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Auseinandersetzungen um die Aufgaben von Bibliotheken vor dem Hintergrund modernen bürgerschaftlichen Engagements. Anmerkungen zu den Debatten um die Schließung kleinerer Öffentlicher Bibliotheken in Berlin 2007-2008

Die Formen und Grundlagen gesellschaftlichen Engagements sind in den letzten Jahren transformiert worden. Neben dem stetigen Bedeutungsverlust herkömmlicher Formen politischer Institutionen, ist eine Zunahme von Diskursen und zumeist temporär agierenden Initiativen festzustellen, welche alltagsnäher, problem- und konfliktorientierter erscheinen. Anhand von dreien, nahezu zeitgleichen Protesten für die Erhaltung kleinerer Bibliotheken in Berlin, versucht der Artikel den Bedeutungszuwachs dieser Entwicklungen aufzuzeigen. Im ersten Teil der Textes werden die angesprochenen Tendenzen skizziert, im zweiten Teil wird anhand der Spezifika der einzelnen Proteste die Arbeit bürgerschaftlicher Initiativen in der Informationsgesellschaft und die Veränderungen in der Diskussion und Praxis ehrenamtlichen Engagements dargestellt. Die Bedeutung dieser Transformationen des Politischen für die bibliothekarische Debatte und Praxis wird im letzten Teil diskutiert.


Zitiervorschlag
Karsten Schuldt, "Auseinandersetzungen um die Aufgaben von Bibliotheken vor dem Hintergrund modernen bürgerschaftlichen Engagements. Anmerkungen zu den Debatten um die Schließung kleinerer Öffentlicher Bibliotheken in Berlin 2007-2008. ". LIBREAS. Library Ideas, 12 ().


In Berlin standen zum Jahresende 2007 drei kleinere Öffentliche Bibliotheken vor der Schließung, beziehungsweise vor der Verlegung und Zusammenführung mit einer anderen Bibliothek. Gegen diese Pläne bildeten sich in allen drei Fällen Initiativen, deren Personal sich größtenteils aus der jeweiligen Nachbarschaft rekrutierte. Das Vorgehen und der Erfolg dieser Initiativen waren unterschiedlich. Letztlich ist bislang die Arbeit keiner dieser Initiativen an ihr Ende gelangt.[Fn1] Während Proteste zum Erhalt von Bibliotheken weder in Berlin, noch im Bundesgebiet unbekannt sind, hatten die drei Berliner Initiativen doch eine neue Qualität: Obwohl dies nicht intendiert war, stellten sie durch ihre Argumentationen und ihr Vorgehen klar, dass sie sich nicht nur für den reinen Erhalt der Einrichtungen engagierten, sondern dies auf der Grundlage sehr spezifischer eigener Vorstellungen über die Aufgaben von Bibliotheken taten. In dieser Deutlichkeit wurden in den letzten Jahren selten Anforderungen direkt aus der Gesellschaft heraus an Öffentliche Bibliotheken gestellt. Deshalb wäre es falsch, sie auf einen Protest gegen eine Sparpolitik zu reduzieren. Vielmehr spiegeln sie, so möchte ich im folgenden Artikel argumentieren, virulente gesellschaftliche Prozesse und Debatten wider, welche sich auch auf die Arbeit von Bibliotheken niederschlagen werden.[Fn2] Obwohl in diesen Auseinandersetzungen die Finanzkrise der Berliner Bezirke eine entscheidende Rolle spielte, stellen sie ebenso Dispute um die Paradigmen bibliothekarischer Arbeit dar.[Fn3]

Debatten um die Lebensqualität und die Gestaltung des Alltags

Die sozialen Rahmenbedingungen, in denen die hier besprochenen Auseinandersetzungen stattfanden, sind in den letzten Jahren merklich in Bewegung geraten. Im Folgenden sollen einige relevante aktuelle Diskussionen und Veränderungen nachgezeichnet werden. Allgemein gesprochen nehmen in der Gesellschaft und den politischen Auseinandersetzungen die Debatten darum, wie diese Gesellschaft und das Leben in ihr gestaltet werden sollte, zu. Der aktiven Gestaltung des eigenen Alltags, im Sinne von Lebensqualität, kommt eine merklich wachsende Bedeutung zu. Dieser, in allen liberalen Demokratien und auch anderen Gesellschaften beobachtbare Trend, wird in den Sozialwissenschaften hauptsächlich unter dem Schlagwort der postmateriellen Werte verhandelt. Obwohl das Ausmaß dieses Zuwachses umstritten ist, zeigen empirische Ergebnisse beständig, dass das Nachdenken über die Gestaltung des Alltags und die gesellschaftliche Infrastruktur mit dem Ziel einer Erhöhung der Lebensqualität, zu bestimmenden gesellschaftlichen Themen werden.[Fn4]

Über Sinn und Bedeutung der Arbeit

Deutlich wird dies beispielsweise an den zunehmend auftretenden Debatten um ein Bürgergeld, welches als Prinzip der gesellschaftlichen Grundfinanzierung in verschiedenen Parteien und Initiativen diskutiert wird.[Fn5] Ein weiterer Hinweis auf diesen Trend ist die grundlegend positive Haltung der deutschen Bevölkerung zu dem von den Gewerkschaften und einigen Parteien forcierten Mindestlöhnen, bei denen hauptsächlich argumentiert wird, dass solche die Ausbeutung durch Arbeit und die in einigen Beschäftigungsfeldern praktizierte Ausnutzung der Sozialsysteme durch Entlohnungen unter dem Existenzminimum verhindern würden. Ebenso scheint die wachsende Haltung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Politik der so genannten Lohnzurückhaltung, welche die Gewerkschaften in den letzten Jahren verfolgt hätten, abzulehnen, mit diesem Trend in einem engen Zusammenhang zu stehen. Hiervon profitierte beispielsweise die Gewerkschaft Deutscher Lokführer bei ihren harten Tarifauseinandersetzungen 2007-2008. Zudem nimmt die offene Kritik an der als Ökonomisierung der Bildungseinrichtungen wahrgenommenen Transformationen im gesamten Bildungsbereich und den für diese Veränderungen als motivgebend verstandenen Institutionen, zu.[Fn6]

Alle zeitgenössischen Umfragen zu den Arbeitszeitwünschen zeigen ein signifikantes Missverhältnis zur Realität. Während der Wunsch nach Teilzeitarbeit und einem planbareren Arbeitsalltag nicht nur, aber gerade bei Eltern wächst, sinkt das Angebot an solchen Arbeitsplätzen. Die tatsächlich stattfindende Teilzeitarbeit stimmt kaum mit den Arbeitszeitwünschen überein. Hervorzuheben ist, dass dieses Missverhältnis zunehmend thematisiert wird. Teil- und Vollzeitarbeit sollen sich, so die in letzter Zeit immer öfter erhobene Forderung, in den Alltag mit seinen unterschiedlichen Interessen einbinden lassen und nicht diesen überformen.[Fn7] Einer der oftmals aufgenommenen Kritikpunkte der ver.di-Kampagne gegen den Lidl-Konzern ist die so genannte Entgrenzung der Arbeit, welche zunehmend auch Feiertage und ehedem arbeitsfreie Zeiten bestimmen und die Arbeitenden zu einer Flexibilisierung zwingen würde, so dass der restliche Alltag unplanbar sei.[Fn8]

Eng mit den Arbeitszeitwünschen hängt der zunehmende Trend zur verantwortungsvollen Elternschaft zusammen. Die geringe Zahl von Kindern pro Eltern und die gesellschaftliche Thematisierung der Verantwortung für diese Kinder führt offenbar dazu, dass sich Eltern verstärkt über die angemessene Erziehung ihrer Kinder Gedanken machen. Dies schlägt sich beispielsweise im Umgang mit ihnen, in den Wünschen der Väter nach Elternzeit und gemeinsam mit ihren Kindern verbrachter Zeit, der Suche nach fördernden Angeboten und Lebensumgebungen nieder. Auch die verstärkt an Kindertageseinrichtungen gestellten Anforderungen, sich nicht als Betreuungs-, sondern als Bildungseinrichtung zu verstehen, sowie die von den Ausbauplänen des Familienministeriums zur Kindertagesbetreuung ausgelösten Debatten, lassen sich in diesen Trend einordnen.[Fn9]

Die grundlegend positive Aufnahme der DGB-Studie „Gute Arbeit“, bei der Arbeitende nach Kriterien für die Bewertung von Arbeitsverhältnissen und anschließend auf der Basis dieser Kriterien nach ihren konkreten Arbeitsplätzen befragt wurden, deutet ebenfalls darauf hin, dass Lebensqualität eine wachsende Bedeutung erhält.[Fn10] Die Studie kam zu zwei wichtigen Ergebnissen: Einerseits bewerten Menschen ihre Arbeitsplätze nur zu einem, wenn auch wichtigen Teil, nach der Entlohnung. Ebenso interessieren sie sich für Weiterbildungsmöglichkeiten, die Einflussmöglichkeiten und Anerkennung am Arbeitsplatz, die Betriebskultur, den Sinn ihrer Arbeit, die Kollegialität, die Arbeitszeitgestaltung, die körperlichen und emotionalen Anforderungen sowie die Arbeitsplatzsicherheit. Zudem bewerten nur 12 % der Arbeitenden in Deutschland ihre Arbeit als gut, hingegen immerhin 34 % explizit als schlecht. 54 % bezeichnen ihr Arbeitsverhältnis als mittelmäßig und somit letztlich verbesserungswürdig. Auch hierbei scheinen die Arbeitenden nicht einzig bei der Entlohnung, sondern auch bei den anderen genannten Kriterien ansetzen zu wollen. Letztlich geht es ihnen nicht nur um die reine Lebenssicherung, sondern darum, die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit sicherzustellen.

