufbau des Bestandes und der Architektur spezieller Jugendbereiche zu akzeptieren. Ebenso sei deren Mediennutzungsverhalten zu beachten und nicht nur auf Bücher als Bibliotheksmedium zu setzen. Gleichwohl will sie alle bibliothekarische Arbeit auf das mögliche Lernen ausgerichtet wissen. Insbesondere plädiert sie für eine umfangreiche und kontinuierliche Veranstaltungsarbeit, die sich für Kinder insbesondere auf die Leseförderung konzentrieren sollte und für Jugendliche auf die Vermittlung von Literatur und Medienkompetenz.
Nicht ganz klar ist, wie genau Keller-Loibl sich die Verbindung zwischen der Akzeptanz einer möglichst großen Individualität der Kinder und Jugendlichen auf der einen Seite und dem Anspruch, dass eine Bibliothek bei aller Offenheit zur Vermittlung von Kompetenzen beitragen sollte, vorstellt. Gleichwohl ist diese Einschränkung bedeutsam: Die Bibliothek wird in diesem Buch nicht als primäre, sondern als dem Schul- und Kindertagesstättensystem beigeordnete Einrichtung verstanden, die ihren Nutzerinnen und Nutzern keine belehrende Haltung entgegenbringt.
Eine weitere Beispielsammlung
Neben den Texten von Keller-Loibl enthält der Band eine Beispielsammlung bibliothekarischer Angebote für Kinder und Jugendliche. Zwar wird dieser Teil des Buches „Best practice” genannt, aber dies ist – wie so oft – nur eine weitere Marketingfloskel. Eine Best Practice-Analyse würde beschreiben, für welches Problemgebiet die bestmögliche Praxis gesucht wurde, dann die Recherche nach den praktischen Ansätzen dieses Problem zu lösen darlegen und herausstellen, warum bestimmte Beispiele Best Practice für ein bestimmtes Problem sind. Anschließend würden diese Beispiele so dargestellt, dass sie zumindest teilweise als Praxis übernommen werden könnten. Aber genau das passiert nicht. Zwar formuliert Keller-Loibl im Vorwort den Anspruch, dass „Projektbeispiele und Praxisprojekte ausgewählt [wurden, K.S.], die entweder durch ihre konsequente Weiterentwicklung und Fortsetzung oder durch ihre Breitenwirkung und Erprobung der Übertragbarkeit überzeugen und damit Nachhaltigkeit erzielen.” (Seite 11) Ob dieser Anspruch eingelöst wurde, lässt sich schwer überprüfen. Die Darstellung der einzelnen Beispiele ist wieder einmal so allgemein gehalten, dass sie gerade nicht direkt in die bibliothekarische Praxis übersetzt werden können.
Das selber sagt nichts über die jeweils beschriebene Arbeit aus. Die Projekte selber sind allesamt von einem engagierten Personal und unter Ausnutzung der kommunalen Gegebenheiten entworfen und in der Praxis der jeweiligen Bibliothek ausprobiert und weiterentwickelt worden. Insgesamt lassen sich zumindest einige Tendenzen benennen:
Fazit: Kein Handbuch, sondern ein Tätigkeitsbericht
Das Handbuch Kinder- und Jugendbibliotheksarbeit ist also kein Handbuch, obgleich die das Buch abschließende Übersicht zu einschlägiger Literatur und Ansprechpartnern den Eindruck vermitteln könnte. Weder ist es direkt als Nachschlagewerk zu gebrauchen, noch stellt es die tatsächliche Breite der bibliothekarischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und die dazugehörigen Debatten dar. Es ist eine recht gute Übersicht über die Ansätze und Ziele, welche von der Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken im Deutschen Bibliotheksverband vertreten werden. Als solche Art Tätigkeitsbericht ist es sinnvoll, zumal sich in ihm die kleinen Verschiebungen im Diskurs um Bildungsarbeit von Öffentlichen Bibliotheken ablesen lassen. Auch ist die Beispielsammlung im zweiten Teil des Buches unter Umständen für die praktische Arbeit anregend, obwohl die Beispiele so dargestellt wurden, dass sie wohl nicht direkt anderswo umzusetzen sind. Allerdings: wer regelmäßig die BuB liest, wird sowohl die Argumentation von Keller-Loibl als auch einen Großteil der vorgestellten Beispiele bereits kennen.
Gleichwohl hätte man sich unter diesem Titel nicht nur ein Werk gewünscht, welches mehr für die alltägliche Arbeit und das Nachschlagen von Themen geeignet wäre, sondern auch eines, das Debatten differenzierter dargestellt und Argumente geliefert hätte, mit denen man gegenüber den Geldgebern von Bibliotheken Projekte und kontinuierliche Arbeit hätte begründen können. So aber ist auch dieses Buch ein schön gestaltetes Werk, dass vor allem Bibliothekarinnen und Bibliothekare selber glücklich machen wird, weil – entgegen aller gesellschaftlichen Entwicklungen – auf unzähligen Bilder weiße Kinder in Bibliotheken sitzen und Lesen oder Zuhören – wie so oft, wenn sich Bibliotheken ihrer Aufgabe versichern. Allerdings wird das nicht ausreichen, um irgendjemanden außerhalb des Bibliothekswesens davon zu überzeugen, dass sich in diesen Bibliotheken viel verändert hätte. Zudem zeigt das Handbuch, dass immer noch ein theoretischer Rahmen fehlt, in welchem die bibliothekarische Arbeit für Kinder und Jugendliche verortet und beschrieben werden könnte. Diesen Rahmen zu skizzieren scheint eine bislang nicht angegangene Aufgabe der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu sein.
Karsten Schuldt Promotion zum Themenfeld Öffentliche Bibliotheken und Bildung. Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Potsdam, Wiss. Mitarbeiter am Interdisziplinären Zentrum für Bildungsforschung (Humboldt Universität zu Berlin).