Weiche Politikfelder

Eine der herausragenden Veränderungen im gesellschaftlichen und politischen Diskurs der letzten Jahrzehnte ist unbestreitbar die Durchsetzung der Ökologie und Fragen der persönlichen Gesundheit als zwei grundlegende Leitthemen. Die Umweltpolitik, welche lange als marginales und „weiches“ Politikthema behandelt wurde, und mit ihr verbundene Debatten, wie die um den Einsatz von Atomkraft oder Gentechnik, sind heute in den öffentlichen Diskussionen weitgehend als wichtiges Thema etabliert. Der zunehmende Trend zu so genannten Ökostromanbietern, das massive Wachstum auf dem Sektor der Bioprodukte, darüber hinaus die zunehmende Thematisierung von Vorsorge und Gesundheit auch im jüngeren Alter kennzeichnen ebenfalls den hier festgestellten Trend zur Thematisierung und aktiven Gestaltung von Lebensqualität. Weiterhin gibt es einen politisch weithin unterstützten, wenn auch in seinen Auswirkungen des öfteren kritisch gesehenen Trend zum Ehrenamt. Immer mehr Menschen übernehmen ehrenamtliche Aufgaben, gründen Initiativen und Vereine.[Fn11] Dieser Trend zum Ehrenamt, so kleinteilig die jeweiligen Tätigkeiten oft auch sind, bei einer gleichzeitig beklagten zunehmenden Politikverdrossenheit, die sich in sinkender Wahlbeteiligung und wachsenden Nachwuchsproblemen bei allen größeren Parteien zeigen würde, kann als Etablierung einer alternativen Form gesellschaftlichen Engagements neben den etablierten parteienbasierten Politikformen interpretiert werden.[Fn12]

Auf einen weiteren Trend weisen unter anderem Holm Friebe und Sascha Lobo hin, bei ihrem Versuch, aktuelle Formen hochflexibler, meist von hochqualifizierten jungen Menschen unter intensiver Nutzung des Internets realisierten Arbeitsverhältnisse, unter dem Schlagwort der „digitalen Bohéme“ positiv als autonome Lebensentwürfe zu bestimmen. Gerade die Arbeit dieser Bohéme würde auf die Entstehung von sich immer weiter differenzierenden subkulturellen Gruppen, welche durch die zunehmende Vernetzung per Internet verstärkt möglich wurde, basieren. Solche an sich kleinen Gruppen, die bislang selten außerhalb von Metropolen entstanden, würden sich dank des Internets konstituieren und – hierauf heben Friebe und Lobo ab – ihre Konsuminteressen formulieren können. Diese Interessen würden sich bisher hauptsächlich an kulturellen Produkten orientieren, aber doch beständig neue tragfähige Mikromärkte bilden.[Fn13]Interessant hierbei ist, dass die Verbreitung von Kommunikationstechnologien tatsächlich ermöglicht zu haben scheint, von zuvor schwer zu formulierenden individuellen Interessen ausgehend, zur aktiven Differenzierung von Lebensentwürfen beizutragen. Eine solche Differenzierung lässt sich ebenfalls in den Trend zur Betonung von Lebensqualität einordnen. Wenn die Differenzierung in Subgruppen und die Befriedigung entstehender Nachfragen nach kulturellen Produkten immer einfacher möglich ist, führt dies, so eine Grundannahme der Cultural Studies, auch zu einer weitergehenden und identitätsbildenden Beschäftigung mit den eigenen Interessen.

Bedeutung dieser Trends für Bibliotheken

All diese Trends ergeben nicht zwingend immer das Gesamtbild, welches hier gezeichnet wurde. Sie finden nicht unbedingt aufeinander bezogen statt, oft sind sie noch prekär, von Widersprüchen gezeichnet und teilweise umstritten. Ebenso sind sie nicht immer gesamtgesellschaftlich zu beobachten, sondern werden oft von kulturellen Eliten getragen. Doch diese Eliten werden breiter, die meisten dieser Trends etablieren sich und stehen nicht mehr unter dem Verdacht, schnell vergängliche Moden darzustellen. Am Markt für Ökoprodukte lässt sich diese Etablierung beispielhaft nachvollziehen. Dabei sind Großstädte, wie so oft, Kristallisationspunkte dieser Trends. Dennoch ist zu beobachten, dass sie sich zunehmend in der gesamten Gesellschaft etablieren und das Gesamtbild einer wachsenden Auseinandersetzung um Lebensqualität und die Frage, wie wir leben wollen, ergeben. Obgleich grundlegende Paradigmenwechsel in der Gesellschaft immer langwierige Prozesse
darstellen, wird sich der hier beschriebene auch auf das gesellschaftliche Umfeld, in dem
Bibliotheken agieren, die konkrete Arbeit von Bibliotheken und die Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer niederschlagen.

Die Proteste für den Erhalt der drei kleineren Bibliotheken in Berlin haben u. a. gezeigt, dass die beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen zumindest in dieser Stadt eine relevante Stärke erlangt haben. Die Form und die Argumentationen der Proteste haben sich verändert, ebenso die Vorstellungen von Bibliotheken, welche den Einsatz der Engagierten motivierte. Dabei war eine Besonderheit der Auseinandersetzungen in Berlin, dass sie nicht zwischen Bürgerinnen und Bürgern, die Bibliotheken per se erhalten wollten auf der einen Seite und einer Politik, die vor allem an der Minimierung von Kosten interessiert war, auf der anderen Seite stattfanden. Zwar formulierte der Rechnungshof von Berlin in Bezug auf Bibliotheken Vorstellungen, welche auf eine Reduzierung der Bibliotheksstandorte hinauslaufen, indem er einer Bibliothek grundsätzlich einen Aktionsradius von – vorerst – jeweils 3 km unterstellt und den Einsatz von Fahrbibliotheken und Lieferdiensten präferiert.[Fn14] Doch blieben diese Vorstellungen, obwohl sie sehr wohl von den Engagierten wahrgenommen wurden, in allen Argumentationen, Beiträgen und, soweit sie nachvollzogen werden konnten, internen Debatten vollkommen unbeachtet. Der Rechnungshof wurde nicht als Instanz wahrgenommen, deren Vorgaben zu folgen sei, sondern als Teil der gesamtberliner Verwaltung, deren Politik zwar für die Bezirksparlamente relevant wäre, aber keine unabänderliche Vorgaben für Bibliotheken machen könne. Vielmehr wurden die Auseinandersetzungen zwischen Akteurinnen und Akteuren geführt, die allesamt an einer ausreichenden und bestmöglichen Ausgestaltung der bezirklichen Bibliothekssysteme interessiert waren. Die Frage war nicht, ob Bibliotheken eine wichtige Funktion haben oder nicht, sondern wie diese Funktion am besten organisiert werden könnte.

Dies war vor allem bei der Verlegung der Jerusalem-Bibliothek im Wedding der Fall, bei der das Berliner Bezirksamt in groben Zügen einem fundierten Bibliotheksentwicklungsplan folgte und dennoch auf massiven Protest stieß. Hier trafen zwei unterschiedliche Vorstellungen über die Aufgabe von Bibliotheken aufeinander. Aber auch die – bislang vorläufige – Schließung der Kurt-Tucholsky-Bibliothek und der Bibliothek im Elias-Hof im Berliner Prenzlauer Berg, fanden unter paradoxen Umständen statt, da der für die Schließungen zuständige Stadtrat sehr deutlich mehrfach öffentlich erklärte, die beiden Bibliotheken gar nicht schließen zu wollen und den Protest dagegen begrüßte.

Gleichzeitig nahmen Teile der Initiativen für beide Bibliotheken im Laufe der Auseinandersetzungen dennoch gerade das Bezirks- und das Bibliotheksamt als Einrichtungen wahr, gegenüber den sie letztlich ihre konkreten Interessen durchsetzen mussten. Dabei wurde offensichtlich, dass auch diese Initiativen anderen Prämissen folgten, als der zuständige Kulturstadtrat. Interessant war bei diesen Auseinandersetzungen zudem zweierlei: Zum einen setzten sich die Initiativen zum überwiegenden Teil aus Mitgliedern einer kulturellen Elite – welche in diesem Fall nicht unbedingt mit der ökonomischen Elite übereinstimmte – zusammen.[Fn15] Fast alle Aktiven hatten einen überdurchschnittlichen Bildungshintergrund vorzuweisen, zumeist hatten sie Erfahrungen im politischen oder gesellschaftlichen Engagement.[Fn16] Auffällig hoch war bei der Initiative für die Jerusalem-Bibliothek auch der Anteil moderner Väter, die sich in einer expliziten Erziehungsverantwortung gegenüber ihren Kindern bewusst sind.[Fn17]Insoweit lässt sich vermuten, dass die Auseinandersetzungen eine Art Vorreiterfunktion für einen gesellschaftlichen Trend hatten, welcher sich über einen längeren Zeitraum breiter durchsetzen könnte, ähnlich den Umweltinitiativen der 1970er und 1980er Jahre, welche größtenteils von einer kulturellen Elite getragen wurden und eine unbestreitbare Voreiterrolle bei der oben angesprochen Etablierung von Umweltpolitik hatten. Zum anderen war bei allen drei Initiativen immer klar, dass Bibliotheken ihre Funktionen nur erfüllen können, wenn sie von qualifiziertem Personal geführt werden. Die Idee, Bibliotheken auf reine Buchausleihen zu reduzieren, welche auch problemlos von allen anderen Menschen betrieben werden könnte, wurde immer wieder explizit abgelehnt. Insoweit hatten die Engagierten offenbar ein differenziertes Bild von bibliothekarischer Arbeit. Im Folgenden Abschnitt sollen die in den Auseinandersetzungen vertretenden Vorstellungen dargestellt und in die oben beschriebenen Trends zur Betonung von Lebensqualität eingeordnet werden.

Paradigmen der Engagierten

Kulturamt Mitte / Effektivität als Leitbild

Das Kulturamt Mitte, welches letztlich im Jahr 2008 die faktische Schließung der Jerusalem-Bibliothek verantwortete, legte 2005 in Reaktion auf einen interfraktionellen Antrag der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen Bibliotheksentwicklungsplan vor.[Fn18]
Zuvor hatte der damalige und jetzige Leiter des Amtes, zusammen mit der Leiterin der Stadtbibliothek Friedrichshain-Kreuzberg in einem Artikel in BuB die Situation der Berliner Bibliotheken und die Strategien zum Umgang mit diesen Gegebenheiten dargelegt.[Fn19] In beiden Dokumenten wird die Finanzierungspolitik in Berlin als die Herstellung einer Konkurrenz zwischen den einzelnen Bezirken beschrieben. Im Bibliotheksbereich erfolgt diese seit 2005 vollständig durch die Definition von einzelnen Produkten, welche Bibliotheken erbringen sollen, beispielsweise der Medienentleihungen oder der Führungen von Schulklassen. Diese werden standardisiert definiert und ihre Kosten in einem Vergleich der zwölf bezirklichen Bibliothekssysteme bestimmt. Der Median zwischen dem sechs- und siebenteuersten Bezirk wird für jedes Produkt als Ansatz genommen. Die Bezirke erhalten nun – allerdings auch erst, nachdem die Stadt Berlin eine Sollmenge definiert hat, die ein Bezirk pro Produkt erbringen würde[Fn20]– die Finanzierung dieser Produkte nach diesem ermittelten Wert. Insoweit findet keine Finanzierung der tatsächlichen Kosten, sondern nur der angenommenen, durchschnittlichen Produktkosten statt. Ein Bezirk, bei dem ein Produkt viel kostet, könnte dies dadurch ausgleichen, dass er ein anderes Produkt billiger anbieten würde. Nicht nur im Bibliotheksentwicklungsplan wird nun betont, dass eine solche Politik zu einem ständigen Wettbewerb der Bezirke untereinander führe. Die Reduzierung von Kosten bei einem Produkt in einem Bezirk führt dazu, dass auch der Median dieses Produktes berlinweit sinkt. Alle Bezirke würden deshalb mit allen Angeboten versuchen, unter einem ständig sinkenden Median zu verbleiben. Letztlich würde dies für die Bibliotheken bedeuten, dass die Tendenz zu einer einzigen Zentralbibliothek pro Bezirk vorgezeichnet ist.[Fn21]

Während Susanne Metz und Jörg Arndt in ihrem Artikel deshalb eine enge bezirkliche Kooperation, eventuell auch in einer Gesamtorganisation als berlinweite Bibliotheksstiftung, für dringend gegeben halten, stellen sie gleichzeitig dar, dass die Debatte um eine solche Zusammenarbeit in Berlin seit Langem ohne Ergebnis geführt wird.[Fn22] Die Hauptargumentation in beiden Dokumenten lautet, dass der beschriebene finanzpolitische Druck auf die bezirklichen Bibliothekssysteme nicht nachlassen wird. Deshalb sei es notwendig, sich mittels einer konkreten Entwicklungsplanung die Initiative zu erhalten und so die zukünftige Gestaltung der Bibliothekssysteme mitzubestimmen:

„Es ist ein gefährlicher Trugschluss zu denken, Strukturwandel durch Passivität entgehen zu können. Der Veränderungsprozess ist im vollen Gange, Ablauf und Ergebnisse können jetzt noch aktiv mitgestaltet werden [...].“[Fn23]

Auf Grundlage dieser Überlegung und der Akzeptanz der grundlegenden politischen Vorgaben, entwickelte der Bibliotheksentwicklungsplan ein Zukunftskonzept. In ihm wurden Bibliotheken als Einrichtungen definiert, die hauptsächlich der egalitären Informationsversorgung der Bevölkerung dienen, der Spaltung der Gesellschaft in information-poor und information-rich zu begegnen und dabei mit den gegebenen Mitteln möglichst effizient umzugehen hätten. Hauptpfeiler des Planes war der Bau einer neuen Bezirkszentralbibliothek, welche den Großteil der zentralen Dienste und der bibliothekarischen Grundversorgung des Bezirkes übernehmen solle.[Fn24] Zudem soll der Einsatz der RFID-Technik zur längerfristigen Reduzierung von Kosten führen, ebenso die teilweise Ausgliederung von Lektoratsaufgaben an den lokalen Buchhandel und die Auflösung von einigen, in der Erhaltung teuren Standorten. Die als Kinder- und Jugendbibliothek arbeitende Jerusalem-Bibliothek sollte, bestandsreduziert, als Abteilung in die bisher reine Erwachsenbibliothek am Luisenbad eingegliedert werden. Hierbei argumentiert der Bibliotheksentwicklungsplan, dass die bisherige Trennung „familienfeindlich und eher räumlichen Gegebenheiten als fachpolitisch gesetzten Zielen geschuldet [sei]“[ Fn25] . Diese Eingliederung würde es ermöglichen, das Bibliothekssystem anderswo im Bezirk auszubauen. So wird angedacht, die Arbeit von Bibliotheken in Quartiersmanagement-Gebiete zu integrieren, allerdings ohne dass ersichtlich wird, wie diese Einrichtungen genau die Entwicklung der Kieze, welche durch die Quartiersmanagement-Förderung angestrebt wird, unterstützen sollen.[Fn26] Zudem mahnt der Plan die massive Ausweitung der Kommunikation von Bibliotheksangeboten an. Die mangelnde Umsetzung des egalitären Anspruchs von Bibliotheken wird darauf zurückgeführt, dass diese Kommunikation mit dem bisherigen Etat praktisch nicht möglich sei. Darüber hinaus sollen die durch die Ausgliederung von Lektoratsarbeiten gewonnenen Kapazitäten der Leseförderung zugute kommen.

Insofern skizziert der Bibliotheksentwicklungsplan eine auf politische Vorgaben orientierte, zukünftige Ausrichtung des Bibliothekssystems in Berlin-Mitte, das sich auf ein bestimmtes Set von grundlegenden bibliothekarischen Aufgaben konzentrieren solle, um eine möglichst effiziente und breitflächige bibliothekarische Grundversorgung zu bieten. So soll die Gestaltungsmöglichkeit des Bibliothekssystems erhalten werden. Auffällig an dieser Skizze ist allerdings, dass sich auf internationale Standards und durch die Produktfassung bibliothekarischer Angebote gegebenen Aufgabenbeschreibungen berufen wird, ohne dass von den tatsächlichen Anforderungen der Nutzer und den nicht von den Bibliotheken Erreichten berichtet oder ausgegangen wird.

Initiative für die Jerusalem-Bibliothek / Kiezentwicklung

Die Initiative für die Jerusalem-Bibliothek kann als paradigmatische Umsetzung für die von Nico Stehr umrissenen Formen gesellschaftlichen Engagements in der Informationsgesellschaft verstanden werden.[Fn27] Sie entstand binnen kürzester Zeit und bildete ein, wenn auch schließlich bislang nicht erfolgreiches, mächtiges Netzwerk, welches sich ohne größere eigene Strukturen gegenüber den Verantwortlichen als politischer Verhandlungspartner etablierte. Dabei agierte die Initiative hauptsächlich mit den gleichen Informationen und Diskursen, mit denen auch das Bezirksamt versuchte, in der Öffentlichkeit präsent zu werden. Die Initiative verweigerte nicht die Zusammenarbeit mit den etablierten politischen und verwaltungstechnischen Strukturen, versuchte mit allen relevanten Parteien zusammenzuarbeiten, motivierte kommunale Einrichtungen zu Stellungnahmen und versuchte ebenfalls, die der Öffentlichkeit eher verborgenen Entscheidungsstrukturen der Bezirks- und Landespolitik in ihrem Sinne zu nutzen.

Gleichzeitig agierte sie von Anfang an auf einer öffentlichen Ebene. Die Initiative, in Gang gesetzt durch die lokal verteilte Unterschriftenliste eines engagierten Vaters und sehr schnell mit einem Weblog an die breitere Öffentlichkeit getreten, war der Überzeugung, dass die Schließung der Bibliothek eine öffentliche Angelegenheit sei, welche auch in der Öffentlichkeit verhandelt bzw. verhindert werden müsse. Mit dieser Haltung etablierte sie ein Feld der Auseinandersetzung, welches in der Bezirkspolitik bis dato so gut wie keine Rolle spielte und auf dem die Initiative letztlich, dank der ständigen Produktion von eigenen Argumentationen und Informationen, die gesamte Zeit bestimmend war. Gemeinhin erschien die Auseinandersetzung immer wieder so, als ob sich die einzelnen politischen Institutionen und Einzelpersonen auf entweder – wie beim Bibliotheksentwicklungsplan – schon vor längerer Zeit debattierte Beschlüsse oder aber von anderen Strukturen – beispielsweise den Sparvorgaben des Senats – vorgegebenen Entscheidungen zurückzogen, während die Initiative den impulsgebenden Akteur der Debatte darstellte. Offensichtlich trafen hierbei unterschiedliche Politikverständnisse aufeinander. Einerseits die Bezirkspolitik, welche Politik als längerfristig planbare, an insgesamt größeren Zielen ausgerichtete und auch von Verhandlungen über Einflusssphären geprägte Tätigkeit verstand, andererseits die Initiative, die der Bezirkspolitik vor allem die Aufgabe zuschrieb, in diesem konkreten Fall in dem durch die Initiative formulierten Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu handeln. Dabei ging es aber auch der Initiative nicht um ein Partikularinteresse. Vielmehr wurde die Schließung der Jerusalem-Bibliothek in einen größeren Zusammenhang gestellt.

Dieses Aufeinandertreffen unterschiedlicher Politikvorstellungen führte auf Seiten der Bezirkspolitik immer wieder zu einer relativen Unfähigkeit, mit der Initiative angemessen umzugehen, egal ob, wie vom Bezirksamt, deren Anliegen letztlich widersprochen oder aber ob dieses inhaltlich unterstützt wurde, wie von den meisten oppositionellen BVV-Fraktionen. Die Argumentationen, Vorgehensweisen und politischen Beiträge verblieben im Rahmen des bekannten politischen und verwaltungstechnischen Alltagsgeschäfts. So war beispielsweise der Verweis des Kulturamtes, dass der Bibliotheksentwicklungsplan bis 2006 debattiert und dann von der BVV angenommen worden war, inhaltlich richtig. Allerdings war dieses Argument für die direkte Auseinandersetzung relativ unbrauchbar, da ganz offensichtlich den Engagierten der Initiative und dem Großteil der Bevölkerung dieser Plan bis zur Ankündigung der Schließung der Bibliothek unbekannt war.[Fn28] Die bezirkliche Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion führte beispielsweise bei einer Fraktionssitzung zu diesem Problem ihre Vorstellungen von einem so genannten Bürgerhaushalt aus, welcher die Politik der Bezirke transparenter machen solle. Obwohl die Verbindung dieser Ausführungen mit dem Problem einigermaßen nachvollziehbar ist, war diese ebenfalls durch die Logik langfristiger parlamentarischer Arbeit geprägt. Auf Seiten der Initiative entstand schnell der Eindruck, nicht als Gesprächspartner ernst genommen zu werden. Eher wurde die Politik des Bezirksamtes und des Großteils der in der BVV vertretenden Parteien dahingehend interpretiert, dass diese unbeachtet aller offensichtlich breiten Proteste, daran interessiert wären, einen in der Öffentlichkeit nicht debattierten und akzeptierten Plan durchzusetzen. Dabei versuchte die Initiative die gesamten Entscheidungsstrukturen, welche die Umsetzung dieses Planes möglich machten und eventuell auch aufhalten konnten, zu durchschauen. Allerdings ließen sich die Engagierten, und dies mag auch ein Grund ihrer Erfolge gewesen sein, nicht davon beeinflussen, auf welchen Weise nach Meinung der bezirkspolitisch Involvierten vorgegangen werden sollte. Sie versuchten vielmehr auf allen Ebenen Einfluss zu nehmen.

Relevant ist, dass eine der Hauptarbeitsweisen der Initiative darin bestand, die Argumentationen des Kulturamtes und der Bezirkspolitik ernst zu nehmen und diesen im Einzelnen zu widersprechen. Wenn auch nur von einer Seite geführt, wurde doch dem Grundbild einer öffentlichen politischen Debatte gefolgt. Dabei trug zum Eindruck vom eigenmächtigen Vorgehen der Bezirkspolitik bei, dass auf dieses Debattenangebot nicht eingegangen wurde.[ Fn29] Genau dieses Vorgehen, sich selbst als Wissensproduzierende zu etablieren, welche den bestimmenden Diskursen eigene Vorstellungen entgegensetzen, beschreibt Stehr als aktuell entstehende Politikform. Quer zu den vorhandenen politischen Strukturen, auf der Basis neuer Kommunikationstechnologien und mit diesen einhergehenden Paradigmen, zumeist als temporäre Netzwerke organisiert, die einer Vorstellung von offener Kommunikation folgen und hauptsächlich an spezifischen Problemen interessiert sind, formen solche Initiativen, so die Beobachtung von Stehr, zunehmend eine zusätzliche Ebene des gesellschaftlichen Engagements. Vorteile solcher Initiativen sind die einfach zu realisierende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, ihre Flexibilität und die Funktion, durch Perspektivverschiebungen die Autorität von Expertinnen und Experten effektiv anzuzweifeln.[Fn30] Das zunehmende Auftreten solcher temporären Netzwerke sei ein Hinweis darauf, dass trotz aller gegenteiliger Meinungen und beispielsweise abnehmender Wahlbeteiligungen, das Interesse an der Gestaltung der Gesellschaft weiter zunehme. Dabei würden die meisten dieser Netzwerke sich zu Themen bilden, welche die konkrete Gestaltung des Alltags beträfen. Im Nachhinein ist es auffällig, wie sehr die sich eher zufällig etablierende Initiative, letztlich die Beobachtungen von Stehr bestätigt.

Eine Besonderheit der Initiative für die Jerusalem-Bibliothek war die Betonung der sozialintegrierenden Funktion von Bibliotheken. Die Bibliothek würde einen geschützten Raum bieten, wobei ein solcher Raum an ihrem Standort notwendig sei. Hierbei befand sich das Bezirksamt in einer eigentümlichen Lage. Der Kiez, in dem die Bibliothek liegt, ist aufgrund seiner sozial schwierigen Lage ein Quartiersmanagementgebiet. Das Quartiersmanagement, das sich hauptsächlich um die Etablierung sozialer Strukturen, einen funktionierenden Kiez und die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern kümmern soll, wird finanziell von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und dem Bezirksamt von Mitte getragen. Es sprach sich, seinem Auftrag gemäß, gegen die Schließung der Bibliothek aus. Gleichzeitig wurde bei den Argumentationen für die Schließung der Bibliothek deren Umfeld nicht thematisiert. Die Initiative griff dieses Thema auf und etablierte damit in der Berichterstattung und den Diskussionen um die Schließung einen Zusammenhang zwischen den aktuellen Debatten um die zunehmende soziale Polarisierung, das deutsche Bildungssystem und die dagegen steuernde Funktion der Bibliothek.

Der Kiez um die Jerusalem–Bücherei hat in besonderer Weise mit einer sozial schwierigen Situation zu kämpfen. Die Kinder in unserem Bezirk stammen zu großen Teilen aus sog. bildungsfernen Schichten. Rund zwei Drittel der Weddinger Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren lebt von staatlichen Transfereinkommen.-->Tendenz steigend (Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2007).

Ihre Startbedingungen sind also sehr viel schlechter als die von Kindern, deren Eltern sie intensiv fördern und unterstützen können. Viele Kinder aus dem Kiez besuchen die Bücherei ohne ihre Eltern. Diese Kinder würden den weiteren Weg (1000m, d. h. ca. 20 min. Fußweg, große Kreuzung, sehr dunkle Zugangssituation) in die Luise [gemeint ist die Bibliothek am Luisenbad, in welche die Jerusalem-Bibliothek integriert werden soll, K.S.] nicht auf sich nehmen.

Diese auch in der aktuellen PISA-Studie angesprochene Bildungsungerechtigkeit auszugleichen muss das Ziel der Politik sein. Es geht um die Verbesserung der Lebens- und Bildungschancen von Kindern.[Fn31]

Es wird wissentlich verschleiert und beschwichtigt.

Es wird nicht offen darüber geredet, dass es hier eigentlich um 90.000 Euro geht, die eingespart werden sollen.

Es wird nicht offen darüber geredet, was dies [die Schließung der Bibliothek, K.S.] für den bildungsärmsten Bezirk von Berlin bedeutet und welche Folgekosten das nach sich ziehen wird.

Es wird nicht offen darüber geredet, dass an der Luise, das Drogenproblem existiert, welches man gerade am Nauener Platz [dem Standort der Jerusalem-Bibliothek, K.S.] -Hand in Hand Politik und Bürger - losgeworden ist. Es wird nicht offen darüber geredet, das vor nicht allzu langer Zeit 1-Euro Kräfte die kleine Pankebrücke an der Luise sichern mussten, weil dort Kinder und Jugendliche überfallen wurden.

Dass wohl kaum ein Kind an dunklen Winternachmittagen den karg beleuchteten Zugang zur Luise gehen wird. Dass Kinder und Jugendliche nicht einfach mal so in einen anderen Kiez gehen: Entweder weil sie kein Geld für öffentliche Verkehrsmittel haben. Oder ganz einfach, weil sie Angst davor haben ein fremdes Terrain zu betreten, wie Studien belegen. [Fn32]


Obwohl das Thema durch die lokalen Gegebenheiten nahe lag, ist es doch auffällig, dass die Initiative es schaffte, gesellschaftliche Debatten, welche sich auch mit der Frage beschäftigen, wie die Gesellschaft gestaltet sein soll, konsistent mit der Arbeit der Bibliothek zu verbinden. Die damit implizit angesprochene Aufgabe der Bibliothek als soziale, in der Kiezentwicklung engagierte Einrichtung geht inhaltlich über das allgemeine Aufrufen von nicht näher beschriebenen kulturellen und bildungsfördernden Aufgaben hinaus.

Pro Kiez, Kurt-Tucholsky-Bibliothek / Ehrenamt als Übergangslösung

Als einzige der drei Initiativen hat sich die Initiative Pro Kiez[Fn33] für die Kurt-Tucholsky-Bibliothek im Prenzlauer Berg entschieden, die vor der Schließung stehende Bibliothek letztlich in ehrenamtlicher Betreuung weiter fort zu führen.[Fn34] Diese Entscheidung war allerdings nicht unumstritten und ist mit einer Reflexion bibliothekarischer Anforderungen und den potentiellen Problemen des Ehrenamtes verbunden.[Fn35]

Ein Spezifikum von Pro Kiez war der enge Kontakt zur Bezirkspolitik und das zielbewusste Vorgehen. In Erscheinung trat die Initiative, als von der ansässigen Betroffenenvertretung aufgrund der bevorstehenden Schließung der Bibliothek eine Versammlung organisiert und auf dieser beschlossenen wurde, die Einrichtung zu besetzen.[
Fn36]

Grundmotivation der Besetzung war, den Abtransport der Infrastruktur und des Bestandes zu verhindern. Allgemein herrschte die Ansicht vor, dass nach einer Räumung der Bibliothek die Wiedererrichtung praktisch unmöglich wäre. Dabei war die Initiative geprägt von einer Mischung aus Engagierten mit langer und vielfältiger politischer Erfahrung, welche in der Bezirkspolitik und dem betroffenen Bötzowkiez verankert waren und direkte und indirekte Kontakte in die Verwaltung des Bezirksamtes, den meisten in der BVV vertretenen Parteien und zahlreichen im Bezirk arbeitenden gesellschaftlichen Organisationen aufgebaut hatten und Engagierten, welche sich bislang nicht bezirkspolitisch engagierten. Zudem war ein Vorteil der Initiative, dass einige der Aktiven wegen ihrer beruflichen und politischen Biographie im Umgang mit der Presse geübt waren.[Fn37]Diese Mischung scheint außerordentlich produktiv gewesen zu sein, insbesondere durch das Zusammenspiel von Aktiven, welchen die Arbeit Öffentlicher Verwaltungen bekannt war und andererseits Engagierten, die von dieser Verwaltung möglichst schnelle und konkrete Aussagen und Entscheidungen forderten.

Trotzdem eine große Zahl der Aktiven auf ein politische Biographie zurückblicken kann, in die sich die Auseinandersetzungen um die Bibliothek einfügte, zeigte sich durch den Einfluss des großen Teils bisher eher wenig politisch Engagierter [Fn38] auch bei Pro Kiez eine bislang in Protesten für Bibliotheken ungewohnte Radikalität im Vorgehen und den Ansprüchen an die bezirkliche Politik und Verwaltung.[Fn39]

Schon die weiter oben geschilderte Initiative für die Jerusalem-Bibliothek hatte sich intensiv darum bemüht, aktuelle Informationen im betreffenden Kiez durch den Einsatz von kopierten Informationszetteln, welche in kleineren Läden und Einrichtungen ausgelegt respektive aufgehangen wurden, zu verbreiten. Pro Kiez setzte dieses Mittel intensiv ein. Jede Veranstaltung der Initiative und mehrere Aufrufe, sich an den Protesten und späterhin der ehrenamtlichen Erhaltung der Bibliothek zu beteiligen, wurden im gesamten Kiez und den angrenzenden Gebieten auf diese Weise verbreitet.[Fn40]

Grundsätzlich verstand die Initiative die Bibliothek als kiezbezogene Einrichtung, über welche im Quartier berichtet werden müsse. Diese Arbeitsweise führte zu einer Etablierung der Initiative im Kiezleben. Ein grundsätzlicher Konflikt der Initiative war die Haltung zum betreffenden Bezirksamt. Der verantwortliche Stadtrat wurde, nachdem er die Entscheidung bekannt gab, die Kurt-Tucholsky- Bibliothek und die Bibliothek im Elias-Hof zu schließen, in mehreren Presseartikeln mit der Aussage zitiert, dass er selber und der Bezirk allgemein die Bibliotheken gar nicht schließen wolle.[Fn41] Im Zuge der BVV, auf der die Schließung beschlossen wurde, erhielt Pro Kiez beispielsweise die Aufwertung, dass offiziell und mit Unterstützung des Bezirksrates eine Arbeitsgruppe gebildet wurde, welche mit der Initiative zusammen ein neues Nutzungskonzept für die Bibliothek ausarbeiten sollte.[Fn42] Solches formale Vorgehen erzeugte bei einigen Engagierten, die mit den Vorgehensweisen in der Bezirkspolitik kaum bekannt waren, teilweise den Eindruck, hingehalten zu werden. Ihre sehr konkreten Vorstellungen und Fragen wurden ihrer Meinung nach nur ungenau, langsam und teilweise erst nach dem Aufbau von öffentlichem Druck ernst genommen. Diese Wahrnehmung wurde von den Engagierten mit größer bezirkspolitischer Erfahrung relativiert, welche die Vorgänge in der bezirklichen Verwaltung und Politik, im Rahmen des Möglichen, überwiegend positiv beurteilten.

Die Überzeugung, dass grundsätzlich der Staat bzw. die Kommunen oder Bezirke für die Aufrechterhaltung eines funktionstüchtigen Bibliothekssystems verantwortlich wären, durchzog die Argumentation von Pro Kiez und wurde auch nach der Entscheidung, die Bibliothek ehrenamtlich zu führen, aufrecht erhalten. Erst nach längeren Debatten wurde von den Engagierten beschlossen, diese Aufgabe zu übernehmen. Das Ehrenamt wurde sowohl allgemein, als auch speziell auf die Bibliothek bezogen, zwiespältig gesehen.

Zwei Gefahren wurden besonders betont. Erstens bestehe die politische Tendenz, stattliche Aufgaben zu privatisieren[Fn43], also aus der stattlichen Verantwortung herauszunehmen. Die erfolgreiche Übernahme einer weiteren Bibliothek könnte diese Tendenz unterstützen. Pro Kiez versteht sein Engagement hingegen als Übergangslösung, bis zu einem Zeitpunkt, an dem der Bezirk wieder in der Lage sei, die Bibliothek selbstständig zu tragen. Die jetzt angestrebte Lösung, bei der vom Bezirk die Kosten für die Räume, den Bestand und das Ehrenamt getragen und dafür der Verein die Bibliothek betreiben soll, waren nicht das Ziel der Proteste.[Fn44] Die mit dieser möglichen Lösung einhergehenden Mängel wurden eindeutig benannt. Einzig, weil ansonsten keine realistische Möglichkeit gesehen wurde, die Bibliothek zu erhalten, wurde das Konzept auf der Basis ehrenamtlichen Engagements vorangetrieben.[Fn45]

Zweitens wurde von Beginn an betont, dass die Übernahme aller bibliothekarischen Aufgaben durch Ehrenamtliche nicht möglich sei und dies deshalb zu einer Qualitätsreduzierung führen müsse. Explizit wurde die Bibliothek nicht als reine Medienausleihe, sondern als komplex arbeitende Einrichtung wahrgenommen. Gegenstand der Forderungen an den Bezirk waren deshalb ebenfalls seit der ersten Formulierung des Konzeptes, neben dem Unterhalt der Räume und einem Medienetat, die Unterstützung durch das bezirkliche Bibliothekssystem, beispielsweise bei der Titelaufnahme, dem Bestandsaufbau und der Bestandssicherung, der Makulatur, dem Umgang mit dem Computersystem und der Leseförderung für Kinder und Jugendliche.

Jederzeit Musik, Bibliothek im Eliashof / Eigensinnigkeit der Aktiven

Die Initiative für die Bibliothek im Eliashof „Jederzeit Musik“ war von den drei besprochenen
Initiativen die bislang am wenigsten erfolgreiche. Dennoch bestand sie als Struktur länger, als die beiden anderen Initiativen und spiegelt gerade mit ihren Transformationen die unterschiedlichen Konzepte von möglichen Formen gesellschaftlicher Unterstützung für Bibliotheken wider. Gleichzeitig steht sie, wenn auch nicht in ihrer Gesamtheit, bei diesen Protesten für eine mögliche Radikalposition. Begründet wurde die Initiative als – bislang nicht rechtskräftig eingetragener – Verein von ehrenamtlich Helfenden der Bibliothek.[
Fn46] Zielsetzung war, das Veranstaltungsangebot der Bibliothek zu ergänzen, was offenbar Ende 2006 und Anfang 2007 auch passierte. Seit Ende Mai 2007 war die Bibliothek in ihrer Existenz bedroht.[Fn47] Im Juni und Juli begann die Initiative damit, sich von einem helfenden Freundeskreis, wie er in zahlreichen Bibliotheken und anderen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten in den letzten Jahren etabliert wurde, zu einer Initiative zu wandeln, die versuchte, die Bibliothek zu erhalten und gleichzeitig über deren zukünftige Gestaltung zu debattierten.

Es kristallisierten sich hierbei zwei widerstreitende Positionen heraus: Vertreterinnen und Vertreter beider Positionen waren daran interessiert, die Bibliothek funktionsfähig zu halten. Die erste Position, welche im Nachhinein von den Engagierten mit der damaligen Leiterin der Bibliothek identifiziert wird, auch wenn sie diese nicht alleine vertrat, wollte die Bibliothek durch den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte in möglichst vielen Bereichen, allerdings unter der Anleitung mindestens einer Bibliothekarin, erhalten. Die andere Position, welche lange Zeit die Meinung der Initiative dominiert zu haben scheint, bezeichnete den Betrieb und die Unterhaltung von Bibliotheken als grundsätzliche Aufgaben der Politik.[Fn48] Engagierte, die diese Position vertraten, waren deshalb nicht bereit, sich über die schon geleistete Arbeit hinaus für die Bibliothek einzusetzen. Der Streit zwischen diesen beiden Positionen, welcher offenbar nicht nur inhaltlich geführt wurde, reduzierte letztlich die politische Effektivität des Vereins. Dabei muss betont werden, dass auch die Engagierten, welche sich einer größtenteils ehrenamtlich geführten Bibliothek widersetzten, nicht generell ein ehrenamtliches Engagement für diese ablehnten. Vielmehr hatten sie sich gerade dazu bereit gefunden und waren dabei, für diese Unterstützung offiziell einen Verein zu begründen.

Die zumindest nach außen hin relativ kompromisslose Haltung gegenüber der Politik wurde bis zur faktischen Schließung der Bibliothek Ende Dezember 2007 durchgehalten. Im Januar 2008 fanden sich dann mit der Betroffenenvertretung Helmholtzplatz und anderen Personen neue Aktive, die den Protest wieder belebten und deren Inhalt beeinflussten.

Der Verlauf dieser Proteste kann hier noch nicht geschildert werden. Interessant an der Argumentation des Vereins ist dabei die Bewertung des Ehrenamtes. Diese fand sich ebenfalls bei den anderen beiden Initiativen, aber nirgends so stark expliziert. Es wurde eine Verbindung gezogen zwischen der politisch gewollten und forcierten Ausweitung des Ehrenamtes und dem gleichzeitig wahrgenommenen Abbau kultureller und sozialer Leistungen, sowie der Entstaatlichung von als gesellschaftlich notwendig angesehener Infrastruktur. In diesem Kontext wurde gerade von den Engagierten, welche sich kompromisslos gegenüber der Politik zeigten, die Förderung des Ehrenamtes als Strategie der Politik wahrgenommen, sich aus sozialen Funktionen zurückzuziehen und den Betrieb gesellschaftlich und kulturell relevanter Einrichtungen an die Betroffenen selbst zu überantworten. Nicht die Aufgabe des Staates übernehmen zu wollen, war eine durchgängig aufgerufene Argumentation. Gleichzeitig war den Engagierten eine eigenverantwortliche ehrenamtliche Tätigkeit nicht fremd. Die bei Pro Kiez als mögliche Gefahr gesehenen kontraproduktiven Effekte des Ehrenamtes, wurden bei Jederzeit Musik als Teil einer wirkungsmächtigen politischen Strategie wahrgenommen.[Fn49] Insoweit lautete die Kritik nicht, dass das Ehrenamt an sich falsch wäre. Auch wurde einer allgemeinen Förderung solcher Tätigkeiten nicht widersprochen. Dennoch kristallisierten sich zwei Forderungen an ehrenamtliche Tätigkeiten heraus: Erstens solle ehrenamtliche Arbeit keine vorhandenen Arbeitsplätze ersetzen und zweitens sollten ehrenamtliche Tätigkeiten von den Engagierten – wenn auch fraglos in Absprache mit anderen – autonom bestimmt werden können.

Gerade die interne Auseinandersetzung um das Konzept einer ehrenamtlich geführten Bibliothek war wiederum Teil der gesellschaftlichen Debatten um Lebensqualität. Nicht das Ehrenamt an sich stand zur Disposition, sondern die Frage, wer die jeweiligen Tätigkeiten bestimmt. Mehr als einmal kam während der Proteste die Meinung auf, dass staatlich nur das Ehrenamt gefördert würde, welches entweder ehemals staatliche Aufgaben übernehmen oder die allgemeine Politik nicht kritisieren würde.[Fn50] Auch hieran scheiterte letztlich das Konzept, aus dem Freundeskreis der Bibliothek einen Verein von ehrenamtlich Helfenden zu formen.

Solche Freundeskreise und ähnliche Initiativen können, so wurde es bei Jederzeit Musik sichtbar, immer auch ein Eigenleben entwickeln und sich letztlich der ihnen von den Bibliotheken zugeschriebenen Aufgaben entziehen oder diese zumindest für sich neu definieren. Dies ist für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft elementar, auch wenn es manche Entwürfe zum Einsatz von Ehrenamtlichen zunichte macht.

Bibliothek im Blickwinkel gesellschaftlich Engagierter

Die Proteste für die drei kleineren Bibliotheken in Berlin haben gezeigt, dass sich die Gesellschaft bzw. das gesellschaftliche Engagement verändert und mit ihr die politische Umgebung, in der sich Bibliotheken als gesellschaftlich relevante Einrichtungen verorten müssen. Ebenso hat sich in den Protesten angedeutet, dass die aus der Gesellschaft heraus an Bibliotheken gestellten Anforderungen zumindest zum Teil andere sind, als die in bibliothekarischen Debatten und Positionspapieren – beispielsweise dem oben angeführten Bibliotheksentwicklungsplan Mitte oder dem Projekt ‚Bibliothek 2007’ – dargestellten. Die kontinuierlich betonten Themen Bildung, Kultur und egalitäre Ausrichtung von Bibliotheken wurden zwar ebenso von den Engagierten bei ihren Argumentationen angeführt. Die Haltung zu den von Seiten der Bibliotheken oft betonten Aufgaben, die digitale Spaltung zu überwinden und Medien- und Informationskompetenz zu fördern, war demgegenüber bei den Engagierten schon nicht mehr eindeutig. Wichtiger waren ihnen die Vermittlung von Lesefreude – nicht unbedingt der Lesekompetenz – sowie der freie Zugang zu Büchern und anderen Medien. Leicht wäre es, dies als überkommene Vorstellungen abzuqualifizieren, welche an der gesellschaftlich notwendigen Aufgabenerfüllung von Bibliotheken im Informationszeitalter vorbeigehen würden. Allerdings würde man damit verkennen, dass die Engagierten sich gerade wegen dieser Vorstellungen für die Bibliotheken einsetzten und dies offenbar als deren vorrangige und unbestreitbare Aufgabe ansahen. Die immer wieder eingeforderte Festschreibung von Bibliotheken als Teil einer Bildungsinfrastruktur war für sie auch ohne Bibliotheksgesetz gegeben.[Fn51]

Interessant ist, dass alle drei Initiativen weitere Vorstellungen formulierten. Zumindest kleinere Bibliotheken wurden als notwendiger Teil einer kiezbezogenen Infrastruktur verstanden, deren Unterhaltung – ähnlich wie die von Schulen oder Kindertageseinrichtungen[Fn52]– grundsätzliche Aufgabe der Politik sei. Die Bibliotheken wurden als Teil eines lebenswerten Stadtteils verstanden, welche, weit über ihre Funktion als Anbieter von Medien hinausgehend, einen lokalen Kultur- und Kommunikationsraum darstellen würden. Insbesondere bei der Jerusalem-Bibliothek wurde zudem auf die spezifische Situation der Bibliothek hingewiesen, die für Kinder und Jugendliche einen geschützten Freizeitraum darstellen würde, welcher bildungsnäher wäre, als Jugendclubs, aber dennoch anders besetzt seien, als der explizite Lernort Schule. Bezeichnend ist zudem, dass sich alle drei Initiativen explizit als überparteilich verstanden und damit zeigten, dass sie Bibliotheken als ein gesamtgesellschaftliches Thema ansahen.[Fn53]

Das nahezu gleichzeitige Auftreten dieser Initiativen mag Zufall gewesen sein, obwohl man sich bei näherer Beschäftigung nicht des Eindrucks erwehren konnte, dass sie Teil einer erheblichen Zunahme von gesellschaftlichen Konflikten waren. Die Argumentationen und Vorgehensweisen der Initiativen hingegen fügten sich zum großen Teil in einen gesellschaftlichen Trend ein, der durch die Betonung der Lebensqualität, der Aktivierung lokaler Gemeinschaften, einer reflektierenden Haltung gegenüber politischen Strukturen und deren Forderungen und gleichzeitig aktiver und vielfältiger Nutzung von Informationsmitteln gekennzeichnet ist.

Zugespitzt könnte man behaupten, dass sich in diesen Protesten eine neue Form von Zivilgesellschaft andeutete, welche – neben den bekannten Forderungen der Politik und Wirtschaft, auf die Bibliotheken seit langem versuchen einzugehen – den Bibliotheken andere Anforderungen entgegen hielten. Dafür waren die Engagierten allerdings auch bereit, sich intensiv für Bibliotheken einzusetzen. Höchstwahrscheinlich werden Bibliotheken zunehmend mit diesen Trends konfrontiert.

Bei den hier besprochenen Protesten zeigten sich vor allem die sich dadurch ergebenden Möglichkeiten. Die Auseinandersetzungen innerhalb von Jederzeit Musik deuteten zugleich mögliche Konfliktpunkte an. Engagierte haben ihre eigenen leitenden Vorstellungen von ihrem Engagement und den Aufgaben von Bibliotheken. Zudem zeigte die Auseinandersetzung um die Jerusalem-Bibliothek, dass eine grundsätzliche Frage nicht beantwortet ist, nämlich für wen Bibliotheken existieren sollen. Das Kulturamt nahm die Bevölkerung des gesamten Bezirks als potentielle Bedarfsgruppe, die Initiative betonte die lokalen Bedürfnisse. Diese Debatte ist nicht neu, schien bislang aber zumindest in Berlin beantwortet zu sein. Das weithin wahrgenommene und unterstützte Auftreten der Initiative deutet allerdings darauf hin, dass dieser Eindruck aus der verwaltungstechnischen Ebene eventuell trügt. Wichtig erscheint, dass die Orientierung auf lokale Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität und die Arbeit von temporären Netzwerken, die sich für ihre Praxis den Paradigmen und Technologien der Informationsgesellschaft bedienen, nicht nur für Bibliotheken beobachtet werden kann.[Fn54] Die spezifischen Informations- und Organisationsbedürfnisse solcher Engagierter werden sich gerade auf die Arbeit kleinerer Bibliotheken auswirken. Die auch bisher oft betonte Aufgabe von Bibliotheken, Archiv der lokalen Geschichte zu sein, wird eine andere Bedeutung annehmen.

Das Interesse an den Vorgängen im Kiez und der Kommune wird allgemein wachsen. Bibliotheken könnten sich durch eine aktive Informationsbeschaffung, beispielsweise mit abrufbaren Sammlungen zur kommunalen Politik und kommunal aktiven Initiativen unterschiedlicher Organisationsform, ein Themenfeld erarbeiten, das zu einer besseren Positionierung ihrer selbst in der lokalen Gemeinschaft beitragen kann.

Im Besonderen zeigte sich während der Arbeit der Initiativen ein verstärktes Interesse an den Funktionsweisen der öffentlichen Verwaltung und Politik, letztlich vor allem an der Frage, welche Stelle oder Einzelperson welche Aufgaben übernommen hat und für welche Entscheidung verantwortlich ist. Zum relativ großen Erfolg von Pro Kiez und der Initiative für die Jerusalem-Bibliothek trug offenbar auch bei, dass Engagierte dieser Initiativen jeweils ein Weblog einrichteten und kontinuierlich betrieben.[Fn55] Die Beherrschung solcher Angebote und auch der elaborierte Umgang mit Textverarbeitungs- und Graphiksoftware hat sich bei diesen Informationsangeboten bewährt. Bibliotheken haben sich oft zugeschrieben, auch diese Fähigkeiten zu fördern, obwohl dies zumeist in den Kontext beruflicher Anforderungen gestellt wurde. Bei den hier diskutierten Initiativen mag ersichtlich geworden sein, dass die tatsächliche Wahrnehmung dieser Aufgabe unter anderem dazu beitragen kann, demokratische und partizipative Prozesse zu ermöglichen und zu fördern.

Literatur

[Alle Links wurden zuletzt am 18.02.2008 aufgerufen.]

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Fußnoten

[Fn 1] Die folgenden Ausführungen zur Arbeit der Initiativen basierten einerseits auf einer, wenn auch nicht kontinuierlich durchgeführten, teilnehmenden Beobachtung durch den Autor und anderseits auf fokussiert-narrativen Interviews mit Michael Hauke (Jederzeit Musik, aktiv für die Bibliothek im Elias-Hof), Tom Schweers (aktiv für die Jerusalem-Bibliothek), Peter Venus (Pro Kiez, aktiv für die Kurt-Tucholsky-Bibliothek) und Dr. Michail Nelken (Bezirksstadtrat von Berlin-Pankow und Leiter der Abteilung Kultur, Wirtschaft und Stadtentwicklung). Für die von Ihnen aufgebrachte Zeit, sowie die Unterstützung der anderen Aktiven mit weiteren Informationen, möchte ich mich noch einmal bedanken. (zurück)

[Fn 2] „Bibliotheken“ meint in diesem Artikel Öffentliche Bibliotheken. (zurück)

[Fn 3] Hier ist nicht der Platz, die spezifische Form der Finanzierung der Berliner Bezirke durch den Berliner Senat vollständig darzustellen. In Ansätzen geschieht dies weiter unten im Abschnitt zum Bibliotheksentwicklungsplan Mitte. Das in den 1990er Jahren hauptsächlich wegen der Überschuldung Berlins eingeführte Finanzierungsmodell ist beständiges Diskussionsthema der Berliner Bezirkspolitik und der Arbeit aller direkt oder indirekt von der Förderung durch die Bezirke abhängigen Initiativen. Auch in den hier thematisierten Auseinandersetzungen war das Thema der Bezirksfinanzierung omnipräsent. (zurück)

[Fn 4]Vgl. u.a. Wilensky (2003), Nickens (2004), Delhey (2004). (zurück)

[Fn 5] Beispielsweise wurde ein Antrag, dass Bürgergeld als Ziel von Bündnis 90/Die Grünen festzuschreiben, auf der Bundesdelegiertenkonferenz im November 2007 nur knapp abgelehnt (zurück)

[Fn 6]Dieser Trend ist hier schwierig nachzuweisen. Es geht darum, dass nicht mehr nur die bekannten Akteure, wie beispielsweise eine große Anzahl der Allgemeinen Studierendenausschüsse, die GEW oder pädagogische Interessenverbände, eine solche Kritik formulieren, sondern diese stetig zum Allgemeingut breiterer Gesellschaftsschichten zu werden scheint. Als Hinweis mag gelten, dass die Gewerkschaft ver.di Ende 2007 offiziell die Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung suspendierte, bis sie sich über die Auswirkungen der Politik dieser Stiftung klar geworden sei. Die Bertelsmann-Stiftung hatte seit ihrem Bestehen, aber offenbar seit den 1990er Jahren verstärkter und erfolgreicher, die Grundthese vertreten, dass Methodiken aus der unternehmerischen Praxis und betriebswirtschaftlichen Forschung auch in nicht-unternehmerischen Bereichen der Gesellschaft zu einer besseren Praxis führen würden. Dabei war die Stiftung in den letzten Jahren hauptsächlich im Bildungsbereich aktiv. Ein weiteren Hinweis ist, dass im hessischen Landtagswahlkampf 2007-2008 die Kritik an den unter dem Schlagwort G-8 bekannten Transformationen des Gymnasialsystems, welche in diesem Bundesland von der Regierung Koch vorangetrieben wurden, neben den Mindestlöhnen, dass wichtigste Wahlkampfthema der Oppositionspartei SPD war. G-8 folgt der Überlegung, dass Schülerinnen und Schüler möglichst schnell und mit möglichst wenig Ausfallstunden ihre Schullaufbahn absolvieren sollen. Die Kritik setzt an bei der pädagogischen Qualität des Unterrichts, welche durch diese Transformation abnehmen würde und der ebenfalls angeblich der
Lernqualität abträglichen Beschleunigung der Schullaufbahnen. (
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[Fn 7] Seifert (2005), Seifert (2007). (zurück)

[Fn 8] Hamann / Giese (2005) (zurück)

[Fn 9] Siebter Familienbericht (2005), Kita-Bildungsserver Sachen - http://www.kita-bildungsserver.de/ (zurück)

[Fn 10] DGB-Index Gute Arbeit (2007) - http://www.dgb-index-gute-arbeit.de/downloads/publikationen/data/Der%20Report%202007 (zurück)

[Fn 11] Es wurde argumentiert, dass der politisch unterstützte Trend zum Ehrenamt mit einer zunehmenden Streichung von öffentlichen Mitteln für Kultur-, Sozial- und ähnliche Angebote zusammen fallen und deshalb zumindest zum Teil eher als Notbehelf, denn als wirklich freiwillige gesellschaftliche Initiative zu verstehen sei. Auch wenn dieses Argument – gerade im Bezug auf die in diesem Text besprochenen Proteste – einiges für sich hat, muss bedacht werden, dass auch solche Notbehelfe sich relativ selbst bestimmt entwickeln und, gerade wenn sie über einen längeren Zeitraum betrieben werden, oft über ihre ursprüngliche Funktion hinauswachsen. So sind solche Strukturen, wie beispielsweise im weiter unten beschriebenen Protest für die Jerusalem-Bibliothek das betroffene Quartiersmanagement, oft eine Infrastruktur von Gegenbewegungen zu politischen Entscheidungen oder gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Governmentality-Studies untersuchen sehr detailliert solche Prozesse bei staatlich geförderten Projekten, die sich innerhalb kurzer Zeit zu eigenständigen Machtfaktoren in politischen Auseinandersetzungen mit ihren Initiatoren entwickeln können. Die Gesellschaft und der Staat, so betonte Michel Foucault in seinen grundlegenden Vorlesungen von 1977/1978 und 1978/1979, die letztlich als Gründungstexte der Governmentality-Studies angesehen werden können, sind immer das Ergebnis der kleinteiligen Auseinandersetzungen verschiedener staatlicher und nicht-staatlicher Akteure und nicht einfach die Abbildung politischer Planungen. Oder, auf die Förderung des Ehrenamtes durch die Politik bezogen: diese direkte und indirekte Förderung bringt, egal was die grundlegenden Hoffnungen dieser Förderung sind, immer auch gesellschaftliche Strukturen hervor, welche eigenständig planen, handeln und somit die Gesellschaft verändern. Vgl. Burchell / Gordon / Miller (1991), Dean (1999), Bröckling / Krasmann / Lemke (2004). (zurück)

[Fn12] Vgl. für eine Übersicht Sprengel (2007). (zurück)

[Fn 13] Friebe / Lobo (2006). Zur Frage der Moral bei der Transformation bestehender und Entstehung neuer Märkte vgl. auch Stehr (2007). (zurück)

[Fn 14] Vgl. Rechnungshof von Berlin (2007), in dem die Straffung des Berliner Bibliotheksnetzes von 82 auf 42 Standorten angemahnt wird. (zurück)

[Fn 15] Zur theoriegeleiteten Bestimmung von ähnlichen zivilgesellschaftlich tätigen sozialen Eliten vgl. Vogt (2005). (zurück)

[Fn 16] Wobei diese Erfahrungen erstaunlich breit gestreut waren. Sie erstreckten sich mindestens auf Aktivitäten in der Studierenden-Bewegung der späten 1960er und der 1970er Jahren, der DDR- Opposition, der Bürgerbewegung nach 1998/1990, der Friedensbewegung in den 1980er Jahren, diversen Parteien unter verschieden politischen Systemen, in Gewerkschaften und tariflichen Auseinandersetzungen, im künstlerlich-politischen Bereich und der Bezirks- und Vereinspolitik. (zurück)

[Fn 17] Sie übernahmen beispielsweise die Rolle der Hausmänner, während die Mütter arbeiteten, befanden sich im Erziehungsurlaub, engagieren sich offenbar in den Schulen und Betreuungseinrichtungen, die ihre Kinder besuchen und planten ihre Aktivitäten grundsätzlich so, dass möglichst wenig der Zeit mit ihren Kindern dabei verbraucht wurde. (zurück)

[Fn 18] Kulturamt Mitte (2005). (zurück)

[Fn 19] Metz / Arndt (2004). Herr Arndt stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung, betonte aber in einer Mail vom 17.01.2008, dass die in den hier verwendeten Dokumenten niedergelegten Grundüberlegungen für ihn, wie er im Bezug auf den Artikel schreibt, „ bedauerlicherweise“, immer noch aktuell seien. (zurück)

[Fn 20] Was beispielsweise dazu führt, dass Berlin-Mitte im Ansatz der Stadt Berlin weniger Ausleihen als Soll-Menge zugesprochen erhält, als tatsächlich umgesetzt werden, da Mitte im Fernleihverkehr innerhalb Berlins ein gebender Bezirk ist. Finanziert wird allerdings nur die Soll-Menge der Ausleihvorgänge. (zurück)

[Fn 21] Nicht thematisiert werden in den beiden Dokumenten die anderswo erhobenen Vorwürfe, dass die Fassung aller bezirklichen Angebote in Produkte zu einer Standardisierung führen würde, welche einerseits eine bezirkliche Politik mit ihrer Orientierung auf lokale Besonderheiten vollkommen unmöglich machen und gleichzeitig die Entwicklung neuer Angebote verunmöglichen würde. Als Beispiel für Bibliotheken kann gelten, dass einzig die Arbeit mit Schulen als Produkt ausgewiesen ist, während Angebote wie die Zusammenarbeit mit Freizeiteinrichtungen für Seniorinnen und Senioren, nicht als solches abgerechnet werden können. Deshalb wäre eine solche Arbeit nur schwerlich möglich, selbst wenn sie lokal als sinnvoll angesehen würde. (zurück)

[Fn 22] Die von ihnen vorgetragene Argumentation ist bekanntlich nicht berlinspezifisch, sondern wird unter dem Eindruck der allgemeinen Finanzkrise der meisten Kommunen immer wieder anderswo in der deutschen Bibliothekspolitik vertreten. So argumentiert Konrad Umlauf im Bezug auf das Bibliothekswesen in Sachsen-Anhalt: „Angesicht der Gemeindegrößen in Sachsen-Anhalt führt die Isolation der öffentlichen Bibliotheken auf der Ebene der einzelnen Gemeinde dazu, dass ein zufrieden stellender Bibliotheksbetrieb in kleinen Gemeinden vergleichsweise teuer ist. Auch wo dies heute noch möglich und gegeben ist, können wir nicht davon ausgehen, dass dies eine Perspektive hat.[...] Es geht also nicht um Zentralismus als Selbstzweck, sondern um die Nutzung von Synergien. Die Entscheidungskompetenz bleibt vor Ort, Leistung und Gegenleistung werden vollkommen transparent. Entscheidend wäre auch Kostentransparenz bei diesem [vorgeschlagenen, K.S.] übergemeindlichen Bibliotheksbetrieb. Jede Gemeinde kann genau erkennen, wie viel Mittel sie zur Verfügung stellt und welche Leistung sie dafür bekommt.“ [Umlauf (2007), S. 29f.] (zurück)

[Fn 23] Metz & Arndt, (2004), S. 294. (zurück)

[Fn 24] Allerdings stehen die eingeplanten Mittel für den Bau dieser Bibliothek aktuell nicht mehr zur Verfügung. Somit wird sich die auf 2015 projektionierte Eröffnung der Zentralbibliothek mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht umsetzen lassen.(zurück)

[Fn 25] kulturamt mitte (2005), S. 18. (zurück)

[Fn 26] Polemisch könnte man die Ausführungen so interpretieren, als solle hauptsächlich darauf hingewirkt werden, dass Teile der für das Quartiersmanagement bereitgestellten Mittel für Bibliotheken umgewidmet würden. Dabei wäre eigentlich zu erwarten, dass die Einbindung von Bibliotheken in solche Förderungen, welche hauptsächlich auf den Aufbau und die Stärkung lokaler Gemeinschaften abzielen, auch eine veränderte bibliothekarische Arbeit bedingen müsste. (zurück)

[Fn 27] Vgl. Stehr (2000), Stehr (2006). Zur Bedeutung von Orten außer-universitärer Wissensproduktion als Teil des sozialen Wandels in der Wissensgesellschaft siehe auch Nowotny / Scott / Gibbons (2001). (zurück)

[Fn 28] Wobei der Bibliotheksentwicklungsplan die gesamte Zeit als PDF auf der Homepage des Kulturamtes zur Verfügung stand. Offensichtlich hat dies allerdings nicht ausgereicht, um den Plan, der wahrnehmbare Auswirkungen auf das Leben im Bezirk haben soll, in der Öffentlichkeit publik zu machen. In dem hier ausgewerteten Interview thematisiert Tom Schweers, Engagierter der Initiative, allerdings selber, dass dies nicht nur ein Problem der politischen Vermittlung darstellt, sondern beispielsweise auch durch die offenbar nicht ausreichende Informationsvermittlung durch die bezirkliche Presse bedingt sei. (zurück)

[Fn 29] Auch hier ist zu beachten, dass zwei unterschiedliche Verständnisse von Politik und Debatten vorliegen. Debatten in Parlamenten, Verwaltungen, aber auch Parteien, Gewerkschaften oder größeren Nicht-Regierungsorganisationen werden auf andere Weise, in einer anderen Geschwindigkeit und in anderen infrastrukturellen Rahmungen geführt, als andere gesellschaftliche Debatten. Die Bedeutung von nicht-öffentlichen Gesprächen, indirekten Verhandlungen oder auch langfristiger Strategien ist so groß, dass die Entscheidungsfindung außerhalb dieser Strukturen kaum nachvollzogen werden kann. Offenbar ist dies eine Struktureigenschaft solcher Systeme. Die Erwartung der Initiative war allerdings, die Debatte in der Öffentlichkeit zu führen, was tatsächlich nicht stattfand. (zurück)

[Fn 30] Genauer bestimmt Stehr die Funktion solcher Initiativen, als Betroffene Fragen an Konzepte und Entscheidungen zu stellen. Ihr Vorteil sei, dass sie keine Konzepte entwerfen oder sich einen Status als Wissendes zuschreiben müssten, sondern hauptsächlich auf Unstimmigkeiten aufmerksam machen könnten. (zurück)

[Fn 31] Fahrenkrog (2007a), S. 1. (zurück)

[Fn 32] Schweers (2007), S. 1. (zurück)

[ Fn 33]
Die Vereinsgründung als PRO KIEZ Bötzowviertel fand am 8. Januar 2008 statt, die Eintragung als Verein steht bevor. Zuvor hatte die Initiative schon unter dem Namen Bürgerinitiative Pro Kiez agiert. Der Kurzname Pro Kiez ist für beide Institutionalisierungsformen eingeführt. (zurück)

[ Fn 34] Gerade im Bezug auf die Bibliothek im Elias-Hof liegt aktuell ein Konzept des MITmach-Kindermuseums vor, welches die geschlossene Bibliothek oder eine Nachfolgeeinrichtung in deren Räumen in Trägerschaft des Museums fortführen will. Dies wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ohne ehrenamtliche Hilfe möglich sein. Die Haltung der betroffenen und weiter unten noch beschriebenen Initiative Jederzeit Musik zu diesem, bislang nicht veröffentlichtem, Konzept scheint positiv, die Haltung des Bezirksamtes ist zumindest nicht ablehnend. Zudem gibt es in Berlin schon unterschiedliche kleinere Öffentliche Bibliotheken, die durch Ehrenamtliche vollständig oder zu
großen Teilen aufrecht erhalten werden. Vollständig ehrenamtlich ist der Betrieb in Berlin bisher in der Thomas-Dehler-Bibliothek (Schöneberg), der Nachbarschaftsbibliothek (Französisch Buchholz/ Pankow) und der Bibliothek des Vereins Leben in Wilhelmsruh e.V. (Pankow). Seit Beginn 2008 werden die Stadtteilbibliotheken in Buch und Karow (Pankow) von einem gemeinsamen Team bibliothekarisch und mit der ehrenamtlichen Hilfe der ansässigen Bürgervereine betreut. So wurde die Schließung einer der beiden Bibliotheken verhindert. (
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[ Fn 35] Vgl. auch den Schwerpunkt zum Thema Ehrenamt in Bibliotheken in der BuB 60 (2008) 02, S. 126-148. Allerdings wird dort das ehrenamtliche Führen einer Öffentlichen Bibliothek nicht thematisiert. Die Ehrenamtliche Leitung von Bibliothek wird in der bibliothekarischen Diskussion hauptsächlich bei Schulbibliotheken (Vgl. Schneider (2008), Jordan-Bonin (2008)), Blindenbüchereien (Vgl. Menxel (2007)) oder Krankenhausbibliotheken (Vgl. Reckling- Freitag (2007), Lutze (2007)) thematisiert. Im einleitenden Beitrag des BuB-Schwerpunktes hält Michael Reiser (2008) fest, dass der Trend zum Ehrenamt in Bibliotheken zumeist ablehnend thematisiert wird (vgl. Strozolka (2008)), obwohl gleichzeitig ein immenses Defizit bei der empirischen Forschung zu diesem Thema zu konstatieren ist. (zurück)

[ Fn 36] Die Besetzung begann im November 2007, wird aktuell (Februar 2008) in modifizierter Form aufrecht erhalten und soll erst mit der Wiedereröffnung der Bibliothek aufgegeben werden. (zurück)

[ Fn 37] Dies war allerdings bei der Initiative für die Jerusalem-Bibliothek ebenfalls gegeben. (zurück)

[ Fn 38] Wobei auch diese zumeist anders gesellschaftlich aktiv gewesen sind, beispielsweise in Elternvertretungen. Neu war für sie offenbar zumeist ein Engagement, dass zu einem direkten Kontakt mit der Bezirkspolitik führte. (zurück)

[ Fn 39] Bezirksstadtrat Dr. Nelken nahm allerdings die Initiative und ihre Arbeit, bei aller positiven Haltung zu ihr, als etwas wahr, das immer wieder auftreten würde. (zurück)

[ Fn 40] Wobei sich der Prenzlauer Berg in diesem Gebiet durch zahlreiche kleinere Geschäfte, welche zu großen Teilen auf eine kulturell interessierte Kundschaft ausgerichtet oder aber auf Kinder- und Kleinkinderprodukte zugeschnitten sind, und der immensen Verbreitung gastronomischer Einrichtungen, insbesondere auch vielen Familienorientierten, sich für eine solche Art der Informationsverbreitung weit besser eignet, als die meisten anderen Gebiete in Berlin. (zurück)

[ Fn 41] Diese Haltung bestätigte er noch einmal ausdrücklich in dem für den vorliegenden Artikel geführten Interview vom 18.02.2008, also zu einem Zeitpunkt, als die Proteste schon weit fortgeschritten waren. Allgemein wird in der Berliner Bezirkspolitik kritisiert, dass die Bezirke – anders als Kommunen in anderen Bundesländern – durch den Senat genötigt werden könnten, solche Entscheidungen gegen ihren Willen zu fällen. Tatsächlich ist die Stellung der Bezirke zum Senat Gegenstand zahlreicher politischer Auseinandersetzungen, welche es gleichzeitig für Außenstehende schwierig machen, Verantwortliche für Entscheidungen zu identifizieren und anzusprechen. Schnell entsteht der Eindruck, dass es beiden Ebenen oft darum geht, die jeweilige Verantwortlichkeit zu delegieren. So verwiesen die betreffenden BVVen in den hier beschriebenen Auseinandersetzungen oft darauf, dass die grundsätzlichen Sparentscheidungen, welche zur Schließung der Bibliotheken zwängen, vom Senat getroffen würden. Gleichzeitig verwies der Senat, beziehungsweise die Senatskanzlei darauf, dass die Umsetzung der Sparvorgaben Angelegenheit der Bezirke wäre, auf die der Senat keinen Einfluss nehmen dürfe. Die von Niklas Luhmann für funktionale Systeme konstatierte Autopoiesis ließe sich an der Berliner Bezirks- und Landesverwaltung und -politik problemlos exemplifizieren. (zurück)

[ Fn 42] Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin (2007). (zurück)

[ Fn 43] Der Terminus „privatisieren“ wurde in diesem Zusammenhang beständig benutzt. Dies ist auffällig, da er ansonsten zumeist für die Übergabe von staatlich wahrgenommenen Aufgaben an Firmen benutzt wird und nicht für ehrenamtliche Tätigkeiten. (zurück)

[ Fn 44] Sehr früh wurde darauf hingewiesen, dass eine solche ehrenamtliche Tätigkeit auch – hauptsächlich durch Versicherungen, Fortbildungen und Verwaltungsaufwand – Kosten verursacht. Zum vorgelegten Konzept siehe Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin (2007). (zurück)

[ Fn 45] Wobei, ohne zuviel Interna veröffentlichen zu wollen, angemerkt werden muss, dass diese Entscheidung nicht von allen Engagierten mitgetragen wurde. Zumindest für sich selber entschieden einige, den Weg der Initiative zum Trägerverein nicht mitmachen zu wollen, obwohl sie die Probleme, vor der die Initiative stand, nachvollziehen konnten. (zurück)

[ Fn 46] Die Bibliothek im Eliashof hatte zwei hauptsächliche Arbeitsbereiche. Einerseits betrieb sie eine Kinder- und Jugendabteilung, andererseits hatte sie einen musikalischen Schwerpunkt. Mit beiden Bereichen war sie im Eliashof in einem kulturellen Gesamtkomplex mit Musikschule, einem Kindermuseum und anderen, im Bereich der Kinder-, Jugend- und Musikerziehung engagierten Einrichtungen zusammengeführt. (Vgl. http://www.eliashof-berlin.de/) Jederzeit Musik war, wie aus dem Namen ersichtlich wird, bei seiner Gründung hauptsächlich an der Unterstützung des musikalischen Schwerpunktes interessiert. Soweit sich dies rekonstruieren lässt, begann der Verein sich erst im Zuge der Proteste für die Bibliothek explizit für deren Kinder- und Jugendarbeit zu interessieren. Diese Entstehungsgeschichte erklärt zum Teil die auffällige Häufung von künstlerisch Arbeitenden in diesem Verein. Hingegen wurde die Initiative für die Jerusalem-Bibliothek, welche als reine Kinder- und Jugendbibliothek betrieben wurde, hauptsächlich von Eltern getragen. (zurück)

[ Fn 47] Das offenbar erste Flugblatt des Vereins, unter dem Namen Bürgerinitiative ’Nein zur Schliessung des Kulturstandortes Eliashof!’ (2007), ruft für die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Pankow am 11.07.2007 zu Protesten gegen eine bevorstehende Schließung der Bibliothek auf. Wobei die Entscheidung zur Schließung erst im November 2007 im Rahmen eines Maßnahmenkatalogs beschlossen wurde, mit welchem der Bezirk auf eine Anforderung des Senats zur verstärkten Haushaltskonsolidierung reagierte. Vgl. Bezirksverordnetenversammlung von Berlin (2007). Dennoch kann man diesen Termin als Beginn der in diesem Artikel behandelten Proteste verstehen. (zurück)

[ Fn 48] Wobei auch von Jederzeit Musik nicht unbedingt auf die Aufgabenteilung der Politik geachtet wurde, sondern gleichsam die lokale Öffentlichkeit, die Bezirkspolitik und -verwaltung, die Landes- und letztlich auch die Bundespolitik für den Unterhalt von Bibliotheken verantwortlich gemacht wurde. (zurück)

[ Fn 49] Bei der Initiative für die Jerusalem-Bibliothek kam der Gedanke, die Bibliothek ehrenamtlich zu übernehmen, nicht auf. Zwar wurde ein Konzept zur Übernahme der Bibliothek durch eine Stiftung skizziert, doch ein längerfristiges ehrenamtliches Engagement war keine Gegenstand einer Diskussion. (zurück)

[ Fn 50] Bei der Initiative für die Jerusalem-Bibliothek kam dieses Thema hauptsächlich wegen der Stellung des Quartiersmanagements zur Sprache. Polemisch wurde darauf verwiesen, dass die ehrenamtliche Hilfe bei der Begrünung des Nauener Platzes – dem Standort der Bibliothek – gewünscht und gefördert, das ehrenamtliche Engagement für die Bibliothek hingegen behindert würde. (zurück)

[ Fn 51] Explizit thematisiert wurde die in bibliothekarischen Kreisen erhobene Forderung nach einer gesetzlichen Festschreibung der Kultur als Pflichtaufgabe nur bei Pro Kiez. Bei den anderen Initiativen wurde die über die Bezirks- und Landesebene hinausgehende Politik sehr schemenhaft thematisiert, obgleich diese immer als relevant für die Auseinandersetzungen um die drei Bibliotheken betrachtet wurde. (zurück)

[ Fn 52] In Berlin und den neuen Bundesländern – und damit auch bei den Engagierten – werden Kindertagesstätten als selbstverständlich bereitzustehende Infrastruktur angesehen. Dies ist in den alten Bundesländern nicht überall so. Doch gerade diese regional verschiedene Haltung zu und damit einhergehend unterschiedlich Ausstattung von Kindertagesstätten, zeigt, wie sehr die Gesellschaft in der Lage ist, jeweils allgemein akzeptierte Normen gegenüber der Politik durchzusetzen. (zurück)

[ Fn 53] Selbstverständlich tendierten alle Initiativen trotzdem zu einigen Parteien mehr als zu anderen. Während sie versuchten, mit der jeweiligen bezirklichen Gliederung der CDU, FDP, SPD, von Bündnis 90 / Die Grünen, der Linkspartei und von DIE GRAUEN - Graue Panther – wobei letztere Partei trotz aller internen Auseinandersetzung um einen Auflösungsbeschluss der Bundespartei vom 20.01.2008 in beiden betreffenden Bezirksparlamenten vertreten und somit zumindest lokal relevant ist – zu kommunizieren, wurde dies bei den in Berlin aktiven rechtsextremen Parteien Republikaner und NPD – welche ebenfalls in einigen Bezirksparlamenten, darunter Pankow, vertreten sind – nicht angedacht. Dies kann als relevante Aussage über die in den Initiativen vertretenen gesellschaftlichen Vorstellungen verstanden werden. Offenbar war die propagierte Überparteilichkeit keine Entscheidung, die aus Desinteresse an politischen Grundsätzen getroffen wurde. (zurück)

[ Fn 54] Keine 500 Meter von der Bibliothek im Elias-Hof entfernt findet sich auf dem Helmholtzplatz beispielsweise das in Berlin wohl prominenteste Beispiel solcher Aktivitäten. Der Platz wurde innerhalb weniger Jahre mit großer Beteiligung der ansässigen Bevölkerung von einem beliebten Aufenthaltsort der innerstädtischen Jugend, zu einem stark frequentierten Aufenthaltsraum für Familien mit großem Spielplatz, Kiezhaus und Indoor-Sandkasten umgestaltet. Dies zeigt, dass solche gesellschaftlichen Initiativen, welche bei den drei Bibliotheken hauptsächlich an der Erhaltung und Verbesserung des Existierenden arbeiteten, sehr wohl konstruktiv wirksam werden können.
Gleichzeitig lässt sich am Helmholtzplatz aufzeigen, dass bisher solche Initiativen in Berlin zumeist die
Gentrifizierung begünstigten. (
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[ Fn 55] Initiative für die Jerusalem-Bibliothek: http://bibliothek.blogsport.de, Pro Kiez: http://www.prokiez.de. Jederzeit Musik benutzte letztlich das Weblog von Pro Kiez mit. (zurück)